E-Book, Deutsch, 168 Seiten
Geest Aufstieg und Absturz der Billigflieger
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7519-6375-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-7519-6375-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach Rom, Paris, London ab 9,99 Euro fliegen... wie ist das möglich? Kaum ein anders Thema beschäftigte die Menschen Anfang der 2000er Jahre so sehr wie das Thema Billigflieger. Im Zuge der Geiz-ist-geil-Mentalität kamen viele Billigflieger auch nach Deutschland, neue Anbieter wurden gegründet und revolutionierten die Luftverkehrsbranche. Mal eben für einen Kaffee nach Paris oder zum Shoppen nach Mailand fliegen, normal, geworden. Ein riesiger Hype! 20 Jahre später, wir schreiben das Jahr 2020, ist der Hype vorbei. Fast alle Maschinen sind im wahrsten Sinne des Wortes stillgelegt, nicht nur bei den Billigfliegern, auch bei der Lufthansa. Und das nicht nur wegen Corona. Der Absturz und Niedergang des Billigflugsegments hatte sich schon seit Jahren abgezeichnet. Welche Billigflieger in den letzten Jahren wirklich erfolgreich waren und welche nicht, das zeigt dieses Buch, in dem der Aufstieg ab 2000 und der Absturz 2020 der Billigflieger in Europa dargelegt wird.
Dirk Geest, Diplom-Kaufmann (FH), Buchautor, Marketing- & PR-Berater, studierte Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Tourismus und Marketing an der Fachhochschule Westküste in Heide sowie Business Studies am Institute of Technology in Carlow, Irland, und arbeitete bei verschiedenen Reiseveranstaltern innerhalb der Tourismusbranche. Weitere Bücher unter www.dirkgeest.de
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2. Liberalisierung des Luftverkehrs in Europa
2.1 Ausgangssituation
Die europäische Luftverkehrspolitik war bis in die 80er Jahre vom „Prinzip der nationalen Souveränität“ gekennzeichnet. Fast jeder Staat war im Besitz einer eigenen Fluggesellschaft und finanzierte sie vollständig11. Die Airlines waren zu Zeiten der Regulierung gezwungen, im Rahmen der bilateralen Abkommen mit Partnerländern ihre Flüge vom Heimatflughafen auszuführen12. Die nationalen Fluggesellschaften, die sog. „Flag-Carrier“, gelten als Symbole nationaler Identität und besitzen einen hohen Image- und Prestigefaktor. Neben der emotionalen Funktion haben sie als Bestandteil der Verkehrs- und Reisebranche die Aufgabe, den Tourismus zu fördern. Angesichts der hohen Wachstumsraten im Flugsektor, größerer Flugzeuge, verbesserter Technologien und fallenden Stückkosten ist es verwunderlich, dass es trotz staatlicher Protektion und Monopoltarifen nur wenigen Airlines gelungen war, Gewinne über längere Zeit zu erwirtschaften. Wettbewerb zwischen Fluggesellschaften fand – wenn überhaupt – nur bei Nebenleistungen, wie z.B. günstigere Abflugzeiten und besserer On-Board-Service, statt13. Umfassende Regulierungen und gesetzliche Bestimmungen gestalteten sowohl den inländischen Luftverkehr als auch den grenzüberschreitenden Wettbewerb. 2.2 Bedeutung der Liberalisierung im Luftverkehr für die LCAs
Durch den dreistufigen Liberalisierungsprozess der EG von 1988-1992 hat der damals strikt regulierte, europäische Luftverkehrsmarkt eine grundlegende Veränderung der Marktordnung herbeigeführt und insbesondere Markteintrittsbarrieren für neue potentielle Wettbewerber in ihrer Wirkung aufgehoben. Konkurrenz und Wettbewerb wurden auf diesem Markt zugelassen, der sich im Laufe der Zeit zuspitzte und alle Airlines zwang, sich diesen neuen Herausforderungen zu stellen und darauf zu reagieren. Von größter Bedeutung für die LCAs ist die freie Preisfestsetzung, da Niedrigstpreise für Flugtickets das Hauptargument der Billigfluggesellschaften sind. Weitere wesentliche Faktoren für die rapide und erfolgreiche Expansion der LCAs in Europa waren der vereinfachte Marktzugang ebenso wie die Aufhebung der Kapazitätsregelungen und des Kabotageverbots14. Dies waren schließlich die Voraussetzungen dafür, dass eine „Low-cost-Strategie“ mit wenig Service auf beliebigen Strecken innerhalb der EU mit einer selbst bestimmten Kapazitätsgröße, sofern die nötigen Slots an den Flughäfen dafür frei waren, durchgeführt werden konnte15. Die Regierungen der jeweiligen Länder können lediglich Beschränkungen hinsichtlich zu erfüllender Umweltnormen, technischer Mindeststandards und bei Verdacht auf „Predatory Pricing“16 auferlegen 17. 2.3 Die Marktentwicklung der europäischen LCAs
Zu Beginn der 90er Jahre führten weltweit sinkende Passagierzahlen aufgrund der globalen Rezession und des Golfkrieges sowie ein verstärkter Preis- und Verdrängungswettbewerb zu erheblichen Verlusten bei den Fluggesellschaften18. Erschwerend kamen der Markteintritt neuer Anbieter und die abnehmende Kundentreue hinzu, was die schwierige wirtschaftliche Lage verschärfte. Diese Situation erforderte eine strategische Neuorientierung der Airlines. Denkbar waren einerseits die Ausrichtung auf qualitativ höherwertige Angebote zur Verbesserung des Yields (Ertrag), die Einführung von Kundenbindungsprogrammen zur Steigerung der Loyalität und der Aufbau eines globalen Netzwerkes durch Allianzen. Dominanz auf dem Domestic Market, Erhöhung der Markteintrittsbarrieren und Sicherung einer Oligopol-Struktur in den USA waren die Zielerklärungen der Flag-Carrier. Andererseits stand das neue zur Kostensenkung führende „Low-cost-Produkt“ als Alternativstrategie zur Diskussion. Vorreiter und erfolgreiches Beispiel für die Einführung einer LCA in Europa ist die irische Fluglinie Ryanair im Jahre 1991. Ryanair agierte ganz nach dem Vorbild der US-amerikanischen Discountfluglinie Southwest-Airlines (SWA) und nutzte die günstigen Rahmenbedingungen infolge der Liberalisierung des Luftverkehrs und bot 70% der Sitzplätze zu den zwei niedrigsten Tarifen an. Es kam zu einer weiteren Welle von Neugründungen im Niedrigpreissegment. Die konsequente Entwicklung der „Low-cost-Strategie“ durch Anbieter wie Easyjet (England), Go Fly (England), Virgin Express (England) und Buzz (England), die von Großbritannien aus operieren, führte zum Durchbruch des Geschäftssystems. Die Entwicklung auf dem europäischen Luftverkehrsmarkt veranlasste auch große Fluggesellschaften, eigene „Low-cost-Produktlinien“ als Tochterunternehmen19 zu gründen20. Bedingt durch die geographische Randlage in Europa, waren die Briten immer abhängiger vom Flug- und Seeverkehr als die übrigen Kontinentalstaaten, bei denen die Bahn und der Pkw als Transportmittel eine gute Alternative darstellten21. Die Gründung und Ansiedlung vieler LCAs in Großbritannien ist auf die liberale und unternehmensfreundliche Politik der dort vertretenen Regierungen zurückzuführen, die sich in einfachen gesetzlichen Bestimmungen, niedrigen Lohn- und Lohnnebenkosten sowie flexibleren Arbeitszeitgesetzen wiederspiegelt22. Der zeitliche Vorsprung und die große Verkehrsnachfrage haben dazu geführt, dass der Marktanteil der LCAs – gemessen an den Passagierzahlen – im Jahre 2000 mit 22,3% deutlich höher ist als auf dem europäischen Festland mit ca. 2%23. Das nachfolgende Fallbeispiel klärt, warum die LCAs früher von England aus Verbindungen nach Italien, Frankreich, Skandinavien und Holland anboten, Deutschland bis auf wenige Ausnahmen in ihrem Streckennetz zunächst gemieden haben und warum sich das in letzter Zeit geändert hat24. British Airways setzte seine „Low-cost-Tochtergesellschaft“ Go ein, um die Strecke London-München in Konkurrenz zur Lufthansa zu bedienen. Trotz der ungünstigeren Kostenstruktur reagierte der ehemalige deutsche Staats-Carrier mit Niedrigpreisen und machte bewusst Verluste, um die Vormachtstellung auf dieser Verbindung zu halten. Bevor Go Fly sich auf dieser Strecke zurückzog, legte die Airline bei der EU-Kommission Beschwerde aufgrund der Dumpingpreise von Lufthansa ein und nahm die Route London-München erst wieder in jüngster Zeit auf. Dies ist ein seltenes Beispiel dafür, dass es einer etablierten Fluggesellschaft gelungen ist, einen „Low-cost-Anbieter“, wenn auch nicht dauerhaft, aus einem Markt zu verdrängen. Die Strategie von Lufthansa bestand folglich darin, Markteintrittsbarrieren durch vorgreifendes Verhalten (preemtive competition) zu schaffen, um den direkten Wettbewerb mit LCAs auf dem deutschen Markt zu verhindern. Der oben angeführte Fall sowie das Negativbeispiel der Debonair waren mit ausschlaggebend dafür, dass die Billigflieger den deutschen Markt weites gehend gemieden haben. Daraus ergibt sich die Frage, warum die LCAs in letzter Zeit verstärkt das hohe und zahlungskräftige Nachfragepotenzial in Deutschland als Zielgruppe und Markt aufsuchten, was gleichbedeutend mit einer schwächeren Einflussnahme der Lufthansa auf neue Markteintritte von „Low-cost-Anbietern“ wäre25. Ein Erklärungsansatz liegt in dem erfolgreichen Handeln der bis dahin im Urlaubsfluggeschäft tätigen Germania, als sie im Herbst 2001 das Angebotsmonopol der Lufthansa auf der Strecke Frankfurt-Berlin aufheben konnte. Die entsprechenden Slots in Frankfurt wurden Germania vom Kartellamt zugesprochen, nachdem der ehemalige Staats-Carrier Anteile an Eurowings erworben hatte. Die Lufthansa reduzierte im direkten Vergleich ihre Flugpreise annähernd auf das Niveau von Germania, woraufhin der neue Mitbewerber vor dem Bundeskartellamt klagte und Recht bekam. Der Netz-Carrier war daraufhin verpflichtet, einen Mindestpreisabstand zu Germania einzuhalten, der sich aus den Zusatzleistungen ergibt26. Die wettbewerbsfördernde Entscheidung des Bundeskartellamtes hat unter anderem die LCAs ermutigt, auf dem deutschen Luftverkehrsmarkt einzusteigen. Die Erfolge der Billigfluggesellschaften im Ausland, ihr Bekanntheitsgrad und ihre zunehmende Akzeptanz machten sie zu einem ernsthaften Konkurrenten für die Lufthansa, wie der Markteintritt von Germania gezeigt hat. 2.4 Marktsituation im europäischen Luftverkehrsmarkt im Jahre 2000
Das mit einem Umsatz von ca. US$ 105 Mrd. Dollar geschätzte Marktvolumen des europäischen Luftverkehrs im Jahre 2000 teilt sich prinzipiell in vier Kategorien auf inklusive ihrer Marktanteile: Linienfluggesellschaften (Marktanteil: 84,7%, z.B. Lufthansa) Charterfluggesellschaften (Marktanteil: 5,5%, z.B. LTU) Billigfluggesellschaften (Marktanteil: 1,6%, z.B. Ryanair) Regionalfluggesellschaften (Marktanteil: 8,2%, z.B. Eurowings)27 Im Jahre 2002 ist der Marktanteil im gesamteuropäischen Luftverkehr auf ca. 5%...