E-Book, Deutsch, 287 Seiten
Greving / Schäper Heilpädagogische Konzepte und Methoden
2. erweiterte und überarbeitete Auflage 2020
ISBN: 978-3-17-035563-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Orientierungswissen für die Praxis
E-Book, Deutsch, 287 Seiten
ISBN: 978-3-17-035563-7
Verlag: Kohlhammer
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Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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1 Heilpädagogisches Handeln in kontingenten Handlungsfeldern
Heinrich Greving
In diesem Beitrag wird das heilpädagogische Handeln im Anschluss an die Arbeiten von Dieter Gröschke thematisiert und in Bezug auf kontingente Handlungsfelder, das heißt also Handlungsfelder, welche sich a priori mit Grenzen und Grenzerfahrungen beschäftigen, übertragen bzw. spezifiziert. Die theoretischen Begründungen zu diesem heilpädagogischen Handeln wurden von Gröschke vor allem in folgenden Werken entwickelt und dargelegt: • Praxiskonzepte der Heilpädagogik (1997, 2. Auflage). München/Basel • Heilpädagogisches Handeln. Eine Pragmatik der Heilpädagogik (2008). Bad Heilbrunn • Arbeit, Behinderung, Teilhabe. Anthropologische, ethische und gesellschaftliche Bezüge (2011). Bad Heilbrunn Dieter Gröschke spannt in diesen drei Werken den Bogen von einer Präzisierung und Spezifizierung der Praxiskonzepte der Heilpädagogik über die Darstellung einer Pragmatik der Heilpädagogik hin zu anthropologischen, ethischen und sozial-politischen und gesellschaftskritischen Bezügen im Kontext von Behinderung, Inklusion und Teilhabe mit der Spezifikation des Lebensbereichs Arbeit – ein heilpädagogisches Handlungsfeld, das immer einmal wieder gerne vergessen wird, so dass die Spezifizierung dieses Themenfeldes sehr relevant ist. Im weiteren Verlauf dieser Einleitung zu den dann folgenden vier Unterpunkten sollen die grundlegenden Annahmen von Gröschke zu Praxiskonzepten, zu heilpädagogischen Handlungen sowie zur Orientierung an anthropologischen und ethischen Grundlagen in Bezug auf Behinderung und Teilhabe skizziert werden. Dass dieses in der Tat nur eine Skizze sein kann, versteht sich beim Umfang eines solchen Beitrages von selbst und muss nicht weiter ausgeführt werden. Eine kurze Einleitung in Konzepte und Pragmatik der Heilpädagogik
In seinem Grundlagenwerk zu den Praxiskonzepten der Heilpädagogik beschreibt Gröschke vor dem Hintergrund einer Strukturdiskussion zur Heilpädagogik historische und systematische Dimensionen (vgl. Gröschke 1997, 62 ff.). Nachdem er sich unmissverständlich für die Heilpädagogik als den Leitbegriff im Rahmen der sog. Behindertenhilfe ausgesprochen hat, entscheidet er sich, interdisziplinär begründet und geleitet, dazu, Heilpädagogik im Rahmen einer Handlungstheorie, so wie diese von Habermas grundgelegt worden ist, zu differenzieren: »Zwischen Systemtheorie und Handlungstheorie (Luhmann versus Habermas) entscheide ich mich für letztere. Die praktische Vernunft der Systemtheorie ist meist nicht mehr als eine technologisch halbierte Systemrationalität, in der das Leben des Einzelnen keine besondere Rolle mehr spielt. Ihren technomorphen Konnotationen kann auch die pädagogische Systemtheorie nicht ganz entkommen … Ein personalistisches – und damit in gewisser Weise substanz-philosophisch fundiertes – Verständnis von Heilpädagogik widerspricht einem bloßen Systemfunktionalismus beliebig wählbarer Teilelemente, auch wenn der heuristische Ordnungsgewinn der Systemtheorie noch so groß sein mag« (Gröschke 1997, 67). Diese deutliche Entscheidung für eine Handlungstheorie im Kontext der Habermasschen Begründungsmuster zieht sich durch nahezu alle Veröffentlichungen von Dieter Gröschke – auch wenn er in der Publikation von 2011 eine Annäherung zu systemischen Gedanken im Rahmen der Inklusionsdebatte sehr wohl vornimmt – aber hierzu später mehr. Die Beschreibung heilpädagogischer Praxiskonzepte orientiert sich somit stringent an einer geisteswissenschaftlichen Begründungslinie: Von dieser ausgehend und auf diese zurückzielend fundiert Gröschke die pädagogischen Strukturelemente sowie die Begründungszusammenhänge und Begründungskontexte der Praxiskonzepte, so wie diese in der Heilpädagogik als relevant erscheinen. Dieses »hermeneutisch-pragmatische Konzept« (Gröschke 1997, 105) legt schon in dieser ersten Auseinandersetzung mit den Praxiskonzepten in der Heilpädagogik die Basis für die pragmatischen Orientierungen, welche in den folgenden Jahren von ihm weiter bearbeitet und differenziert werden. Vor diesem Hintergrund entwickelt er eine Konzeptbegründung in der Heilpädagogik und für diese, so wie sie nach wie vor zielführend ist. Hierzu Gröschke ausführlich: »Konzepte, wie ich sie hier verstehe, als Brücken zwischen (wertabstinenter) allgemeiner Theorie und wertgeleiteter konkreter Berufspraxis, bilden eine Einheit von an Personen gebundenen Kognitionen (Fachwissen), wertenden Stellungnahmen (›Gewissen‹), Motiven (Absichten, Zielen) und Interaktionsbeziehungen zwischen mindestens zwei Personen. Diese beiden Personen sind nicht beliebig austauschbar; vielmehr ist das Handlungsergebnis (Zielkomponente des Konzepts) wesentlich von der ›Stimmigkeit‹ des Passungsverhältnisses zwischen Person und Konzept (›Authentizität‹) abhängig. Konzepte haben von daher einen anderen Stellenwert als (sozial-) technologische Regeln. Im Begriff von ›Konzept‹ geht es in erster Linie um die Klärung der personenbezogenen Ziele und Inhalte heilpädagogischen Handelns unter den konkreten Bedingungen der Alltagspraxis, dann erst um methodisch-didaktische Einzelschritte ihrer Anwendung in einer einzelnen Handlungssituation. Eine Zentrierung auf die Ziele und Inhalte des eigenen professionellen Handelns statt auf methodisch-verfahrenstechnische Aspekte (Praktiken, Techniken) bewahrt das fachliche Handeln vor blindem Aktionismus oder kurzschlüssigem Praktizismus/Technizismus« (Gröschke 1997, 115/116). In dieser umfassenden Definition von Konzept(en) entsteht ein Handlungsmodell, welches in der Lage ist, die Brücke zu schlagen zwischen theoretischen Begründungen, konzeptionellen Ausdifferenzierungen und pragmatischen Handlungen – immer in Bezug auf ein Gegenüber, auf ein Du. Des Weiteren sind diese Konzepte geleitet von einer aktiven Auseinandersetzung mit einem ethisch und moralisch begründeten und differenzierten Menschenbild, von Alltagsnähe und einem sozialen und integrativen Anspruch (vgl. Gröschke 1997, 116). Diese Ausprägung einer Praxiskonzeption zielt somit immer auf ein Handlungsmuster, bzw. auf Handlungen, welche grundlegend an ein Dasein in Welt, besser: an ein Dasein in einer eigenen Verfasstheit und Betrachtung von Welt gebunden sind. Diese Welt wird von Gröschke dann im weiteren Kontext sehr deutlich als Praxis, als Berufspraxis gekennzeichnet. In und mit dieser äußert und entäußert der konzeptionell tätige Heilpädagoge dann seine Handlungen. Gröschke begründet diese Handlungen damit, dass er Grundphänomene der personalen Existenz beschreibt, diese sind das Fundament heilpädagogischer Konzepte (vgl. Gröschke 1997, 185 ff.). Zu diesen Grundphänomenen gehören, aus der Perspektive eines phänomenologischen Begründungskontextes und Ansatzes heraus, die Leiblichkeit, die Bewegung, die Entwicklung, das Spielen, das Lernen sowie die Sprachlichkeit und die Tätigkeit – bei letzterer verweist Gröschke auf kritisch-materialistische Begründungskontexte und bindet diese in seine geisteswissenschaftlichen, handlungstheoriebezogenen Begründungen ein. Aus diesen Grundphänomenen bzw. aus seiner handlungstheoretischen Begründung der Praxiskonzepte entwickelt er dann eine Systematik heilpädagogischer Konzepte, in und mit welchen dann Methoden konkretisiert werden können. Auch hierbei distanziert er sich deutlich von Handlungsformen, welche eher technokratisch orientiert sind: »Die Methodenfrage in der Heilpädagogik eröffnet … ein Spannungsfeld von kommunikativen und strategisch-instrumentellen Handlungsformen, das auch ethisch sehr brisant ist … Dieses immanente Spannungsverhältnis zwischen Kommunikation und Nützlichkeit spitzt sich in dem Maße zu, wie heilpädagogisches Handeln heute verstärkt genötigt ist, sich als nützlich (zum Beispiel kostengünstig) und erfolgreich auszuweisen« (Gröschke 1997, 264). Schon in seiner ersten Begründung einer Praxiskonzeption für die Heilpädagogik nimmt er also Themenstellungen auf, welche aktuell im Rahmen einer Ökonomisierungsdebatte in der Heilpädagogik als höchst relevant erscheinen. Vor dem Hintergrund des Leitkonzeptes der Entwicklungsförderung entwickelt er dann unterschiedliche Schwerpunkte, welche wiederum die Grundphänomene der Personalexistenz (so wie sie oben skizziert worden ist) aufnehmen. Aus dem Schwerpunkt der Leiblichkeit leitet er so die Förderpflege und die Basale Aktivierung, ab aus dem Schwerpunkt der Bewegung die...