Gesang Wirtschaftsethik und Menschenrechte
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8463-4562-7
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Kompass zur Orientierung im ökonomischen Denken und im unternehmerischen Handeln
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-8463-4562-7
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Einleitung: Warum machen wir uns überhaupt die Mühe zu arbeiten? 1
1. Kapitel: Wie rationale Homines Oeconomici einen Vertrag schließen und was im Kleingedruckten des Vertrages steht 8
I. Einleitung 8
II. Rezepte gegen „Appellitis“ 9
III. Der Rahmen und seine Krankheiten 13
IV. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – Die Vertragstheorie 16
V. Ist es die billigste Methode anständig zu sein, um anständig zu erscheinen? 19
VI. Die Vertragstheoretiker träumen vom Konsens 21
VII. Ist Dagobert Duck der Held der Moderne? 24
VIII. Was von der Ökonomischen Ethik bleibt 31
2. Kapitel: Pareto-Optimalität, weil mehr nicht geht? 34
I. Utilitarismus – Was ist das? 34
II. Die Grundpfeiler des Utilitarismus 35
III. Eine heilige Kuh der Ökonomie: Pareto-Optimalität 38
IV. Ein Dogma auf dem Prüfstand: Pareto in der Kritik 41
V. Kann ich wissen, wie sehr dir ein Bier besser schmeckt als mir? 43
VI. Jenseits der Grenzen der Wissenschaftlichkeit? 54
3. Kapitel: Nachhaltiges Wachstum oder Postwachstumsökonomie – wohin geht die Reise? 60
I. Die Schattenseiten unseres Wirtschaftssystems 60
II. Schluss mit dem Wachstum? 63
III. Wachstum ade – scheiden tut nicht weh? 67
IV. Green New Deal: Die ökosoziale Marktwirtschaft 71
V. Eine Ökonomie, die auf Sonnenenergie beruht , verursacht keine Umweltprobleme 73
VI. Kontraktion und Konvergenz 76
VII. Drei Modelle – kein Königsweg 78
A. Sind die Grenzen des Wachstums erreicht? 78
B. Die „dritte Welt“ fehlt! 80
C. Der arme Norden – umsonst geopfert? 82
D. Kritik des Green New Deal 84
VIII. Wie es gehen sollte, wenn man wollte: Die AB-Economy 87
A. Grundidee und ethische Rechtfertigung 87
B. Einwände und Konsequenzen 90
C. Knappe Größen 93
IX. Der Notausgang: Eine kleine moralische Wende zum Green New Deal? 97
4. Kapitel: Wie sollte eine Demokratie aussehen, die Nachhaltigkeit kann? 101
I. Die Diagnose 101
II. Politikversagen – die Politiker 102
III. Politikversagen – die Bürger 108
IV. Volksentscheide, Basisdemokratie 109
V. Zukunftsräte als Hoffnungsträger? 113
VI. Eine andere Variante der Idee: Ombudsmänner für zukünftige Generationen 122
VII. Generationengerechtigkeit als Staatsziel 124
5. Kapitel: Wirtschafts- und Unternehmensethik – Kompass Menschenrechte 126
I. Der Staat und die Unternehmen 126
II. Wie Erzengel auf die Erde kommen oder wie Ethik-Komitees die Krankenhäuser verlassen 127
III. Menschenrechte anstelle bloßer Intuitionen :
Wie ein Kompass für Entscheidungen entsteht 134
IV. Gibt es Menschenrechte für Unternehmen? 141
V. Individualrechte im Utilitarismus – Die Quadratur des Kreises? 144
VI. Exkurs: Leistet der Chef 400 Mal so viel wie sein Angestellter? Soziale Gerechtigkeit 148
VII. Menschenrechte im Utilitarismus – Die Quadratur des Kreises zweiter Teil 151
VIII. Was die Menschenrechte Unternehmern und Politikern sagen : 16 MR-Normen 154
IX. Was die Menschenrechte Unternehmern und Politikern nicht sagen: Sechs MR+-Normen 162
Literatur 173
Personenregister 187
Sachregister 189
V. Kann ich wissen, wie sehr dir ein Bier besser schmeckt als mir?
An dieser Stelle gilt es, die gesamte paretianische Skepsis gegenüber Nutzenvergleichen zu hinterfragen. Offenbar sind einige Nutzenunterschiede in der Welt so offensichtlich, dass es absurd erscheint, sie als nicht nachweisbar zu bezeichnen. Ist es nicht klar, dass der Hungernde in Uganda schlechtergestellt ist als der deutsche Lehrer? Muss man daher nicht annehmen, dass der Grenznutzen eines Euros für den Hungernden größer ist? Zudem muss auch die Pareto-Lehre elementare Annahmen über den Nutzen voraussetzen: Sie geht von durch Tausch bzw. Verträge erkennbaren intrapersonalen Präferenzordnungen aus. Ich selbst soll wissen, was mir nutzt, und ich äußere das, indem ich tausche. Ich kann mich aber über meinen Nutzen irren (Brandt 1979, 116ff.). Und auch intertemporal ist dieses Wissen instabil. Es gibt das Phänomen der intertemporalen Skalenverschiebung: Eine maximale Glücksmenge von zehn ist für mich im Alter von 20 Jahren vielleicht eine andere als im Alter von 50 Jahren. Sind daher schon intrapersonale Nutzenvergleiche über die Zeit hinweg unmöglich (Weimann et al. 2012, 127)? Wären diese Zweifel an der Erkennbarkeit intrapersonalen Nutzens berechtigt, säßen Paretianer und ihre Kritiker im selben lecken Boot, mit ständig nassen Füßen und mindestens permanent erhöhter Erkältungsgefahr. |44|Ich glaube, dass sich die messtheoretischen Bedenken der Paretianer relativieren lassen. Zuerst einmal ist zu bemerken, dass die von den Paretianern verordnete Abstinenz hinsichtlich interpersonaler Nutzenvergleiche in der Volkswirtschaftslehre laufend unterwandert wird, was zeigt, dass bei weitem nicht alle Volkswirte von den Grundannahmen der Paretianer überzeugt sind. Mit v. Neumann, Morgenstern u.a. (Albers et al. 1977–1983, 173) wird häufig davon ausgegangen, dass Zahlungsbereitschaftsanalysen hinreichend aussagekräftig sind. Bei diesen werden Präferenzen verschiedener Personen verglichen, indem man sie vor die Alternative stellt, wie viel Geld sie für die Realisierung bestimmter Präferenzen ausgeben würden. Daraus wird dann eine vergleichende Präferenzhierarchie abgeleitet. Oder man verwendet z.B. das absolute bzw. das relative Einkommen als Indikatoren für Nutzen (Ok und Kockesen 2000). Y. Ng veranschaulicht die These, dass selbst kardinale Messungen des Wohlergehens für Vergleiche möglich sind. Auf die Frage, ob ich ein neues Haus viel stärker wünsche als eine Praline kann ich begründet antworten. Diese Antwort macht von Präferenzstärken Gebrauch und ist daher nicht rein ordinal (Ng 2004, 16). Eine Ausweitung der These auf interpersonale Vergleiche sieht Ng nicht als problematisch an (Ng 2004, 18), ich werde das Haus auch viel stärker wünschen als du die Praline willst. Im Weiteren gebe ich eine Liste von Verfahren an, die ebenfalls Nutzenvergleiche möglich machen können. Alle Verfahren haben ihre spezifischen Probleme und Grenzen, aber in der Summe bieten sie interessante Perspektiven wie inter- und intrapersonale Nutzenvergleiche möglich werden könnten. 1. Zahlungsbereitschaftsanalysen: Das Verfahren an sich wurde bereits vorgestellt. Ein Problem dabei ist: Bedeutet Geld für die Testpersonen nicht unterschiedlich viel? Die Personen könnten ihre Gewohnheiten beim Umgang mit Geld in das Experiment übernehmen: Reiche geben Geld beispielsweise eher unachtsam aus, Arme nicht. Daher wird die Zahlungsbereitschaftsanalyse in eine besondere Situation eingebettet: Jeder Proband erhält z.B. nur 1000 Euro und muss diese innerhalb des Experiments ausgeben. Ein Einwand könnte lauten: Die realen Grenznutzenerfahrungen könnten sich auch hier bemerkbar machen. Der Reiche könnte sich leichter vom Geld trennen als der Arme. Aber auch solche Effekte kann man abschwächen: Man könnte etwa ein Computerspiel erfinden, in dem der Reiche eine Zeit lang den Armen spielt und dessen Grenznutzen kennenlernt. So werden die Gewohnheiten aus dem realen Leben stückweise abgebaut. Eine |45|so modifizierte Zahlungsbereitschaftsanalyse halte ich durchaus für aussagekräftig. Sie kann eine Näherung an reale Präferenzen[32] darstellen. Gegen Ende des Kapitels werden wir untersuchen müssen, was es heißt, solche Methoden erlaubten allenfalls eine pragmatische Einschätzung von, jedoch keine „wissenschaftlichen“ Aussagen über Nutzen. 2. „Extended preferences“: Im Verlauf der Debatten wurden von Neumann und Morgenstern ergänzt von J. Harsanyi (Harsanyi 1955), der darauf verwies, dass man sich mit Empathie in die Nutzenfunktion anderer Personen hineinversetzen könne (extended preferences), was auch Arrow (extended sympathy; Arrow 1963, 114f.) und Binmore unterstützen (Binmore 2009). Ich kann vorhersehen, was 1000 Euro für dich bedeuten, da ich mich in deine Lebenssituation hineinversetzen kann und daher zu einem interpersonalen Nutzenvergleich fähig bin. Die Präferenzen und das Wohlergehen aller Menschen basieren auf denselben psychologischen Strukturen und Gesetzen (Harsanyi 1975, 600).[33] Deshalb kann man sich in einen anderen Menschen (empathisch) hineinversetzen und dessen Präferenzen und sein Wohlergehen nachempfinden und näherungsweise bestimmen. Dass das zwischen Freunden gut funktioniert, ist empirisch untersucht worden (Lepper 1998). Dennoch gibt es empirische Grenzen. Schon bezogen auf die eigene Person unterliegt man zahlreichen Täuschungen darüber, was glücklich macht, insbesondere was die Rolle der Anpassung angeht (Kahneman und Varey 1991, 158f.). Diese Verzerrungen überträgt man dann auf andere. Jedoch kann man solche Täuschungseffekte mit Hilfe der Psychologie erkunden und sie dann bei Prognosen miteinberechnen. Harsanyi gesteht ein, dass ein fehlerfreies Ergebnis in der Realität schwer zu erreichen sei, da nicht alle Informationen verfügbar wären. Es sei aber unerlässlich, derartige Nutzenvergleiche vorzunehmen (Harsanyi 1955, 318ff.). Auch unsere Alltagserfahrung unterstützt die Annahme, dass dieses Verfahren funktioniert. 3. „Revealed and Stated Preferences“: Man kann sich a) an verbalen Angaben von Präferenzen und b) am faktischen Verhalten der |46|Akteure (Kaufverhalten, Zeit die benötigt wird, um x zu wählen etc.) orientieren. Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Befriedigungsgefühle sind dabei prinzipiell möglich[34], wenngleich fehlbar: Bezogen auf a) gilt: es könnte zu strategischen Lügen (D’Aspremont und Gérard-Varet 1991) und zu Fehleinschätzungen von Wahrscheinlichkeiten[35], nicht zuletzt aufgrund von Aufklärungsdefiziten kommen. Jemand könnte beispielsweise seine wahren Interessen gar nicht kennen und nur fremde Lebensstile nachahmen, die ihm durch die Medien vermittelt worden sind. Gleichwohl kann man diese Faktoren eingrenzen, indem man aufklärt, bevor man fragt (vgl. das Konzept der kognitiven Psychotherapie, Brandt 1979) bzw. in dem man geschickte strategische Arrangements trifft, so dass man sich durch die Befragung keinen persönlichen Vorteil versprechen kann. Bezogen auf b) gilt: Es könnte auch beim Kaufverhalten zu den benannten Selbsttäuschungen über die eigenen Präferenzen kommen. Neue Produkte bringen oft keine Lebensverbesserung. Hier könnte man die Erkenntnisdefizite wie beschrieben aufklären. 4. Grenznutzenbetrachtungen: Wenn wir das Prinzip vom abnehmenden Grenznutzen für wahr halten, ergibt sich, dass Umverteilungen zu Gunsten der sehr Armen meist mehr Nutzen als Schaden erzeugen. Ein Armer kann aus einem zusätzlichen Euro deutlich mehr Nutzen generieren als ein Reicher, wenn die Einkommensunterschiede entsprechend groß sind. Mit diesem Wissen sind interpersonale Vergleiche verbunden und damit lässt sich das größte Umverteilungsprogramm der Welt rechtfertigen: ein riesiger Transfer von Nord nach Süd. Dazu sind keinerlei kardinale Nutzenvergleiche nötig. Es reicht allein das Grenznutzenprinzip, von dem die Volkswirtschaftslehre jenseits der Verteidigung des Pareto-Prinzips regelmäßig ausgeht. Auch daran könnte man Kritik üben: Der Grenznutzen des Einkommens bei Reichen könnte höher als bei Armen sein. Die Menschen, denen Einkommen besonders viel bedeute, würden auch das hohe Maß an Arbeit investieren, das nötig sei, um zu viel Einkommen zu gelangen. Reiche könnten dann also in der Regel einen höheren Nutzen aus Einkommen erzielen. Sie wären anders als Arme durch Natur oder Erziehung so disponiert und das führe gerade dazu, dass sie reich und |47|nicht arm geworden seien. Zudem wären auch die Kosten von Umverteilungen (Bürokratie, Kontrollen etc.) zu beachten. Überzeugt das Argument allerdings, insbesondere wenn wir international denken? Kann ein hungernder und unausgebildeter Mensch mit viel Arbeit viel Geld verdienen? Hat er überhaupt die Ausgangsbedingungen, die nötig sind, um obiges Argument auf ihn anzuwenden? Dessen Lehre ist ja: Die Veranlagung, einen hohen Nutzen aus Einkommen zu ziehen, setzt sich durch. Aber eine arme Somali mit dieser Veranlagung wird in der Regel trotzdem nicht reich werden. Und auch innerhalb unserer Industriegesellschaften sind...