Goosen | So viel Zeit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Goosen So viel Zeit

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-21533-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-641-21533-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sex & Drugs & Rock 'n' Roll! Lang ist's her. Jetzt haben die vier alten Schulkumpel Konni, Thomas, Rainer und Bulle außer ihren Doppelkopfabenden kaum noch etwas gemeinsam. Das kann es doch nicht gewesen sein. Und sie fassen einen Plan: den alten Jugendtraum von der Rockband wiederbeleben. Zum 25-jährigen Abi-Treffen soll die große Party steigen.

Ein Roman voller Musik und guter Laune.

Frank Goosen, geboren 1966 in Bochum, hat sich Ruhm und Ehre als eine Hälfte des Kabarett-Duos Tresenlesen erworben. Sein Durchbruch war der Roman Liegen lernen, der lange auf den Bestsellerlisten stand und auch erfolgreich verfilmt wurde. 2003 erhielt Frank Goosen den Literaturpreis Ruhrgebiet. Mit seinen Kabarettprogrammen tourt er regelmäßig durch Deutschland. Mit dem Ruhrpott-Geschichtenband Radio Heimat gelang Frank Goosen der Sprung in die Top-10 der Bestsellerlisten.

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Früher
Im Sommer 1982 waren sie davon überzeugt, dass sie niemals sterben würden. Fünfundzwanzig Jahre später würde einer der vier verlassen auf einer Baustelle sitzen und der vermeintlichen Liebe seines Lebens nachtrauern, der Zweite würde Vater von Zwillingen sein, aber keine Frau mehr haben, der Dritte in alten Unterhosen auf einem Bett in einem billigen Loch sechshundert Kilometer weiter östlich liegen, und der Vierte könnte nachts nicht mehr schlafen. Außerdem würden sie zu fünft sein, denn fünf war die magische Zahl, um die Welt aus den Angeln zu heben und das eigene Leben zu retten, aber das konnten sie damals noch nicht wissen. 1982 waren sie zu viert, und die Sonne stand tief. Es war eine staubige, dunstige Sonne, die jenseits der zwei Kirchtürme am anderen Ende der Stadt unterging. Sie saßen auf dem Bürgersteig und ließen die Flasche kreisen. Konni wischte die Öffnung mit dem Ärmel ab und nippte nur, Rainer hatte die Augen geschlossen, Bulle trommelte einen vertrackten Rhythmus auf seinen Oberschenkeln und Ole drehte sich unendlich langsam eine Zigarette. Sie hatten sich hier zum »Vorglühen« getroffen, um nicht nüchtern auf ihrer Abiturfeier zu erscheinen. Die Brücke über die Eisenbahnschienen am Lohring lag nicht gerade auf dem Weg zur Schule, wo in der Pausenhalle bereits der Großteil der Stufe versammelt war, aber Konni wohnte hier in der Nähe, und sie waren noch nicht in der Stimmung, sich ins Getümmel zu stürzen. Rotwein als Grundlage, später würde Bier dazukommen, auch härtere Sachen. Noch vor Mitternacht würden sie betrunken sein. Außer vielleicht Konni, der sich meist etwas zurückhielt. Außerdem interessierte er sich für Michaela Borgfeld und wollte eine gute Figur machen. Die Party heute war die letzte Gelegenheit. »Sag mal«, meinte Rainer zu Ole, »willst du das Ding irgendwann mal rauchen oder im Museum ausstellen?« »Eine Zigarette ist wie ein guter Freund«, erwiderte Ole, »man sollte sich füreinander Zeit nehmen.« »Ich möchte nicht zwischen deinen dürren Fingern stundenlang hin und her gedreht werden«, sagte Bulle. »Ich kann nicht mehr sitzen«, sagte Konni, erhob sich und stampfte mit dem rechten Fuß auf. »Mein Bein ist eingeschlafen.« Er ging ein paarmal auf und ab, blieb dann vor dem Metallzaun stehen, der potentielle Selbstmörder davon abhalten sollte, sich ausgerechnet hier auf die Gleise zu werfen, und schaute in Richtung Stadt. »Findet ihr das eigentlich schön?«, fragte er, ohne sich zu den anderen umzudrehen. Bulle stand auf und stellte sich neben ihn. »Schön ist nicht das richtige Wort.« Rainer kam dazu und sagte: »Wenn man sich dran gewöhnt hat, kann man fast alles schön finden.« Ole blieb sitzen und schwieg, zündete sich aber endlich seine kunstvoll gedrehte Zigarette an. Nach ein paar Minuten der Stille sagte Konni: »Ist das nicht der Moment, in dem wir uns feierlich ewige Freundschaft schwören müssen? In dem wir uns gegenseitig sagen, dass wir uns in fünfundzwanzig Jahren hier wiedertreffen wollen, um zu sehen, was aus uns geworden ist?« Fünfundzwanzig Jahre – das war mehr als die Ewigkeit. Sie hatten gerade mal neunzehn Jahre hinter sich, und an die ersten konnten sie sich nicht mehr erinnern. Die Zukunft war der heutige Abend und der anschließende Sommer. Ole und Bulle würden ihren Zivildienst antreten, Konni und Rainer hatten sich für den Bund entschieden. »Lasst uns gehen«, sagte Ole und stand auf. Bulle, Rainer und Konni rissen sich von dem Anblick ihrer Heimatstadt los und folgten ihm zum Wagen. Ole hatte sich für den heutigen Abend den Ford Granada seines Onkels ausgeliehen. Rainer und Konni saßen hinten, Bulle auf dem Beifahrersitz. Ole schob die Kassette in den Recorder und Applaus brandete auf. Dann die ersten Töne dieses wunderbaren Orgelmotivs. Allen vieren jagte es einen Schauer über den Rücken. »Child in time« von der nicht zu überbietenden Made in Japan. Es waren immer die Live-Platten, die einen umhauten. Dieses Gefühl, dabei zu sein, wirklich das zu kriegen, was man hörte. Und diese unglaubliche Kraft. Wieso sahen Väter und Mütter nicht ein, dass man das nicht leise spielen konnte? Ole fuhr auf dem Ring noch zwei- oder dreimal um die ganze Innenstadt herum, bis die zwölf Minuten, die das Stück dauerte, um waren. Dann bog er in die Straße zur Schule ein. In acht Ohren klingelte jene Stille, die man nur genießen kann, wenn man die Nummer zuvor besonders laut gehört hat. Neun Jahre, Morgen für Morgen. Das war jetzt vorbei. Sie parkten hinten, an der Turnhalle. Es wurde bereits getanzt, wenn auch verhalten. Peter Oehlke war für die Musik zuständig, und deshalb gab es Chartfutter, Dutzendware. Gerade lief »Hurra, hurra, die Schule brennt«. Ole, Bulle, Konni und Rainer sahen sich an: Kindergartenmusik. Wieso nicht gleich Andrea Jürgens? Musik mit deutschen Texten – das ging gar nicht. Aber sie hatten Punk überstanden, sie hatten Disco überlebt – sie würden auch die Neue deutsche Welle überleben. Sie waren schon jetzt unmodern, und sie wussten es. Sie mischten sich unters Volk, unter ihre Mitschüler. Rainer fragte sich, ob er heute noch einmal das Vergnügen haben würde, mit Gisela Kaufmann zu schlafen, bevor man sich aus den Augen verlor. Konni riskierte ein paar Blicke in Richtung Michaela Borgfeld, die mit drei Freundinnen zusammenstand und ihn nicht bemerkte. Bulle holte sich ein Bier und wartete ab. Er hatte hier kein Eisen im Feuer, war solo und nicht daran interessiert, das ausgerechnet heute zu ändern. Er war hier wegen der Musik und des Alkohols und weil man all diese Leute jetzt sehr lange nicht sehen würde. Das »Festkomitee« – bestehend aus den üblichen Verdächtigen, die sich immer nach vorn drängelten, wenn es Fleißpunkte zu ergattern gab – hatte ganze Arbeit geleistet. In der ansonsten sterilen, kahlen Pausenhalle standen Sofas und Sessel herum, die Fenster waren verhängt, die Beleuchtung schummrig. Man konnte es fast gemütlich nennen. Peter Oehlke hatte eine ganz anständige Lichtorgel besorgt, und die Boxen schienen einiges auszuhalten. Nichts war so schlimm wie eine Stereoanlage, bei der nach vier Stunden Musik in Partylautstärke die Hochtöner in den Lautsprechern durchknallten oder der Verstärker aufgab. Ole setzte sich in eine Ecke, rauchte und legte die Handgelenke auf die angezogenen Knie. Er wartete. Auf Dora. Man spürte es, wenn sie da war, auch wenn man sie nicht sah. Sie veränderte die Chemie in einem Raum, die Zusammensetzung der Luft, das Licht. Auch Ole wurden entsprechende Fähigkeiten nachgesagt. Ole war cool. Für ihn war dieses Wort erfunden worden. Ihm schien egal zu sein, was um ihn herum passierte. Er drängte sich nie nach irgendetwas oder irgendwem. Er war der Prophet, und der Berg kam zu ihm, nicht umgekehrt. Er war die unumstrittene Autorität in musikalischen Angelegenheiten, in politischen Fragen und Belangen des allgemeinen Benehmens. Wenn man darum bat, sagte er einem, welche Platten gut und welche zu vernachlässigen waren; ob man auf eine Demo gehen sollte oder nicht; ob man Puma-Turnschuhe zu engen Jeans tragen konnte oder nicht. (Konnte man nicht. Adidas Allround waren die einzige Möglichkeit.) Ole und Dora waren das logische Paar. Auch wenn man sich nicht vorstellen konnte, wie sie miteinander alt würden. Man konnte sich nicht mal vorstellen, dass sie überhaupt alt würden. Ole würde noch mit siebzig seine Nato-Kampfjacke tragen, die engen Jeans und das schwarze T-Shirt. Er würde immer so hager und hohlwangig sein wie jetzt. Dora würde immer außerirdisch sein. Lange, blonde Haare, die nicht von dieser Welt waren. Ihre Nase, ihre Augen, ihre Wangenknochen, all die Details ihrer äußeren Erscheinung waren für die Ewigkeit gemacht. Sie gehörte zu den Frauen, die man sehen muss, die man nicht beschreiben kann. Es war nicht ganz klar, was zwischen Ole und Dora lief. Man sah sie zusammen reden, man sah sie, wie sie die Straße entlanggingen, oder wie sie zusammen im Auto saßen. Doch niemand hatte jemals gesehen, wie sie sich berührten. Nie wären sie auf die Idee gekommen, sich zu küssen, wenn andere zusahen. Nicht mal Bulle, Rainer und Konni hatte Ole Näheres erzählt. Dora war jetzt da. Es gab keinen Fanfarenstoß. Aus den Boxen dröhnte »Tainted Love«. Die anderen Mädchen fühlten sich hässlich, die Jungs dumm. Zeit verging. Draußen wurde es dunkel. In der Pausenhalle war es warm. Sogar Ole tanzte. Bulle hatte in die musikalische Gestaltung des Abends eingegriffen. Es lief »Starstruck« von Rainbow. Oles Bewegungen verrieten, dass er jede einzelne Note des Stückes kannte. Dora stand abseits, mit einer Flasche Bier in der Hand, und sah ihm zu. Mehr Zeit verging. Es wurde spät und später. Bulle und Rainer waren betrunken. Auch Konni hatte genug. Vor allem von sich selbst. An Michaela Borgfeld war kein Rankommen. Ole hatte eine Flasche Tequila in der Hand. Er trank das Zeug ohne Salz und ohne Zitrone. Irgendwann, endlich, saßen Ole und Dora zusammen auf einer Matratze im Schülercafé und tranken aus derselben Flasche. Dann tanzten sie eng umschlungen zu »Since I’ve been loving you«. Alle durften zusehen. Bulle trank, Konni fielen die Augen zu, Rainer knutschte mit einem Mädchen herum, das nicht auf ihrer Schule war und dessen Namen er nicht kannte. Der Hofstaat durfte nicht zu Bett gehen, solange das königliche Paar wachte. Und dann gingen sie nach draußen, Hand in Hand. »Wo wollen die hin?«, fragte Bulle. Konni öffnete die Augen. Rainer ließ ab von dem unbekannten Mädchen und...


Goosen, Frank
Frank Goosen, geboren 1966 in Bochum, hat sich Ruhm und Ehre als eine Hälfte des Kabarett-Duos Tresenlesen erworben. Sein Durchbruch war der Roman Liegen lernen, der lange auf den Bestsellerlisten stand und auch erfolgreich verfilmt wurde. 2003 erhielt Frank Goosen den Literaturpreis Ruhrgebiet. Mit seinen Kabarettprogrammen tourt er regelmäßig durch Deutschland. Mit dem Ruhrpott-Geschichtenband Radio Heimat gelang Frank Goosen der Sprung in die Top-10 der Bestsellerlisten.



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