E-Book, Deutsch, 252 Seiten
Haefs / Frei / Flenter Es war einmal und ist noch immer
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-347-12457-8
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Märchenhafte Geschichten
E-Book, Deutsch, 252 Seiten
ISBN: 978-3-347-12457-8
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Liebeskummer Åse Birkenheier Es war einmal ein Mann, der Hallvard hieß. Außer einem kargen Feldstück mit einer armseligen Hütte drauf besaß er nichts. Es war eine überaus armselige Hütte, aber jedenfalls hatte er ein Dach über dem Kopf. Das einzige Fenster bestand aus drei kleinen viereckigen Glasstücken und einer alten Hose, und da der Lederflicken hinten auf der Hose nach außen schaute, ging auch dieser als Fensterscheibe durch. Die Einrichtung war nichts Besonderes, doch immerhin gab es in der Hütte einen alten Tisch mit einer Schublade, in der er Essen aufbewahren konnte, einen dreifüßigen Schemel, einen schweren Holzstuhl und einen Hackklotz. Drüben in der Ecke stand ein großes Bett, aus einem einzigen Stück Holz gemacht. Auf dem Bett lagen eine löchrige Wolldecke und ein altes schwarzes Fell, als Unterlage diente ein Strohsack. Etwas Küchengerät war auch da: eine Milchschüssel, ein großer Topf für den Brei, ein verbeulter Kaffeekessel, zwei Holzlöffel, eine Tasse und ein Schöpflöffel. Außerdem besaß Hallvard ein fast neues Hemd, eine Hose aus Lodenstoff, von der die Leute sagten, er habe sie schon bei der Geburt angehabt, zwei Paar löchrige Socken, ein Paar alte Stiefelschuhe, einen geteerten Hut und einen großen Läusekamm, der in einer Wandritze oberhalb des Bettes steckte. Haustiere hatte er viele. Doch alle – außer einer Ziege – waren sechsfüßig und gaben wenig Milch ab; besser gesagt: sie molken Hallvard. Die Ziege hielt sich meistens in der Nähe der Hütte auf, ernährte sich von kargen Grasbüscheln und nagte an Nadelbäumen und Wacholder herum. Nachts hielt sie sich im Verschlag auf, kam aber öfters in die Hütte, wo sie sich von der Kruste im Kochtopf bediente, wenn Hallvard diesen nicht vollends ausgekratzt hatte. Im Frühjahr bekam die Ziege ein Zicklein und im Herbst erntete Hallvard vier Säcke Kartoffeln. Außerdem war die Heuernte so reichlich gewesen, dass er einen ganzen Heuschober voll hatte. Vor lauter Glück wurde er dabei so übermütig, dass er begann, süße Träume von einer Kuh und einer Frau zu träumen. Eine Kuh aber kostete mindestens zwanzig Taler, und woher hätte er diese nehmen sollen? In einem alten Kniestrumpf unter dem Bettstroh hatte er noch zwei Taler und zwanzig Schillinge. Mehr Bargeld besaß er aber nicht, und das war reichlich wenig, denn außer Kaffee und neue Socken brauchte er auch andere Dinge zum Leben. Deshalb war nicht daran zu denken, eine Kuh zu kaufen. Eine Frau dagegen kostete nichts, und mit etwas Glück würde er bei diesem Handel sogar noch Geld dazu bekommen. Unwillkürlich musste Hallvard an Kjetil von der Häuslerkate oben auf dem Hügel denken. Als dieser die Maria gefreit hatte, bekam er nicht nur eine Kuh, ein Schwein und vier Ziegen, sondern auch eine Menge Kleidung und Hausrat obendrein. Und Kjetil war bei weitem nicht so angesehen wie Hall- vard, hatte kaum Kleidung am Körper gehabt, kein Grundstück, kein Haus und erst recht keine Ziege. Seinen Nachbarn Olav und Hans war es auch nicht schlechter ergangen, das wusste er. Die beiden hatten es mindestens so gut angetroffen wie Kjetil! Vielleicht sollte er es doch bei Turid Teigen versuchen? Hässlich war sie schon, das war nicht zu leugnen! Beim bloßen Gedanken daran musste Hallvard den Kopf schütteln! Ihr Rücken war schief und krumm wie bei einer alten Frau, die Nase lang wie ein Besenstiel und das Maul sah aus wie das Guckloch im Stall; und wenn sie an der Kreidepfeife zog, wurde sie hohlwangig wie eine Bettlerin. Allerdings war sie recht wohlhabend, besaß Kuh und Schwein, Schafe und Ziegen und außerdem so viele Felldecken, Lodenröcke, gewebte Tücher und Stoffe, dass man sie kaum zählen konnte. Das erzählten sich jedenfalls die Leute im Dorf. Einen ganzen Abend lang saß Hall- vard in seiner Hütte und schaute sich sein Spiegelbild in einem zerbrochenen Spiegel an. Ein wenig kraftlos und schwächlich sah er schon aus, das musste er zugeben. Wenn er aber seine Bartstoppeln ein wenig stutzte, sich mit dem Läusekamm frisierte, die Stiefelschuhe mit Teeröl einschmierte, die Hände und das Gesicht mit Sand scheuerte und die schlimmsten Sudelflecken auf der Hose mit Spucke einrieb, würde er sich Turid vielleicht doch nähern können. Beim Gedanken an die Zukunft wurde es Hallvard ganz warm ums Herz. Wie schön es doch wäre, wenn er eine hätte, die den Brei zubereiten und Kaffee kochen würde! Eine, mit der er an langen Winterabenden schwätzen könnte! Eine im Bett, eine zum Kuscheln! Und dann das ganze Hab und Gut noch dazu! So stutzte Hallvard die Bartstoppeln und kämmte sich die Haare, bevor er sich noch einmal ausgiebig im Spiegel betrachtete. Mit Spucke rieb er die Flecken auf der Hose und schmierte die Stiefelschuhe mit Teeröl ein. Zum Schluss scheuerte er Hände und Gesicht mit Sand, und als der Samstagabend kam, schloss er die Ziege und das Zicklein in der Hütte ein und machte sich auf den Weg zu Turid Teigen. Als er nach Teigen kam und von Liebe und Heirat und Ähnlichem zu reden begann, taute Turid erstaunlich schnell auf, kochte frischen Kaffee und stellte gekauftes Brot mit guter Butter auf den Tisch. Sie drehte und wendete sich, schnitt Grimassen, verzog den Mund und kicherte, so dass Hallvard völlig irr und durcheinander wurde. Schließlich wagte er es sogar, sie in die Seite zu stupsen, ihr rechtes Knie zu umfassen und sie zu fragen, ob sie kitzelig sei. Sie kicherte noch mehr und meckerte dabei wie eine Ziege. Dann holte sie eine Flasche französischen Branntwein aus dem Schrank und schließlich wurden die beiden am selben Abend sozusagen handelseinig. Als Hallvard spät in der Nacht nach Hause torkelte, schaute er zum Himmel hoch und trällerte ein Tanzlied, stolperte aber dabei, fiel hin und schlug sich die Nase wund. Doch den Schmerz spürte er kaum. Er trocknete sich am Jackenärmel ab und taumelte wie im Rausch weiter. Daheim angekommen, entdeckte er, dass die Ziege und das Zicklein eine Fensterscheibe ausgestoßen, den Brei aufgegessen und den Kaffeekessel umgestoßen hatten, sodass der gute Kaffeesatz in der Asche auf der Feuerstelle gelandet war. Doch Hallvard kümmerte das alles wenig. Er dachte an Turid und ihren Reichtum und schlief glückselig auf dem halbmoderigen Strohsack ein, zusammen mit seinen vielen sechsfüßigen Bettgenossen. Am Sonntag acht Tage später wurde das Aufgebot der beiden in der Kirche laut vorgelesen, dabei sprach der Pfarrer vom „hochgeachteten Junggesellen Hallvard Tellefsohn Hagedalen“ und von der „tugendsamen Jungfer Turid Salvestochter Teigen". Die Leute lachten und machten sich darüber lustig, doch für Hallvard wurde es ein Festtag. Neue Fensterscheiben waren eingesetzt worden und im Bett lag frisches Stroh. Der Fußboden war gekehrt worden, der Ziegenmist wie weggezaubert. Auf dem Tisch stand eine neue Kaffeetasse mit Blümchenmuster, außerdem noch eine Schale mit braunem Zucker und Weizenbrot mit Butter. Alles war so vortrefflich, wie es nur sein konnte. Nachdem sie gegessen hatten, kramte Hallvard eine Flasche aus dem Bettstroh heraus, halbvoll mit Branntwein. Zum Kaffee gab es ein Schnäpschen, Hallvard trällerte und Turid meckerte wie eine Ziege. Später legten sie sich aufs frische Bettstroh, plauderten ein wenig und machten es sich gemütlich. Und als Turid früh morgens nach Hause watschelte, krumm wie ein Espenzweig, waren die beiden übereingekommen, drei Wochen später Hochzeit zu feiern. Hallvard kaufte eine neue Hose, eine neue Jacke und einen neuen Hut. Als es im Kniestrumpf nichts mehr gab, bekam er beim Krämer Kredit, und nachdem er Hütte, Ziege und sogar Turid selbst verpfändet hatte, wurde ihm noch ein großartiges Hochzeitsessen versprochen. Wenn er nicht daheim war, übernachtete er bei Turid und fühlte sich zwei ganze Wochen und sechs Tage lang wie im siebten Himmel. Doch ausgerechnet am letzten Samstagabend, am Abend vor der Trauung, kam das Unglück über ihn – wie aus einem Sack. Denn als er in der Dämmerung nach Teigen kam, wurde er nicht ins Haus gelassen! Und als er durch das Fenster in die Wohnstube schaute, sah er Mikkjel aus dem Sumpfloch da sitzen, mit Turid auf dem Schoß. Mikkjel lachte laut und wiehernd und Turid meckerte wie eine Ziege, als er sie kitzelte. Hallvard fiel aus allen Wolken. Ihm wurde ganz schwarz vor Augen und die Füße wollten ihn nicht mehr tragen. Wäre die alte Hose nicht so wunderbar steif gewesen, wäre er auf der Stelle umgefallen. „Turid!“, sprach er mit schwacher Stimme. „Turid!“, „Geh nach Hause, Läusebengel!“, wieherte Mikkjel. Turid verzog das Gesicht, schnitt Grimassen und kicherte. „Geh nach Hause, du Läusebengel!“, wiederholte sie. Das war aber zu viel, und Hallvard fiel auf der Stelle in Ohnmacht. Hätte er seinen geteerten Hut nicht aufgehabt, hätte er sich beim Fallen wahrscheinlich ein Loch in den...