Grün / Deininger | Warum musste Abel sterben? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 155 Seiten

Grün / Deininger Warum musste Abel sterben?

Mordgeschichten und andere Seltsamkeiten der Bibel
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7365-0345-8
Verlag: Vier Türme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Mordgeschichten und andere Seltsamkeiten der Bibel

E-Book, Deutsch, 155 Seiten

ISBN: 978-3-7365-0345-8
Verlag: Vier Türme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Buch der Bücher ist voller schwieriger und zum Teil brutaler Geschichten. Es geht um Eifersucht und Verrat, Intrigen und Ehebruch, Betrug und Mord. Doch können uns diese Texte heute noch eine "Frohe Botschaft" vermitteln? Haben sie für unsere Zeit eine Bedeutung, die uns zu leben hilft?

Pater Anselm Grün und der Psychologe Dr. Bernd Deininger laden mit ihrer Auslegung von Bibelstellen des Alten Testaments ein, sich mit den Gedanken und Gefühlen der Protagonisten, aber auch mit der Handlungsweise Gottes auseinanderzusetzen. Dabei spielt ihre Perspektive als Mönch und Psychotherapeut eine wesentliche Rolle, um die Texte für heute fruchtbar zu machen und so Lösungsmöglichkeiten für den (friedvollen) Umgang miteinander aufzuzeigen.

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Bernd Deininger Die Wurzel von Schuld und Angst · Genesis 3,1–24 Im 3. Kapitel des Buches Genesis wird die grundsätzliche Frage beantwortet, was den Menschen aus dem Paradies treibt. Das Paradies steht hier für Glückseligkeit, ewiges Leben, Konfliktlosigkeit, ewige Liebe, das Spüren der Nähe Gottes. Die Bibel tut dies verdichtet in einem Ursprungsmythos, damit sich in unserem inneren Erleben ein Bild darstellt, in dem sich jeder Mensch wiederfinden kann. Die Geschichte handelt nicht von einem historischen Menschenpaar, das uns als Adam und Eva bekannt ist, sondern die Intention des Autors ist, dass wir darin die Geschichte eines jeden einzelnen Menschen wiedererkennen können, also auch unsere eigene. Um diese mythische Geschichte zu verstehen, ist es hilfreich, aus der Erzählung symbolhaft Einzelnes herauszugreifen. Beginnen wir mit der Schlange. Es handelt sich hier um ein mythisches Tier, ein Symbol. Und was sie zu sagen hat, lässt sich ganz unmittelbar in unserem eigenen Inneren abbilden. Aus der Erzählung selbst wissen wir noch nicht, was es mit der Schlange auf sich hat. Wir erfahren lediglich, dass sie zur Schöpfung Gottes gehört. Es gibt Mythen, in denen die Schlange als ein Symbol des Bösen betrachtet wird. Wenn sie jedoch zur Schöpfung Gottes gehört, ist das mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, geht der Leser der Bibel doch davon aus, dass Gott von sich aus nichts Böses erschafft. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung für alles, was im Folgenden weiter zu betrachten ist. Wenn wir uns die Geschichte der Bibel vor Augen halten, dann scheint es so, als ob von dieser Schlange alles Unglück und Unheil auf den Menschen herabkommen würden. Der Mythos versichert uns aber auch: Selbst wenn das Konflikthafte den Menschen hinabzieht in den inneren Widerspruch zu sich selbst, zur Welt und zum Schöpfer, darf nie aus dem Blick geraten, dass die Macht, durch die es geschieht, nicht aus dem Bereich der Schöpfung Gottes herausfällt. Unter diesem Blickwinkel kann das Böse, das der Schlange zugeschrieben wird, nicht so angenommen werden. Das Einzige, was der Text uns auf die Schlange bezogen deutlich sagt, ist ein Eigenschaftswort: listig war sie, listiger als alles, was Gott sonst auf Erden geschaffen hatte. Dieses kleine Eigenschaftswort ist in der Tat sehr wichtig, damit wir zu einem tieferen Verständnis über die Schlange kommen können. Denn wenn diese Aussage stimmt, dann liegt der Ursprung des sogenannten Bösen in einer Selbstüberlistung, die dem Handelnden so aber vielleicht nicht bewusst ist. Das würde bedeuten, dass endgültig Abschied genommen werden muss von jeder Art des Redens über das Böse im Menschen. Wenn wir das Ganze rein moralisch betrachten, kann man sagen: Die Menschen sind böse, weil sie böse sein wollen. Die Folge ist, dass es in unterschiedlicher Weise Schutzmaßnahmen geben muss, die den Willen des Menschen zum Guten anhalten. Das würde aber bedeuten, dass die Welt klar getrennt ist in richtig und falsch sowie gut und böse. Die Erzählung in Genesis 3 weist uns aber immer wieder darauf hin und beschwört uns geradezu, so nicht zu denken. Es gibt viele Menschen, die in das, was wir mit »böse« bezeichnen, hineingezogen werden, und das, was sie getan haben, oft überhaupt nicht tun wollten. Bei der Aufarbeitung des Genozids in Ruanda an den Tutsi wurde darüber oft in den Versöhnungsdörfern, die 20 Jahre danach gegründet wurden, gesprochen. Viele Hutus, die zu Tätern wurden und nun in Gruppen den Opfern gegenübersaßen, sagten: »Das, was wir getan haben, haben wir eigentlich gar nicht tun wollen.« Daher ist es wichtig, den Menschen gerade aufgrund solcher Geschehnisse und im Hinblick auf den Genesis-Text als einen Betrogenen, einen Hereingelegten zu betrachten. Wenn wir solchen Gedanken folgen, dann gäbe es die Chance, nicht nur die Tragödie vom Hinauswurf aus dem Paradies zu verstehen, sondern auch viele andere Tragödien, die sich in der Menschheitsgeschichte ereignet haben. Der Genesis-Text möchte eine Vision menschlichen Zusammen­lebens einerseits und des inneren Erlebens des Menschen andererseits geben. Es geht darum, Verstehen zu üben statt Verurteilung, Einfühlung statt Ausstoß, um dann die Furcht vor Verurteilung ablegen zu können, damit wir ehrlich mit uns selbst und anderen umgehen. Das sogenannte Böse beginnt in dieser Geschichte ganz harmlos. Die Schlange richtet eine Frage an die Frau. Häufig heißt es in den Übersetzungen aber: »Gott hat wohl gar gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?« Dann ist es aber eher eine Behauptung, die zum Widerspruch anregt. Doch so wird es nicht gemeint sein. Denn das sogenannte Böse würde sich dann in die Beziehung zwischen Gott und die Menschen hineinschleichen, indem es sich einfach nach dem erkundigt, was Gott gesagt hat. Das wird man doch dürfen? Ein Nachdenken über das Gotteswort, was könnte unverdächtiger erscheinen? Wäre es denn vorstellbar, dass Gott eine ganze Welt erschaffen hat, wunderschön und stimmig, und hätte gleichzeitig den Willen gehabt, einen Menschen dort hineinzusetzen, nur um ihn mit einem Verbot zu quälen? Wäre der Mensch dann nicht ein Gefangener der göttlichen Einschränkung? Wenn dies eine Möglichkeit ist, nach Gott so zu fragen, steht dann nicht Gott selbst infrage? Wenn wir uns in die Lage eines Menschen einfühlen, dem sein Gott, sein Untergrund, auf den er vertraut, fragwürdig wird, dann können wir die Unsicherheit und Angst spüren. Es ist, als wenn einer, der sich in der Liebe geborgen fühlt, plötzlich in Zweifel gestürzt wird, ob er dem geliebten anderen vertrauen kann oder ob er der Betrogene ist. Dann entstehen Eifersucht und Hass. Wenn einem Menschen Gott fragwürdig wird, geschieht im Grunde noch viel Schlimmeres. Er fällt aus jeder Sicherung heraus. Diese Möglichkeit wird hier von der Schlange aufgezeigt. Ein einziges Gebot hat Gott erlassen, aber auf diesem Gebot, dessen Sinn wir eigentlich noch nicht verstehen, liegt plötzlich der Schatten eines Verdachts: Es könnte sein, dass Gott den Menschen um ein bestimmtes Glück bringen will, und zwar mit Absicht, um ihn in seinen Möglichkeiten einzuschränken. Wenn es diese Möglichkeit gibt, verändert sich die Beziehung zu Gott vollkommen und sieht völlig anders aus, als man bis dahin angenommen hat. Dann wäre Gott nämlich selbst zwiespältig und unheimlich, möglicherweise sogar bösartig und gefährlich. Was kann ein Mensch bei solchen Voraussetzungen und Möglichkeiten tun? In unserem Text ist es die Frau, die das Entscheidende unternimmt. Sie ist es, die sich auf die Seite Gottes schlagen will, indem sie das Gebot Gottes noch einmal wörtlich formuliert: »So hat der Schöpfer gesprochen, von allen Bäumen im Garten dürft ihr (»selbstverständlich« muss man hinzufügen) essen, nur von dem Baum in der Mitte des Gartens, hat er gesagt, esst davon nicht.« Etwas später heißt es dann im Text, dass die Frau genau das tun wird, was sie eigentlich für nicht denkbar hielt und dessen sie sich innerlich verweigerte. Sie zitiert das Gotteswort buchstäblich mit einer einzigen, aber dadurch alles verändernden Abwandlung: »Gott hat gesagt«, so legt sie dem Allmächtigen in den Mund, »rührt an diesen Baum überhaupt nicht, denn sonst werdet ihr sterben«. Was ist geschehen, dass sie das Wort Gottes so, wie es gesagt wurde, gar nicht wiederholen kann, sondern etwas hinzufügt, eine Radikalisierung: »Rührt nicht daran!« Was könnte dahinterstecken? Eine Handbewegung würde genügen und Gott stünde bereit. Er wäre wie ein Rächer und könnte den Menschen vernichten. Das würde bedeuten, Gott ist an dieser Stelle der Erzählung nicht mehr der Beschützer und Erhalter des menschlichen Lebens, sondern es wäre ihm zuzutrauen, dass er den Menschen für ein geringes Vergehen verurteilt und vernichtet. Die gesamte Beziehung zwischen Gott und Mensch wäre dann plötzlich durchtränkt von einer überdimensionalen Angst. Mehr noch: Der Mensch selbst müsste Angst haben, er könnte das Unausdenkbare wirklich tun und daher vor sich selbst auf der Hut sein, weil er jederzeit, getrieben von Begierde, nach dem Baum greifen könnte. Er müsste auch vor dem eigenen Inneren, seinem Selbst Angst haben. Und darüber hinaus: Auch die Welt, die um ihn herum ist, wäre nicht mehr so, wie er sie vorfand. Denn in seinem Inneren fühlte er sich getrieben, der Schlange zu folgen, weil es anscheinend keinen anderen Weg zum Glück mehr gibt, als von diesem Baum zu essen. Nur, indem das Verbotene getan wird, winkte dem Menschen noch die Fülle des Lebens. Denn mit dem Essen des Apfels gingen den Menschen die Augen auf und sie würden erkennen, dass sie nackt sind. Das waren sie zwar schon immer und es fühlte sich ursprünglich auch gut an. Einander begegnen zu dürfen in der Wahrheit des eigenen Wesens, voller Vertrauen, geliebt zu werden für das, was wir sind, wäre eine Auszeichnung und der Begriff von Nähe, Gemeinsamkeit, Zärtlichkeit, Verschmelzung. Jetzt aber bedeutete nackt zu sein plötzlich etwas ganz anderes. Es wäre identisch mit Sich-ausgesetzt-Fühlen unter den Augen des anderen. Es wäre durchtränkt von einem bedrohlichen Schamgefühl. Mit einem Mal würde sich der Mensch so fühlen, dass er sich, auf den anderen bezogen, als nicht mehr zumutbar empfindet. Was hat sich in dieser Situation, in dieser Szene geändert? Was meinen wir, wenn wir von Gott reden? Im Grunde doch nur das Eine: dass es eine Hand gibt, die uns einhüllt wie ein Gewand und uns beschützt aufwachsen lässt. Dann, nach der Veränderung, nach dem Essen des Apfels, wissen die Menschen plötzlich so wie Gott selbst, was es heißt, nur Kreatur zu sein. Und nun wird auch verständlich, was Gott mit seinem Verbot...


Pater Anselm Grün, geboren 1945, Dr. theol., ist Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und der bekannteste spirituelle Autor in Deutschland. Seine Bücher sind weltweit Bestseller. Über die Konfessionen hinweg ist er für viele Menschen Ratgeber und spiritueller Wegbegleiter.

Dr. Bernd Deininger ist Chefarzt in der Klinik für Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Nürnberg. Ehrenamtlich ist Bernd Deininger Prediger in der evangelischen Kirche.



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