E-Book, Deutsch, Band 14, 315 Seiten
Reihe: Hauptkommissar Stahnke
Gerdes Langeooger Serientester
2020
ISBN: 978-3-8392-6450-8
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Inselkrimi
E-Book, Deutsch, Band 14, 315 Seiten
Reihe: Hauptkommissar Stahnke
ISBN: 978-3-8392-6450-8
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Tag 7 (Samstag) – der Tag danach
Als er das große Messer in der Hand des Bärtigen sah, hob er seinen Stock. »Was hast du denn damit vor?«, knurrte er ihn an. »Löwenzahn schneiden. Für meine Karnickel«, grummelte der andere zurück. Der Weidenkorb in seiner linken Hand schlenkerte lustlos. »So früh am Morgen?« Klaas Reershemius musterte die Dünenkämme rund um das Große Schlopp. »Ist ja gerade erst halb sechs!« »Musste sowieso raus.« Ocko Onken kratzte sich ausgiebig seine schlohweiße Schifferkrause. »Zweimal jede Nacht, mindestens. Und nach dem zweiten Mal kann ich einfach nicht mehr einschlafen.« »Ist ja auch schon ziemlich früh hell um diese Jahreszeit.« Der alte Reershemius stützte sich mit all seinem Gewicht auf seinen Gehstock. Viel war das nicht; der kleine Mann mit dem eingeschrumpften Gesicht schien nur aus Runzeln und Knochen zu bestehen. »Ich weiß auch nicht mehr, was ich so lange in meinem Bett soll.« »Hast du vergessen, was?« Onken lachte heiser. »Nennt sich präsenile Bettflucht, hab ich gehört! Und ich hab’s behalten.« »Nur für dich behalten kannst du nix«, muffelte Reershemius zurück. »Sowas nennt man Logorrhoe. Auf Deutsch Sprechdurchfall.« Sein Lachen klang keckernd durch die morgendliche Stille. »Sei du bloß ruhig, sonst nehm ich’s zurück«, drohte Onken. »Zurücknehmen? Was denn?« »Das Prä. Vor senil.« Onken kniete sich ins halbhohe, mit Löwenzahn durchsetzte Gras und begann, sein Messer zu schwingen. Reershemius würdigte ihn keiner Antwort. Breitbeinig stand er da, beide Hände auf die Krücke seines Stocks gestemmt, und sog die salzige Morgenluft ein. Hier in der Nähe des Schloppsees war es um diese Zeit paradiesisch ruhig. So dürfte es auf Langeoog immer sein, dachte der alte Mann. Und das könnte es auch, wenn nur die dösigen Touristen nicht wären. Was für ein Elend, dass die ganze Insel auf diese Leute angewiesen war! Onken erhob sich ächzend. Der Löwenzahn war abgeerntet, sein Korb aber immer noch nicht voll. Er schlurfte in Richtung See. Reershemius folgte ihm, vorsichtig mit der Stockspitze im buckeligen Gras nach Halt suchend. »Bloß gut, dass dieser Fernsehauftrieb erst einmal vorbei ist«, sagte der Weißbärtige im Gehen. »Was für ein Aufstand, und das eine komplette Woche lang! Von vormittags bis tief in die Nacht war man nirgendwo vor denen sicher. Konntest ja nicht einmal in Ruhe aufs Strandklo gehen, ohne dass die dich beim Rauskommen gefilmt hätten. Möglichst noch mit hängenden Buxen!« »Ach, sag bloß, das macht dir was aus! Ich denke, du hast das gerne, wenn die Leute dir zugucken.« Das Grinsen des Alten entblößte nur blassrosa Zahnfleisch; seine Prothese steckte wieder einmal im Taschentuch. »Du sollst ja sogar manchmal Eintritt nehmen!« »Nur kein Neid, alter Schrumpfkopf.« Ocko Onken trat gelegentlich als plattdeutscher Döntjes-Erzähler auf, kostümiert wie ein Klischee-Käpt’n aus dem Werbefernsehen. Die Feriengäste fanden das toll, auch wenn sie nur die Hälfte verstanden, und bei seiner schmalen Rente konnte Onken jeden Euro extra gut gebrauchen. Dass die anderen Mitglieder der Viererbande ihn deswegen veräppelten, konnte ihn längst nicht mehr aus der Ruhe bringen. »Hast du Harm und Bodo heute früh schon gesehen?«, fragte Klaas Reershemius prompt. Mit Harm Bengen und Bodo Schmidt saßen Onken und er gerne auf ihrer angestammten Bank am Inselbahnhof, um über Touristen und vieles andere herzuziehen. Aber dort war um diese Zeit natürlich noch nichts los. Ocko Onken schüttelte den Kopf. »Nee. Kein Ahnung, wo Harm rumwackelt. Und mit Bodo würde ich auch noch nicht rechnen, der liegt bestimmt noch in sauer.« »Hat der Dicke wieder gesoffen gestern?« Reershemius schüttelte neidvoll den Kopf. Ihm hatte der Arzt das Trinken schon lange verboten, und nicht nur der, sondern seine Ehefrau auch. Und die hatte ein furchtbar feines Näschen. »Bestimmt! Im Wellenbrecher. Wollte sich die Show doch unbedingt bis ganz zum Schluss angucken. Hat er jedenfalls gesagt.« »Na, dann gute Nacht.« Reershemius schüttelte den Kopf. »Das ging doch bestimmt bis morgens um drei, wenn nicht noch länger! Der letzte Tag ist bei denen doch immer der längste, so heißt es.« Onken blieb stehen und guckte ihn erstaunt an. »Woher weißt du das denn? Ich denke, dich nervt das ganze Fernseh-Getue bloß!« »Tut es auch, das kannst du mir glauben.« Reershemius fuchtelte mit seinem Stock und geriet prompt ins Stolpern. »Aber das heißt ja nicht, dass ich mich nicht für das interessieren würde, was hier auf Langeoog geschieht.« Er rammte die Stockspitze wieder zwischen die Grashalme. »Außerdem sind zwischen all den merkwürdigen Fernsehtypen auch ein paar nette drunter. Diese Ton-Fee zum Beispiel. Mit der hab ich mich gestern noch unterhalten, die hat mir das gesagt.« »Ton-Fee? Geht’s noch?« Vor Onkens innerem Auge erschien ein misslungener tönerner Weihnachtsengel aus dem Kunstunterricht der Grundschule, rot gebrannt, disproportioniert und gesprungen. So etwas bekamen bedauernswerte Frauen zum Muttertag geschenkt. Und Reershemius wollte mit so was geredet haben? Onken nahm sich vor, in Gegenwart des Alten keine Dementen-Witze mehr zu reißen. »Nun guck mal, wer da ist!« Reershemius hatte seinen Handstock schon wieder erhoben. »Harm Bengen geht auf Aale! Na, denn mal Petri Heil, oller Wackelkopp.« Tatsächlich, am Ufer des Schloppsees, den sie während ihrer Unterhaltung schon beinahe erreicht hatten, ragte der Kopf eines Anglers aus dem Schilf. Von hinten war nicht auszumachen, um wen es sich handelte, aber wenn man genau hinschaute, konnte man sehen, wie dieser Kopf auf seinem dürren Hals leicht, aber stetig hin und her pendelte. Das musste Harm Bengen sein; so wackelte hier sonst keiner. »Na, beißen sie denn?« Onken war sich auch für die dümmstmögliche Frage an einen Angler nicht zu schade. »Kann passieren, wenn du nicht still bist«, murrte Bengen zurück, den Blick durch seine fingerdicken Brillengläser unbeirrt auf die Schwimmer gerichtet, die bewegungslos auf der glatten Oberfläche des Schloppsees ruhten. Dieser See, entstanden vor über vierzig Jahren bei der Entnahme von Sand für den Dünen- und Küstenschutz, war stellenweise bis zu zwölf Meter tief und bekannt für seinen Bestand an Aalen. »Nun mach mal nicht den Dicken hier«, nuschelte Reerschemius zahnlos. »Als ob du jemals was fangen würdest.« »Und ob! Zu Hause wartet schon die Räuchertonne«, behauptete Bengen, ohne sich umzudrehen. »Den Duft hab ich bereits jetzt in der Nase! Und wenn die dann schön durch sind, dann bist du doch der Erste, der angeschlichen kommt und einen abhaben will.« »Dor luur up«, knurrte Reerschemius. Aber man konnte förmlich hören, wie ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Ocko Onken hatte sich derweil ins Gras gekniet; anscheinend gab es hier Löwenzahn zu ernten. »Hast du denn heute früh schon was von Bodo gesehen?«, fragte er in Richtung Schilfgürtel. »Nee.« Harm Bengen kicherte leise. »Der ist doch bestimmt diesen Fernsehleuten bis zum Schluss nicht von der Seite gewichen! So begeistert, wie er davon war.« »Wieso? Seit wann interessiert sich der Bodo denn für Restauranttester-Sendungen?« Onken schnappte sich ein weiteres Löwenzahnbüschel und senste es mit geübtem Schwung vom Strunk. »Obwohl, wenn man sich unseren Dicken so anguckt … wenn etwas mit essen und trinken zu tun hat, ist Bodo natürlich sofort dabei.« Reershemius lachte gehässig, und auch Bengen kicherte wieder. »Ja, klar! Aber nee, deswegen nicht. Sondern weil bei denen doch Zoff angesagt war wie nix Gutes! Nicht auf die laute Tour, sondern mehr so hinten rum. Das wurde von Tag zu Tag schlimmer. Hat der Dicke mir erzählt, und seine Augen haben richtig gefunkelt dabei!« »Zoff? Wer mit wem denn? Die Kandidaten untereinander?« Natürlich wusste auch Onken, worum es bei den Dreharbeiten gegangen war. Fünf Restaurants traten in jeder Staffel dieser TV-Show gegeneinander an, jedes versuchte, die Konkurrenten mit interessantem Konzept, gutem Service und natürlich erstklassiger Küche zu überzeugen, und dann gaben sich alle gegenseitig Punkte. Der mit den meisten Punkten siegte, logisch, und sahnte die Siegprämie ab. Dreitausend Euro, dachte Ocko Onken, gar nicht schlecht. Dafür würde ich schon ein paar Vorstellungen machen. »Ja, die Kandidaten auch«, erwiderte Harm Bengen. Jetzt drehte er sich doch zu den anderen um. Warum auch immer, denn trotz seiner dicken Gläser sah er kaum etwas. »Klar, für die ging es um was! Aber die anderen, von denen sind sich auch welche fast an die Gurgel gegangen, gegenseitig. Weiß gar nicht, wie man die nennt – Aufnahmeleiter, Regisseure, keine Ahnung. Und ein paar von den Technikern auch.« »Stimmt«, bestätigte Reershemius. »Ganz schön mieses Klima teilweise. Das hat mir die Ton-Fee auch erzählt.« »Wer soll das denn sein?«, krächzte Bengen und schüttelte den Kopf. Jedenfalls sah es so aus. »Aber wieso die Fernsehleute?«, fragte Onken. »Bei den Kandidaten kann ich es ja verstehen, wegen dem Geld …« »Falsch gedacht!«, unterbrach Harm Bengen. »Wegen der Siegprämie haben die sich doch nicht so viel Stress gemacht! Hat mir jedenfalls die Bea erzählt. Den Teilnehmern ging es vor allem um die Reklame, versteht ihr? Mundpropaganda! Wenn du im Fernsehen gut rüberkommst, hat Bea gesagt, dann ist das eine Werbung, die kannst du mit Geld gar nicht bezahlen. Ganz egal, ob du am...