E-Book, Deutsch, 161 Seiten
Reihe: Opernführer kompakt
Fuhrmann Bizet. Carmen
Auflage 2016
ISBN: 978-3-7618-7075-4
Verlag: Bärenreiter
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
epub 2 mit Zitierfähigkeit
E-Book, Deutsch, 161 Seiten
Reihe: Opernführer kompakt
ISBN: 978-3-7618-7075-4
Verlag: Bärenreiter
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Jeder glaubt sie zu kennen, die Tragödie von der „Zigeunerin“ und dem Soldaten. Unendlich populär sind manche Melodien aus Georges Bizets „Carmen“, etwa die Habanera oder der Torero-Marsch. Aber jenseits der Folklore-Klischees und der Huldigung für die Opernstars ist in „Carmen“ immer noch vieles zu entdecken: Bei allem melodischen Einfallsreichtum handelt es sich nicht um eine Art Wunschkonzert mit Kostümen, sondern um Musiktheater auf höchstem dramatischen Niveau.
Keine Oper vor diesem 1875 in Paris uraufgeführten Stück hat in so unverblümter Manier die Unterschichten und die Marginalisierten zu tragischen Akteuren gemacht. Und nur wenige Opernmacher sind so weit gegangen wie Bizet und seine Librettisten, was die Darstellung erotischer Leidenschaft als treibende Kraft des ganzen Stücks betrifft. In „Carmen“ werden Spannungen zwischen den Geschlechtern verhandelt, die aktuell bleiben: der Widerspruch zwischen der Freiheit des Begehrens und dem Besitzanspruch der festen Bindung.
Wolfgang Fuhrmann geht in seinem kompakten Opernführer vom „Mythos Carmen“ aus, um dann die Entstehung, die Handlung sowie die musikalische und dramaturgische Gestaltung mit anschaulichen Steckbriefen der Hauptpersonen darzustellen. Am Ende des gut lesbaren, kenntnisreichen Opernführers steht ein Kapitel zur Rezeption von „Carmen“ auf der Bühne und im Film.
• Anschauliche Porträts der Figuren
• Die wichtigsten Inszenierungen im 20. und 21. Jahrhundert
• Schildert die anhaltende Brisanz des Werkes – auf CD und DVD, in der Rezeption allgemein
Der Autor
Wolfgang Fuhrmann unterrichtet Musikwissenschaft an der Universität Wien. Seine Forschung gilt dem Mittelalter und der Renaissance ebenso wie der bürgerlichen Musikkultur des 18. und 19. Jahrhunderts. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Melanie Wald-Fuhrmann „Ahnung und Erinnerung. Die Dramaturgie der Leitmotive bei Richard Wagner“ (2013).
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Musikwissenschaft Musikgattungen Opernmusik
- Geisteswissenschaften Musikwissenschaft Geschichte der Musik
- Sozialwissenschaften Pädagogik Schulen, Schulleitung Universitäten, Hochschulen
- Geisteswissenschaften Musikwissenschaft Musikwissenschaft Allgemein Einzelne Komponisten und Musiker
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Mentalitäts- und Sozialgeschichte
Weitere Infos & Material
|13| Bizets Leben und Werk im Spiegel der Zeit
Alexandre-César-Léopold Bizet (1838–1875), genannt Georges, stand an der Schwelle zum Erfolg, als er mit lediglich 36 Jahren starb, und wären ihm auch nur wenige Jahre mehr beschieden gewesen, so hätte der Weltruhm von Carmen sein Leben – und seinen Rang in der französischen Musikkultur – zutiefst verändert. So bietet sich das Bild einer musikalischen und musikdramatischen Hochbegabung, die sich im komplexen und (nicht zuletzt durch allerlei Korruption) verminten Terrain der Pariser Musikszene zu behaupten, aber nicht durchzusetzen vermochte. An Bizets Werken, schon den frühen, lässt sich ein Komponist von blühender Inspiration und perfektem Handwerk, was Harmonik, Formbeherrschung und Orchestration anbelangt, erkennen; dennoch ist Carmen das einzige seiner Werke geblieben, das sich im Repertoire der Opernhäuser gehalten hat. Immerhin wollte Richard Strauss, den man doch wohl als Kenner der Musiktheaterpraxis ansehen darf, in seinem »Künstlerischen Vermächtnis für Karl Böhm«, dem Entwurf eines idealen Opernspielplans, nicht nur Carmen für das große Opernhaus (oder Opernmuseum, wie er es nannte), sondern auch Les Pêcheurs de perles (Die Perlenfischer) und Djamileh an der Spieloper bzw. Opéra-Comique im Repertoire verankert wissen. Und die Begegnung selbst mit scheinbar obskuren oder nebensächlichen Werken Bizets ist fast immer eine Bereicherung. |19| Die Opéra-Comique und die »opéra comique« Die Opéra-Comique war (und ist) nicht nur die Bezeichnung für ein 1840 eröffnetes Gebäude im 2. Pariser Arrondissement (auch Salle Favart genannt). Sie steht auch für eine bestimmte Gattung gleichen Namens, die wir als opéra comique typografisch unterscheiden wollen. Im Gegensatz zur königlich-aristokratisch geprägten tragédie lyrique im Haus der Opéra war die opéra comique eine Spielart des populären, volksnahen Theaters, in ihren Anfängen nach 1700 auch oft eine Parodie auf die »hohe« Oper – meist mit populären Melodien arbeitend, auf die neue Texte gedichtet wurden. Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden dann auch originale Werke, vor allem André-Ernest-Modeste Grétry brachte Ideen der Aufklärung in die Gattung ein. Die zunehmende dramatische Gewalt von Bizets musiktheatralischem Zugriff wird hingegen – neben Carmen – am schärfsten deutlich bei einem Werk, das 1872 entstand: der Bühnenmusik zu L’Arlésienne für 26 Musiker. Auch im Stück von Alphonse Daudet ist eine Femme fatale, das titelgebende Mädchen aus Arles, der Motor des unheilvollen Geschehens, doch tritt sie niemals selbst auf. Stück wie Musik waren ein weiterer Misserfolg, doch setzte sich eine von Bizet orchestrierte Suite im Konzertsaal |20| durch (eine weitere wurde von Guiraud nach Bizets Tod zusammengestellt). Georges Bizet 1875, im Jahr der Uraufführung von »Carmen«, seinem Todesjahr. Porträt des Pariser Prominentenfotografen Étienne Carjat. Man kann begreifen, welche Hoffnungen der Komponist auf sein nächstes Auftragswerk für die Opéra-Comique gesetzt haben muss (siehe Kasten S. 19). Umso härter muss ihn die kühle Aufnahme von Carmen durch Publikum und Kritik getroffen haben. Zwar gilt die Behauptung, dieser Misserfolg habe zu Bizets frühem Tod nur drei Monate nach der Uraufführung geführt, mittlerweile als romantische Legende: Seine Gesundheit war nie die beste gewesen, und sein Körper war durch eine Mandelentzündung, einen Abszess am Hals, ein sein Gehör beeinträchtigendes Leiden am linken Ohr und Rheumatismus geschwächt. Aber schon ein zeitgenössischer Arzt äußerte die Vermutung, dass die »physische und moralische Erschöpfung, die der Misserfolg von Carmen ausgelöst hatte«, die eigentliche Todesursache sei. Es scheint fast unmöglich zu glauben, dass die Enttäuschung sich nicht irgendwie gesundheitlich ausgewirkt haben sollte; an seinem nächsten Projekt, einem Oratorium Geneviève de Paris, arbeitete Bizet bis zu seinem Tod jedenfalls nicht ernsthaft, was auch mit dem religiösen Sujet zu tun haben könnte. (Der parallel zu Carmen im Auftrag der Opéra entworfene Don Rodrigue, die Geschichte von El Cid, liegt als Entwurfspartitur in der Bibliothèque nationale, an deren Vervollständigung sich noch niemand gewagt hat.) |21| Jahr Historische Daten Daten zu Biografie und Werk
Soweit nicht anders angegeben, handelt es sich bei Bühnenwerken um das Jahr der Uraufführung (UA) * verschollen + unvollendet oder nur fragmentarisch erhalten 1838 Berlioz, Benvenuto Cellini; Dickens, Oliver Twist Alexandre-César-Léopold Bizet wird am 25. Oktober in Paris geboren; 1840 wird er auf den Namen Georges getauft 1847 Verdi, Macbeth; Mendelssohn stirbt; Mérimées Carmen (1845) erscheint, um das vierte Kapitel erweitert, in Buchform Bizet wird auf eine vorzeitige Aufnahme ins Conservatoire geprüft und vorläufig zur Klavierklasse Marmontel zugelassen 1848 Revolution in Europa; der »Bürgerkönig« Louis-Philippe dankt ab, Louis-Napoléon Bonaparte wird Präsident der Zweiten Republik Offizielle Aufnahme ins Conservatoire (9. Oktober) 1849 Meyerbeer, Le Prophète; Nicolai, Die lustigen Weiber von Windsor; Donizetti und Chopin sterben; Wagner flieht nach dem Dresdner Maiaufstand ins Exil nach Zürich Kompositionsunterricht bei Zimmermann und Charles Gounod; Erster Preis in Solfège; Ernest Guiraud, ein in New Orleans geborener Musiker französischer Abstammung, wird ein Freund Bizets 1850 Wagners Lohengrin wird von Liszt in Weimar uraufgeführt; die Bach-Gesellschaft wird gegründet Aus dieser Zeit sind erste Kompositionen Bizets erhalten (zwei Vokalisen) 1851 Staatsstreich Louis-Napoléons, der sich zum Diktator ernennen lässt; Gounod, Sapho; Verdi, Rigoletto Zweiter Preis im Fach Klavier 1852 Das Plebiszit zur Wiederherstellung des Kaisertums in Frankreich führt zum Zweiten Kaiserreich; Louis-Napoléon nennt sich nun Napoléon III. Erster Preis im Fach Klavier (geteilt mit Savary); Eintritt in die Orgelklasse 1853 Beginn des Krimkriegs; Verdi, La traviata, Il trovatore; Liszt, Sonate in h-Moll Zimmermann stirbt; Bizet wechselt in die Kompositionsklasse von Fromental Halévy 1854 Gounod, La Nonne sanglante; Meyerbeer, L’Étoile du Nord; Pius IX. verkündet das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Grande Valse de concert, bezeichnet als op. 1 und Nocturne für Klavier op. 2 (beide erst 1984 gedruckt); drei Lieder werden veröffentlicht; Zweiter Preis für Orgel und Fuge 1855 Verdi, Les Vêpres siciliennes; Gounod, Sinfonie; Offenbach eröffnet die Bouffes-Parisiens mit...