Gronau | Die Selbstlegitimation internationaler Institutionen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 24, 536 Seiten

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

Gronau Die Selbstlegitimation internationaler Institutionen

G8 und G20 im Vergleich
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-593-43027-0
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

G8 und G20 im Vergleich

E-Book, Deutsch, Band 24, 536 Seiten

Reihe: Staatlichkeit im Wandel

ISBN: 978-3-593-43027-0
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Die G8 und die G20 zählen zu den am stärksten kritisierten internationalen Institutionen der westlichen Hemisphäre. Die Autorin rekonstruiert, wie die G8 versucht, von einer 'Party für die Reichen' zu einer Institution im Dienste des globalen Allgemeinwohls zu avancieren, während sich die G20 als einmalig repräsentativer Akteur zu profilieren sucht. Neben dem Fokus auf die Legitimationsbemühungen zweier informeller Institutionen besticht die Studie dadurch, dass sie mit den Gruppenfotografien von G8- und G20-Gipfeln auch visuelles Material in die Analyse von Legitimationsprozessen integriert.
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Inhalt

Vor Worten 11

1 Einleitung 15

2 Die G8 und die G20 35
2.1 Genese 35
2.2 Charakteristika, Arbeitsweise und Architektur 40
2.3 Entstehung und Aufbau eines Gipfelkommuniqués 53
2.4 Stellenwert im internationalen System 57
2.5 Protestskizze 62

3 Theoretischer Ausgangspunkt und Konzeptformulierung 75
3.1 Selbstlegitimation und empirische Legitimationsforschung 76
3.2 Das Konzept der Selbstlegitimation internationaler Institutionen 86
3.3 Exkurs: Belangloses Zeug - oder subtile Selbstlegitimation? 125
3.4 Analyseraster 135

4 Forschungsprämissen und Methoden 141
4.1 Methodologische Prämissen Interpretativer Forschung 141
4.2 Fallstudiendesign: Ein Vergleich zweier Fälle in drei Dimensionen 148
4.3 Methoden und Datenauswahl 150

5 Die institutionellen Legitimationspolitiken der G8 183
5.1 Die Informationspolitik der G8 184
5.2 Gipfelnachsorge durch Follow-up-Mechanismen 194
5.3 Die Integration Russlands 198
5.4 Die Reform des G8-Systems 204
5.5 Die informellen Öffnungsbewegungen der G8 209
5.6 Die Rechenschaftslegung der G8 241
5.7 Der "Back-to-basics"-Ansatz 245
5.8 Fazit: "Demokratisierung" ergänzt Performanzorientierung 247

6 Die Legitimationsrhetorik der G8 255
6.1 Die Grundstruktur der Legitimationsrhetorik 258
6.2 Die Selbstlegitimation der G8 278
6.3 Die G8 im Spiegel ihrer Fremdlegitimation 302
6.4 Fazit: Die Selbstpositionierung der G8 als demokratische Managerin des globalen Allgemeinwohls 339

7 Die fotografische Selbstpräsentation der G8 345
7.1 Stabile Bildkonventionen: Konzentration auf den politischen Kern 347
7.2 Unterbrochene und eingestellte Bildkonventionen: Ballast abwerfen 368
7.3 Neue Bildkonventionen: Auftakt zum Ereignis "G8-Gipfel" 380
7.4 Fazit I: Bildkonventionen und ihr Wandel im Zeichen der Kritik 386
7.5 Fazit II: Der Eigenwert der fotografischen Selbstpräsentation für das Legitimationsgeschehen 389

8 Die Selbstlegitimation der G20 im Vergleich zur G8 395
8.1 Annahmen über die Selbstlegitimation der G20 396
8.2 Die institutionellen Legitimationspolitiken der G20 403
8.3 Die Legitimationsrhetorik der G20 427
8.4 Die fotografische Selbstpräsentation der G20 437
8.5 Synthese: Same, same but different 460

9 Schluss 469
9.1 Zentrale Ergebnisse 471
9.2 Schlussfolgerungen, Erfolgsbedingungen, Implikationen 476
9.3 Ausblicke auf die politikwissenschaftliche Legitimationsforschung 485

Abkürzungen 491
Abbildungen und Tabellen 493
Literatur 497


Vor Worten

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um meine geringfügig überarbeitete Dissertationsschrift, die im Juli 2014 an der Universität Bremen verteidigt und angenommen wurde. Sie entstand im Rahmen des For-schungsprojekts "Die Legitimation politischer und ökonomischer Ordnungen" des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs "Staatlichkeit im Wandel".
Ein Pappkarton im Archiv der G8 Research Group, untergebracht in der Graham Library der Universität von Toronto, prägte mein Vorhaben maßgeblich. Während eines Forschungsaufenthaltes 2008 wurde mir ein verstaubter Karton präsentiert. Dieser enthielt Geschenkartikel, die für eine auf höchster Regierungsebene agierenden Institution recht skurril anmuten: Taschen, Trinkbecher, T-Shirts und Briefmarken, alle versehen mit einem Logo der G8. Hinzu kamen einige ältere Gruppenfotografien, die anlässlich der jährlichen Gipfeltreffen der G8 entstanden sind. Seitdem ist mein Interesse an den sowohl verbalen als auch nonverbal-visuellen Versuchen der G8 und der G20, sich nach außen unterstützungsbringend zu inszenieren und nach innen einen gemeinsamen Kern zu stärken, geweckt.
Genau genommen kam die G20 erst etwas später dazu, als sie sich 2009 zur zentralen Koordinationsplattform einer internationalen Finanzkrisenbearbeitung ernannte. Mit den daran anknüpfenden Debatten über das Fortbestehen der kleineren G8 drohte sogar kurzzeitig der "Verlust" meines ursprünglichen Forschungsgegenstands. Eine ähnliche Situation sollte sich nach dem unmittelbaren Ende der Niederschrift wiederholen. Just an dem Tag, als meine Dissertation zur Selbstlegitimation der G8 und der G20 aus dem Druck kam, wurde der vorläufige Ausschluss der russischen Regierung von der G8 verkündet - mein Forschungsgegenstand wurde zur G7; er war immer noch da, durchlief aber eine wesentliche und zu meinen Ergebnissen über die Selbstlegitimation der G8 recht stimmige Veränderung, der ich im hier vorliegenden Manuskript Rechnung tragen konnte.
Diese Studie dokumentiert meinen Versuch, die empirische Legitimationsforschung um eine Dimension - die der Legitimationsbemühungen der "Herrschenden" - zu erweitern und dabei für ein ganzes Universum an Zeichen aufmerksam zu sein. Sie folgt dabei einem Rat der Politikwissenschaftlerin und politischen Aktivistin Susan George, sich nicht nur mit sozialen Bewegungen und Protesten zu beschäftigen. Vielmehr sei zur Unterstützung dieser gesellschaftlichen Akteure auch eine intensive Auseinandersetzung mit den Gegenständen ihrer Kritik sinnvoll.
Schnell wurde deutlich, dass die klassische Perspektive der empirischen Legitimationsforschung, der Blick auf die Bewertungen politischer Ordnungen durch Bürgerinnen bzw. die Mitgliedstaaten internationaler Insti-tuti-onen, für mein Vorhaben nicht ausreichend ist. Ich musste die Blickrichtung umkehren und die Legitimationsmaßnahmen der Institutionen selbst in den Blick nehmen. Die G8 und die G20 betrachtete ich fortan nicht nur als Bezugspunkte massiver Kritik, sondern auch als aktive Gestalterinnen des sie umgebenden Legitimationsgeschehens.
Ich bedanke mich von Herzen für die hilfreichen Anregungen und die Unterstützung durch meinen Betreuer Prof. Dr. Frank Nullmeier und meine Betreuerin Prof. Dr. Anna Geis sowie durch Prof. Dr. Martin Nonhoff. Sie festigten meine Freude am wissenschaftlichen Arbeiten und bestärkten mich in der Beschäftigung mit den Memorabilien und Gruppenfotografien der G8 und der G20. Der Austausch mit meinen Projektkolleginnen und -kollegen Dominika Biegon, Falk Lenke und Henning Schmidtke hat mich überdies sehr inspiriert und die gemeinsame Projektzeit wird mir in schöner Erinnerung bleiben. Meinen Projektkollegen Steffen Schneider und Sebastian Haunss danke ich zusätzlich für die unkomplizierte Weitergabe ihres für mich wertvollen Erfahrungsschatzes, sei es in der Lehre, mit Blick auf die Konzipierung von Vorträgen oder in anderen Bereichen des wissenschaftlichen Alltags.
Ein möglichst annehmlicher Forschungsalltag wurde mir durch den Geschäftsführer Dieter Wolf sowie die gleichfalls sehr engagierten studentischen Hilfskräfte des Forschungsprojektes in Bremen ermöglicht: Klara Kopperschmidt, Alrun Vogt, Wiebke Anton, Clara Friedrich und Nora Sinner. Der Formatierungseinsatz von Monika Sniegs hat mich sehr entlastet. Dank ihr ist aus der Dissertation ein ansehnliches Buch geworden.
Silke Weinlich und Thomas Fues möchte ich für einen ermutigenden Forschungsaufenthalt am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik 2010 danken. Selbiges gilt auch für die G8 sowie die G20 Research Group an der Universität von Toronto, die ich 2008 sowie anlässlich der G8- und G20-Gipfel 2010 in Toronto besuchte. Prof. Dr. Peter Hajnal war mir sehr behilflich mit dem Zugang zu den Memorabilien der G8 - und mit diesem der Zugang zur nonverbalen Dimension der Gipfelpolitik. Matthias Ecker-Ehrhardt danke ich herzlich für seine gewinnbringende Kommentierung insbesondere meiner konzeptuellen Überlegungen. In Klaas Schüller fand ich einen zweiten in Bremen tätigen G8-Forschenden. Unsere Diskussionen über die G8 und die gemeinsame Planung und Durchführung von Interviews mit dem deutschen G8-Sherpastab haben deutlich zu meinem besseren Verständnis der G8 beigetragen. Mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen und britischen Regierung haben mir ihre Zeit geschenkt - und dies mit ausführlichen und informativen E-Mails auch über die Interviewzeiten hinaus. Auch hierfür bin ich dankbar. Umgekehrt schien es auch sie zu erfreuen, dass sich einmal jemand für ihre Arbeit im Tagesgeschäft der G8 und der G20 interessiert.
Mein Dank geht auch an Heike Walk, die mich beratend begleitet hat. Der selbstorganisierten "Deutungsgruppe" in Bremen sowie den "Plan M-Frauen" möchte ich für ihre solidarische Verbundenheit danken.
Julia Chaker-Agha und Gundula Oerter haben intensiv über meine Interpretationen und die Lesbarkeit dieser Studie gewacht und mich dadurch ganz besonders in der Niederschrift unterstützt. Ihnen möchte ich ab-schließend besonders danken. Für verbleibende Fehler und Ungenauigkeiten trage selbstverständlich ich die Verantwortung.
Ich bedanke mich von Herzen für die ermutigende Unterstützung und die schönen Ablenkungen durch Henrik Schütt, meine Wohn- und Lebensgemeinschaften, meine Freundinnen und Mitstreiter sowie meine Familie. Danke, dass ihr mich begleitet habt.

In Erinnerung an Dr. phil. Silja Freudenberger. Silja.

Jennifer Gronau
Bremen im Dezember 2014

Einleitung

"What are governments doing when they spend time, resources and energy legitimating themselves?" (Barker 2001: 2). Diese Frage nach den Legitimationsaktivitäten politischer Herrschaftsträger stellt sich heute nicht nur für nationale Regierungen, sondern auch für internationale Institutionen: Die Massendemonstrationen gegen deren Konferenzen, Protestslogans wie "Shut down fortress Europe!" sowie öffentliche Debatten zeugen von den wahrgenommenen Legitimitätsdefiziten und regen zu der Frage an, wie internationale Institutionen auf diese gesellschaftliche Infragestellung reagieren.
Unter den herausgeforderten Institutionen ist die "Gruppe der Acht" (G8) historisch betrachtet eine der am stärksten kritisierten intergouvernementalen Institutionen der westlichen Hemisphäre. Die heutige G8 wurde als Club westlicher Demokratien 1975 von Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Italien, Japan und den USA gegründet, 1976 kam Kanada als siebtes Mitglied hinzu. 1998 erweiterte sich der Kreis offiziell für mehrere Jahre um Russland. Im Frühjahr 2014 wurde die russische Regierung allerdings von den sieben ursprünglichen Mitgliedsländern in Reaktion auf die "Krim-Krise" und die ungeklärte Rolle russischer Militäreinheiten in der Ukraine von der G8 suspendiert. Die G8 ist somit wieder zur G7 geworden. Aufgrund der Langzeitperspektive der vorliegenden Studie wird im Folgenden dennoch vereinfachend von der G8 gesprochen - es sei denn, die ursprüngliche G7-Gemeinschaft vor der Aufnahme Russlands ist explizit gemeint. Der Präsident der Europäischen Kommission nimmt seit 1977 als Beobachter am G8-Prozess teil. Zusammen mit dem Vertreter des Europäischen Rats fungierte er 2014 als kurzfristiger Ersatz für Wladimir Putin erstmals als Gastgeber des jährlichen G8-Gipfeltreffens.
Die Gipfeltreffen der G8 sind der Öffentlichkeit vor allem über die mediale Vermittlung von Gruppenfotografien vor malerischer Kulisse präsent. Dabei sind die Treffen der Staats- und Regierungschefs nur die sichtbarste Spitze einer heute mehrgliedrigen und ganzjährig operierenden Architektur, die die G8 zu mehr als lediglich einem Zusammenschluss ihrer Mitgliedstaaten macht. Allerdings fußt diese Arbeitsarchitektur anders als im Falle formalisierter internationaler Organisationen (IOs) weder auf einem Statut noch auf formalen Regeln. Stattdessen basiert die G8 auf sozialen Konventionen und folgt dem Konsensprinzip. Ihr wenig bürokratisches Format ermöglicht es ihr, ad hoc auf politische Probleme zu reagieren. Der Grad ihrer Institutionalisierung wird bewusst niedrig gehalten, um diese Informalität und Flexibilität aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund handelt es sich bei der G8 nicht um eine IO, sondern um eine internationale Institution. Aufgrund ihrer exklusiven Mitgliedschaft wird sie auch als Club-Governance-Institution bezeichnet (vgl. Schneckener 2009: 4-5).
Während es zunächst um die Abstimmung nationaler Finanz- und Wirtschaftspolitik ging, erweiterte die G8 ihre Agenda mit Beginn der 1980er Jahre beständig um sicherheitspolitische, soziale und ökologische Themen und kann nunmehr als nahezu allkompetente und international gut vernetzte Institution gelten, deren Eingriffstiefe weit über die Grenzen ihrer Mitgliedstaaten hinausgeht (Mourlon-Druol/Romero: 4). So lassen sich heute zwei zentrale Zielstellungen erkennen: erstens die Koordination ihrer Mitglieder sowie zweitens die Beeinflussung ihres Umfelds - von Nicht-Mitgliedstaaten über andere Institutionen und private Unternehmen bis hin zu einzelnen Bürgerinnen. Als Metainstitution (vgl. Gnath/Reimers 2009: 5) oder auch Knotenpunktinstitution (vgl. Nonhoff u.a. 2009: 242) ist sie in der Lage, hierfür auf die großen IOs zurückzugreifen. Dieses ist ihr möglich, weil sie beachtliche Machtressourcen bündelt, darunter ökonomische Stärke sowie sehr hohe Stimmanteile im Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund, IMF) und der Weltbank. Dabei ist die G8 über ihre Knotenpunktfunktion hinaus politisch in hohem Maße bedeutsam, da ihre Gipfeltreffen auf der höchsten Regierungsebene stattfinden und vereinzelt Kompromisse erwirkt werden, die auf niedrigerer Politikebene kaum möglich sind (Reynolds 2014: 16). Überdies sind die Staats- und Regierungschefs persönlich sehr engagiert. Margaret Thatcher unterbrach sogar zweimal den nationalen Wahlkampf, um an den Gipfeltreffen teilnehmen zu können (Bayne 2014: 36). Bis heute hat es nur einen einzigen Ausfall eines Staatschefs bei einem G8-Gipfel gegeben - Wladimir Putin nahm nicht in Camp David 2012 teil, reiste 2013 aber wieder an.
Im Zeitalter der "Alter-Globalisierungsbewegung", die ihren bisherigen Höhepunkt in den 1990er und 2000er Jahren fand, rückte die G8 in den Fokus transnationaler Proteste. Sie wurde vornehmlich als eine "Party der Reichen" wahrgenommen, bei der die selbsternannten Staatenlenker dieser Welt auf Kosten der Steuerzahler zusammenkommen und bei der am Ende nicht einmal die Reste vom Fest für die aus dem Club Ausgeschlossenen übrig bleiben (vgl. Nonhoff u.a. 2009; Gronau 2010). Die Kritik an der G8 beschränkte sich nicht auf die Reihen der Demonstrantinnen. Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Nicht-Mitgliedstaaten und Repräsentanten anderer Institutionen meldeten sich gleichfalls kritisch zu Wort. So forderte Jean Ziegler in seiner Rolle als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung 2007 die Einstellung der G8-Gipfel (vgl. Rizvi 2007). Weil ihre jährlichen Treffen spätestens ab Mitte der 1990er Jahre zu Gipfeln mit "Protestautomatik" (Süddeutsche Zeitung vom 23. Juli 2001) wurden, dürften sich der Legitimationsdruck auf die Gemeinschaft und damit auch ihre Legitimationsbemühungen intensiviert haben.
Doch nicht erst Massenproteste und Reformdebatten veranlassen internationale Institutionen wie die G8 zu legitimatorischen Aktivitäten. Diese sind nicht nur eine Reaktion, die in Krisenzeiten stattfindet, sondern werden auch proaktiv eingesetzt. Sie gehören zum "lifeblood" (Reus-Smit 2007: 159) und damit zum Tagesgeschäft internationaler Institutionen. Bereits bei ihrem ersten Gipfeltreffen 1975 bemühte sich die damalige G6 den Archivalien zufolge um eine positive Darstellung. Das Treffen in Rambouillet müsse "sorgfältig vorbereitet werden […], um zu verhindern, daß das Gipfeltreffen ohne konkrete Ergebnisse endet und die internationale Presse das Vorhaben als einen Mißerfolg bewertet" (Leonberger 2007 [1976]: 785). Es sollte verhindert werden, dass sich "kleinere EG-Länder" (ebd.: 786) und Entwicklungsländer (Hiss 2008 [1977]: 565) von dem "private, informal meeting of those who really matter in the world" (der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt im Vorfeld des ersten Gipfels, zitiert nach Reynolds 2014: 19) ausgeschlossen und benachteiligt fühlen. Auch bei der Suche nach einem Austragungsort für den Folgegipfel orientierte sich die Gruppe an ihrem Gebot, einen unterstützungswürdigen Gesamteindruck zu vermitteln, wie ein Gesprächsprotokoll zwischen Helmut Schmidt und dem US-amerikanischen Außenminister Henry Kissinger belegt: "Bundeskanzler: Puerto Rico klingt sehr exotisch, warum nicht Bermuda? Kissinger: Das klinge zu sehr nach Ferienort […]" (Rodman 2007 [1976]: 676, Hervorhebung im Original).
Obwohl die G8 demnach eine lange Geschichte legitimatorischer Aktivität vorweisen kann, ist es sehr überraschend, dass sie in politikwissenschaftlichen Analysen zur Legitimation internationaler Institutionen bisher nahezu unberücksichtigt geblieben ist (siehe aber Nullmeier u.a. 2010). Der Fall G8 widerspricht einem Legitimationsverständnis, das sich ausschließlich an formalen Kriterien wie der Verbindlichkeit und der Einklagbarkeit von Entscheidungen orientiert. Ein solches Verständnis kann weder erklären, warum es zu einer öffentlichen Legitimitätsdebatte über die G8 gekommen ist, noch, warum sich die G8 aufwendig zu legitimieren versucht. Das Aufkommen dieser öffentlichen Debatte läuft einer zentralen Annahme der Politisierungsthese nach Zürn u.a. (2007: insbesondere 138-139) zuwider, der zufolge vor allem Institutionen mit hohem Supranationalisierungsgrad, mit quasi-juristischen Verfahren oder dem Prinzip der Mehrheitsentscheidung in besonderem Maße von einer gesellschaftlichen Politisierung erfasst würden. Es liegt kein unmittelbares Herrschaftsverhältnis zwischen der G8 und den Bürgerinnen ihrer Staatengemeinschaft vor, auch verfügt sie nicht über eine bindende Autorität gegenüber ihren Mitgliedstaaten. Einem weichen und nicht formalen Herrschaftsverständnis folgend wird "Herrschaft" aber auch dort ausgeübt, wo eine Institution das Verhalten ihrer Mitglieder sowie ihrer Umwelt beeinflusst (vgl. Hasenclever/Mayer 2007: 23; Ecker-Ehrhardt 2012: 453-454). Dies ist mit Blick auf die Steuerungs-, Koordinations- und Kooperationsbemühungen der G8 eindeutig der Fall. Obschon die G8 also nicht den gängigen Kriterien entspricht, die eine Politisierung erwarten lassen, fühlen sich Bürgerinnen, Nicht-Mitgliedstaaten und andere Institutionen sowie IOs von ihrer Politik adressiert, betroffen und/oder ausgeschlossen, formulieren Legitimationserwartungen an und Werturteile über den Club - und provozieren dessen Reaktionen. Zugleich ist die G8 aufgrund der freiwilligen Mitwirkung ihrer Steuerungsadressaten auf Legitimität angewiesen, um ihre politischen Gestaltungsversuche realisieren zu können. Damit bietet die G8 in besonderem Maße Anlass zu der Frage nach den Legitimationsbemühungen internationaler Institutionen, die im Zentrum dieser Studie steht.
Hiermit wird ein in der Politikwissenschaft bisher kaum berücksichtigtes Phänomen aufgegriffen. Denn während die Proteste gegen internationale Institutionen und Organisationen (O'Brien u.a. 2000; Della Porta/ Tarrow 2005; Zürn u.a. 2007) sowie deren öffentliche Bewertung (Nullmeier u.a. 2010) im Zuge der "renaissance of international legitimacy talk" (Clark 2005: 12) mittlerweile gut erforscht sind, wird die Seite der Legitimations-beschaffung durch die Herausgeforderten erst jüngst in den Blick genommen (Clark/Reus-Smit 2007; Reus-Smit 2007; Steffek 2007; Brassett/Tsingou 2011; Zürn u.a. 2012). In diesen ersten Arbeiten lassen sich zwar Versatzstücke eines empirischen Legitimationsverständnisses finden, das beide Seiten des Legitimationsgeschehens einbezieht. Doch vergleichbar mit den ersten empirischen Studien über die Legitimationsaktivitäten internationaler Institutionen (Tallberg u.a. 2013; Zaum 2013a) haben sie weder eine theoretische Konzeptualisierung noch eine Herleitung der zentralen Mittel der Legitimationsbeschaffung hervorgebracht, die über institutionelle Reformen und deren kommunikative Vermittlung hinausgehen (vgl. aber Nullmeier u.a. 2012: 23-28).
Um das Phänomen der Legitimationsbemühungen umfänglich erfassen zu können, schlage ich vier Neuerungen für die theoretische Perspektive auf Legitimation vor. Sie münden in ein interaktives Verständnis des empi-rischen Legitimationsgeschehens, das die Legitimationsbemühungen internationaler Institutionen berücksichtigt und zu der Forschungsfrage veranlasst, wie genau sich diese Bemühungen vollziehen und erfassen lassen. Ein fünftes Argument nimmt die prekäre Situation der G8 nach der Finanzkrise ab Herbst 2008 in den Blick und formuliert eine Hypothese über die Bedingungen ihres Verbleibs im internationalen System.

Erstens: Ein interaktives Legitimationsverständnis

Die vorliegende Studie verknüpft die empirische Legitimationstheorie im Anschluss an Max Weber mit einer jüngeren Theoriedebatte. Letztere löst das klassische, staatszentrierte Legitimationsverständnis im politikwissenschaftlichen Teilgebiet der Internationalen Beziehungen zunehmend ab und widmet sich Legitimation als gesamtgesellschaftlichem, sozialem Phänomen. Die Teilnehmerinnen dieser neuen Debatte plädieren dafür, auch die Legitimationsbeziehungen zwischen den internationalen Institutionen sowie Organisationen und den Bürgern bzw. den Gesellschaften zu berücksichtigen (stellvertretend Clark 2007; Steffek 2007: 189; Scholte 2014). Heute sind Bürgerinnen entweder unter ein faktisches Herrschaftsverhältnis gestellt oder fühlen sich einem solchen unterworfen (vgl. O'Brien u.a. 2000; Hooghe/Marks 2009; Ecker-Ehrhardt/Wessels 2013). Zusammengenommen entsteht ein interaktives Legitimationsverständnis, das den Aktivitäten internationaler Institutionen gegenüber unterschiedlichen "social constituenc[ies] of legitimation" (Reus-Smit 2007: 164) Rechnung trägt. Ein solches Verständnis macht die Eröffnung einer neuen Forschungsperspektive notwendig.

Zweitens: Die Selbstlegitimation internationaler Institutionen als eine neue Perspektive

Vor diesem Hintergrund nimmt diese Studie sowohl die neuere Theoriedebatte als auch die oben skizzierten Beobachtungen zur Selbstlegitimationsgeschichte der G8 zum Anlass, um eine ergänzende Perspektive in die politikwissenschaftliche Legitimationsforschung einzuführen: Die Selbstlegitimation internationaler Institutionen. Nicht nur Bürgerinnen, NGOs, Staaten sowie andere Institutionen tragen zur Legitimation bzw. Delegitimation internationaler Institutionen bei und regen den Forschungsblick auf die Perspektive der Herrschaftsunterworfenen an. Mit der hier eingenommenen Perspektive werden die internationalen Institutionen als "active players" (Barker 2001: 108) in einem interaktiven Legitimationsgeschehen berücksichtigt. Legitimität kann nur das temporäre Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen Herrschaftsträgern und Herrschaftsunterworfenen sein und manifestiert sich in positiven oder negativen Werturteilen (vgl. Barker 2007a: 20; Hurrelmann u.a. 2007: 8), die sich in Form wertender Aussagen, aber auch in Protest- und Wahlverhalten, Graffiti etc. niederschlagen können. Damit ist Legitimation immer Legitimation im Kontext und dieser Kontext wird durch internationale Institutionen mitgestaltet, indem sie ihrer Umwelt Legitimationsangebote senden. Mehr noch: Wir können unsere Bewertungen internationaler Institutionen erst auf der Basis der Vielfalt dessen vornehmen, was sie uns zur Evaluierung anbieten, weil uns unmittelbare persönliche Erfahrungen mit ihnen in aller Regel fehlen. Durch den Blick auf die Selbstlegitimation wird ein Perspektivwechsel von den Herrschaftsunterworfenen - den Constituencies - auf die Herrschaftsträgerinnen vorgenommen und damit eine Top-down-Perspektive in die empirische Legitimationsforschung eingeführt. Herrschaft ist per definitionem hierarchisch und bisher standen die Legitimationszuschreibungen der Herrschaftsunterworfenen an die Herrschaftsträger, also Legitimationsprozesse "von unten nach oben" bzw. "Bottom-up" im Vordergrund. Die Top-down-Perspektive bildet das empirische Gegenstück zu dieser Bottom-up-Perspektive. Mit dem Begriff Top-down werden also die Legitimationsaktivitäten derjenigen erfasst, die Herrschaftsansprüche stellen und diese gegenüber den Herrschaftsunterworfenen zu legitimieren versuchen. In den Blickpunkt geraten hiermit diejenigen Aktivitäten, die internationale Institutionen in legitimatorischer Absicht vollziehen. Legitimation soll hier also in Abgrenzung zu einer normativen Ableitung von Legitimität als empirisches Phänomen erfasst werden.

Drittens: Multimodale Selbstlegitimation

Die ersten Forschungsarbeiten, die sich explizit der Selbstlegitimation widmen, konzentrieren sich auf institutionelle Reformen und deren kommunikative Vermittlung. Sie zeichnen sich - wie die Legitimationsfor-schung insgesamt - durch eine Fixierung auf Schrift- und Sprechsprache aus und nehmen Jahresberichte und Abschlusserklärungen, Homepages sowie Dokumente, die die Einführung von Reformen begleiten, in den Blick. Doch genauso, wie es in der Schlussredaktion von Kommuniqués "am Ende auf jedes Komma" ankommt, so der ehemalige G8-Sherpa Bernd Pfaffenbach (zitiert nach Weiland 2008), sind die Fotografien, Logos und Geschenkartikel internationaler Institutionen keinesfalls zufällig, sondern kostspielig und aufwendig geplant. So berichtete ein Reporter während des G8-Gipfels in Camp David 2012 vom Einsatz von "4 ›industrial sized‹ bug spray cans on area where leaders posed for ›family photo‹" (Maer 2012). Beim Folgegipfel in Lough Erne 2013 wurden sogar potemkinsche Dörfer errichtet (vgl. Die Presse online 2013). Eine derart umsichtige Gestaltung ist indes kein Spezifikum der G8. Viele internationale Institutionen sind heute multimodale Kommunikationsprofis.
Während der Begriff der Multimodalität in der Sprachwissenschaft auf die unmittelbaren Verschränkungen zwischen unterschiedlichen Kommunikationsformen verweist und in multimodalen Analysen folglich Bilder und deren Untertitelungen oder das Verhältnis zwischen verbalem Text und nonverbaler Grafik auf Homepages in den Blick genommen werden (Kress 2000; Bateman 2008; Meier 2011), folgt diese Studie einem weiten Verständnis von Multimodalität als einem Vorgehen, das auf vielfältige Weise erfolgen kann und unterschiedliche Sinneskanäle nutzt. So verstanden dient mir der Begriff als Etikett für unterschiedliche Legitimationsmodi, die sich idealtypisch nach ihrer verbalen Kommunikationsweise in Form von Schrift- und Sprechsprache sowie ihrer nonverbalen Kommunikationsweise in Form von Bild- und Objektsprache unterscheiden lassen. Nonverbale Kommunikation bezieht sich hier allerdings nicht auf die nichtsprachliche Informationsvermittlung über Körpersprache, darunter Gestik und nicht steuerbare Körpersignale wie Erröten (Wehling 2014: 218-219). Vielmehr rücken mit diesem Begriff die Fotografien, Logos und Erinnerungsgeschenke, die auf internationalen Konferenzen verteilt werden, zusätzlich zu den Produkten verbaler Kommunikation in den Blick von Selbstlegitimationsforschung. Im Kern geht es darum anzuerkennen, dass Legitimation per definitionem mit Bewertungen einhergeht und diese nicht nur auf der Grundlage von verbalen Argumenten, sondern auch im Zuge des Betrachtens von Bildern, Logos usw. vorgenommen werden. Konsequenterweise werden in der Datengrundlage dieser Studie Produkte beider Kommunikationsweisen einbezogen.

Viertens: Das Konzept der Selbstlegitimation

Doch wie kann der Zugriff auf das multimodale Legitimationsgeschehen gestaltet werden? In theoretischer Hinsicht werden die Legitimationsbemühungen mit dem Konzept der Selbstlegitimation internationaler Institutionen erfasst, dem folgende Definition zugrunde liegt: Mit Selbstlegitimationen zielen internationale Institutionen darauf ab, die wertgebundene Unterstützung von ihren sozialen Constituencies für die Gesamtheit ihrer Institution zu gewinnen. Diese Definition ist an das Legitimationsverständnis von David Easton (1975, 1979) angelehnt und ermöglicht eine Identifikation jener Aktivitäten, die als Legitimationsbemühung klassifiziert werden können. Neben einer Definition und einer Bestimmung der Produzenten von Selbstlegitimation umfasst das Konzept zwei Dimensionen: erstens die Ausrichtung der Selbstlegitimation gegenüber unterschiedlichen Adressatinnen sowie zweitens die Modi der Selbstlegitimation, die im Zentrum dieser Arbeit stehen.
Die Ausrichtung der Selbstlegitimation kann nach drei idealtypischen Adressatenkreisen differenziert werden: erstens die Mitgliedstaaten, zweitens die Bürokratie internationaler Institutionen sowie drittens die Öffentlichkeit, darunter Bürgerinnen, NGOs, Nicht-Mitgliedstaaten und andere Institutionen. Diese drei idealtypischen Constituencies haben möglicherweise unterschiedliche Legitimationserwartungen, so dass sich internationale Institutionen zu einer individuellen Pflege ihrer Legitimationsbeziehungen veranlasst sehen können, die ihnen ein vorsichtiges Ausbalancieren der jeweiligen Erwartungen in diesen drei Gruppen erlaubt. Anknüpfend an diese Dreiteilung schlage ich vor, konzeptionell zwischen drei Ausrichtungen der Selbstlegitimation zu unterscheiden: intergouvernementale, bürokratische sowie öffentliche Selbstlegitimation. Gleichwohl sich das Feld empirisch beobachtbarer Selbstlegitimation nach diesen drei Ausrichtungen aufspannen lässt, konzentriert sich die empirische Analyse auf die öffentliche Selbstlegitimation. Diese Fokussierung trägt der neueren Theoriedebatte Rechnung, die auf die Bedeutung der direkten Legitimationsbeziehungen zwischen internationalen Institutionen und der Öffentlichkeit aufmerksam gemacht hat. Gleichzeitig kann die öffentliche Selbstlegitimation als die umfassendste Ausrichtungsoption gelten, deren Gestaltung auch auf die intergouvernementale und bürokratische Selbstlegitimation zurückstrahlt und von allen drei Adressatenkreisen wahrgenommen wird.
Darüber hinaus nimmt das Konzept die Modi der Selbstlegitimation ausführlich in den Blick. Worauf greifen internationale Institutionen zurück, um sich zu legitimieren? Was genau unternehmen sie also, um wert-gebundene Unterstützung einzuwerben? Vor dem Hintergrund eines multimodalen Legitimationsverständnisses lassen sich drei idealtypische Legitimationsmodi unterscheiden: erstens institutionelle Legitimationspolitiken, die mit substanziellen Veränderungen in der Architektur oder den Entscheidungsprozessen einer Institution einhergehen, zweitens die Legitimationsrhetorik, die sich aus wertenden Aussagen in den Dokumenten einer Institution zusammensetzt, sowie drittens nonverbale Selbstpräsentationen in Form von Fotografien, Filmen, Architektur, Logos, Geschenkartikeln usw. Der Begriff Legitimationsrhetorik impliziert keine Wertung, sondern wurde in Abgrenzung zur nonverbalen Legitimationskommunikation gewählt. Während die ersten beiden Modi auf verbale Kommunikationsressourcen zurückgreifen und internationale Institutionen mit ihnen insbesondere in der Lage sind, Gründe für ihre Anerkennungswürdigkeit zu explizieren, können sie mit ihren nonverbalen Selbstpräsentationen zusätzlich stärker emotionale Rezeptionsmodi motivieren und auf diese Weise zu Werturteilen veranlassen.

Fünftens: Die Aufwertung der G20 und die notwendige Selbstpositionierung der G8

Durch die vier Neuerungen wird das bisherige Verständnis empirischer Legitimation erweitert: Die Constituencies internationaler Institutionen - darunter heute auch die Öffentlichkeit sowie die Angestellten ihrer Administration - nehmen ihre Legitimationsbewertungen nicht in einem luftleeren Raum vor. Internationale Institutionen füllen diesen Raum und können auf mindestens drei Modi zurückgreifen, um positive Legitimationsbeziehungen zu den drei Adressaten ihrer Selbstlegitimation herzustellen. Sie tun dabei sicherlich gut daran, Wertmaßstäbe zu bedienen, die aktuell in den Gesellschaften ihrer Constituencies diskutiert werden. Mindestens aber sollten sie nicht den gängigen Wertvorstellungen widersprechen. Darüber hinaus, und dieser Hypothese soll am Beispiel der G8 nachgegangen werden, ist es für internationale Institutionen von Vorteil - und manchmal sogar notwendig - im Zuge ihrer Selbstlegitimation unterstützenswerte Alleinstellungsmerkmale zu präsentieren. Diese ermöglichen es ihnen, den Eindruck institutioneller Dopplungen und damit auch die Gefahr einer Infragestellung ihrer Existenz zu verhindern.
Dieser Herausforderung steht die G8 seit der Finanzkrise 2008 in besonderem Maße gegenüber. In ihrem Fall zeigt sich, dass nicht nur Proteste Einfluss auf die Gestaltung von Selbstlegitimation nehmen, sondern auch Veränderungen der internationalen Gesamtlage: Mit der Finanzkrise erhöhten sich die Gestaltungsansprüche an internationale Institutionen und es wurde offenkundig, dass die Bearbeitung der internationalen Politik nicht mehr ohne die mittlerweile ökonomisch erstarkten Schwellenländer erfolgen kann. Für die Situation der G8 ist neben diesen Faktoren, die bereits auf einen erhöhten "Legitimationsdruck" schließen lassen, insbesondere die Aufwertung der "Gruppe der Zwanzig" (G20) von zentraler Bedeutung. 1999 ursprünglich als Abstimmungsforum von Finanzministern und Zentralbankern gegründet, ließ die internationale Finanzmarkt-krise ab Herbst 2008 eine Krisenintervention auf höchster Regierungsebene notwendig erscheinen. Daraufhin fand im November 2008 der erste Gipfel der Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten statt. Zwar kann die G8 durch die Mitgliedschaft der USA immer noch als militärischer Machtfaktor gelten, hinsichtlich der zusammengenommenen wirtschaftlichen Stärke der Mitgliedstaaten wurde sie jedoch von der G20 überholt. Damit hat eine ihrer wesentlichen Gründungserzählungen als Veranstaltung der "most industrialized democracies" (vgl. G6 1975: §2) an Überzeugungskraft verloren. Sie blieb im Hinblick auf ihr eigentümliches Format nicht länger alternativlos. Mehr noch: In der G20 können Staats- und Regierungschefs nicht nur die von ihnen geschätzte Informalität finden, um ad hoc auf internationale Probleme reagieren zu können, sondern auch ein Forum, an dem die großen Schwellenländer Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika gleichberechtigt teilnehmen. Die G20 ist zur Chefsache geworden, während die G8 in der öffentlichen Wahrnehmung zeitweise durch die G20 ersetzt wurde. Selbst Vertreter ihrer Mitgliedstaaten, wie hier der britische Handelsminister Peter Mandelson, proklamierten: "The era of the G8 is over" (vgl. Nagpal 2009). Der US-amerikanische Präsident Barack Obama ließ in einer Presseerklärung des Weißen Hauses verlauten, die G20 würde die aktuellen Strukturen in der globalen Ökonomie besser als zuvor abbilden und die für eine stabile Finanzarchitektur notwendigen Staaten zusammenführen (White House 2009).
Trotzdem existiert die G8 - inzwischen wieder als G7 - heute noch und steht zudem nicht mehr im Epizentrum der öffentlichen Kritik. Vor dem Hintergrund dieser historischen Entwicklung von einem "Kind des Kalten Krieges" zu einer in besonders hohem Maße politisierten Institution und schließlich zu einem Club, dem es trotz einer heute multipolaren Welt, trotz Massenprotesten und trotz der potenziell konkurrierenden Situation zur G20 gelungen ist, bis heute fortzubestehen, rückt die Frage nach den Bedingungen ihres Fortbestands in den Fokus. Bezüglich dieser Bedingungen lässt sich folgende Forschungshypothese zur Selbstlegitimation der G8 - und der G20 - formulieren: Insgesamt dürfte die beschriebene potenziell konkurrenzhafte Situation zwischen der G8 und der G20 die Legitimationsbemühungen beider Clubs zusätzlich zur öffentlichen Kritik befördert haben. Sie mussten und müssen sich sorgfältig voneinander abgrenzen, um ihre Existenz auf Dauer sicherzustellen, wobei dieser Abgrenzungsdruck für die G8 höher ist als für die G20. Hierfür reicht es möglicherweise nicht aus, einen Katalog an Legitimationsbemühungen zu entwickeln, der den heutigen "normativ-gehaltvollen" Ansprüchen an internationales Regieren (vgl. Zürn u.a. 2007: 139) entgegenkommt. Darüber hinaus müssen die G8 und die G20 Alleinstellungsmerkmale präsentieren, um sowohl auf der Grundlage von Werturteilen anerkennungswürdig als auch als politisch relevant und damit erhaltenswert bewertet werden zu können. Beide Institutionen müssen im Zuge ihrer Selbstlegitimation eine möglichst distinkte Selbstpositionierung im internationalen System vornehmen.


Jennifer Gronau, Dr. rer. pol., ist Post-doc Fellow am Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research der Universität Duisburg-Essen und Mitglied der von der deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsgruppe "Visual Global Politics".



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