E-Book, Deutsch, 412 Seiten
Grimpo Sanaris
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-5019-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dystopie
E-Book, Deutsch, 412 Seiten
ISBN: 978-3-7562-5019-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sie hatten ihn durchleuchtet, um sicherzugehen, dass sie ihm drohen und ihn gleichzeitig mit ihren Versprechungen locken konnten. Und sie mussten sicherstellen, dass er über das, was er jetzt sah, nie ein Wort verlieren würde. Europa, irgendwann in der Zukunft. Einige Länder des Kontinents haben sich zu dem Staat Erimus zusammengeschlossen. Krankheiten gelten als nahezu ausgemerzt. Jeder Einwohner ist zum Schutz der eigenen Gesundheit zur Einnahme staatlich verordneter Vitamine verpflichtet. Dem Nachtwächter Luke, der für das Pharmaunternehmen Sanaris arbeitet, wird eine neue Stelle angeboten. Im streng geheimen Labor, in dem die Vitamine entwickelt werden, blickt er hinter die Kulissen und entdeckt den erschütternden Grund für das scheinbar perfekte und sorgenfreie Leben, das ihm und seinen Mitmenschen vergönnt ist. Für einen Rückzieher ist es zu spät, denn Sanaris erkauft sich Lukes Schweigen zu einem hohen Preis.
Gina Grimpo, geboren 1988 in Bremen, ist hauptberuflich Bürostuhlakrobatin und nebenberuflich Buchstabenbändigerin. Wenn sie ihre Zeit nicht gerade mit Lesen, Escape-Spielen oder Reisen verbringt, arbeitet sie mit Leidenschaft an ihren buchigen Projekten. Ihre Begeisterung für Bücher zeigte sich schon in frühen Jahren und seitdem hat sie nicht nur unzählige Bücher verschlungen, sondern auch einige Geschichten selber zu Papier gebracht. Einige von ihnen haben bereits den Weg in unterschiedliche Anthologien gefunden. Ihr erstes Buch, einen Jugendfantasy-Roman, veröffentlichte sie im November 2020 im Selfpublishing.
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KAPITEL 1 LUKE Die Zeiger der Uhr bewegten sich unaufhaltsam vorwärts, so als würden sie einen Countdown zählen. Fünfzehn Minuten, dann würde Lukas Millers Nachtschicht enden und sein Leben würde sich von Grund auf ändern. Ersteres war ihm klar, da er genau gegenüber der grauen Uhr mit weißem Ziffernblatt stand. Eine Antiquität, die im Laufe der vergangenen Jahre nichts von ihrer Funktionalität eingebüßt hatte und wie ein Fremdkörper aus ihrer Umgebung inmitten von digitalen Ziffern und blinkenden Bildschirmen herausstach. Von Letzterem bekam er eine Ahnung, als Frank Wenniger, Geschäftsinhaber des Pharmakonzerns Sanaris und somit Lukes oberster Vorgesetzter, mit ernstem Gesichtsausdruck und zielstrebigen Schritten direkt auf ihn zumarschierte. Wenniger ließ sich so gut wie nie in diesem Teil des Gebäudes blicken und noch seltener sprach er dabei persönlich mit einem der Mitarbeiter. Die Hierarchien waren deutlich und Wenniger ließ bei seinen seltenen Besuchen keinen Zweifel daran, wer an der Spitze der Nahrungskette stand. Luke war sich sicher, dass Wenniger ihn verwechselte, rechnete schon fest damit, dass der Anzugträger hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbeirauschen würde, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, doch er irrte sich. »Lukas Miller?« Es war weniger eine Frage, sondern vielmehr ein Befehl, so wie sein Gegenüber die Worte ausspuckte. Lukes Blick huschte erneut zu der Wanduhr. Vierzehn Minuten. Die Uhr zählte weiter den Countdown, doch etwas sagte Luke, dass sie von jetzt an nicht mehr seinen Feierabend verkündete. Wenniger starrte ihn an, ohne ein Wort zu sagen, und Luke erkannte, dass eine Antwort von ihm erwartet wurde. Da er sich nicht sicher war, welche Reaktion sein Gegenüber am ehesten zufriedenstellen würde, nickte er nur stumm. Wenniger nickte ebenfalls und hob mit einer auffordernden Bewegung seine Hand. »Bitte kommen Sie mit.« Das »Bitte« war nichts weiter als eine Floskel und machte deutlich, dass ihm keine Wahl blieb. Er schluckte und bemühte sich, ein unverfängliches Gesicht aufzusetzen. Sein Mund war trocken und er spürte ein ungutes Gefühl in sich aufsteigen. Mit weichen Knien setzte er sich in Bewegung und folgte Wenniger, der mit langen Schritten vorauslief, sodass das Klacken seiner Schuhsohlen hörbar über den Gang hallte. Ein Kloß hatte sich in Lukes Hals gebildet, der mit jeder Sekunde größer wurde. Er hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, dessen war er sich sicher. Seit fünfzehn Jahren arbeitete er für diese Firma und hatte niemandem je einen Grund zur Klage geliefert. Was also sollte diese Aktion? Wenn sie ihn rauswerfen wollten, dann wäre nicht der wichtigste und meistbeschäftigte Mann des ganzen Konzerns persönlich auf ihn zugekommen. Er war sich nicht sicher, ob er deswegen beruhigt sein oder noch mehr Angst bekommen sollte. Es musste etwas Ernstes sein, sehr ernst. Während er neben Wenniger herlief, versuchte Luke, in dessen Gesichtsausdruck zu erkennen, was der hinter seinem plötzlichen Auftauchen steckte. Doch Wenniger schaute wie eh und je mürrisch unter seinen struppigen grauen Augenbrauen hervor. Er sah weder nach links noch nach rechts und bahnte sich seinen Weg zielstrebig durch die Gänge des Gebäudes. Luke bemühte sich, Schritt zu halten, ohne dabei zu rennen anzufangen. Sein Atem hatte sich beschleunigt und das lag nicht nur an der Aufregung. Der grauhaarige Mann war zwanzig Jahre älter als er, doch seinen Bewegungen merkte man dies in keiner Sekunde an. Als der Geschäftsführer abrupt vor dem Fahrstuhl anhielt, bemerkte Luke es zu spät und stieß gegen die Schulter, die Wenniger ihm zugewandt hatte. Der Mann stand starr wie eine Statue, Luke hingegen geriet leicht ins Taumeln. »Verzeihung«, murmelte er, senkte den Blick und ärgerte sich in der gleichen Sekunde über seine Reaktion. Reiß dich zusammen, mahnte er sich, du bist kein Schuljunge auf dem Weg zum Direktor. Die Fahrstuhltür öffnete sich geräuschlos und sie traten in das Innere der Kabine. Wenniger drückte die Zahl Sieben, drehte sich zur Tür und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Luke verspürte das dringende Bedürfnis, sich zu räuspern und gleichzeitig, dies um jeden Preis zu vermeiden. Er sah auf das Zahlenfeld des Fahrstuhls, um sich abzulenken. Die Eins leuchtet auf, die Zwei, die Drei … Im siebten Stockwerk öffnete sich der Aufzug, Wenniger trat auf den Gang hinaus und Luke folgte ihm erneut. Dabei ließ er seinen Blick über die Türen schweifen, an denen sie vorbeikamen. Die meisten waren verschlossen, bei einigen wenigen waren auf Augenhöhe Schilder angebracht, die Luke aber nicht lesen konnte, ohne Gefahr zu laufen, den Anschluss an Wenniger zu verlieren. Obwohl er seit fünfzehn Jahren bei Sanaris tätig war und beinahe täglich mehrere Stunden in diesem Gebäude verbrachte, war heute das erste Mal, dass er die oberste Etage des Firmenkomplexes betrat. Hier arbeitete die Elite, die wirklich wichtigen Leute. Statt glänzender Maschinen, riesiger Lagerhallen und einem regen Durchgangsverkehr im Empfangsbereich, wie immer um diese Zeit, wenn seine Schicht zu Ende war, herrschte hier eine Stille, die ihm das Gefühl gab, sich durch ein Museum oder eine Kunstgalerie zu bewegen. Sie bogen nach rechts ab und liefen einen langen Gang entlang, vorbei an verglasten Bürowänden, durch die Luke in schwarze Anzüge gekleidete Menschen entdeckte, die eifrig auf Tastaturen herumtippten. Einige trugen ein Headset und liefen mit wild gestikulierenden Armbewegungen in ihren Büros auf und ab. Sämtliche Türen waren geschlossen und kein einziger Laut drang auf den Gang. Es war, als hätte jemand bei einem Fernseher den Ton ausgeschaltet. Um ein Haar wäre Luke erneut in Wenniger gelaufen, da dieser unvermittelt vor einer großen Milchglastür anhielt. Wenniger legte seinen Daumen auf ein Touchpad neben der Tür und diese fuhr mit einem leisen Sirren zur Seite. »Nach Ihnen«, sagte er. Luke betrat einen fensterlosen Raum, dessen Wände von Bildschirmen gesäumt waren. Sein mulmiges Gefühl schlug in große Sorge um. Alles, was hier drin geschah, würde nicht den Weg nach draußen finden. Zwei Männer und eine Frau saßen an einem ovalen Besprechungstisch und sahen ihn mit ernsten Mienen an. Luke blieb mitten in der Tür stehen und rührte sich nicht, bis die Frau ihm bedeutete, auf einem der Stühle Platz zu nehmen. Er ließ seinen Blick wie beiläufig über die drei Gesichter schweifen und versuchte nach wie vor, den Grund für seine Anwesenheit in diesem Raum herauszufinden. Die Frau kannte er. Laura Irgendwas, die persönliche Assistentin von Wenniger. Schulterlange blonde Haare, eisblaue Augen, sehr jung, sehr hübsch. Böse Zungen behaupteten, dass ihre Aufgaben über die einer reinen Bürotätigkeit hinausgingen. Angeblich benötigte Wenniger schon bei der morgendlichen Auswahl seiner Krawatte ihre Hilfe und auch in anderen Bereichen seines Lebens sei er nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Luke wusste nicht, ob die Geschichte mit den Krawatten stimmte, aber Wenniger erweckte nicht den Eindruck, als wäre er jemand, der sich bei geschäftlichen Belangen reinreden lassen würde. Er setzte sich und hoffte, dass niemand seine zitternden Knie bemerkte. Drei Augenpaare richteten sich auf ihn und er begann, unter dem Tisch seine Hände zu kneten. »Wasser?« Sein Blick zuckte nach rechts. Laura lächelte ihn freundlich an, zumindest vermutete er, dass es freundlich sein sollte, denn der Ausdruck in ihren Augen wirkte aufrichtig. Sie hielt ihm eine kleine Flasche Wasser entgegen. Obwohl sein Hals mit jedem Schritt, den er Wenniger gefolgt war, immer trockener geworden war, schüttelte er den Kopf. Mit Mühe bekam er ein »Nein, danke« zustande. Laura stellte die Flasche weg und widmete sich wieder ihrem Tablet. »Nun, Herr Miller«, setzte Wenniger an und ließ sich auf dem freien Stuhl zwischen den beiden Männern nieder, »ich will nicht lange drumherum reden, Zeit ist schließlich Geld, Ihres und auch meines.« Ihres wohl mehr als meines, dachte Luke. Einen der beiden Männer kannte er, Michael Gant, seinen direkten Vorgesetzten. Den anderen hatte er noch nie zuvor gesehen. »Hab ich etwas falsch gemacht?«, stieß er hervor und hätte sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen. Jetzt wünschte er sich doch, die Wasserflasche genommen zu haben. Aber Laura hatte sie außerhalb seiner Reichweite auf den Tisch gestellt. »Nein, Luke«, sagte Michael und lächelte, »im Gegenteil.« Lukes verwirrte Miene ließ die Männer in lautes Lachen ausbrechen. Laura hob den Blick nicht von ihrem Tablet, aber das Schmunzeln, das sich in ihr Gesicht...