E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Gimpl / Lenk Schuarlis Weihnachtsgeschichten
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7568-6824-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-7568-6824-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Von 1993 bis zu seinem viel zu frühen Tod im Jahre 2014 verfasste Dr. Georg Gimpl für seine Verwandten und Freunde jeweils zum Weihnachtsfest Geschichten, die mit seinen Reisen in verschiedene Länder und mit seinen geisteshistorischen Forschungen, aber vor allem mit seinem Heimatort Rußbach am Pass Gschütt verbunden sind. Die Liebe zu seiner Heimat im Salzkammergut, zu den Menschen dort und zu der zauberhaften Natur der Alpen prägen viele dieser Texte. Sie bieten zugleich Einblicke in die Lebensweise, die Bräuche, Sprache und Alltagswelt in diesem Teil Österreichs und sind ein wertvoller Beitrag zur Regionalgeschichte.
Dr. Georg Gimpl wirkte von 1975 bis 2014 als Lektor für deutsche Sprache und österreichische Literatur an der Universität Helsinki und war seit Privat-Dozent für Ideengeschichte an der Universität Oulu (Finnland). Er hatte 1985 an der Paris-Lodron-Universität Salzburg mit der Dissertation 'Form als Dementi. Text- und Strukturanalyse des Tractatus Logico-Philosophicus' von Ludwig Wittgenstein promoviert. Seinem Heimatort Rußbach am Pass Gschütt im Salzkammergut blieb er bis an sein Lebensende eng verbunden.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Das Christkindl, tausendprozentig.
(1993) Das Christkindl kennt natürlich jeder. Es hat seidene, weiße oder güldene Locken, ein Gesicht, fein wie aus Wachs, und schaut überhaupt aus wie ein Engel, nur ohne Flügel. Aber nicht, weil ihm diese schon abgebrochen wären, wie einem der Engel in unserer Krippe, sondern weil das Christkind ja gar keine Flügel hat. Es ist ganz einfach ein wunderschönes kleines Kind. Mein Christkindl riecht zudem immer noch ein bisschen nach Leder. Aber um das zu erklären, muss ich erst eine andere Geschichte erzählen. *** Also bevor das Christkind kommt, muss natürlich erst einmal ein Christbaum ins Haus. Diesen Christbaum durften wir, erst mein Bruder und später ich, stets mit Vater gemeinsam aus dem Wald holen. Es war das immer ein Abenteuer: Allein mit Vater durch den oft schon tiefen Schnee zu stapfen, der Vater die Säge in der Hand und lautlos wie zwei richtige Jäger, denn „wenn wir Glück haben“, meinte er, „sehen wir auch etwas – einen Hasen, ein Reh oder einen Fuchs; oder vielleicht sogar das Christkind“, flüsterte er, und den Blick immer wieder nach oben, auf die Baumkronen gerichtet. Beim Christbaumsuchen wurde Vater, offen gesagt, immer ganz anders. Sonst in seinem ganzen Wesen die Kulanz in Person, kannte er bei Christbäumen keinen Pardon. Hier kamen wir auch kaum auf irgendeinen gemeinsamen Nenner: Für mich war der Wald voller Christbäume, für ihn schien es darin nicht einen einzigen zu geben. Wie Old Shatterhand kniff er die Augen zusammen und musterte erst einmal das Revier, ehe er an die Feinarbeit ging. „Hier könnte einer stehen!“ Oder: „Da brauchen wir gar nicht weiter schauen!“ So viele Vorschläge und Entdeckungen ich auch machen mochte, immer gab es daran etwas zu bekritteln. Man konnte es ihm an den Augen ablesen: Als hätte er sich plötzlich Lineal und Winkelmesser auf die Nase gesetzt und mich nur mitgenommen, um mir zu demonstrieren, wie heutzutage der ganze Wald nichts mehr taugte. „Ja, früher, da gab es noch Christbäume“, erklärte er nur. „Aber heute, schau sie dir an!“: Der war ihm „zu hoch“, der „zu kurz“. Da war angeblich der Stamm „zu schwach“ oder gar „krumm“; dort „fehlte zu allem auch noch ein Ast in der Reihe“. Da passte ihm wieder „die Farbe des Grases“ nicht. Dort wiederum war es „zu wenig buschig“. „Schaut nichts gleich“, brummte er dann. Oder die Reihen der Äste tanzten aus der Geometrie, waren „unregelmäßig“ oder lagen womöglich auch nur ein paar Millimeter „zu weit auseinander“. „Ja, siehst du denn nicht, wie der aussieht, oben: nichts dran; den können wir doch nicht nehmen!“ Wörtlich mit nichts konnte man ihm kommen und ich hatte es ja auch bald gelernt, meine Vorschläge vorsichtiger zu formulieren: „Vielleicht der!“ „Oder was meinst du zu dem?“ „Der wäre vielleicht nicht schlecht.“ „Würde der vielleicht gehen, oder meinst du nicht?“ – Sie gingen natürlich alle nicht. Jahre später zeigte ich meinem Vater einmal den Christkindlmarkt in Salzburg auf dem Residenzplatz, wo die Bauern zu Weihnachten dann immer einen ganzen Wald von Christbäumen anbieten. Ich dachte, damit würde ich ihm bestimmt eine Freude machen. Für Vater war das aber geradezu ein Schock. Er schüttelte die ganze Zeit nur den Kopf. „Da ist ja kein einziger richtiger Christbaum darunter!“, sagte er. „Nein, wie die Leute so blöd sein können und sich so einen Kreppen ins Haus stellen! Und dafür zahlen sie auch noch ein Heidengeld …“ Etwas davon, bemerke ich hin und wieder, ist auch mir davon zurückgeblieben. Tannenbäume messe auch ich heute noch an Christbäumen, wenn ich durch den Wald gehe. Immer bleibt dann mein Blick bald irgendwo in den Baumkronen hängen. Erst in allerletzter Zeit bin ich da durch das Waldsterben etwas toleranter geworden. Heute bin ich schon zufrieden, wenn die Kronen einigermaßen gerade gewachsen sind und ich entdecke plötzlich nur kranke Bäume. „Lauter kranke Bäume“, sage ich, während mein Bruder sagt: „Jetzt hör mal, übertreib doch nicht!“ Vater hatte auch absolut kein Verständnis für Leute, die zwei Christbäume umsägten, weil ihnen der erste plötzlich nicht mehr gefiel und sie ihn dann wegschmissen, wenn sie einen noch besseren fanden. Das sind „Baumräuber!“, belehrte er mich, die keine Augen haben und keine Selbstbeherrschung. Entdeckten wir dann irgendwo so einen weggeschmissenen Christbaum im Wald, so war er empört und förmlich beleidigt. Da würd ihm auch „der Gizi“ kommen, wenn er der Förster wär. Dem Förster Gapp musste man nämlich seine Absicht, sich einen Baum zu holen, erst melden und ihn am Schluss natürlich dann auch bezahlen, dreißig oder vierzig Schilling waren das damals. Ganz schön teuer, sagte mein Vater; aber der Förster bestätigte Vater auch regelmäßig, dass er einen besonders schönen Baum gefunden habe. „Da Gimpi kennt sich da aus“, lachte er – und ich war da meistens sehr stolz auf meinen Vater. Befolgte man diese Regel nicht und wurde vom Förster Gapp ohne Anmeldung mit einem Christbaum im Wald erwischt, so galt man als Christbaumdieb. Es war also besser, sich erst gar nicht erwischen zu lassen. Nur einmal haben auch wir uns einen zweiten Christbaum geholt, und das kam so: Wir waren damals mit dem Roller auf die Schattauhöhe hinaufgefahren – Vater hatte da schon im Sommer einen entdeckt und fand auch, was er wollte. Nun brachten wir also unsere Beute heim. Ich saß hinten auf dem Sozius und hielt den Christbaum fest in der Hand. „Halt dich aber ruhig“, sagte Vater, „die Straße ist eisglatt heute, damit es mich nicht verreißt.“ Vater fuhr langsam, als hätt ich hinter ihm den Nachttopf in der Hand gehabt. Beim Lenzlbichl passierte es dann. Nun, so genau weiß ich das allerdings nicht mehr, wie es herging. Vater und ich lagen jedenfalls im Schnee, die Säge irgendwo mitten auf der Straße und beim Roller drehten sich noch die Räder. Ich weinte, vor Schreck und weil unserm Christbaum einige Zweige abgebrochen waren. Dass ich ein bisschen blutete und aufgeschürft war, weil ich den Christbaum beim Sturz nicht aus der Hand gelassen hatte, machte mir weniger aus. Vater war blass vor Schreck, aber als er sah, dass mir nichts passiert war, lachte er nur. „Hats uns akkurat gschleudert“, meinte er und – mit Blick auf den ramponierten Christbaum: „Das macht nichts. Holen wir uns halt einen neuen!“ Den hatten wir dann auch überraschend bald gefunden, denn dieses eine Mal, erinnere ich mich, war Vater dann nicht ganz so wählerisch. Von dem Unfall, sagte er, erzählen wir besser niemandem, auch Mutter nicht, und dabei blieb es auch. Aber die Sache hat sich nun verjährt und ich denke, es ist Zeit, dieses Geheiminis heute zu lüften. Auch dem Förster haben wir dann natürlich nur den einen Baum bezahlt und nichts von unserm Unfall erzählt. In diesem Fall wäre dies berechtigt, erklärte mir mein Vater, denn da war „höhere Gewalt“ im Spiel. „Nicht schlecht, Gimpi, dein Baum“, sagte der Förster beim Zahlen dann, „nur ein bissl krumm! Gibst mir halt einen Zwanziger dafür!“ Billig diesmal, dachte ich für mich und triumphierte innerlich. – Wenn der Gapp wüsste, dass das bereits der zweite ist! *** Ich komme jetzt auf meine eigentliche Geschichte zurück und den Ledergeschmack meines Christkindls, von dem ich gesprochen hatte. Als Schuhmacher hatte mein Vater natürlich auch einen eigenen Lederraum. Dieser hatte für uns Buben seine eigene Mystik. Einmal von den verschiedensten Arten der Lederhäute abgesehen, die es da gab und die ja in sich schon faszinierende Möglichkeiten für alle möglichen Spiele boten, befanden sich dort aus mir heute noch unerklärlichen Gründen auch Vaters Jagdbücher, die er einst dem Bleistift-Fabrikanten Faber für ein Paar Goisererschuhe abgeluchselt hatte. Zwei dicke Bände: Die Hohe Jagd und Die Niedere Jagd wie ein ganzer Stapel von der Österreichischen Jagdzeitung oder wie sie hieß; so genau kann ich mich an die Titel nicht mehr erinnern. Vor allem aber war dieser Lederraum hinter der Werkstatt des Vaters auch der einzige Raum unserer Wohnung, den wir ganz für uns haben konnten – und natürlich bekamen wir auch die vielen Lederflecke und –streifen, die da abfielen, wenn er sich mit seinem scharfen Kneip hin und wieder die passenden Stücke aus den jeweiligen Häuten herausschnitt. Ja, sogar Nägel gab es in allen Größen und Formen, wie Hammer, den Locher, Beißzangen, Stichel und Werkzeug aller Art – Vater war da großzügig und hatte, aus der Zeit, wo er noch einen Gesellen hatte, zwei komplette Schuhmacher-Ausrüstungen: Wenn wir ihm nur versprachen, dann alles auch wieder an seinen Platz...