Graf / Sievert Fernseharbeit
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-89581-298-9
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gespräche mit Johannes F. Sievert
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-89581-298-9
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Welche Entscheidungen - kreativer, praktischer, technischerund finanzieller Art - machen einen Film zu dem, was er ist? Johannes Sievert dokumentiert am Beispiel von Dominik Grafs "Im Angesicht des Verbrechens" die Entstehung und dieverschiedenen Stadien einer Filmserie. Texte und Interviews von und mit Dominik Graf und den maßgeblich an der Serie beteiligten Mitarbeitern, Redakteuren und Producern, dem Kameramann, dem Ausstatter, der Cutterin, den Komponisten und den Schauspielern geben Einblicke in die komplexen Abläufe und Zusammenhänge einer Film- und Fernseharbeit in Deutschland.
Ergänzt wird der Band u.a. durch eine Filmografie und ein Glossar mit den wichtigsten fimtechnischen Fachbegriffen.
Weitere Infos & Material
2 WEGE ZUM FILM – WERDEGANG Kommen wir zu deinem Background. Aufgewachsen bist du in einem Schauspielerhaushalt … Ja, beide Eltern waren Theaterschauspieler. Meine Mutter Selma Urfer betätigte sich erfolgreich als Kabarettistin und arbeitete später auch als Schriftstellerin. Sie kommt selbst sozusagen aus der gutbürgerlichen deutschen Hochkultur. Ihr Urgroßvater Karl Gutzkow lebte als Schriftsteller und Journalist in der Epoche Junges Deutschland/Biedermeier/Vormärz und starb 1878 in Frankfurt/Main bei einem durch eine Zigarette im Bett ausgelösten Schwelbrand. Mein Vater Robert Graf war in den Fünfzigern, Sechzigern einer der bekanntesten westdeutschen Schauspieler. In diesem Klima herrschte zu Hause ein gewisser Snobismus dem Kino gegenüber. Die Filme, in denen mein Vater in den Fünfzigern und Sechzigern mitspielte – die bekanntesten Wir Wunderkinder, Buddenbrooks, Jonas, Das schöne Abenteuer –, verschärften zu Haus noch den Eindruck, daß Film, selbst als Kunstform, gegen die wirklich hohe Literatur nicht im geringsten ankommt. Und Actionfilme wurden eher als eine Art teurer Spielplatz für pubertierenden Schwachsinn angesehen. (Action, als Genre, gab es damals ja noch gar nicht, es gab Kriegsfilme, Thriller, Western.) Obwohl mein Vater eine Rolle neben Steve McQueen in John Sturges’ The Great Escape (Gesprengte Ketten) bekommen hatte und jeden Tag fasziniert von den Motorradkünsten McQueens zu Hause erzählte, hatte er im Krieg genug erlebt – er war schwer verletzt zurückgekommen und zeitlebens behindert –, um Kriegsspiele jeder Art im Kino nicht mehr so richtig amüsant finden zu können. Hat dich etwas von dem, was dein Vater gespielt hat, gefesselt? Mich hat die Tatsache seiner Berühmtheit, seines Starruhms, als Kind fasziniert. Jeder kannte und erkannte ihn, auch wildfremde Leute auf der Straße. Die Kinofilme waren Hits, das Fernsehen war jung, und alle sahen das einzige Abendprogramm der ARD. Die Journalisten drängten ihn zu Homestorys, in deren Fotos wir alle in unserem wunderschönen Flachdachhaus posierten wie bestellt und nicht abgeholt. Es gab große Feste bei uns, das Haus gehörte zum Münchner Kulturleben der Nachkriegszeit. Neben seinen Spielfilmen war er auf der Bühne und im Fernsehen der zerrissene Held vieler radikal moderner Stücke. Er spielte an den Münchner Kammerspielen seltener in Klassikern, sondern eher in Stücken von Jean Anouilh, Heinar Kipphardt, Thornton Wilder usw. – damalige Avantgarde-Autoren, die heute fast aus dem Bewußtsein verschwunden sind. Sein Spielstil hat mich schon immer fasziniert, egal ob in todernsten Dokumentar-TV-Spielen oder in sehr entspannten Kurt-Hoffmann-Lustspielen wie Das schöne Abenteuer. Er war sachlich, er wirkte völlig unpathetisch, fast nur auf die Sprache konzentriert. Und ich finde, man sieht, daß unter der scheinbar unkörperlichen Zurückgenommenheit seines Spiels die Tragödie seiner ganzen Generation schimmert. Warst du bei Proben deiner Eltern am Theater dabei? Als kleines Kind manchmal ja. Auch bei den Aufführungen abends. Meine Mutter spielte im Münchner Kabarett »Die Zwiebel« – auch sehr keck und fortschrittlich. Mein Vater spielte bis kurz vor seinem Tod an den Kammerspielen. Die Nähe zum Theater hat aber keine große Freude daran bei mir hinterlassen, eher die Erinnerung an das Geräusch von Schritten auf Holz, Brettern, laute Bühnensprache, an Staub und an den Geruch von Garderoben und riesigen Requisitenhallen. Ein gewisser »Muff«. Waren die Filme und Stücke Thema zu Hause? Ich denke z. B. an The Great Escape… Bei The Great Escape drehten sie das Gefangenenlager in Dachau, und er war häufig zum Mittagessen zu Hause – in seiner deutschen Bewacheruniform – und erzählte, wie gesagt, von McQueens Motorradkünsten. Der probte neben dem Drehen wochenlang für seinen tollen Stuntsprung über den Zaun. Die Faszination meines Vaters rührte mich, das weiß ich noch, denn sein linker Arm war ja seit einem Durchschuß mit Dumdumgeschoß kaum noch bewegungsfähig – und sein glühender Blick auf McQueen wirkte auf mich ein wenig wie der Blick eines versehrten Kindes, das nicht mitspielen kann. Dein Vater ist sehr früh gestorben, 1966 mit 43 Jahren. Ich habe zu meinem Vater aufgeschaut. Sein Tod nach längerer böser Krankheit mit mehreren Kapiteln war in jeder Hinsicht für uns alle eine Katastrophe. Meine beiden Schwestern waren noch sehr klein, ich war dreizehn Jahre alt. Das Haus, in dem wir lebten, wurde verkauft, ich kam ins Internat. Zunächst in eine ziemlich unangenehm autoritäre Staatsschule im Allgäu. Dort flog ich raus. Ich glaube, ich war stolz darauf. Ich kam dann auf ein teures Schloßinternat, um das Abitur doch noch irgendwie zu schaffen. Das war aber dort ein Glücksfall für mich. Wunderbare Lehrer und Freunde. Die Atmosphäre war gewissermaßen inkonsequent antiautoritär, sehr viel Lebensfreude. Meine Mutter hat viel für Zeitungen geschrieben, sie hat eine Weile beim BR als Dramaturgin gearbeitet, sie hat die angeschlagenen Familienfinanzen sehr tapfer verwaltet. Die ersten Jahre nach dem Tod meines Vaters waren eine schwere Zeit. Aber ich bin mit Einsamkeit schon immer ganz gut klargekommen. Ich hatte dann allmählich auch die Musik für mich gefunden, ich fing irgendwann an, Lieder auf dem Klavier zu komponieren. Und ich hatte ja immer die lebenswichtige Literatur, die ich von meiner Mutter mitbekommen hatte: Joseph Conrad, Thomas Mann, später Henry James, Proust … Ich fühlte mich jedenfalls nie allein. Und irgendwann hatte ich dann auch ein ganz eigenes, anderes Leben. Ich habe die Erinnerungen an meinen Vater nach der Pubertät eine lange Weile gut in mir verschließen können, glaube ich. Erst Denk ich an Deutschland – Das Wispern im Berg der Dinge, der Film, den ich 1996 mit Michael Althen über ihn gemacht habe, hat mich wieder wie mit einer Schnur an einer Art Karabinerhaken mit ihm verbunden. Und prompt spielte kurz darauf Deine besten Jahre auch in einem Haus, das dem meiner Familie fast aufs Haar glich. Mein Vater sagte in den letzten Jahren immer wieder, er wolle sich nicht mehr »zum Affen machen«. Er mochte seinen Beruf als Schauspieler nicht mehr, er wollte Regisseur werden … Und er ist mir – nicht nur deswegen – heute präsenter denn je. Was waren deine Einflüsse während der Filmschule? Dort habe ich die Leute kennengelernt, die mir wirklich etwas beigebracht haben: Bernd Schwamm, der Autor, der Schimanski- und Fahnder-Erfinder. Helge Weindler, der Neonlicht-Kameramann des deutschen Films, der mich gelehrt hat, was Bilder überhaupt sind, was Stil sein könnte und was Professionalität sein muß. Michael Hild, Student im ersten Kurs der Münchner Schule (Tagebuch des Verführers), gnadenloser Kritiker meiner allerersten Filmchen (Sein Kommentar zu meinem prämierten Abschlußfilm: »Völlig o.k., aber total langweilig.«) und später Produzent fast aller meiner Filme in der Bavaria. Es herrschte an der Schule eine Tendenz zum betont nüchternen Erzählstil vor, die ich – nachdem ich diesen Stil endlich halbwegs kapiert hatte – sehr gerne aufgenommen habe. Ein Understatement in den Mitteln der Erzählung. Klarheit, Neonlicht, gute Dialoge statt großer Bilder, oft auch Ironie. Hat das heute für dich immer noch Bedeutung: das Understatement, das Neonlicht – ein Synonym für deine Erzählhaltung? Im Prinzip schon. Die Ästhetik der HFF war für mich lange ohne Alternative. Der überquellende Manierismus der Genies der Endsechziger, Anfangsiebziger, also Bertolucci, Losey, Fassbinder, Roeg, Cammell und all diese sinnlichen Dekonstruktivisten, die das Kino quasi auseinandergenommen haben – all das hatte sich an der Münchner Schule stilistisch in direkten Widerspruch verwandelt. Die Bilder der Filme von Wenders, Hild, Matthias Weiss (Blue Velvet) waren ganz schlicht, ganz klar: lange, unbewegte, dokumentierende Einstellungen oder Autofahrten. Die Ästhetik der Filme sollte eine Art Suche nach dem verlorengegangenen Ursprung von Film sein. Die Säulenheiligen an der Schule waren gewissermaßen die Brüder Lumière und im inszenierten Tonfilm allen voran Howard Hawks und John Ford. Großteils wurde bei uns noch in Schwarzweiß gedreht – und nicht nur deshalb, weil es damals billiger war, sondern weil Schwarzweißfilme purer, wahrhaftiger erschienen. Arte povera sozusagen. Im Grunde war die damalige ›Münchner Schule‹ so etwas wie heute die ›Berliner Schule‹ – notwendig radikal, puristisch und keinen Widerspruch duldend. Trotzdem mußte diesem seltsamen experimentellen Konservativismus dann auch gleich wieder etwas entgegengehalten werden. Denn das Kino war ja in Wirklichkeit schon viel weiter, es konnte nicht mehr eine Unschuld der Bilder behaupten, die es nicht mehr gab. Und so ergab sich bei uns, die wir den Wenders und Hilds nachkamen (in meiner Klasse waren beispielsweise noch Max Färberböck, Wolfgang Büld), zwar immer noch eine Art...