H. W. Fichter Kunsthandel | Rolf Escher | Buch | 978-3-943856-57-6 | sack.de

Buch, Deutsch, 48 Seiten, PB, Format (B × H): 210 mm x 210 mm, Gewicht: 160 g

H. W. Fichter Kunsthandel

Rolf Escher

Über das Vermessen der Erinnerungen
Erscheinungsjahr 2016
ISBN: 978-3-943856-57-6
Verlag: H. W. Fichter Kunsthandel e.K.

Über das Vermessen der Erinnerungen

Buch, Deutsch, 48 Seiten, PB, Format (B × H): 210 mm x 210 mm, Gewicht: 160 g

ISBN: 978-3-943856-57-6
Verlag: H. W. Fichter Kunsthandel e.K.


Rolf Escher nähert sich in dieser Ausstellung anhand von knapp vierzig Aquarellen und Zeichnungen den Lebenswelten von zwei deutschen Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts, die, jeder auf ihrem Gebiet, ihre Zeit wie kaum ein Anderer bestimmt haben: Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich der Große. Doch hierfür verwendet Escher nicht etwa ihre Physiognomien und lässt sie als Figuren auf einer imaginierten Theaterbühne Szenen ihres eigenen Lebens nachspielen. Vielmehr begibt er sich als stiller Beobachter an jene Orte, die einst ihren wirklichen Lebensrahmen bedeuteten. In diesem Erforschen und Vermessen dessen, was als Raum für die Erinnerung dient, nähert er sich seinem eigentlichem Motiv, den Personen, gerade durch ihre Abwesenheit. Das Erinnern findet in den Spuren satt, die das Leben an jenen Orten hinterlas-sen hat, und sei es nur die Aura der einstigen Prä-senz. So entsteht ein Lebensbild der Protagonisten, das den Rahmen für die eigene Erinnerung, für die eigene Vorstellung bietet. In der Abwesenheit eröffnet sich die Möglichkeit einer neuen Präsenz.
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Was den Mensch zum Menschen macht, darüber gibt es viele Meinungen. Ob Feuer, Sprache, Werkzeug, sogar Tränen: all dies sind Eigenschaften des Menschen, das Chaos der Natur, in die er geworfen ist, zu bändigen. Doch was von seinen Taten, seinem Leben bleibt, das ist die Erinnerung. Kein anderes Geschöpf auf der Erde ist in der Lage, seine eigene Geschichte zu bewahren. Und der Mensch macht davon seit Anbeginn Gebrauch, ist die Erinnerung doch das Einzige, was über die Trauer der Endlichkeit hinwegzuhelfen vermag. Von den Jagdzeichnungen in der Höhle von Lascaux über das gedruckte Buch bis hin zur uferlosen Datenspeicherung: Die Angst vor dem Vergessen, die Freude an der Erinnerung, das Entfliehen der Gegenwart in ein wie auch immer Dagewesenes, das Lernen für die Zukunft, das Erschaudern an der Vergangenheit sind die Triebfedern des Bewahrens. Doch zum Erinnern gehört nicht nur das Bewahren von Fakten, die im Fluss der Zeit als unveränderbarer Anker Halt verleihen, sondern auch das Imaginieren in eine Mischzeit, in der Fakten und Fiktion verschwimmen. So entsteht ein Bild der Vergangenheit, das eben nicht als Monolith den Menschen überschattet, sondern ihm einen neuen Lebensraum ermöglicht, einem selbstbestimmten Traume gleich.

Rolf Escher hat sich in den hier präsentierten Zeichnungen und Aquarellen auf den Weg begeben, eben jene Erinnerungsräume zu besuchen, zu erforschen, zu vermessen. Dass er sich hierfür mit Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich dem Großen zwei Personen der deutschen Geschichte des 18. Jahrhunderts ausgesucht hat, die, jeder auf ihrem Gebiet, ihre Zeit geprägt haben wie kaum ein anderer, ist nicht nur eine persönliche, sondern auch eine exemplarische Entscheidung. Denn das Erinnern ist keine vorbehaltlose Angelegenheit. Was erinnert wird, gerade wenn es sich nicht um exklusiv Privates handelt, ist immer schon überlagert von Erinnerungen Anderer, von Störfeuern, die die Reinheit der eigenen Perspektive kontaminieren. „Mein“ Goethe ist ein Mosaik aus unzähligen Bruchstücken, die sich im Laufe der Jahre an die Erinnerung anheften, weswegen er uns näher zu sein scheint, als er es tatsächlich ist. Je historischer die Person, desto schwieriger die eigene Erinnerung. Deswegen wählt Rolf Escher einen Weg der Erinnerung, der helfen soll, etwas von jenem Ballast der allgemeinen Erinnerung abzustreifen. Ein wichtiger Schritt hierfür ist es, das eigentliche Subjekt der Erinnerung auszuklammern. Rolf Escher nähert sich Goethe und Friedrich dem Großen nicht durch ihre Person, sondern durch ihre Lebensräume. Indem er jene Orte zeigt, die einst ihre Umwelt waren, bereitet er sich selbst und dem Betrachter einen Aktionsraum für die eigene Erinnerung, der angefüllt werden kann mit jener Legierung aus Wunsch und Wirklichkeit. Damit umschifft er ein Problem, das jeder kennt, der die Verfilmung eines geliebten Buches sieht. In dem Moment, in dem die Imagination zur Realität wird, verschwindet jenes Reich der Erinnerung, das man sich erschaffen hat. Daher verspürt man in Rolf Eschers Vermessungen der Möglichkeiten der Erinnerung eine Ruhe vor jenen Schwemmstoffen der Zeit, die die eigene Vorstellung immer einholen. Die Melancholie, die jedem Vergangenen anhaftet, weicht einem Möglichkeitsraum, einem „so oder auch anders“, das jene Vielschichtigkeit und schillernde Pracht der Erinnerung ausmacht.



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