Godazgar Der tut nix, der will nur morden!
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95441-274-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schwarze Stories
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-95441-274-7
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kurz, schwarz, gut!
Ein Einbrecher mit Hexenschuss, ein fanatischer Toilettenpapiersammler, ein Lyriker, der an seinem Publikum verzweifelt, zwei Dumpfbacken, die eine Sex-Hotline für Damen mit gehobenem Anspruch eröffnen: Es sind, gelinde gesagt, etwas schräge Typen, die Peter Godazgars Short Stories bevölkern.
Die meisten Akteure führen gar nichts Böses im Schilde, wie etwa Manni Schibulski, der größte Udo-Lindenberg-Fan der Welt, der einfach nur in Ruhe den Geburtstag seines Stars feiern möchte. Oder Helga, die Politesse, die in ihrem Eifer nicht merkt, dass es eben keine ganz normalen Falschparker sind, mit denen sie sich da anlegt. Allesamt verträgliche Typen, die wirklich niemandem etwas tun. Eigentlich. Man darf sie eben nur nicht ärgern.
Mit viel schwarzem Humor und einem untrüglichen Sinn für groteske Pointen führt der Autor seine Figuren von einem Fettnapf zum nächsten.
Die Stories von Peter Godazgar gehören zum Lustigsten, was die deutsche Krimiszene zu bieten hat.
Autoren/Hrsg.
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OHNE TOTE
Das Jobangebot
Die Frau sah ihr Gegenüber ein paar Sekunden mit fast schon mitleidiger Miene an, dann schnaufte sie kurz und sagte: »Mensch, Sie sind aber auch ein schwieriger Fall.« Der Mann auf der anderen Seite des Tisches hob entschuldigend die Schultern. Die Frau winkte ab. »Ja, ja, der Rücken, hören Sie auf, ich weiß doch.« Wieder starrte sie ihr Gegenüber eine Weile an, dann entließ sie ein gedehntes »Mmmh« aus ihrem Mund, drehte sich zu ihrem Computer und fing an, auf der Tastatur herumzutippen. »Oder wir probieren mal was ganz anderes«, murmelte sie eher in sich hinein als zu dem Mann. »Wobei: So ganz was anderes ist das wahrscheinlich gar nicht.« Sie lächelte betont aufmunternd. »Hier ist diese Woche was reingekommen, das könnte was für Sie sein.« Ihre Finger huschten über die Tastatur, ihre Augen über den Bildschirm. »Da! Arbeitgeber aus dem Ausland. Mit einigen Zweigstellen in Deutschland. Will expandieren.« »Ich will aber nicht weg aus Deutschland«, sagte der Mann ängstlich. »Nein, nein, Ihr Arbeitsgebiet ist Deutschland. Allerdings mit wechselnden Orten. Sie müssten schon immer mal ein bisschen rumfahren.« »Na ja, wenn‘s nicht so oft ist.« »Also wollen Sie nun überhaupt einen neuen Job?«, sagte die Frau streng. Der Mann senkte den Blick. Die Strenge im Blick wurde von einem gewissen Maß an Güte abgelöst: »Nun seien Sie doch nicht gleich wieder so pessimistisch. Wenn ich das hier so lese: Das passt eigentlich genau auf Ihre Qualifikation als Gebäudereiniger.« »Ja, und um was geht es nun?« »Cleaner«, sagte die Frau. »Cleaner?« »Ja. Cleaner. Ist englisch. Heißt quasi ›Reiniger‹. Hat aber ein etwas anderes Anforderungsprofil. Deutlich anspruchsvoller! Ziemlich neues Berufsbild.« Sie schüttelte den Kopf. »Die immer mit ihren neumodischen Berufsbezeichnungen.« »Und was ist das für eine Firma?« »Ich lese es Ihnen mal vor. Also: Für unser traditionsreiches, mittelständisches Familienunternehmen mit Stammsitz in Sizilien/Italien suchen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Cleaner/eine Cleanerin.« Der Mann wollte etwas sagen, aber sie hob die Hand und brachte ihn damit zum Schweigen. »Hören Sie doch erst mal zu. Also: Ihr Aufgabenbereich: Sie erwartet eine vielseitige und interessante Aufgabe im Bereich des Personalmanagements. Sie unterstützen persönlich die Geschäftsführung sowie die darunter liegende ausführende Leitungsebene. Hierzu gehört vor allem die Nachbereitung von Geschäftstreffen und anderen Veranstaltungen. Ihr Profil: Neben organisatorischem Talent und einer schnellen Auffassungsgabe, einer ausgeprägten Fähigkeit zu strategischem Denken und der Fähigkeit, mit komplexen Situationen umzugehen, sind Kreativität und Flexibilität gefragt. Für den Umgang mit unterschiedlichen Geschäftspartnern in der internen wie externen Kommunikation sind soziale und fachliche Kompetenz sowie Überzeugungskraft unumgänglich. Sie sollten grundlegende Kenntnisse in den Bereichen Waffenkunde und Ballistik besitzen, mit den neuesten Produkten auf dem Reinigungsmarkt vertraut sein und außerdem keine Angst vor hartnäckigen Verschmutzungen haben. Führerschein Klasse 3 wird vorausgesetzt.« Die Frau blickte auf und lachte: »Das versteht sich ja wohl von selbst.« Der Mann lächelte schüchtern. »Weiter im Text: Wir bieten: Eine spannende Tätigkeit an der Schnittstelle von Handel und Industrie. Sie sind viel unterwegs und lernen interessante Orte kennen. Wir bieten regelmäßige Fortbildungsseminare, ausgeführt von langjährigen Profis der Branche. Wir bieten …«, die Frau hob den Zeigefinger: »Jetzt wird‘s interessant: Wir bieten eine außertarifliche Vergütung inklusive diverser Zuschläge. Reisespesen und Ausrüstungskosten werden selbstverständlich von uns übernommen.« Sie schwiegen eine Weile. »Und?«, fragte die Frau. »Ich weiß nicht«, sagte der Mann. »Meinen Sie, das wäre was?« »Warum denn nicht? Sie als ehemaliger Gebäudereiniger bringen da doch ideale Voraussetzungen mit.« Sie sah wieder auf den Bildschirm. »Die Stelle ist allerdings befristet. Zunächst befristet, steht hier, sechs Monate Probezeit, ist ja klar. Und, ja, auch klar: »Bei gleicher fachlicher Eignung erhalten Schwerbehinderte den Vorzug. Das trifft jetzt auf Sie zwar nicht zu, aber, äh …« »Mmmmh ... Ich kann‘s ja mal versuchen.« »Das ist die richtige Einstellung. Ich druck‘s Ihnen aus.« Sie schob die Computermaus hin und her, klickte, dann machte der Drucker Geräusche und schob zwei Blätter heraus. Nachdenklich sah sie dem Mann hinterher, wie er mit hängenden Schultern aus dem Büro schlich. Sie schüttelte den Kopf. »Das wird nie was«, murmelte sie. Im selben Moment klingelte das Telefon. Sie nahm den Hörer ab: »Arbeitsamtsagenturbehörde für Arbeit, sie sprechen mit Frau Mielke, was kann ich für Sie tun?« Sie lauschte, dann hellte sich ihre Miene auf. »Herr Schlegel! Wie geht es Ihnen? Wie ist es gelaufen?« Sie lauschte erneut, dann breitete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht aus. »Nein! … Wirklich? … Das ist ja toll. Und ab wann? … Aha … Oho! … Mensch, ein Wahnsinn ist das, mein Herr Schlegel wird Logistikfachkraft für bewusstseinserweiternde Stoffe! … Und wie lange haben wir gesucht, was? Das heißt, Sie ziehen jetzt also um? … Aha, aha, toll … Jaaaa. Und Kolumbien soll ja wirklich schön sein. Herr Schlegel, ich wünsche Ihnen alles, alles Gute. Ja … nichts zu danken.« Helga sorgt für Ordnung
Am ersten frühlingshaften Tag nach einem zähen Winter wackelte Helga Kleinschmidt mit ihrem leicht entenhaften Gang die Straße entlang. Trotz des Sonnenscheins war sie missgelaunt. Sie wusste selbst nicht warum. Drei Wochen noch, dann würde alles vorbei sein, der ganze blöde Job, der Ärger, die dummen Sprüche. Helga hätte allen Grund gehabt, etwas beschwingter zu sein. Sie war es nicht. Vielleicht lag es daran, dass sie – bei aller Vorfreude auf das Ende ihrer Berufstätigkeit – nicht genau wusste, was sie danach erwartete? Genau diese Frage hatte man ihr oft gestellt in den vergangenen Wochen und Monaten. »Na, was machst du denn, wenn du in Rente bist?« Tja, was? Eine gute Frage, auf die Helga bislang keine überzeugende Antwort gefunden hatte. Einen Töpfer-Kurs belegen? Spanisch lernen? Oder Yoga? Mit einem Gummiseil an den Füßen von Brücken springen? Sich einen dreißig Jahre jüngeren italienischen Freund zulegen? Einem Seniorenkabarett beitreten? Die Autobiografie schreiben? Helgas Miene hellte sich nun doch etwas auf. Eine Autobiografie, ja das wäre was. Arbeitstitel: »Hunderttausend Knöllchen – Mein Leben als Politesse« oder: »Ich und die Parkuhr – Eine Liebesgeschichte«. Oder doch gleich: »Schlampe, Zicke, dumme Kuh – Meine schönsten Beschimpfungen«. Helga wackelte den halleschen Hansering entlang und warf lustlose Blicke in die Autoscheiben. Fehlanzeige. Nirgends ein abgelaufener, geschweige denn ein gar nicht existierender Parkzettel. Sie blickte die Straße hinauf und hinunter. Wo war eigentlich ihre Kollegin? Gabi hatte am Landgericht in der Seitenstraße ein Opfer gefunden, und Helga war schon vorgegangen. Ob Gabi noch mehr Falschparker entdeckt hatte? Reisen, das wär’s! Am besten gleich eine Weltreise, doch dafür würde die Rente gewiss nicht reichen. Aber zumindest dem Winter wollte Helga künftig entfliehen. Ein paar Monate Türkei während der kalten Jahreszeit, das würde auch den Knochen gut tun. Und sonst? Sie könnte ihre Tochter besuchen, die seit Jahren mit Mann und zwei Kindern in Süddeutschland wohnte. Ja, die würde sich bestimmt ein Loch in den Bauch freuen, wenn Mutti künftig alle paar Wochen antanzen würde. Wo das gute Kind es doch gerade hinbekam, zum Geburtstag anzurufen. Aber die Einsamkeit war es ja auch gar nicht, die Helga Angst machte. Nein, sie fühlte sich nicht allein, auch nicht, seit ihr Gatte vor vier Jahren das Zeitliche gesegnet hatte Helgas Miene hellte sich auf. Da, am Leipziger Turm, stand einer mitten im absoluten Halteverbot. Halb auf dem Radweg, halb auf der Fahrspur. Sie kniff die Augen zusammen und näherte sich dem Heck des Fahrzeugs. Saß da noch jemand drin? Schade, sie würde sich damit begnügen...