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E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Grimm Moderne Lyriker

Benn - Brecht - Enzensberger
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8288-7159-5
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Benn - Brecht - Enzensberger

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-8288-7159-5
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
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Die hier versammelten Studien widmen sich drei wichtigen Vertretern moderner deutscher Lyrik. Sie ist durch die rigide Bipolarität von "radikalem Solipsismus" (Benn) und "sozialem Engagement" (Brecht) gekennzeichnet. Beide Positionen finden ihre adäquate lyrische Form im monologischen "absoluten Gedicht" und in einer appellativen, mit deiktischen Elementen ausgestatteten Neuauflage der "Volkspoesie". Hans Magnus Enzensbergers kritisches Räsonnement kann als Versuch einer Synthese gewertet werden, die sich in der Form einer "diskursiven Meditation" präsentiert und durch pointierte Prägnanz glänzt. Nicht zufällig gehören die drei Lyriker zum Typus "poeta doctus", was die freizügigen Rückgriffe auf die poetische Tradition erklärt und zugleich den intertextuellen Modus moderner Lyrik belegt.
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Am Beispiel Goethe. Intertextualität und Produktion Gottfried Benn hat sich sein ganzes Leben lang mit Goethe beschäftigt und ihn seit früher Zeit bewundert.69 1935 etwa spricht er von der „körperlichen und moralischen und produktiven Göttlichkeit“ Goethes,70 und noch in späten Jahren macht er aus seiner Goethe-Verehrung kein Hehl:71 „Goethe und Nietzsche, diese beiden: ihre Erscheinung, ihre Verse, ihre Aussprüche – ihre Vollendung –, diese beiden sind es, die ich anbetend in mir trage.“72 Und in einer späten Notiz spricht er von Goethe als „von einem Mann, von dem ich was halte und dem ich vertraue“ und von den „Überwältigungen“, die jede Begegnung mit Goethe mit sich bringt73. Selbstverständlich kannte Benn Goethe aus seiner Schulzeit. Seine explizite Auseinandersetzung mit Goethe beginnt jedoch erst mit einer Auftragsarbeit. Zum hundertsten Todestag Goethes plante die renommierte Zeitschrift „Neue Rundschau“ ein Sonderheft, das Beiträge führender Literaten enthalten sollte. Benn erhielt das Angebot, einen Essay über „Goethe und die Naturwissenschaften“ zu schreiben. Als Verfasser eines solchen Aufsatzes war er eigentlich nicht prädestiniert, denn er war kein Wissenschaftshistoriker. Aber welcher Schriftsteller außer ihm hätte sich fachkundig dieses Themas annehmen können? Holger Hof hat in seiner Dissertation die zahlreichen Quellen, deren Benn sich bediente, aufgeschlüsselt und analysiert. Umstritten bleibt, ob der Essay wissenschaftlich streng gearbeitet ist oder ob es sich eher um eine Montage fremder Meinungen, womöglich um Plagiate handelt. Benn hat, wie man heute sagen würde, intertextuell gearbeitet. In der Dichtung gilt die intertextuelle Montage als künstlerische Technik. Warum sollte sie nicht auch für einen literarischen Essay gelten? Wie Brecht ging Benn mit dem geistigen Eigentum anderer eher lax um. Wichtiger ist die Stoß-Richtung. Benn benutzte all diese Quellen, um seine eigene Ansicht über Goethe und seine eigene Ansicht über die moderne Naturwissenschaft zu verdeutlichen. Man muss den Essay auch vor dem Hintergrund von Benns eigener Überzeugung sehen. Er glaubte, in der Gegenwart werde die positivistisch-mechanistische Wissenschaft des 19. Jahrhunderts abgelöst durch eine synthetische Wissenschaft, die das Subjekt in den Erkenntnisprozess einbezieht (wie in Max Plancks Quantentheorie oder Albert Einsteins Relativitätstheorie)74. Im Grund bedient er sich Goethes auf ‚subversive‘ Weise als eines Helfershelfers gegen die mathematisch-physikalische Naturwissenschaft, die das Subjekt aus Beobachtung und Analyse suspendiert. Sie führt nach Benns Überzeugung zur Verabsolutierung des Fortschrittsdogmas und zur Pervertierung von Erkenntnissen, die letztlich der ökonomischen Verwertbarkeit untergeordnet werden.75 Benn stellt ihr und der missachteten „progressiven Zerebration“76, also der einseitigen Verhirnung, das ganzheitlich-intuitive Denken Goethes gegenüber.77 Der Aufsatz erschien 1932. In den folgenden Jahren hat sich Benn verstärkt mit dem literarischen Werk Goethes beschäftigt, ohne sich freilich zusammenhängend darüber zu äußern. Abgesehen von den Streiflichtern, die er in seinen literarischen Aufsätzen auf Goethe wirft, finden sich die meisten Goethe-Äußerungen in den diversen Briefwechseln. Benns Beschäftigung mit Goethe war weder systematisch noch wissenschaftlich. Benns Äußerungen kreisen um drei große Komplexe: Goethe als Wissenschaftler, als Mensch und als Künstler. Seine Perspektive bei der literarischen Lektüre ist die eines ‚Berufskollegen‘. Aus diesem Grund ist seine eigene von Goethe beeinflusste Lyrik von besonderer Bedeutung. Erst die produktive Rezeption, die Wiederaufnahme, Umwandlung, Kontrafaktur Goethescher Motive, Bilder, Szenarien rechtfertigt die intensive Aufarbeitung von Benns Goethebild durch die Forschung. Wie bereits beim Naturwissenschaftler zieht Benn zwischen sich und Goethe einen klaren Trennungsstrich. Auch der Künstler Goethe ist der Meister einer vergangenen Weltära, einer historischen Epoche: „Von Homer bis Goethe ist eine Stunde, von Goethe bis heute vierundzwanzig Stunden, vierundzwanzig Stunden der Verwandlung […].“78 Obwohl Benn Goethe neben Plato, Michelangelo und Shakespeare zu den vier größten Geistern der abendländischen Kultur rechnet,79 muten seine Goethe-Kommentare, im Vergleich zu den auf Verehrung beruhenden Goethe-Annäherungen eines Thomas Mann, eines Gerhart Hauptmann, eines Hans Carossa und eines Hermann Hesse beliebig, nüchtern und zuweilen despektierlich an. Sie sind geprägt von einer ambivalenten, zwischen liebevollem Respekt und ironischer Distanz, zwischen Annäherung und Abgrenzung changierenden Haltung. Zur Goethe-Nachfolge hat er sich nie berufen gefühlt und sich nie in einer so gearteten öffentlich inszenierten Pose gezeigt. Das Thema „Benn und Goethe“ hat schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Forschung erweckt. Der erste einschlägige Aufsatz stammt von Helmut Brackert.80 Er sieht Benns Goethebild in Relation zu seinem Nietzschebild. Goethe ist für ihn der „ganz Andere“, der, im Gegensatz zum modernen Menschen, noch die Ganzheit von Natur und Mensch harmonisch zusammensehen konnte. Benns Goethebeschäftigung habe lediglich die Funktion, „die eigene Problematik zu demonstrieren“,81 sei im Grunde eine Projektion der eigenen Befindlichkeit. Dagegen nimmt Angelika Arend Manyoni – in einem leider unbeachtet gebliebenen Aufsatz von 1985 – Benns Anregungen ernst.82 Ihr gilt Benn als einer der Väter der Goethe-Deutung, die hinter der Harmonieinszenierung die Abgründe, Risse und Brüche sieht und hinter dem zur Schau getragenen Olympiertum die Dämonie, das Verstörende und Unfeste erkennt. Besonders hervorzuheben sind die Aufsätze von Wolfgang Butzlaff83, Theo Meyer84 und Walter Müller-Seidel85. Nach Holger Hofs Analyse von Benns Montagetechnik86 stellen die beiden umfangreichen Dissertationen von Katarzyna Norkowska und Christian M. Hanna Benns Goethe-Rezeption umfassend dar und gehen dabei in feinste Details.87 Beide Verfasser haben außerdem ihre Ergebnisse als Kurzfassungen bzw. Auszüge im Benn-Forum publiziert.88 Diese Dissertationen widmen sich ausführlich den drei Aspekten: Goethe als „Forscher“ (Naturwissenschaftler), Goethe als „Dichter“ und Benns produktive Rezeption von Goethes Gedichten. Im Folgenden sollen drei bisher nicht beachtete Aspekte und Sachverhalte beleuchtet werden. Der Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und Friedrich Wilhelm Oelze Der Bremer Kaufmann Friedrich Wilhelm Oelze hatte Benns Rundschau-Essay „Goethe und die Naturwissenschaften“ zum Anlass genommen und Benn einen begeisterten Brief geschrieben. Daraus entwickelte sich der umfangreichste Briefaustausch Benns, mit 1349 Briefen (748 von Benn, 569 von Oelze). Dieser mit Abstand wichtigste Briefwechsel Gottfried Benns ist erst 2016 komplett erschienen, und enthält die bisher unbekannten Briefe Oelzes.89 Die Publikation gewährt einen vollen Einblick in die gesamte Korrespondenz. Die Bedeutung Oelzes für Benns Goethe-Kenntnisse ist gar nicht zu überschätzen. Offenbar hat Benn nur die ihm in der Schule vermittelten Goethe-Texte gekannt. Oelze macht ihn immer wieder auf unbekannte Texte aufmerksam. Er hat ihm auch die kleine, von Stefan Zweig herausgegebene Reclam-Auswahlausgabe der Goethe-Gedichte geschenkt. Erst in späteren Jahren besaß Benn zuerst eine zweibändige,90 schließlich eine sechsbändige Goethe-Ausgabe. Auch wenn Nico Rost ihm eine bedeutende Kenntnis von Goethes naturwissenschaftlichen Texten bescheinigt,91 so bleibt doch festzuhalten, dass Benns Kenntnis von Goethes literarischen Texten eher zufällig und sporadisch war. Vielleicht gerade deshalb eignet seinen Äußerungen Spontaneität und Unbefangenheit. Oelze besaß eigener Aussage zufolge vor dem Krieg die drittgrößte Goethe-Sammlung92 und war ein ausgesprochener Goethe-Kenner und Goethe-Verehrer, und in der Verehrung Goethes trafen sich beide. Die Rollen der ungleichen Briefpartner waren von vornherein besetzt: Auf der einen Seite der verehrte und vergötterte Dichter – für Oelze war Benn der größte lebende deutsche Dichter93 –, auf der anderen Seite sein Adept, dem Benn – quasi zum Ausgleich – Welthaltigkeit und Eleganz, Snobismus und Dandytum zusprach, also Charakteristika, auf die er selbst keinen Anspruch erhob. Oelze wurde für Benn im Lauf der Jahre zu einem meistens zustimmenden, manchmal auch widersprechenden Briefpartner. Die Grundhaltung der beiden lässt sich leicht an den Briefanreden ablesen. Benn schreibt durchweg „Lieber Herr Oelze“ und versteigt sich nur einmal zur leicht ironischen Anrede „Mein lieber guter verehrter strenger und bewunderter Herr Oelze“.94 Oelze wechselt zwischen „Lieber Herr Benn“ und „verehrter Meister“, „Cher Maître“, „Dear Grand Old Man“, „lieber verehrter Meister“, „verehrungswürdiger Meister“, „lieber, hochverehrter Meister“, aber ohne jegliche Ironie. Es handelt sich daher um einen Dialog auf verschiedenen Ebenen: von unten nach oben bzw. von oben nach unten. Dass es dabei lebenslang beim förmlichen „Sie“ blieb, ist geradezu Voraussetzung dieses Zwiegesprächs. Bildet Goethe bereits den Anlass zum Briefaustausch, so bezeichnet Benn in einem Brief vom...



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