Fröhlich Maddrax - Folge 373
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-5701-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Herr der Seelen
E-Book, Deutsch, Band 373, 64 Seiten
Reihe: Maddrax
ISBN: 978-3-8387-5701-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Auch wenn Bilmogghabbh die Blicke seiner Kameraden nicht mehr sehen konnte, roch er doch ihre Farbaura. Natürlich taten sie so, als sorgten sie sich um ihn, als bedauerten sie, was der Ring aus ihm gemacht hatte. In Wahrheit aber hätte jeder Einzelne ihm den Ring am liebsten vom Finger gerissen und ihn sich selbst angesteckt. „Was los, Bilmog? Bist wieder eingeschlafen?“, fragte ihn ein auberginefarbener Fleck mit dem Geruch nach Zimt und eingelegten Gurken. Truppführer Vessyagho. Die anderen Erzsucher des Trupps lachten. Bilmogghabbh zuckte zusammen und drehte verlegen den Ring am Finger hin und her. Weiter als ein winziges Stück in jede Richtung ließ sich das Schmuckstück nicht bewegen. Das verhinderten Tausende von Kontaktfäden, die sich ihm vom Ring des Suchers in die Haut gebohrt und mit dem Nervensystem vernetzt hatten. „Ich war in Gedanken“, nuschelte er als Antwort. Keinesfalls durfte er seine Kameraden merken lassen, dass er ihre geheimen Absichten längst durchschaute. Er deutete auf eine sanft aufsteigende Schräge aus honigsüßen Rot-Blau-Schattierungen. Zu beiden Seiten ragten vibrierende Ocker-, Beige- und Senfgelbflecken in die Höhe, die nach Rosen und Karamell dufteten: die dürren Bäume, die nur am Südhang des Dhuramatan wuchsen. „Dieses Geröllfeld ist instabil. Es wird unter uns wegrutschen.“ Vessyagho pfiff zwei Erzsucher zurück, die das Feld gerade betreten hatten. „Nicht dort lang. Meister Schnüffelnase sagt, ist gefährlich die Route.“ Schnüffelnase. Wieder eine der abwertenden Bezeichnungen, mit denen sie Bilmogghabbh bedachten. Und sachlich falsch obendrein, denn er roch die Farben nicht mit der Nase, sondern mit den Augen. Die Erinnerung an den Tag, als er den Ring zum ersten Mal angelegt hatte, stieg in ihm hoch. Nie würde er die Überraschung vergessen, als sich die Welt um ihn verändert und er die Schattierungen allen Seins zwar mit den Augen aufgenommen, sein Gehirn sie jedoch als Gerüche interpretiert hatte. Sesstegruv, der Leiter der Forschungsabteilung zur kostengünstigen Nutzbarmachung schwer zugänglicher Rohmaterialien, kurz FokNuR, hatte stets die Auffassung vertreten, man müsse den Aurenspürer so konstruieren, dass er sich ins Gehirn des Suchers implantieren lasse. Als sich Bilmogghabbh vor vierzehn Großrotationseinheiten den Ring an den Finger gesteckt hatte, war er dankbar gewesen, dass die Finanziers die IHM, die In-Hirn-Methode, aus Kostengründen abgelehnt hatten. Er mochte sich gar nicht vorstellen, welche Wirkung der Aurenspürer im Gehirn besessen hätte, wenn er bereits am Finger die Weltsicht so durcheinanderbrachte. „Hab die Antwort aber doch noch bekommen“, nuschelte Bilmogghabbh. Er hasste es, dass Lippen und Zunge seit einigen Wochen so geschwollen waren, dass sie sich anfühlten wie örtlich betäubt. Seitdem klang alles, was er sagte, als stecke ein Putzlappen in seinem Mund. Es schmeckte auch so. „Was faselst du da, Bilmog?“, fragte Truppführer Vessyagho. „Sesstegruv wollte es wissen und hat auf eigene Faust und Kosten einen IHM-Spürer entwickelt. Stärker als der Ring. Viel stärker. Hat ihn sich implantieren lassen und ist völlig durchgedreht. Eine Woche später war er tot, der Körper verunstaltet und nicht mehr als der eines Menschen erkennbar.“ Vessyagho seufzte. „Ich weiß. Hast du uns mindestens hundertmal erzählt. Los, wir müssen weiter. Jede Minute, die wir nur rumstehen, kostet Geld.“ Das übliche Problem der modernen Welt: Geld, Geld, Geld. Seit nicht mehr Unternehmer, sondern Finanziers und deren Konzerne über ein Projekt entschieden, musste sich alles der Prämisse unterordnen, dass es möglichst wenig kosten durfte. Andernfalls hätte auch niemand die FokNuR dafür bezahlt, den Aurenspürer zur Entdeckung von Bodenschätzen zu konstruieren. Die Rechnung war einfach: Man investierte einen erklecklichen Betrag in Forschung und Entwicklung. Nach der Serienreife setzte man statt auf sündhaft teure Bodenanalysen, geologische Gutachten und häufig erfolglose Probebohrungen mit kostbarem, aber schadensanfälligem Gerät auf einen Trupp Männer, die gegen geringe Entlohnung durch die Gegend zogen und Bodenschätze mit bloßem Auge entdeckten. Unterm Strich sparte man damit eine Menge Geld. Oder hätte es gespart, wenn der Aurenspürer wie gewünscht funktionieren würde. Bilmogghabbh, der erste und vermutlich auch in Zukunft einzige Ringträger, erzielte jedoch nicht annähernd so viele Erfolge mit der Technik, wie sich die Finanziers erhofft hatten. Viel zu oft verlor er sich im Farbenspiel der gesamten Welt, anstatt sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Dann versank er im Rausch der Düfte, ließ sich wohlig in einem Geruchsmeer treiben, genoss das süße Erdbeerrot der Schmeißfliegen, das Vanillearoma der Indigo-Aura von Solarzellenparks, das flirrende Moschusblau der Feldmäuse. Es gab so viel zu entdecken. Was scherte ihn da der muffige Gestank nasser Socken einer Grasophiterz-Ader? Das Projekt entwickelte sich zu einem finanziellen Desaster. Das Investitionsunternehmen, das die FokNuR mit Geld ausstattete, schrammte nur um Haaresbreite an der Insolvenz vorbei. Und Bilmogghabbh glaubte zu wissen, dass man ihm dafür die Schuld gab. Nicht etwa Sesstegruv, dem überambitionierten Projektentwickler, der sich aus der Verantwortung stahl, indem er sich einen Spürer ins Hirn jagen ließ. Oder all den beteiligten Wissenschaftlern, die sich nie einig waren, wie man die synästhetische Umpolung des Gehirns am gefahrlosesten, aber zugleich zweckmäßigsten erreichte. Oder gar den Finanziers selbst, die so manch Erfolg versprechenden Ansatz deshalb torpediert hatten, weil er ihnen zu teuer war. Nein: Den zuvor hoch verschuldeten Bilmogghabbh, den man mit der Zusage auf ein sorgen- und schuldenfreies Leben für ihn, seine Frau und seine sieben Kinder gelockt hatte, das Versuchskaninchen zu spielen, machte man für das Scheitern verantwortlich. Nicht, dass er von den Versprechungen des Konzerns etwas hätte. Seine Frau hatte ihn mitsamt der Kinder verlassen, weil er sich angeblich in einen egoistischen Kotzbrocken verwandelt hatte, dem nichts mehr bedeutete als sein dämlicher Ring. Was für ein Schwachsinn. In Wirklichkeit war sie gegangen, weil er ihr mit all den Schwellungen im Gesicht nicht mehr attraktiv genug war. Außerdem beneidete sie ihn um den Ring. Und so war ihm tatsächlich von dem ach so sorgenfreien Leben nur noch der Duftrausch geblieben, in den er immer wieder floh. Gelegentlich setzte ihn die FokNuR noch ein, um an unzugänglichen Stellen nach Grasophiterz zu suchen, weil sein Vertrag es von ihm verlangte und er an Orten wie dem Gipfel des Dhuramatan eben doch die kostengünstigere Variante war. Ein Global-Dollar darf erst ruhen, wenn er seinen Wert verdoppelt hat. Noch so ein Sprichwort aus der heutigen Zeit. „Ich habe gesagt, du sollst dich in Bewegung setzen“, drang Vessyaghos Stimme in sein Bewusstsein und riss ihn in die Gegenwart zurück. „Ja, ja, natürlich. Muss … muss nur vorher einen besseren Weg zum Gipfel finden“, redete sich Bilmogghabbh heraus. „Links am Geröllfeld vorbei ist auch schlecht. Hinter den Bäumen verläuft eine Schlucht. Müssen also rechts gehen, am Ufer des silbrigen … des Bachs entlang.“ Vessyagho seufzte. „Ein Umweg von mindestens zehn Kilometern. Und weiß ich, ob du nicht wieder einen losen Hang, einen in einer Höhle lauernden Berglöwen oder eine gefährliche sumpfige Wiese entdeckst? Nee, weiß ich nicht.“ „Hier oben gibt es keine sumpfigen Wiesen.“ „War ja auch nur ein Beispiel.“ Der Truppführer bemühte sich um einen ruhigen Tonfall, der seine Wut verbarg. Der minzgrün wabernde Geruch nach Pferdedung verriet ihn jedoch. „Was ist jetzt?“, rief ein Truppmitglied mit holzfarbenem Feuergeruch. „Geht’s bald weiter? Ohne unseren Wunderspürer hätten wir den Gipfel schon zweimal erreicht.“ „Hättet ihr nicht“, widersprach Bilmogghabbh. „Wärt nämlich längst abgestürzt oder einem Raubtier zum Opfer gefallen.“ Er musste sich jedoch eingestehen, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Manchmal hatte er unter einem Vorwand tatsächlich einen Umweg empfohlen. Denn ein längerer Weg bedeutete mehr neue Farbgerüche, und davon gab es im Dhuramatan-Gebirge reichlich zu entdecken. „So geht es nicht weiter, Bilmog“, sagte Vessyagho so leise, dass die anderen Truppmitglieder ihn nicht verstehen konnten. „Wir hängen acht Stunden hinter dem Zeitplan her. Können uns keine zusätzlichen Verzögerungen mehr erlauben, wenn wir nicht Ärger mit dem Konzern kriegen wollen. Willst die Finanziers doch bestimmt nicht verärgern, oder? Könnte schlimme Folgen für dich haben. Ich mein’s nur gut mit dir, glaub mir.“ Der Truppführer heuchelte Verständnis, aber Bilmogghabbh durchschaute ihn. Durchroch ihn. Da folgte auch schon die Bestätigung. „Dieser Ring lässt dich nicht mehr klar denken. Du brauchst ihn, um das Erz zu finden. Logisch, versteh ich. Aber auf dem Weg zum Gipfel hält er uns bloß auf. Solltest ihn abnehmen, bis wir oben sind. Wenn du magst, kann ich ihn für dich verwahren.“ Vessyagho war schon lange scharf auf den Ring, aber zum ersten Mal wagte er, es auszusprechen. Eine leise Stimme im Hinterkopf meldete sich zu Wort, wie sie es häufiger in den letzten Monaten tat. Sie flüsterte ihm zu, dass er sich irrte, dass...