E-Book, Deutsch, 310 Seiten
Germann-Tillmann / Joder / Treier Hochbegabung und Hochsensibilität
Die Auflage entspricht der aktuellen Auflage der Print-Ausgabe zum Zeitpunkt des E-Book-Kaufes.
ISBN: 978-3-608-11881-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grundlagen, Erfahrungswissen, Fallbeispiele
E-Book, Deutsch, 310 Seiten
ISBN: 978-3-608-11881-0
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen (von der Psychologin bis zum Schulsozialarbeiter), weiteres Umfeld (Lehrer, Ausbilder, Führungskräfte, DozentInnen, ÄrztInnen, (Sozial-)PädagogInnen, SeelsorgerInnen); betroffene hochbegabte Menschen, unmittelbares Umfeld Familie und Freunde
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Vorwort oder weshalb schreiben wir dieses Buch?
Laufe nicht der Vergangenheit nach. Verliere Dich nicht in der Zukunft.
Die Vergangenheit ist nicht mehr. Die Zukunft noch nicht gekommen.
Das Leben ist gegenwärtig. Richard M. Keller (2015) Um eines gleich vorwegzunehmen: Wir werden uns als Fach-Quartett und Direktbetroffene nicht auf die kontroversen Diskussionen in Wissenschaft und Fachliteratur über die verschiedenen Definitionen von Hochbegabung und Hochsensibilität einlassen. Während der Recherche wurde uns klar, dass zu diesem Thema viele Widersprüche und Sichtweisen existieren, die von den entsprechenden Fachrichtungen oder der Wissenschaft vertreten werden. Mit diesem Buch bieten wir ein Praxishandbuch und einen Ratgeber für professionell Tätige im Gesundheits- und Sozialwesen sowie Direktbetroffene und Angehörige von diagnostizierten oder noch verkannten Hochbegabten, insbesondere für die Erwachsenen unter ihnen. Bei der Recherche fiel uns auf, dass ca. 70 Prozent der Bücher über Hochbegabung/Hochsensibilität über Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern geschrieben wurden. Im Internet behandeln unter dem Stichwort Hochbegabung ca. 70 Prozent der Artikel, Studien und Fachliteratur Kinder und Jugendliche. Das bedeutet, dass erwachsene Hochbegabte zu wenig Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft bekommen. Zudem werden die Kinder von heute in ein paar Jahren zu der Gruppe der Erwachsenen gehören. Dieses Buch ist für die Begegnung mit verkannten und erkannten Hochbegabten bzw. Hochsensiblen in Familie, der Schule, im Berufsalltag, in der Gesellschaft und im persönlichen Umfeld gedacht. Zu wenig wurde in der Literatur bisher die Kombination von Hochbegabung und Hochsensibilität berücksichtigt. Hier fassen wir praxisbezogene Hinweise mit theoretischem Hintergrund zusammen. Unser Anliegen ist es, realistisch aufzuzeigen, wo die Schwierigkeiten im Zusammenleben von Hochbegabten und Normalbegabten liegen. Genauso wichtig ist es uns, Lösungsansätze und konkrete Maßnahmen aufzuzeigen, wie ein entspannteres Miteinander möglich ist und welche Ansätze für Gesundheit und Prävention existieren. Es sollte für alle Zielgruppen – von Direktbetroffenen über Normalbegabte bis zu Profis aus dem Gesundheitswesen – überzeugend und gut lesbar sein. Deshalb kommt einiges, was wir an Inhalten skizzieren, nicht in der landläufigen Sichtweise der Fachliteratur oder der Wissenschaft daher. Die Autorinnen und der Autor sind im Gesundheits- und Sozialwesen tätig, daher sind uns Erfahrungswissen und unser eigenes Erleben im Alltag und im Berufsumfeld mindestens so wichtig wie wissenschaftliche Erkenntnisse. Beide werden ergänzt um Erfahrungsberichte von Betroffenen oder ihren Bezugspersonen, die ihre individuellen Wahrnehmungen präsentieren. Mit diesem Buch wollen wir keinen Sonderstatus für Hochbegabte erwirken. Wir möchten lediglich, dass Betroffene in ihrem Anderssein besser wahrgenommen und verstanden werden. In der Tierwelt spricht man in einem solchen Fall von »artgerechter Behandlung und Haltung«. Wir wünschen uns, mit dem Buch einen Beitrag dazu zu leisten, dass Hochbegabten und Hochsensiblen eine »artgerechte«, also angemessene, Behandlung zuteilwird. Jedoch werden wir weder beschönigen noch beschwichtigen und das Thema nicht auf die Ebene »Geschenk« oder »Potenzial« reduzieren. Doch werden wir auch nicht nur von Schwierigkeiten und Stolpersteinen sprechen. Wir möchten die Normalität, unsere (Alltags-)Normalität, die keine psychische Krankheit darstellt, weil sie sich durch Hochbegabung/Hochsensibilität auszeichnet, darstellen. Nach wie vor werdenbei vielen hochbegabten/hochsensiblen Kindern, Jugendlichen und insbesondere Erwachsenen aufgrund von Unwissen und falscher Interpretation ihrer Verhaltensweisen psychiatrische Diagnosen gestellt. Dadurch wird Hochbegabung in vielen Fällen nicht oder nur spät erkannt, deshalb die Formulierung der verkannten Hochbegabten. Bei Erwachsenen wird eine Hochbegabung häufiger als bei Kindern und Jugendlichen nicht erkannt. Auch deshalb haben wir dieses Praxishandbuch geschrieben. Doch viele weitere Gründe trugen auch dazu bei: Erstens ist es nach wie vor Realität, dass die meisten Menschen das Wort »Hochbegabung« unter anderem mit Besserwisserei, Klugscheißerei, Arroganz, Überheblichkeit oder Rechthaberei assoziieren. Darüber hinaus werden in Filmen extrem Hochbegabte oder Genies porträtiert, die wenig mit der Realität von »normalen« Hochbegabten zu tun haben. Zweitens wird mit dem Begriff »Hochsensibilität« allzu oft »Mimose, dünnhäutig, überempfindlich, Weichei oder beleidigte Leberwurst« verbunden. Aufgrund der zahlreichen Bücher, die seit 2015 zu den Themen Hochbegabung und Hochsensibilität insbesondere für Erwachsene erschienen sind, könnte man drittens annehmen, dass vieles für Hochbegabte in unserer Gesellschaft und in der Berufswelt einfacher und selbstverständlicher geworden ist. Leider erleben wir in der Regel das Gegenteil. Folgende Beispiele illustrieren unsere Erfahrungen. Fallbeispiel Im Jahr 2020 ruft Frau Langkorn verzweifelt wegen einer hundegestützten Therapie an, weil bei ihrer Tochter ADHS diagnostiziert wurde und sie nun Ritalin verschrieben bekommen soll. Im Gespräch stellt sich heraus, dass das Kind viele Merkmale von Hochbegabung zeigt. Frau Langkorn spürt irgendwie, dass die Tochter nicht wirklich unter ADHS leidet. Weitere Abklärungen ergeben die Diagnose »Hochbegabung«. Christine, 23 Jahre alt, ruft an, sie möchte nach einem Suizidversuch mit Klinikaufenthalt und Depressionen hundegestützte Therapiebegleitspaziergänge in Anspruch nehmen. Davon verspricht sie sich mehr als von einer Therapie mit dem Psychiater. Sie ist auf der Suche nach Antworten. Während des dritten Spaziergangs wird ihr klar, dass sie hochsensibel und hochbegabt ist. Zum ersten Mal fühlt sich Christine verstanden und ernstgenommen. Sie ist erstaunt, dass die hochbegabte Therapeutin ihr Denken und Fühlen in Worte fassen und die Hintergründe für ihre Depressionen und den Suizidversuch aufzeigen kann. In den folgenden Wochen reduziert Christine in Absprache mit dem Psychiater die Dosis ihrer Antidepressiva und liest Bücher zu ihrem Anderssein. Sie sucht einen Psychiater mit dem Spezialgebiet Hochbegabung auf. Heute studiert sie Psychologie, früher war sie Malerin. Wegen stark gesunkener Leistungen auf dem Gymnasium wird Matthias zur Therapie angemeldet. Er leidet unter Schlafstörungen, Antriebsmangel und Konzentrationsstörungen. Ein ADHS ist anamnestisch bekannt. Matthias wird nicht in die nächste Klasse versetzt, er muss die 10. wiederholen. Als Ursache des Leistungseinbruchs sehen er und seine Eltern am ehesten den Suizid seines besten Freundes ein Jahr zuvor an. Der Therapeut tappt ziemlich im Dunkeln, ein Puzzleteil scheint zu fehlen. Ein Gespräch mit Matthias’ Eltern bringt Licht ins Dunkel. Schon in der Grundschule wurde Matthias untersucht und neben ADHS wurde auch eine Hochsensibilität angenommen. Dies ändert die Diagnose: Hauptsächlich liegt keine depressive Episode vor, sondern eine Anpassungsstörung mit depressiven Symptomen im Zusammenhang mit Hochsensibilität. Viertens wird Hochbegabung nach wie vor häufig auf einen IQ, der mit einem klassischen Test eruiert wurde, ab dem Wert 130 »reduziert«. Gleichwohl ist dies dem Umstand geschuldet, dass die einzige Möglichkeit, die bisher zur einigermaßen zuverlässigen Erfassung einer Hochbegabung besteht, ein Intelligenztest ist, der zumindest die intellektuelle Hochbegabung erfasst. Dabei werden hauptsächlich die kognitiven Fähigkeiten, wie Sprache bzw. Sprachverständnis, Mathematik, logisches oder räumliches und analytisches Denken gemessen. Sehr unterschiedliche Faktoren können hier die zu testende Person beeinflussen, so dass ein Intelligenztest nur von erfahrenen und spezifisch ausgebildeten Fachpersonen durchgeführt werden sollte (? Kapitel I = Intelligenzquotient). Inzwischen ist bekannt, dass andere Bereiche, wie zum Beispiel die musikalische, emotionale, soziale oder praktische Intelligenz, bisher noch nicht mit einem herkömmlichen Testverfahren erfasst werden können. Dazu gehört bspw. auch die naturalistische Intelligenz, das Interesse und die Fähigkeit, Phänomene in der Natur...