E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Grünmandl / Piok / Tanzer Das Ministerium für Sprichwörter
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7099-3932-1
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Werkausgabe Band 2. Romane
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7099-3932-1
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
BELIEBTER SATIRIKER, SCHAUSPIELER – UND BEGNADETER ROMANCIER: OTTO GRÜNMANDL.
Otto Grünmandl – das "Einmanngesamtkunstwerk"
Mit der legendären Radiosendung "Alpenländische Interviews" gelang dem Kabarettisten, Schauspieler und Drehbuchautor Otto Grünmandl in den 1970er-Jahren der Durchbruch. Als Schauspieler war er u. a. an der Seite von Gerhard Polt zu sehen und wirkte in Filmen von Michael Haneke mit. Zusammen mit Kurt Weinzierl, Dietmar Schönherr und Josef Kuderna war er Mitbegründer der Tiroler Volksschauspiele. In seinen Programmen und Hörspielen machte Otto Grünmandl das Absurde der menschlichen Existenz sichtbar. Zeitlebens wirkte er aber auch als Schriftsteller. Die Werkausgabe Otto Grünmandl ist ein Tummelplatz für seine bisher unveröffentlichten oder lang vergriffenen Schmuckstücke.
Ein wunderbar absurd-komischer Blick hinter die Kulissen der Bürokratie
Band 2 versammelt Grünmandls Romane "Das Ministerium für Sprichwörter", "Pizarrini" und "Es leuchtet die Ferne": Darin erzählt zum Beispiel der Hilfsarchivar des geheimen Ministeriums für Sprichwörter von wie Espenlaub zitternden Formularen, von der gefürchteten Staubabteilung, von Tauschgeschäften, Kreuzworträtseln und dem unergründlichen Schlaf des Personalchefs. Ein weiterer Held Grünmandls ist Pizarrini, ein Buchhalter aus innerer Berufung, der das Ordnunghalten der Ordnung halber liebt, dessen Alltag jedoch langsam, aber sicher dem unausweichlichen Verderben entgegenschlittert. Und schließlich gibt es da auch noch den Tiroler Kleinbürger Krambacher, der seine Reiseerlebnisse voller unfreiwilliger Komik wiedergibt.
Otto Grünmandl nimmt in seinen Romanen eine bürokratisierte Beamtenwelt und ihre Sprache aufs Korn, glänzt mit sprachspielerischer Begabung, seinem sicheren Gespür für feine Ironie, pointierte Satire und Gesellschaftskritik. Der Band erscheint mit einem Essay von Erich Klein.
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Bisher in der Werkausgabe Otto Grünmandl erschienen:
Ein Gefangener. Werkeausgabe Band 1. Kurzprosa und Gedichte
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Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort
„Die Literatur kann hier noch das leisten, was man ihr anderswo schon abgesprochen hat.“ Alfred Kolleritsch, manuskripte 29/39, 1970 Kabarettist, Humorist, Absurdist oder einfach ein Tiroler Original – wie unzulänglich derartige Zuschreibungen im Fall von Otto Grünmandl sind, brachte dieser selbst mit seiner legendärsten Erfindung am besten zum Ausdruck. Einmannstammtisch – das bedeutet wohl, dass sich Grünmandl zwischen allen Genres eingerichtet hatte. Dass es sich beim großen Solitär aus Hall, der seit geraumer Zeit als Autor nur noch einem kleinen Kreis von Verehrern bekannt war, darüber hinaus um einen der originellsten und bedeutendsten österreichischen Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts handelt, wurde erst jüngst mit dem ersten einer auf mehrere Bände angelegten Werkausgabe in Erinnerung gerufen. Vom Rätsel oder einem Fall Grünmandl zu sprechen, scheint in diesem Zusammenhang nicht übertrieben zu sein, jedenfalls solange es keine Biographie des Kabarettisten und Autors gibt. Und selbst dann werden vermutlich weniger einfache Antworten als zahlreiche Fragen zu dessen Werk zu stellen sein: Waren Grünmandls Gedichte aus den Fünfzigerjahren zu sehr Avantgarde, noch nicht oder nicht mehr Lyrik, wie man sie bislang kannte? Bewegte sich sein fulminantes Romandebüt Ein Gefangener aus 1956 noch allzu nahe am Schrecken des Dritten Reiches, um als österreichische Spielart der Trümmerliteratur eine adäquate Rezeption bei Publikum und in der Literaturgeschichte zu erfahren? Oder wurde der Schriftsteller Grünmandl, der als Zwangsarbeiter den Terror des Dritten Reiches am eigenen Leib erfahren hatte und sich schreibend wie wenige an die Maxime „Keine neue Welt ohne neue Sprache“ hielt, schlicht ob der geografischen Distanz zu Wiens literarischen Netzwerken ignoriert? War der Autor, der weder ästhetisch noch kulturpolitisch in die Schubladen der Nachkriegszeit passte, zuerst zu wenig rechts und später zu wenig links? Als Meister des Understatements kam Otto Grünmandl jedenfalls immer ohne pompöse Formeln aus – ein knappes Selbstporträt (aus den Siebzigerjahren) geriet in Bezug auf den Einbruch der Nazi-Barbarei in die Idylle der Vorkriegszeit, die ohnehin keine mehr gewesen war, höchst lakonisch: „Inzwischen schrieb man 1938. Es war ein böses Jahr, und die Jahre, die ihm folgten, waren noch schlimmer. Am Beispiel meines Vaters lernte ich in dieser Zeit die Würde eines geächteten Mannes kennen und an dem meiner Mutter die Tapferkeit einer ängstlichen Frau. Nach dem Krieg wurde ich Kaufmann. Ich heiratete. Ich wurde Vater.“ Dass er selbst Opfer der Nazis geworden war, blieb dabei ebenso unerwähnt, wie der Mitte der Fünfzigerjahre entstandene und 2008 posthum erschienene Roman Pizarrini, der auch den Auftakt des nunmehr vorliegenden zweiten Bandes der Werkausgabe darstellt. Mit den jeweils im Abstand von fünfzehn Jahren entstandenen Büchern Das Ministerium für Sprichwörter (1970) und Es leuchtete die Ferne … (1985) reihte sich der Tiroler Kafka-Nachfahre in den Strom jener europäischer literarischer Moderne ein, für die heute Namen wie Daniil Charms, Samuel Beckett oder Raymond Queneau stehen. Auf die Entscheidung seines Verlegers, den schon in Druckfahnen vorhandenen zweiten Roman Pizarrini (damals noch unter dem Titel Buchhalter) nicht zu drucken, reagierte der knapp über Dreißigjährige Grünmandl sarkastisch: „Der Buchhalter wurde nun doch abgelehnt, was mich weiter nicht wundert, das Gegenteil hätte bzw. hat mich mehr gewundert.“ Pizarrini ist ein Kraftakt an literarischer Verwegenheit, voll überschießender Einfälle und Wortspiele – dessen eigentliche Aufgabe bestand für Grünmandl (wie er später sagte) in der „Objektivierung der eigenen Biografie im Schreiben“. Wie sehr ihm das mit der Figur des bleichen, fetten jungen Manns namens Pizarrini gelang, der in der Eröffnung durch ein überfülltes Textilgeschäft huscht, sogleich hinter einem Vorhang verschwindet, den merkwürdigen Laut „Bäh“ von sich gibt und wie jeden Tag Punkt zehn Uhr vormittags in eine Käsesemmel beißt, ist dabei nicht von entscheidender Bedeutung. Wichtiger ist das tobende Chaos, das Grünmandl um seinen „Buchhalter aus Überzeugung“, einen Kommis aus der großen Familie grotesker kleiner Figuren von Gogol über Melville bis zu Robert Walser arrangiert. Der Sidestep ins lokale Bordell schlägt zwar fehl, Pizarrinis anschließendes Abendessen mit dem ominösen Direktor der „Interkontinentalen Speisewagen AG“ und Assistenten entwickelt sich aber zur umso opulenteren Apokalypse des Zeitgeistes. Vermutlich wurden in keinem zweiten Buch derart viel Wirtschaft und Werbung, technische Utopien, Scharlatanerien sowie Politik der Fünfzigerjahre auf derart minimalem Raum literarisch zerredet wie in Pizarrini. Grünmandl schuf mit besagter „Interkontinentaler Speisewagen AG“ nicht nur den Prototyp jener skurrilen Institutionen, die in den späteren Alpenländischen Interviews maßgeblich zu seinem Erfolg beitrugen; zur Kenntlichkeit wird auch die Technikgläubigkeit jener Jahre entstellt, wenn die Experten des Stammtisches von einem „Homorobot“ und dessen universeller Verwendbarkeit bei Militär, Wirtschaft und als „Sexrobot“ in Vergnügungs- und Lustindustrie schwadronieren. Damit könne endlich die Verwirklichung der wahren Freiheit des Individuums erfolgen. Selbstredend fällt auch ein Seitenhieb auf das Sittenleben im Heilige Land Tirol ab: „Keine Religion der Erde, dies war sein Hauptargument, kennen den Begriff eines sündhaften Umganges mit Maschinen.“ Wenn unter Begleitung entsprechender Mengen an Schnaps die ganz großen Dinge des Lebens und der Weltlage zwischen Ost und West abgehandelt werden, darf bei Grünmandl natürlich auch die Kunst nicht ungeschoren davonkommen. Der Erzähler nähert sich der Frage – es geht noch immer um die Finanzprobleme besagter „Interkontinentaler Speisewagen AG“ – auf kulinarischem Wege und geradezu hinterfotzige Weise: „Nicht nur in der Malerei, auch in der Kochkunst haben wir die Mitte verloren.“ Die Formulierung war kein Zufall und bezog sich unmissverständlich auf Hans Sedlmayrs Buch Verlust der Mitte, eine in jenen Jahren äußerst populäre, vielfach diskutierte und höchst konservative kunsttheoretische Schrift, die in aller modernen Kunst den Untergang des Abendlandes witterte. „Oh Abendland, seufzte er vor sich hin, was für Menschen dirigieren diese Speisewagen“, wird es dann heißen, wenn die Erzählung samt Erzähler und einer „Neunerpackung Katzen“, deren Bedeutung an dieser Stelle nicht verraten sei, in den Abgrund stürzt. Dass sich die fragile, stellenweise fragmentierte Erzählung am Ende als Schwindel und Traum herausstellt, sollte die heutige Leserin jedenfalls nicht daran hindern, Pizarrini als ein Grundbuch der österreichischen Nachkriegsliteratur zu verstehen, für das Verständnis jener Zeit ebenso wichtig wie Ingeborg Bachmanns Unter Mördern und Irren. Als sich Otto Grünmandl fünfzehn Jahre später um das Jahr 1970 endgültig entschieden hatte, Schriftsteller zu sein, trat er einen Posten beim ORF an – die Bezeichnung der von ihm geleiteten Abteilung klang, als hätte er sie selbst erfunden: Unterhaltung Wort. Grünmandl widmete sich vorwiegend dem damals noch äußerst populären Genre des Hörspiels und verfasste mit Das Ministerium für Sprichwörter, das im renommierten S. Fischer Verlag in prominenter Umgebung erschien, einen maximal modernen Roman, der zugleich ein wenig barock wirkte. Die These sei gewagt: Otto Grünmandl war immer ein Autor, dem es gleichermaßen um modernes reflektiertes Erzählen wie um das Publikum ging, das er keinen Moment aus dem Blick verlor; hermetische Avantgarde-Gesten waren ihm fremd, so kryptisch sich der Meister des Bühnenwortes in seinen Texten auch geben mochte. Am Anfang von Das Ministerium für Sprichwörter wird der Leser noch in die sinistren Vorgänge dieses Roman-Gebäudes eingeweiht: Der Ich-Erzähler, der schon als Kind davon träumte, Kellermeister zu werden, sei instruiert, den Umstand seiner Anstellung wie seinen Namen geheim zu halten; andeutungsweise ist auch die Rede davon, dass er, der frühere Angestellte der Firma Elektro-Graf, nur über Protektion (und gegen den Widerstand seines Vaters) zum vierundvierzigsten Hilfsarchivar jener Institution wurde, deren eigentliche Tätigkeit im weiteren Verlauf im Dunklen bleibt. Seiner Bedeutsamkeit entsprechend ist das „Geheime Ministerium“ in einem verkommenen Palais untergebracht, das ein gewisser Graf Xandl zur Verfügung stellte, dessen größte, quasi programmatische Entdeckung in Erforschung und Darstellung der ägyptischen Finsternis bestand. Über die entsprechende biblische Plage heißt es im Alten Testament: „Mose streckte seine Hand zum Himmel aus und schon breitete sich tiefe Finsternis über das ganze Land Ägypten aus, drei Tage lang. Man konnte einander nicht sehen und sich nicht von der Stelle rühren, drei Tage lang. Wo aber die Israeliten wohnten, blieb es hell.“ Die von Graf Xandls Hand stammende Version der ägyptischen Finsternis, die im Eingangsbereich des Geheimen Ministeriums hängt, ist ein Stück schwarze Leinwand umgeben von einem schweren, prunkvollen Goldrahmen. Wer dabei an die geschwärzte Seite in Lawrence Sternes Tristram Shandy oder das berühmte Schwarze Quadrat von Kazimir Malewitsch denkt, hat den Hinweis auf den Ursprung aller Kunst im reinen Spiel der Abstraktion, von Abschweifung und purer Blödelei richtig verstanden! Es handelt sich um ein zentrales Prinzip der Moderne, das...