E-Book, Deutsch, 132 Seiten
Griesbach Haller 18 - Weihnachten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95765-833-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 132 Seiten
ISBN: 978-3-95765-833-3
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weihnachten ist für viele Menschen eine besondere Zeit. Auch die HALLER-Weihnachtsausgabe ist thematisch etwas Besonderes; sie vereint Geschichten und Bilder rund um das Fest, ohne es zu verklären. Gleich zu Anfang taucht Jesus auf, es entstehen Dissonanzen, es werden ganz unterschiedliche Konzerte gegeben. Es wird von Weihnachten zu Kriegszeiten erzählt und es gibt mehr Alkohol als sonst - in diesem Fall Whisky - und unter der Blautanne erscheinen nicht all diejenigen, mit denen man gerechnet hat. Ein bisschen in die galaktische Zukunft wird auch geblickt, es gibt tragische, todtraurige Erzählungen und ein bisschen Kitsch. Die eine oder andere wahre Episode, ein kleiner Diebstahl, und schließlich wird klar, dass uralte Traditionen irgendwann nicht mehr fortgeführt werden, dass neue, überraschende Begegnungen an Weihnachten etwas Zauber in ein tristes Treppenhaus bringen können. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine wunderbare Zeit, lassen Sie sich von den verschiedensten Charakteren Gesellschaft leisten, die die folgenden Geschichten zum Leben erwecken. Frohe Weihnachten!
Die Herausgeberin: Corinna Griesbach, geboren 1967 in Marbella, Spanien, lebt und arbeitet in der Eifel als Autorin, Herausgeberin, Rezensentin. 2018 erschien ihr Science-Fiction-Roman: 'DAS PRINZIP DER MITTELMÄSSIGKEIT'.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Maiken Brathe: Den Weihnachtsmann gibt es doch gar nicht!
Wäre Luzifer bei Instagram angemeldet gewesen, er hätte an diesem Tag jede Menge neue virtuelle Abonnenten gewonnen. Böse Zungen würden behaupten, der Teufel habe bereits Freunde genug, aber wer das Christkind vor dem Tod bewahrt, der hat auch ein bisschen mediale Aufmerksamkeit verdient. Dabei weiß heutzutage kaum noch ein Mensch, wer das Christkind überhaupt war, nachdem es erwachsen wurde. Niemand sprach mehr von der frühkindlichen Vergangenheit des Mannes aus Nazareth, dem Sohn des Zimmermanns oder (das hat sich bis heute durchgesetzt), von Jesus Christus. Die Ewigkeit kann eine verdammt lange Angelegenheit sein und so beschloss eines Tages das Christkind, alias Jesus, seinen alten Wirkungsort, die Erde, zu besuchen. Er wollte sehen, wofür er seinerzeit gestorben war. Ambivalente Gefühle quälten ihn, schließlich waren seine Erlebnisse mit den Menschen durch Hochs und Tiefs geprägt, auch wenn sein letztes Tief hoch am Kreuz endete. Anstatt Gott um Rat zu fragen, tat Jesus das, was fast alle Söhne tun, die nicht immer mit dem für sie väterlich vorgedachten Lebensweg einverstanden sind: Er ging einfach fort, ohne zu wissen, wo er die Welt erneut betreten würde. Vielleicht lag es an den unzähligen Lichtern der Weihnachtsdekoration, die wie eine Landebahn Signale in den Himmel strahlten, oder es war eine Nebenwirkung des Elektrosmogs, aber vielleicht war es auch einfach Gottes Fügung, dass Jesus an einem kalten Dezembertag, als noch niemand das Wort Lockdown kannte, mitten in einem großstädtischen Einkaufszentrum auf der Erde landete und noch dazu zur allerbesten Stoßzeit der Einkaufswütigen. Die Menschen eilten an ihm vorbei, die Arme und Hände voller Taschen und Tüten. Die Luft war stickig heiß und Jesus froh, sein Leinenhemd zu tragen, das ihm um die blanken Knöchel eine kühlende Brise bescherte. Er betrachtete die Ware in den dekorierten Verkaufsregalen, die meist frohlockende Sonderkonditionen zu engelsgleichen Preisen versprach, und Jesus fragte sich, ob ein preisender Engel sich gerne mit einer Espressomaschine vergleichen ließe, die doch eher röchelte als frohlockte. Die Rolltreppe brachte den Sohn Gottes in eine andere Abteilung, und er musste aufpassen, dass er mit seinen Sandalenriemchen nicht an den Metallschienen der Stufen hängen blieb. Oben angekommen zog jemand an seinem Leinenkleid. Ein kleiner Junge ließ seine Hand sinken und sah von unten zu ihm auf. »Bist du ein Terrorist?«, fragte er und steckte seine Finger in den Mund. Die Haut unter seiner Nase glänzte von dem herunterlaufenden Rotz. »Was meinst du mit ›Terrorist‹?«, wollte Jesus wissen, beugte sich zu dem Kind hinunter und legte eine Hand auf sein Haar. »Du sollst nicht mit Fremden reden!«, schimpfte eine Frau, die herbeilief, während Einkaufstaschen an ihre Hüften stießen und die Trageriemen in ihren Ellenbogen scheuerten. Sie schnappte sich den Jungen und zerrte ihn in Richtung einer Reihe wartender Frauen mit Kindern, die sich wie eine Schlange zwischen den Regalen der Spielzeugabteilung wandte. Jesus sah noch, wie die erzürnte Mutter sich nach ihm umschaute, während sie ein Taschentuch aus der Manteltasche zog, erst die Nase des Kindes und dann seine Hand abwischte und ihm dabei versehentlich die Taschen an die Seite klatschte. Jesus folgte den beiden langsam, wurde überholt von lachenden Kindern, die ihre atemlosen Mütter hinter sich herzogen und von atemlosen Müttern, die ihre weinenden Kinder hinter sich herzogen. Alle wurden Teil der Schlange, deren Ende Jesus erreichte und von der er sich ebenfalls einverleiben ließ. Die Schlange wuchs stetig. Getuschel hörte er vor und hinter sich, und während die Mädchen und Jungen ihn neugierig betrachteten, schauten die Mütter bewusst in die Ferne, oder unbewusst auf ihre Mobiltelefone. Durch Jesus sah die Menschenschlange nun eher wie ein geteilter Regenwurm aus, denn die nachfolgende Frau mit ihrer Tochter bemühte sich um einen Meter Abstand zu dem Mann im Nachthemd. »Oh, du Fröhliche«, beschallten die Lautsprecher des Kaufhauses das Treiben und endlich sah Gottessohn, warum sie alle gemeinsam hier anstanden. Inmitten der Abteilung befand sich ein goldener Sessel auf einem Podest. Dort thronte ein großer Mann mit langem weißem Bart, dessen rot-weiße Kleidung den Körper darunter vermutlich in Schweiß baden ließ. Neben ihm stand eine Pyramide aus eingepackten Geschenken, fast so groß wie der Sitzende. Hinter dem Stuhl wippte auf den Zehenspitzen eine junge Frau, schön anzusehen, wie Jesus fand, mit blondem welligem Haar und zwei gebastelten Flügeln am Rücken klebend. Die Frau lächelte unentwegt und trug wie Jesus ein weißes Leinenkleid, allerdings ließ ihres an Dekolleté und Beinen wesentlich mehr frische Brise zu als bei Jesus. Die Mutter, die vor dem Gottessohn stand, schob ihr Kind die Stufen zum Thron hinauf. Der kleine Junge knetete an gestreckten Armen den Saum seines Mantels und ließ den Stoff auch nicht los, als der bärtige Mann ihn unter die Achseln griff und auf seinem Schoß platzierte. Jesus bemerkte, dass der Kleine weinen wollte und den Blick seiner Mutter suchte. Jesus trat vor und suchte ebenfalls den Augenkontakt zu ihr. Die Mutter fuchtelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum und begann die Mundwinkel nach oben zu ziehen und ihre Zähne zu zeigen, als wäre ihr ausgestreckter Zeigefinger ein Stift, der ihr ein Lächeln auf das Antlitz malen könnte. Der Junge versuchte, die Befehle zu befolgen. Seine Wangen zuckten, und Jesus bemühte sich gleich mit, sah abwechselnd zu Mutter und Kind und probte mit einem verzogenen Gesicht ein Lächeln, während er wetteiferte, die Anweisungen der Mutter schneller umzusetzen als ihr Kind. Die Frau ließ abrupt ihre Hand sinken, zog die Augenbrauen zusammen und die Stirn kraus, als sie in dem Mann im Nachthemd einen strebsamen Schüler erkannte. Beim Jungen erschien irgendwann auf seinem Gesicht etwas, das wie eine Mischung aus Zähnezusammenbeißen und Weinkrampfverhindern aussah. Dem hünenhaften Mann auf dem goldenen Sessel schien das zu genügen. »Na, mein Kind, sagte er, »warst du auch immer brav?« Der Kleine nickte. »Hast du dir auch etwas beim Christkind gewünscht?« Er nickte erneut. »Einen Action-Hero-Blackmaster.« Die Frau mit den Flügeln hinter dem Mann auf dem Thron lächelte noch mehr, als wolle sie einem Zahnarzt beweisen, sie habe keine Paradentose und zeigte der Mutter die Richtung zu den Action-Heroes-Verkaufsregalen. »Und auch etwas, was man nicht kaufen kann?«, fragte der Bärtige erneut und der Junge schien erschrocken, als habe man ihm gerade in die Seele geblickt. »Flüstere es mir einfach ins Ohr«, ermutigte der Mann den Kleinen, und das Kind beugte sich vor das geneigte Haupt des Erwachsenen und flüsterte und flüsterte. Jesus konnte erkennen, dass der Engelsfrau die Wangenmuskeln vom Lächeln wehtaten. Die Mutter beugte den Kopf vor, das Ohr dem Podest zugewandt und auch Jesus tat es unbewusst, verstand aber nichts außer engagiertem Gemurmel. Der Mann in Rot sagte nur immer »Hm« und »So, so«. Manchmal war sich Jesus nicht sicher, ob er nicht unter seinem Bart grinste, aber irgendwann wurde die Frau mit den gebastelten Flügeln ungeduldig, nahm ein Geschenk von der Pyramide, drückte es dem Jungen in dem Arm, der überrascht aufsprang, das Päckchen nahm und zu seiner Mutter lief. Jesus betrat unter empörtem Gemurmel das Podest. Dass Gemurmel empört klang, das kannte der Gottessohn nur zu gut aus der Vergangenheit. Als er sich auf das Knie des Mannes setzen wollte, zog der es weg, und der Heiland plumpste auf die Erde und blieb unten sitzen. Den Menschen hat er seinerzeit solch ein Verhalten als Demut erklärt, aber wenn Jesus ehrlich war, hatte es inzwischen etwas mit seinen Bandscheiben zu tun, warum er nicht gleich wieder aufstand. »Wer bist du?«, fragte er den bärtigen Mann. »Verschwinde, das ist hier für Kinder und nicht für Freaks.« »Ich bin Jesus.« »Sag ich doch. Freak.« »Wer willst du denn sein?« »Ich bin der Weihnachtsmann und nun verschwinde.« Jesus schüttelte den Kopf und versuchte aufzustehen. »Den Weihnachtsmann gibt es doch gar nicht.« Die engelsgleiche Frau half ihm hoch. Er lächelte sie an. »Und wer bist du?« Sie lächelte zurück oder immer noch. Das konnte er nicht unterscheiden. »Ich bin das Christkind!«, fistelte sie, und ihre Stimme klang so, als hätte sie gerade etwas sehr Saures gegessen und das passte nicht zu ihrem Lächeln. »Das ist doch Quatsch!«, empörte sich Jesus. »Ich bin das Christkind! Jesus! Niemand sonst!« Und während er brüllte, wich die junge Frau zurück. Ihr erschrockenes Gesicht unterschied sich nicht sehr von ihrem lächelnden, und sie stolperte rücklings von dem Podest, währen ihre welligen blonden Strähnen vor dem Gesicht flatterten. Die gebastelten Flügel dämpften ihren Sturz. Mütter eilten ihr zur Hilfe, Kinder weinten, und Jesus stampfte geräuscharm mit seinen Sandalen auf. Die Männer vom Sicherheitsdienst eilten herbei, aber der Weihnachtsmann, der die Männer um einen Kopf überragte, rief: »Ich mach das«, hakte Jesus unter und zog ihn aus der Abteilung in das angrenzende Treppenhaus, das nur in Notfällen genutzt wurde. Jesus ließ es geschehen, ließ er doch in der Vergangenheit schon ganz andere Dinge geschehen und während er vom vermeintlichen Weihnachtsmann von dannen gezerrt wurde, beklagte er die Undankbarkeit der Menschen. Beim Aufstemmen der Feuerschutztür verhakte sich der Bart des Mannes an einem Metallbügel, und das Gummiband an seinem Hinterkopf, das seine weißen Kinnhaare hielt, spannte sich. Jesus stoppte mit dem...