Goosen | Weil Samstag ist | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Goosen Weil Samstag ist

Fußballgeschichten
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-21502-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Fußballgeschichten

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-641-21502-6
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wieso gehst du ins Stadion? – Weil Samstach is!»Wir im Ruhrgebiet gehen nicht ins Stadion, um uns zu amüsieren. Wir gehen da hin, um uns aufzuregen. Beispiel? Jedes Jahr wieder ist das erste Heimspiel der neuen Spielzeit gerade mal fünf Minuten alt, da brüllt der Mann in der Reihe vor mir zum ersten Mal: ›DAT ISS DOCH DIESELBE SCHEISSE WIE INNER LETZTEN SÄSONG!!!‹« Die schönsten Fußballgeschichten vom literarischen Großmeister des runden Leders.Vom Vorsitz der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur zum Fußballbuch des Jahres nominiert.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Grundlagen
I
Wieso Fußball?
Ich stelle mir das so vor: Menschen, die Briefmarken sammeln, Modellflugzeuge bauen oder Turniertanz betreiben, sitzen an einem ereignisarmen Sonntagnachmittag sinnend auf ihrem Wohnzimmersofa und fragen sich: »Wo bin ich in meinem Leben falsch abgebogen?« So eine Frage stellt sich ein Fußballfan überhaupt nicht. Fragen Sie bei uns in der Gegend einen Fußballfan: »Wieso gehst du ins Stadion?«, antwortet der nur: »Watt?« Der versteht die Frage überhaupt nicht. »Wieso gehst du zum Fußball?« »Is doch Samstach!« Fußball ist uns zwischen Duisburg und Unna, zwischen Recklinghausen und Hattingen ins Genom übergegangen, unsere Doppelhelix besteht nicht aus Aminosäuresequenzen, sondern aus echtem Leder. Legt ein werdender Vater die Hand auf den Bauch seiner hochschwangeren Frau und spürt den Tritt des Thronfolgers, kann er nicht anders, er sagt: »Kumma, der flankt!« Und kaum bist du aus dem Bauch raus, bestimmt Fußball über deinen Platz im sozialen Gefüge. Bei uns war das so: Spüli, Pommes, Mücke und ich trafen uns zum Pöhlen zunächst auf den Grundstücken zwischen den Mietskasernen in Stahlhausen, dem »Blaubuxenviertel«, wobei korrodierende Teppichstangen als Tore dienten. Fragten wir unterwegs jemanden, ob er mitspielen wolle, und der sagte: »Nee, ich interessier mich nicht für Fußball«, knallte Mücke ihm vor den Latz: »Wie, du willz nich pöhlen? Bis du schwul oderwas?« Als sich dann Jahre später herausstellte, dass unser Freund Hans Jürgen Spülberger, genannt »Spüli«, tatsächlich lieber auf der anderen Seite des Hügels graste, sah Mücke sich nachträglich bestätigt: »Wundert mich nicht! Wenn der am Ball war, hat der Ball geweint!« Irgendwann wechselten wir auf die Wiese vor der Schule am Springerplatz. Die Mannschaften wurden zusammengestellt, indem die beiden Jungs mit der größten Klappe – also ich und ein anderer – immer einen Fuß vor den anderen setzend aufeinander zugingen, wobei die Hacke die Spitze berühren musste. Der, dessen Fuß am Ende gerade noch in die Lücke passte, durfte den ersten Spieler auswählen. Das hieß »Pisspott«, und zwar, weil der eine bei jedem Schritt »Piss« sagte und der andere »Pott« antwortete. Bei der Aufstellung bevorzugt wurden technisch versierte »Fummler«, die zwar oft sehr eigensinnig, also wenig mannschaftsdienlichspielten, dafür aber Erfolgversprachen. Und da wir deutsche Jungs beim Fußball waren, stand Erfolg bei uns immer höher im Kurs als so etwas Mädchenhaftes wie »Spaß«. Am Ende blieben immer ein oder zwei Jungs übrig, mit denen schon auf dem Schulhof keiner spielen wollte. Solche Typen, die auch noch den obersten Hemdknopf zumachten und selbst im Sommer Pullunder trugen. Dummerweise gehörte meistens einem von denen der Ball. Ich stand bei diesen Spielen gern im Tor, weil man da nicht so viel rennen musste. Außerdem hatte ich nichts dagegen, mich »zu schmeißen«, also panthergleich noch hinter jedem aussichtslos erscheinenden Ball hinterherzuhechten. Denn ich gehörte zu den Kindern, die sich dreckig machen durften. Andere Mütter waren sauer, wenn ihre Blagen schlammverkrustet und mit dicken Grasflecken auf den Hosen nach Hause kamen. Wenn ich hingegen vom Spiel nicht genug gezeichnet war, schickte meine Mutter mich zurück auf die Wiese! Ich hatte schon ziemlich früh einen langfristigen Ausrüstervertrag abgeschlossen – mit meiner Omma. Zum Geburtstag und zu Weihnachten gab es regelmäßig die neuesten Trikots, Schuhe und Handschuhe. Auch wenn sich Omma dabei nicht so richtig auskannte. Einmal stand sie im Sporthaus Koch und ließ sich diverse Modelle von Torwarthandschuhen vorführen, wobei ihr die Verkäuferin ein Paar besonders ans Herz legte: »Das sind die besten. Die sind von Kleff!« Darauf meine Omma: »Von welcher Firma die sind, ist doch egal!« Und auch später, auf dem Gymnasium, war eine Eins im Vokabeltest ein nutzloser Scheiß, wenn man nicht in der Lage war, den Elfer gegen die Penner aus der Quarta B zu versenken. In den Achtzigern ließ das etwas nach. Man wandte sich alternativen Betätigungsfeldern zu, experimentierte mit Drogen, Alkohol und schmalen, pastellfarbenen Lederkrawatten zu ebenfalls pastellfarbenen Polo-Shirts, probierte universitäre Bildung, intelligente Romane und schlagfertige Frauen, meinte, sich eine ironische Distanz zu seinen tieferen Bedürfnissen ebenso wie zu seiner Herkunft auferlegen zu müssen, und kehrte nach Mauerfall, Heirat, Börsencrash und Vaterschaft wieder dorthin zurück, wo maßgebend is: auffen Platz. Weil der Platz die Birne frei macht. Viele belastende Fragen kommen überhaupt nicht mehr vor, zum Beispiel: Darf meine Mannschaft gewinnen, auch wenn sie 89 Minuten über den Platz gestolpert ist wie eine Horde Einbeiniger und dann Sekunden vor dem Abpfiff, aus klarer Abseitsposition und nach grobem Foulspiel, die entscheidende Bude macht? Sie darf nicht gewinnen, sie muss! Glück is mit die Doofen, und wenn die Doofen unsere Doofen sind, ist es kein Glück mehr, sondern die bessere Spielanlage! Wir im Ruhrgebiet gehen auch nicht ins Stadion, um uns zu amüsieren. Wir gehen da hin, um uns aufzuregen! Beispiel? Jedes Jahr wieder: Das erste Heimspiel der neuen Spielzeit ist gerade mal fünf Minuten alt, noch ist nichts passiert, da brüllt der Mann vor mir zum ersten Mal: »DATIS DOCH DIESELBE SCHEISSE WIE IN DER LETZTEN SÄSONG!« In dieser Lautstärke und in diesem Tonfall redet der auch mit seinem Sitznachbarn: »ICH GEH MA PISSEN!« Und der: »BRING MIR EINS MIT!« Aufs Klo gehen, ohne Bier mitzubringen, das geht natürlich nicht. Auch die eigenen Spieler stehen nicht außerhalb der Kritik. Erst neulich, als einer unserer Mittelfeldspieler erfolglos versuchte, einen Ball zu erlaufen, sprang der Orthopäde hinter mir auf und schrie: »SO GEHT MEINE OMMA BRÖTCHEN HOLEN!« Daraufhin drehte sich der Steuerberater neben mir um und sagte: »Deiner Omma geht es aber nicht gut, was?« Der echte Fan muss leiden. Und meine Mannschaft, der VfL Bochum, sagt sich immer wieder: Wir geben den Leuten, was sie brauchen! Man muss die Täler durchschritten haben, um die Gipfel wirklich schätzen zu können, und in diesem Sinne hat der FC Bayern keine Fans, sondern nur Zuschauer. Und wenn meine Frau mich fragt, ob ich mir für den unwahrscheinlichen Fall eines Abstiegs wieder eine Dauerkarte zulegen würde, tut sie das nur, weil sie mich so gerne zurückfragen hört: »Watt?« Frühe Führung
Meine erste Erinnerung an Fußball ist eine Autofahrt. Ich saß auf der riesigen Rückbank des dunkelgrünen Mercedes 190, den meine Eltern sich eigentlich nicht leisten konnten, in Erwartung einer glorreichen Zukunft aber trotzdem angeschafft hatten, und wir fuhren die Castroper Straße in Bochum hinauf. Ich meine mich daran zu erinnern, dass die Straße voller Männer war, dass wir meinen Vater am Stadion aussteigen ließen und er die Straße überquerte, ohne sich umzuschauen. Mehr als zwei Jahrzehnte später haben wir versucht zu rekonstruieren, zu welchem Spiel mein Vater an diesem Tag ging, und kamen zu dem Ergebnis, es müsse das Halbfinale im DFB-Pokal am 15. Mai 1968 gewesen sein, das der VfL vor 40 000 begeisterten Zuschauern, die sogar auf den Laufbahnen rund um das Feld und bis einen Meter hinter den Toren saßen, mit 2:1 gewann und als erster Regionalligist ins Finale einzog. Das kann aber eigentlich nicht sein, zwei Wochen später wurde ich gerade mal zwei Jahre alt, und dass man sich derart genau an einen Tag so früh in meinem Leben erinnern kann, wird im Allgemeinen als unwahrscheinlich erachtet. Egal, jedenfalls hat sich irgendwann in frühester Kindheit dieses Bild in mir festgesetzt: Männer auf dem Weg zum Stadion. Wann ich nach dieser ominösen Autofahrt wieder mit Fußball in Berührung kam, weiß ich nicht mehr genau. Keine Erinnerungen habe ich an etwaige Nachtübertragungen der WM 1970 in Mexiko, und auch die EM 1972, die eine der besten deutschen Nationalmannschaften aller Zeiten erlebte, ist bei mir ein weißer Fleck. Ich bekam nichts mit vom Aufstieg des VfL in die Bundesliga, den Hans Walitza mit herausgeschossen hatte, um dann nach Nürnberg verkauft zu werden. Der Name aber war damals virulent bei uns. »Der schöne Hans«, sagte meine Omma immer. Und mein Oppa: »Der pinkelt auch kein Gold!« So was sagte er immer, wenn ihm die Heldenverehrung meiner Omma auf die Nerven ging. Die ersten Bundesliga-Jahre meines natürlichen Lieblingsvereins rauschten an mir vorbei. Wie gern würde ich sagen können, ich sei einer der 29 000 gewesen, die im ersten Bundesligaspiel am 14. August 1971 den 1:0-Sieg durch ein Tor von Hannes Hartl bejubelt haben, aber wahrscheinlich habe ich nur zu Hause am Fenster gesessen und Autos gezählt. Einigermaßen deutlich habe ich die WM 1974 in Erinnerung. Nicht zuletzt deshalb, weil ich bald danach mein erstes WM-Buch geschenkt bekam, das mir beim Nachbereiten half. Halb totgelacht habe ich mich über das Bild aus dem Spiel gegen Schweden, wo Georg Schwarzenbeck von einem Schweden mit dem Finger am Hosenbund festgehalten wurde. Oder hat er selber festgehalten? Das Buch ist leider verschollen. Selbstredend hat sich mir auch die Wasserschlacht von Frankfurt eingebrannt, wo man mit dicken Walzen versuchte, das Wasser wieder aus dem Rasen zu drücken, nachdem es sintflutartig geregnet hatte. Auch das Spiel gegen die DDR spukt noch bei mir im Kopf herum, und dass mein Vater es nicht fassen konnte, mein Oppa aber noch weniger. Und mit Oppa und Omma habe ich dann auch das Finale gesehen. Keine Ahnung,...


Goosen, Frank
Frank Goosen, geboren 1966 in Bochum, hat sich Ruhm und Ehre als eine Hälfte des Kabarett-Duos Tresenlesen erworben. Sein Durchbruch war der Roman Liegen lernen, der lange auf den Bestsellerlisten stand und auch erfolgreich verfilmt wurde. 2003 erhielt Frank Goosen den Literaturpreis Ruhrgebiet. Mit seinen Kabarettprogrammen tourt er regelmäßig durch Deutschland. Mit dem Ruhrpott-Geschichtenband Radio Heimat gelang Frank Goosen der Sprung in die Top-10 der Bestsellerlisten.



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