E-Book, Deutsch, 336 Seiten
Gerhards / Kranemann Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft
4. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2019
ISBN: 978-3-534-74599-9
Verlag: wbg Academic in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-534-74599-9
Verlag: wbg Academic in Herder
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Glauben leben: Geschichte, Bedeutung und Wandel der Liturgie
Ein zentrales Element des christlichen Glaubens ist der liturgisch gestaltete Gottesdienst, in dem die christliche Gemeinde ihre Verbindung zu Gott erfährt. Die Gestaltung des Gottesdienstes wird in der Liturgie festgelegt: vom tradierten Ablauf des religiösen Ritus über die zeremoniellen Gegenstände bis hin zur geistlichen Musik und dem Einsatz von Kirchenliedern.
Doch die Gestaltung des Gottesdienstes wandelt sich. Wie sich die Liturgie über Jahrhunderte hinweg veränderte, zeigen die beiden Professoren Albert Gerhards (Bonn) und Benedikt Kranemann (Universität Erfurt) in ihrer fundierten Einführung "Grundlagen und Perspektiven der Liturgiewissenschaft".
- Das Standardwerk zur Liturgik - unabdingbar für Wissenschaftler und Studenten der Theologie, für Priester, Pfarrer und alle im geistlichen Dienst
- Komplett überarbeitete Neuauflage des erfolgreichsten Kompendiums der katholischen Liturgiewissenschaft
- Moderne Methodik: systematische Darstellung der Herkunft und Genese aus dem jüdisch-christlichen Kontext
- Elemente und Ausdrucksformen des Gottesdienstes: Mit Exkursen zu Sakramentenliturgien, zu interreligiösen Feiern, zu Riten für unterschiedliche Formen von Partnerschaft, zur Nutzung und Nachnutzung von Kirchenräumen
- Impulse für eine moderne Kirche und wichtiger Beitrag zu einer ökumenischen LiturgiewissenschaftLiturgiewissenschaft: Reflexion über den Austausch zwischen Gott und den Gläubigen
Die Liturgik ist eine Teildisziplin der katholischen Theologie. Sie erforscht quellenbasiert die Herausbildung der äußeren und inneren Ritusformen, deren Funktionswandel und die geistliche Dimension des religiösen Zeremoniells. Zugleich ist sie ein Spiegel der historischen und gegenwärtigen Frömmigkeit und damit fest in aktuellen gesellschaftlichen Debatten verankert.
All dies beschreiben die beiden Autoren Albert Gerhards und Benedikt Kranemann in diesem Standardwerk. Dabei gehen sie auch in kurzen Debattenbeiträgen auf die heutigen Aufgaben der Liturgie ein.
Sie erschließen somit nicht nur die akademische Liturgiewissenschaft, sondern bieten mit ihrem Grundlagenwerk Theologen, Religionswissenschaftlern und theologisch Interessierten ein umfassendes Einführungswerk.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Abkürzungen11
Einleitung13
1 Liturgie im gesellschaftlichen Umfeld15
2 Geschichte, Profil und Methoden des Faches Liturgiewissenschaft 29
3 Geschichtliche Skizze zur Liturgie aus der Perspektive der römischen Tradition 66
4 Theologie der Liturgie 125
5 Elemente und Ausdrucksformen des Gottesdienstes 197
Anhang 269
1 Initiation 270
2 Eucharistie 276
3 Verteilung der Psalmen und Cantica im 4-Wochen-Zyklus der Liturgia Horarum 1971 281
4 Aufbau und Inhalt der Liturgiekonstitution ›Sacrosanctum Concilium‹ 284
5 Die Amida in Seder Raw Amram 286
Quellen- und Literaturverzeichnis 291
Personenregister 328
Sachregister 333
1
Liturgie im gesellschaftlichen Umfeld
1.1 Christliche Liturgie in den multiplen Modernen
Hinter dem Wort »Liturgie« verbirgt sich eine Fülle von Feierformen, die auf ganz verschiedene Weise mit dem Leben der Kirche, der Gesellschaft und des Einzelnen verbunden sind und sehr unterschiedliche Deutungen erfahren. »Liturgie« ist ein Begriff, der zwar in der Abstraktion und Distanz Analyse und Erkenntnis erleichtert, zugleich aber immer um die Spezifika und Unterschiede konkreter Liturgiefeiern zu ergänzen ist. Unsere Einführung in die Liturgiewissenschaft geht entsprechend vor: Sie stellt jene Aussagen und Erkenntnisse zusammen, die im Hinblick auf das Phänomen »Liturgie« allgemein formuliert werden können, und wendet sie auf konkrete Liturgiefeiern an. Beispiele für die Vielfalt des liturgischen Lebens der Kirche lassen sich rasch zusammentragen. Im Mittelpunkt der katholischen Kirchengemeinde steht die sonntägliche Eucharistie als Feier der Auferstehung Christi – eine Liturgie mit klarem Anlass (wöchentliche Feier des Ostergeheimnisses als Mittelpunkt christlicher Existenz) zu einem fixen Termin (dem Sonntag) und in der Regel an einem bestimmten Ort (Gemeindekirche), mit einer, was die Teilnahmevoraussetzungen betrifft (Initiation), relativ deutlich umrissenen, auch konfessionell abgegrenzten Teilnehmergruppe und einer durch kirchliche Ordnungen definierten Verteilung der Ämter und Rollen. Diese Liturgie soll den Vorgaben und Texten (Lesungen, Orationen, Hochgebet etc.) liturgischer Bücher, des Lektionars, Evangeliars oder Messbuchs, folgen. Sie ist also kirchlich geordnete Liturgie, für die aber erhebliche Gestaltungsspielräume bestehen. Als Gründe für die kirchlich vorgegebene Ordnung werden die notwendige Strukturierung menschlicher Versammlung, das Bemühen um Orthodoxie in der Liturgie, die Ausdruck des Glaubens der Kirche ist, die Einbindung der Liturgie in die Kirche und die Sicherung des theologischen und kulturellen Niveaus der Liturgie genannt (Klöckener/122). Variationen zwischen den Liturgien verschiedener Ortskirchen stammen darüber hinaus entweder aus Inkulturation, also der Interaktion verschiedener Kulturen, oder aus selbst eingeräumten Gestaltungsfreiheiten. Der Liturgie wird die Aufgabe der Konstituierung von Kirche zugewiesen: Aus der Eucharistie heraus soll Kirche jeweils neu entstehen. Diese Liturgie besitzt also eine stark binnenkirchliche Bedeutung, wird aber auch in der Gesellschaft als Handeln einer gesellschaftlichen Gruppe wahrgenommen und toleriert. Aufgrund des massiven Priestermangels ist für eine wachsende Zahl von Christen am Sonntag die Feier der Eucharistie in der Gemeinde bzw. am Kirchort innerhalb der jeweiligen Großpfarrei nicht mehr möglich. Wenn in solchen Fällen eine Wort-Gottes-Feier begangen wird, zeigt dies, welche Bedeutung die sonntägliche gemeinschaftliche Liturgiefeier in einer kirchlich verantworteten Form für die Existenz der Kirche besitzt. Im Mittelpunkt dieser Feier stehen die Verkündigung des Wortes Gottes, Besinnung und Gebet. Die Feiern werden von Männern und Frauen aus der Gemeinde geleitet, die eine bischöfliche Beauftragung haben. Für diese Gottesdienste gibt es kirchenamtliche Vorlagen (s. unten 208–211). Blickt man allein auf die Fülle der Erscheinungsformen kirchlich verantworteter Liturgie, trifft man auf zahlreiche »Liturgien«. Dazu gehören so unterschiedliche Feiern wie die Messfeier mit Wortgottesdienst und Eucharistie; die Tagzeitenliturgie (Laudes, Vesper, Komplet, Lesehore und die kleinen Horen) mit alt- und neutestamentlichen Gesängen, Schriftlesung und Gebet; die Liturgie des Osterfestes mit komplexer Struktur aus Nachtwache (Vigil) mit Lichtfeier, Wortgottesdienst, Taufe und Eucharistie; eine einfache Benediktion (Segnung) mit Schriftlesung, Segensgebet, Fürbitte und Schlussgebet oder eine Begräbnisliturgie, die in Lesung, Gebet und Zeichenhandlung Abschied von und Hoffnung für den Verstorbenen zum Ausdruck bringt. Dieser Katalog ließe sich um viele weitere Feierformen aus Tradition und Gegenwart erweitern; dies erst recht, wenn man den Blick auf die Ökumene und die zahlreichen Weisen weitet, ökumenische Gottesdienste zu feiern. »Liturgie« bezeichnet heute also keineswegs nur die Messe, sondern alle Formen kirchlich verantworteter gottesdienstlicher Feiern mit unterschiedlicher theologischer Bedeutung und verschiedenem rituellem Habitus. Einen ganz anderen Typ von Liturgie bilden Gottesdienste, die anlässlich gesellschaftlicher Ereignisse begangen werden, etwa im Umfeld von Katastrophen (Disaster Ritual/109; Riskante Liturgien/144; Trauerfeiern/149; Deutschland trauert/108; Kranemann/126). Sie finden anlassbezogen statt und werden zumeist in Zusammenarbeit von Kirche und staatlichen Institutionen unter Zugrundelegung bestimmter ritueller Repertoires organisiert. Solche Feiern sind kein binnenkirchliches Geschehen, sondern tragen explizit öffentlichen Charakter. Letztlich gibt es keine klaren Teilnahmevoraussetzungen, wenngleich beispielsweise die Trauer um die Katastrophenopfer die Teilnehmenden eint. Die Funktion der Feier ist Hilfe zur Artikulation und Bewältigung von Trauer und Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität. Die Feier wird von manchen konfessionell-religiös, von anderen eher zivilreligiös gedeutet. Die Rollenträger variieren und werden nicht allein nach kirchlich-theologischen Vorgaben bestimmt. In der Regel werden solche Feiern interkonfessionell, zunehmend unter Einbezug anderer Religionen, also multireligiös begangen. Auch die Feiergestalt variiert, obwohl bestimmte Elemente (Bibeltexte, Instrumentalmusik, Segensgesten u. Ä.) immer wieder verwendet werden. An welchen Orten solche Gottesdienste stattfinden, hängt von den Umständen ab; das können Kirchenräume, öffentliche Plätze, aber etwa auch Sportstadien sein. Diese Gottesdienste besitzen eine sehr große mediale Präsenz, sodass unterschiedliche Partizipationsformen durch unmittelbare Teilnahme oder via Medien möglich sind. Je nachdem, ob in diesen Ritualen ein explizites Gottesbekenntnis ausgesprochen und in der Feier Gott als Gegenüber des Menschen bekannt wird, kann man von Liturgie oder aber allgemeiner von einer religiösen Feier sprechen. Damit gelangt eine Ausdifferenzierung der kirchlichen Feierkultur ins Blickfeld, die in dem Moment wächst, in dem die Kirche über den engeren Kreis der Kirchenmitglieder hinaus mit neuen Ritualen in die Gesellschaft hineinwirkt. Diese Vielfalt von Feier- und letztlich auch Liturgieformen stellt sich insbesondere einer Kirche als Aufgabe, die sich als Teil einer pluralen Gesellschaft versteht. Sie ist Ausdruck einer gesellschaftlich offenen Kirche. Die Feier der Säuglingstaufe ist in westeuropäischen Gesellschaften unter Katholiken nach wie vor die häufigste Form der Initiation. Taufe bedeutet (in Einheit mit Firmung und Eucharistie), dass die Getauften an Tod und Auferstehung Christi teilhaben und in die Kirche eingegliedert werden. Die Liturgie erfährt kirchlich-sakramententheologisch eine klare Deutung. Als Initiationsliturgie, also im religiösen Sinne als Rite de Passage (van Gennep/151; Turner/150) oder Übergangsritus vom Zustand des Nichtgetauftseins in den Status des Getauftseins, kommt ihr innerkirchlich eine andere Bedeutung zu als etwa der Eucharistie, die diesen Status voraussetzt. In der Gegenwart werden dieser Liturgie aber von den Beteiligten weitere und als wesentlich empfundene Deutungen zugeschrieben, die für das Verständnis vielfältiger Wahrnehmungen von Liturgie wichtig sind. Gerade die Säuglingstaufe wird häufig als ein die Identität der Familie religiös bestätigendes und sakralisierendes Ritual gedeutet. Man versteht die Taufe als Privatangelegenheit, der Bezug zu Kirche und Gemeinde tritt zurück. Im Vordergrund steht (nach Ebertz/110) die Bestätigung, Deutung und Überhöhung eigener Lebenswirklichkeit. Zugleich verläuft die Taufe aber nach einem kirchlich approbierten liturgischen Buch und mit entsprechenden Rollenträgern. Die Eltern entscheiden sich bewusst für diese kirchliche Liturgie, interpretieren sie aber im Kontext der Familie. Der Traditionserhalt im Ritual geht einher mit dem Traditionsbruch in der Deutung. Ähnliches ließe sich für Trauung und Begräbnis zeigen. Am Beispiel ist ablesbar, dass sich mit jeder Liturgie ganz unterschiedliche Deutungszuweisungen verbinden können, deren Legitimität und Zueinander theologisch zu reflektieren ist. Der Begriff »Liturgie« umschließt also nicht nur eine Formen-, sondern auch eine Deutungsvielfalt, so dass ein und dieselbe Feier ganz unterschiedlich interpretiert wird (Hoffman/120; Winter/152). Solche Bedeutungszuweisungen über den theologischen Sinn hinaus begleiten die Liturgiegeschichte, erhalten aber im religiösen Pluralismus der Moderne größere Relevanz und Plausibilität. Die Vielfalt heutigen gottesdienstlichen Lebens (vgl. dazu auch Haunerland/117: 141–150) muss mit der Entwicklung von Religion und damit des Christentums in Westeuropa zusammengesehen werden. Für deren Beschreibung ist »Säkularisierung« das gängige Beschreibungsparadigma. Drei Aspekte kennzeichnen in Anlehnung an Studien des amerikanischen Soziologen Jose Casanova (Casanova/106) die Rolle der Religion in der Säkularisierung westeuropäischer...