Geißler | Tausend und eine Nacht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 301 Seiten

Reihe: Märchen bei Null Papier

Geißler Tausend und eine Nacht

Der Jugend erzählt
Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-864-7
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der Jugend erzählt

E-Book, Deutsch, 301 Seiten

Reihe: Märchen bei Null Papier

ISBN: 978-3-96281-864-7
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Illustrierte Fassung für Kinder und Jugendliche »Tausendundeine Nacht« ist die berühmteste Sammlung morgenländischer Erzählungen und zugleich ein Klassiker der Weltliteratur. Von ihrer historischen und literarischen Bedeutung sind sie allenfalls mit den Märchen der Gebrüder Grimm vergleichbar. Null Papier Verlag

Max Geißler (1868-1945) war ein deutscher Redakteur und Schriftsteller, der auch als Literaturwissenschaftler Bedeutung erlangte. Bereits im Jahre 1907 erschien von ihm der Roman Inseln im Winde. Bekannt wurde er vor allem mit seinem Roman Der Heidekönig aus dem Jahre 1919.

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Sindbad der Seefahrer
Im Mor­gen­lan­de leb­te vor lan­ger Zeit ein jun­ger Mann na­mens Sind­bad. Der hat­te von sei­nen El­tern ein be­trächt­li­ches Ver­mö­gen ge­erbt, ge­riet aber in schlech­te Ge­sell­schaft und ver­schwen­de­te das Geld bis auf einen un­be­trächt­li­chen Rest. Und weil die Reue über eine ver­blen­de­te Tat im­mer erst kommt, wenn’s zu spät ist, so än­der­te sie auch in die­sem Fal­le nichts; aber die Er­kennt­nis sei­ner Tor­heit be­saß der arme Sind­bad in vol­lem Maße, und in vol­lem Maße auch den gu­ten Wil­len, ein bra­ver Mensch zu wer­den und wo­mög­lich mit dem we­ni­gen, was er noch hat­te, sich sein frü­he­res großes Ver­mö­gen zu­rück­zu­er­wer­ben. Ei­nes Ta­ges ver­kauf­te er al­les, was er an be­weg­li­chen und un­be­weg­li­chen Gü­tern noch be­saß, be­gab sich auf ein Schiff, das ge­ra­de nach Ost­in­di­en se­geln woll­te, und be­gann den Han­del. Wäh­rend der See­rei­se lan­de­te das Schiff an meh­re­ren In­seln, auf de­nen Sind­bad sei­ne Wa­ren mit Nut­zen ver­kauf­te oder da­für wert­vol­le Ge­gen­stän­de ein­han­del­te, und ein­mal über­fiel sie eine so tie­fe Wind­stil­le, dass die Se­gel schlaff von den Mas­ten her­ab­hin­gen und an ein Vor­wärts­kom­men nicht zu den­ken war. Es war ge­ra­de ein klei­nes Ei­land in der Nähe, das sich nur we­nig über den Spie­gel des Mee­res er­hob und dalag wie eine schö­ne grü­ne Wie­se. Der Ka­pi­tän ließ die Se­gel ein­zie­hen und er­laub­te der Mann­schaft, an Land zu ge­hen. Auch Sind­bad fand dar­an Ver­gnü­gen; aber wäh­rend die Leu­te von den Be­schwer­den der lan­gen See­fahrt sich aus­ruh­ten, er­zit­ter­te die In­sel plötz­lich und be­gann pfeil­schnell durch die son­ni­ge Flut zu glei­ten. Die Ma­tro­sen spran­gen, so rasch sie konn­ten, ins Was­ser; et­li­che ret­te­ten sich in das Boot, das der Ka­pi­tän ih­nen zu­sand­te, et­li­che fan­den ih­ren Tod in den Wel­len. Und dies wäre auch Sind­bads Schick­sal ge­we­sen, wenn er nicht im letz­ten Au­gen­bli­cke ein Stück Holz er­fasst hät­te, das die Ma­tro­sen für ein Feu­er zum Ko­chen ih­res Mah­les mit auf das Ei­land ge­bracht hat­ten; denn auf ein­mal sank das grün­lich schim­mern­de Land tief und tiefer und war auch schon vie­le See­mei­len von dem Schif­fe ent­fernt, als Sind­bad er­kann­te: es war ein rie­si­ger Wal­fisch, der sich an der Ober­flä­che des Mee­res ge­sonnt hat­te. Der arme Sind­bad trieb nun mit sei­nem Holz auf dem of­fe­nen Mee­re und er­kann­te, dass er die Be­schwer­den die­ser selt­sa­men Fahrt nicht län­ger als bis zu Son­nen­un­ter­gang wür­de er­tra­gen kön­nen; und so be­fahl er sich sei­nem Got­te und sah tie­fe Fins­ter­nis über sein Auge sin­ken. Es war aber nicht der Tod, son­dern es war die Nacht, und ein sanf­ter Wind trieb ihn als­bald an den Strand ei­ner In­sel. Dort ver­sank er in einen tod­ähn­li­chen Schlaf, und als er am an­de­ren Mor­gen er­wach­te, war we­der von sei­nem noch von ei­nem an­de­ren Schif­fe et­was zu se­hen. Müh­sam schlepp­te er sich durch das Strauch­werk, um et­li­che ge­nieß­ba­re Kräu­ter zu su­chen; und wie er ge­ges­sen hat­te, kam er auf ein frucht­ba­res Stück Land mit köst­li­chem Gras­wuchs, dar­auf wei­de­te ein Foh­len, des­sen stol­ze Schön­heit es ei­nes Kö­nigs wert er­schei­nen ließ. Nicht lan­ge, so ver­nahm der See­fah­rer auch die Stim­me ei­nes Man­nes, der aus ei­ner gra­b­ähn­li­chen Ver­tie­fung trat und den Ver­irr­ten frag­te, wer er wäre. Sind­bad er­zähl­te ihm sein Aben­teu­er, und der Mann führ­te ihn in eine Höh­le, in wel­cher sich meh­re­re Knech­te be­fan­den. Die ga­ben ihm zu es­sen und er­zähl­ten, dass sie all­jähr­lich um die­se Zeit des Kö­nigs Stu­ten in der Ein­sam­keit die­ser In­sel auf die Wei­de füh­ren müss­ten. Am an­de­ren Tage reis­ten die Knech­te mit ih­ren Ros­sen heim, und Sind­bad fuhr mit ih­nen; ihr Kö­nig aber war Ma­ha­r­a­d­jah von In­di­en. So kam Sind­bad in das Land sei­ner Sehn­sucht, und als er ei­nes Ta­ges im Ha­fen spa­zier­te, lan­de­te ge­ra­de ein Schiff – und sie­he da, es war je­nes, das er einst hat­te un­frei­wil­lig ver­las­sen müs­sen. Er ge­lang­te also wie­der in den Be­sitz sei­ner Gü­ter, be­gann so­fort sei­nen Han­del auf­zu­neh­men, und als er ge­nü­gend ver­dient hat­te, schiff­te er sich mit neu­en Wa­ren wie­der ein; er nahm Aloe, San­del­holz, Kamp­fer, Mus­kat­nüs­se, Ge­würz­näg­lein,1 Pfef­fer und Ing­wer in großen Vor­rä­ten mit, lan­de­te auf dem See­we­ge an meh­re­ren In­seln und ver­mehr­te sein Ver­mö­gen durch Kauf und Ver­kauf, so­dass er schon von die­ser Rei­se als ein leid­lich wohl­ha­ben­der Mann wie­der in Bag­dad ein­traf. Dort woll­te er nun le­ben; aber die Mü­ßig­keit sei­ner Tage be­hag­te ihm nicht lan­ge, son­dern er be­kam wie­der Lust, aufs neue übers Meer zu rei­sen und zu han­deln. Er er­sah sich also ein gu­tes Fahr­zeug und stach in See. Ei­nes Ta­ges lan­de­te das Schiff an ei­ner öden In­sel, die zwar ei­ni­gen Baum­wuchs zeig­te, aber we­der Häu­ser noch Be­woh­ner zu ha­ben schi­en. Sind­bad, der ein Stück land­ein­wärts wan­der­te, leg­te sich am Ufer ei­nes Ba­ches zum Schla­fe, nach­dem er eine gute Mahl­zeit ge­hal­ten hat­te. Aber als er er­wach­te, er­staun­te er nicht we­nig; denn das Schiff, das vor­her ru­hig vor An­ker ge­le­gen hat­te, war nicht mehr da. Er rief, aber kei­ner der Kauf­leu­te oder Ma­tro­sen, die mit ihm an Land ge­gan­gen, gab Ant­wort. Und ganz fer­ne am Ho­ri­zont ver­schwan­den die wei­ßen Se­gel des Fahr­zeugs wie eine entei­len­de Möwe. Sind­bad, wie er sich also be­tro­gen sah, ward von großem Schmer­ze be­fal­len, warf sich auf die Erde und klag­te sich hun­dert­mal der Hab­gier an, die ihn da­heim nicht hat­te ru­hen las­sen. End­lich stieg er auf eine sehr hohe Pal­me, um einen Über­blick über das Land zu ge­win­nen; da be­merk­te er in wei­ter Fer­ne et­was Wei­ßes, das er sich nicht an­ders er­klä­ren konn­te, als dass es ein Haus sei. Er raff­te zu­sam­men, was er noch an Nah­rungs­mit­teln be­saß, und wan­der­te dem ver­meint­li­chen Hau­se zu. Als er aber in die Nähe kam, be­merk­te er: es war eine wei­che wei­ße Ku­gel von rie­si­gem Um­fan­ge; denn sie hat­te einen Durch­mes­ser von fünf­zig Schrit­ten. Wäh­rend der un­glück­li­che See­fah­rer noch im­mer rat­los da­stand, ver­fins­ter­te sich plötz­lich der Him­mel, als gin­ge die Son­ne un­ter. Es war aber nicht die sin­ken­de Nacht, son­dern ein mäch­ti­ger Vo­gel, der sei­ne Schwin­gen vor der gol­de­nen Schei­be des Him­mels dehn­te, her­an­flog und sich auf die große wei­ße Ku­gel setz­te. »Aha«, dach­te Sind­bad, »das ist der Vo­gel Roch, von dem die Schiffs­leu­te so viel zu er­zäh­len wis­sen; und die große wei­ße Ku­gel ist sein Ei, das er aus­brü­ten will. Wie wär’s, wenn ich die­sen Vo­gel Roch zu mei­nem Schif­fe mach­te?« Der Vo­gel Roch hat­te das eine Bein ge­ra­de an der Sei­te des Eies her­ab­hän­gen, an wel­cher Sind­bad stand; und die­ses Bein war fast so dick wie ein mä­ßi­ger Baum­stamm. Ge­dacht, ge­tan! Wäh­rend es Nacht wur­de, nahm Sind­bad einen Strick aus der Ta­sche, schleif­te sich fest an das Bein des wun­der­sa­men Vo­gels...



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