E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Griesbach Schatten des Grauens
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95765-970-5
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
HALLER-Horrorgeschichten 2
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95765-970-5
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Freude an Horrorgeschichten speist sich meist aus dem Auftauchen übernatürlicher Gestalten, von Geistern, wiedergeborenen Toten und Monstern. Das wahre Grauen aber liegt oft ganz nah an der sichtbaren Oberfläche der Welt. Aus einer großen Fülle an Texten ausgewählt, präsentiert Corinna Griesbach ein Best-of für die Fans der Düsternis und des Grauens. Es sind die Furcht und die Finsternis, die den Leser erfüllen. Wesen von der dunklen Seite der Wirklichkeit. Der schwarze Mann, der Zombie, Lisas neuer Papa. 'Schatten des Grauens' ist der zweite Band dieser Sammlung; Band 1 erscheint unter dem Titel 'Blutmond'.
Die 1967 in Marbella geborene Corinna Griesbach ist Autorin von Kurzgeschichten verschiedener Genres und arbeitet auch als Herausgeberin und Lektorin.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Christine Millman: Der Jäger
Tief im Schatten verborgen stehe ich und beobachte dich. Händchen haltend mit deinem Freund verlässt du das Haus. Du hast Geschmack, das muss ich dir lassen. Der Kerl sieht aus wie einem Katalog für Männermode entsprungen. Ich dagegen bin nichtssagend. Ein Mann, den man sofort wieder vergisst, wenn man ihn überhaupt bemerkt. Aber das macht nichts. Ein Jäger braucht kein buntes Fell und kein schönes Gesicht. Ein Jäger muss unauffällig sein und mit der Umgebung verschmelzen, damit die Beute, damit du mich nicht bemerkst. Du küsst deinen Freund zum Abschied, bevor er in sein Auto steigt. Seine Miene ist düster und er wirkt bleich und übernächtigt. Ob er ahnt, dass er dich nie wiedersehen wird? Wie jeden Tag tragen dich deine Schritte den Gehweg entlang zur Bushaltestelle. Unauffällig folge ich dir. Wie anmutig du läufst. Ein makelloser Körper in Harmonie mit den Bewegungen. Dein langes, dunkles Haar glänzt in der Morgensonne wie eine frisch geschlüpfte Kastanie. Du bist so schön. Als wärst du nicht von dieser Welt. Bist du auch nicht. Aber das weiß niemand außer mir, nicht einmal dein Freund. Eine Windbö reißt die letzten Blätter von den Bäumen und bläst sie über den Asphalt. Fröstelnd schlage ich den Kragen meiner Jacke hoch und ziehe den Kopf ein. Der Wind trägt deinen Duft zu mir heran. Maiglöckchen mit einem Hauch Verwesung, den normale Menschen nicht wahrnehmen. Aber ich. Ich rieche den Tod. Er haftet an dir wie ein übles Gerücht, folgt dir überall hin. Instinktiv taste ich unter die Jacke nach der Lederscheide an meinem Gürtel. Ein Jagdmesser steckt darin mit achtzehn Zentimeter langer, handgefertigter Klinge aus Hochleistungsstahl. Eine Aufbrechklinge, mit der Jäger die Bauchdecke ihrer Beute aufschlitzen, um die Innereien nicht zu verletzen, damit das Fleisch nicht verdirbt. Dasselbe mache ich auch. Ich muss das tun, um das Böse in dir zu vernichten. Bedauern darüber, dass ich deinen vollkommenen Körper ruinieren muss, gemischt mit Erregung durchflutet mich bei der Vorstellung und ich frage mich, wann dich der Dämon wohl erwischt hat. Es kann nicht allzu lange her sein, denn du bist noch jung, Anfang zwanzig vielleicht. Das ist gut. Die Jungen sind leichter zu töten. Der Weg zur Bushaltestelle führt dich durch einen kleinen Kiefernwald, dessen hohe, schlanke Stämme kaum Schutz vor neugierigen Blicken bieten. Doch das macht nichts. So früh am Morgen sind nur wenige Menschen unterwegs, und ich bin schnell und effizient. An der Kreuzung vor dem Waldstück bleibst du stehen und siehst dich um, als hätte dich eine dunkle Ahnung beschlichen. Spürst du den nahenden Tod? Normalerweise bemerkt niemand das Feuer, das in meinem Herzen brennt und mich dazu treibt, gegen das Böse zu kämpfen. Manchmal frage ich mich, ob es andere gibt, die so sind wie ich. Die sie ebenfalls wahrnehmen, die dämonische Präsenz in dieser Welt. Du wendest dich um und blickst zurück. Erschrocken husche ich in einen Hauseingang. Mein Herz klopft. Hast du mich bemerkt? Sekundenlang verharre ich in Regungslosigkeit. Bei jedem hektischen Atemzug strömen Kondenswolken aus meinem Mund. Raschelnde Blätter fegen vorbei. Witterst du mich? Ich warte, zähle langsam bis zehn, bevor ich es wage, um die Ecke zu spähen. Du betrittst den Feldweg, der zum Wald führt. Erleichterung durchflutet mich. Jetzt schnell über die Straße, bevor du dich erneut umsiehst. Der Waldboden dämpft meine Schritte. Geschickt weiche ich Zweigen und Blättern aus, leichtfüßig wie eine Katze. Nur noch wenige Meter, dann schlage ich zu. Mein Herzschlag beschleunigt sich, Adrenalin strömt durch meine Adern. Der Verwesungsgeruch, der deinem Körper anhaftet, legt sich über den frischen Duft des Waldes. Seltsam. Warum ist er plötzlich so stark? Lautlos schleiche ich näher. Du verlangsamst deinen Schritt und drehst dich um. Ohne zu überlegen, hechte ich hinter einen umgestürzten Baum. Zu spät. Du hast mich entdeckt. »Warum folgen Sie mir?« Deine Stimme klingt ruhig. Entweder beherrschst du deine Angst oder du hast keine. Warum auch? Der Dämon in dir gibt dir Kraft. Deine Hand tastet nach etwas in deiner Jackentasche, ein Pfefferspray vielleicht oder dein Handy. »Lassen Sie mich in Ruhe. Verschwinden Sie!« Unwillkürlich muss ich grinsen. Immer die gleichen Worte. Gehen Sie weg, lassen Sie mich in Ruhe, was wollen Sie. Wie albern und unnötig. Gelassen trete ich hinter dem Baumstamm hervor, meine Arme hängen entspannt nach unten und ich lächle entschuldigend. »Verzeihen Sie. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Sie sind mir aufgefallen und da bin ich Ihnen gefolgt. Tut mir leid. Das hätte ich nicht tun sollen.« Ich halte den Atem an. Wirst du mir glauben? Deine Augen wandern über meine Gestalt, verharren einen Moment zu lang in Höhe meiner Hüfte. Das Messer liegt gut verborgen unter meiner Jacke, oder? Deine Miene ist wie in Stein gemeißelt, verrät nichts von deinen Gefühlen. Doch etwas sagt mir, dass du es weißt. Dass du weißt, dass ich dich töten werde. Fast unmerklich weichst du zurück, Zentimeter für Zentimeter. Ich zögere nicht mehr und schlage zu. Mit einem Satz bin ich bei dir, schnappe deinen Arm und wirble dich herum, während ich blitzschnell das Messer ziehe und es an deine Kehle drücke. Keuchend stößt du den Atem aus deinen Lungen. Du bist überrascht, ich weiß. Ich sehe nicht aus, als wäre ich so schnell. Aber das bin ich. Oh ja. »Bitte«, stößt du hervor. In deinen Augen spiegelt sich echte Angst, doch ich lasse mich nicht täuschen. Du bist kein Mensch und ich muss dich vernichten. Hitze strömt durch meinen Körper, gefolgt von einem erregenden Kribbeln. All meine Sinne sind geschärft. Ich rieche dein Blut, spüre deine Panik. Du strampelst mit den Beinen, versuchst, deine Arme zu befreien. Dann fängst du an zu schreien. In einer fließenden Bewegung lasse ich die Klinge über deine Kehle gleiten. Tief dringt sie in dein Fleisch, durchtrennt die Halsschlagader und deine Luftröhre. Dein Schrei verebbt in einem Gurgeln. Blut strömt aus deinem Mund über deine Jacke. Schnell zerre ich dich vom Weg, zu dem hohlen Baumstamm, wo ich den Leichensack versteckt habe. Deine Gegenwehr erlahmt. Ich knie mich hin und bette deinen Kopf auf meinen Schoß. »Pschscht. Alles wird gut.« Beruhigend streiche ich über dein Haar. Es ist nicht so seidig, wie ich dachte, dafür duftet es nach Apfelshampoo. Dein Mund schließt und öffnet sich wie ein Fisch auf dem Wasser, während dunkles Blut zwischen deinen Lippen hervorquillt. Panisch siehst du zu mir auf. Eine Träne rinnt deine Schläfe hinab. Der Anblick stimmt mich traurig. So sollte es nicht sein. Eine junge, schöne Frau sollte nicht sterben müssen wegen widerlichen Teufelswerks. Als dein Blick bricht und der letzte Atemzug aus deinen Lungen strömt, mache ich mich ans Werk. Vorsichtig lege ich dich auf den Boden. Die Erde ist kühl, Raureif bedeckt Gräser und Zweige und benetzt deine Kleider. Ich öffne deine Jacke und schlitze den grau melierten Pullover auf, den du darunter trägst. Dein Bauch ist perfekt. Makellos weiß. Andächtig streiche ich mit den Fingern darüber, hinterlasse rote Spuren auf deiner Haut. Meine Hand zittert. Das ist nicht gut. Ich will ja keine Sauerei anrichten, während ich deine Bauchdecke öffne. Die aufgeschlitzte Kehle ist schon genug. Übelkeit steigt in mir empor. Der Verwesungsgeruch wird immer stärker. Wie klebriger Sprühnebel legt er sich auf meine Atemwege. Tief atme ich durch den Mund ein und entlasse die Luft durch die Nase, den Speichel, der sich in meinem Mund sammelt, spucke ich ins Gras. Was ist nur mit mir los? Ruhig. Ich muss ruhig bleiben. Das Knacken eines Astes lässt mich hochfahren. Was war das? Ein Tier? Oder ein Fußgänger? Egal. Ich muss mich beeilen. Noch einmal tief durchatmen, den Würgereiz unterdrücken und los. Die Klinge fährt durch dein Fleisch, durchtrennt Fett und Muskelgewebe. In wenigen Sekunden habe ich die Bauchdecke geöffnet. Den Blut- und Fäkalgestank ignorierend wühle ich mich durch das Gedärm auf der Suche nach dem verdorbenen Stück. Meistens liegt es zwischen Gallenblase und Dickdarm. Diesmal nicht. Konzentriert suche ich, bis ich ferne Schritte höre, die der der Wind zu mir heranträgt. Mir bleiben nur Minuten noch. Zur Hölle noch mal, es muss doch irgendwo sein. Ich kann es riechen. Da! Nein. Hektisch wühle ich weiter. Das Blut pocht in meinen Ohren und ich beginne zu schwitzen. Warum kann ich es nicht finden? »Zeig dich, Dämon«, zische ich und schnuppere. Der Verwesungsgeruch wird mich führen. Ich beuge mich näher, ziehe den Atem durch die Nase und folge der unsichtbaren Spur. Näher. Immer näher. Über deine Bauchdecke hinweg zu … zu mir. Ich erstarre. Das kann nicht sein. Ich bin der Jäger, nicht die Beute. Meine Augen wandern über deinen Körper. Habe ich eine Unschuldige getötet? Meine Faust krampft sich um das Messer, keuchend stoße ich den Atem aus. Langsam hebe ich meinen Arm und schnuppere an ihm. Eindeutig Verwesungsgeruch. Die Erkenntnis raubt mir die Luft, ist wie ein Felsbrocken, der mich unter eiskaltes Wasser zieht. Ich bin der Dämon, nicht du. Ich...