Buch, Deutsch, Band 2, 144 Seiten, PB, Format (B × H): 134 mm x 208 mm, Gewicht: 212 g
Reihe: Bulgarische Reihe
Erzählungen
Buch, Deutsch, Band 2, 144 Seiten, PB, Format (B × H): 134 mm x 208 mm, Gewicht: 212 g
Reihe: Bulgarische Reihe
ISBN: 978-3-906811-02-4
Verlag: INK Press
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Warum ich dieses Buch geschrieben habe
Einmal, an einem nebligen Samstagmorgen im November, ging ich nach einer Party die „Vitoška“ entlang nach Hause. Ich war so einsam und verlassen wie die Straße selbst – die Straßen- bahngleise waren verödet, und einzig Barmänner oderVerkäufer sah man hie und da verzagt die Türen zu- oder aufmachen, die Stühle auf die Tische oder herunterstellen, die Jalousien her- aufziehen oder herunterlassen und Kessel voll Schmutzwasser in die Gullys gießen.
Da trat, von der Ecke bei „Neofit Rilski“, eine weiße, saubere Katze, die offensichtlich ein Zuhause hatte, mit aufgerichtetem und nervös zitterndem Schwanz aus dem Nebel. Aus Gewohn- heit rief ich „pss-pss“ und bückte mich, um sie zu streicheln, sie aber machte eine halbe Drehung um ihre imaginäre Katzen- Achse und ging weiter auf ihrem Catwalk zur griechischen Imbissstube.
Kurz darauf tauchte aus dem Nebel eine Frau mittleren Alters auf, ohne Brauen und ohne Haare, mit einer orangen- farbenen Jacke und einer grünen Hose – offensichtlich lief sie der Katze hinterher, die ihr zusammen mit der Chemotherapie die Kraft gab, um zehn vor sieben in der Frühe die Straße ent- langzugehen. Die Frau versuchte, sich der Katze zu nähern, und erreichte sie auch beinahe, aber dann bog die Katze ihr Rückgrat und machte zwei, drei Schritte vorwärts – gerade genug, um zu entschlüpfen. Wimmernd bückte sich die Frau und redete ihr zu, während die gewissenlose Katze jedes Mal mit kleinen Schritten im letzten Moment entwischte. Schließlich huschte die Katze unter einen Container, damit die Frau nicht an sie herankam. Natürlich habe ich nicht geholfen, um weder die Katze noch die Frau, noch mich selbst zu erschrecken, und
????????unmittelbar darauf versank die ganze Geschichte folgenlos im Nebel.
Ich hoffte, dass die zwei einfach durch den nebligen Sams- tagmorgen spazieren gegangen waren und dass das Fehlen von Brauen und Haaren zum seltsamen Verständnis von Schönheit der Frau gehörte. Hoffentlich hat jede Geschichte tatsächlich einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil, wie wir hier im Süden es uns wünschen würden, selbst an einem vernebelten Samstagmorgen.
Der sichtbare wäre jener, mit dem ich in der Welt zu exis- tieren versuche – im Rahmen jener Handvoll Verhaltensregeln, die einzuhalten von mir erwartet wird – Macht, Business, Prioritäten. Diese Regeln sind wie die Straßenbahngleise auf der „Vitoška“, ich muss sie entlanggehen – und zwar mit möglichst wenigen Zwischenstationen und ohne Boxenstopp, denn die Reisenden in der Straßenbahn meiner Erwartungen haben für ihre Fahrt bezahlt –, um auf dem offensichtlich kürzesten Weg die Endstation zu erreichen. Deshalb werdet ihr mich oft mit meiner sichtbaren Geschichte wie die kranke Frau durch die Straßen von Sofias Zentrum eilen sehen.
Den unsichtbaren Teil werde ich die wahre Geschichte nennen. Er ist die davonhuschende Katze des Wunsches, die im Nebel zurückbleibt und die mir stets entwischt, jener wich- tigeren Dinge wegen, die man Prioritäten nennt. Mir ist diese Geschichte lieber – sie ist flauschig, weiß, sauber und weicht mir kokett aus. Sie macht zwei, drei Schritte zur Seite, während ich stets versuche, an sie heranzukommen, wenn auch nicht besonders eifrig. Solange ich sie nur weiter verfolge, werde ich zufrieden sein. Das wird mir genügen.
Und zwar weil mir ungeachtet aller Möglichkeiten und Prio- ritäten am Ende nur eine einzige Möglichkeit bleiben wird, welche meine Nächsten mit einer voreingenommenen, mir schmeichelnden Beschreibung meiner Person unzureichend
????????????????illustrieren werden, festgemacht an einem Laternenpfahl oder an der Tür, die jedes Mal zuklappte, wenn ich es nach Hause geschafft hatte, zurück von einer Party, von der Arbeit oder von sonst einer Verzückung. Diese Personenbeschreibung wird einzig mit meinem falschen Abbild etwas zu tun haben, Spiegel- bild ihrer Erwartungen an mich – sie wird albern sein und dem Texter des Beerdigungsunternehmens weitererzählt worden sein, der sie noch plumper wiedergeben wird.
Deshalb habe ich es vorgezogen, sie selbst zu schreiben.
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