E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Hall In unendlicher Ferne
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-18553-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-641-18553-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In dem abgelegenen, wildromantischen Küstennest Merrin in Cornwall genießt Robyn Swinton die letzten Sommertage und stürzt sich mit ihrem Surfbrett in die Fluten. Doch es geschieht ein Unglück. In allerletzter Sekunde wird sie gerettet. Dieser Moment verändert ihr Leben für immer, und nicht nur ihres, auch das von Jago Winters, der sie gerade noch aus den Wellen ziehen konnte. In den folgenden sieben Jahren führen Robyns und Jagos Wege sie in unterschiedliche Richtungen, in pulsierende Großstädte und verträumte Küstenorte, kreuzen sich aber dennoch immer wieder. Wird das Band, das beide seit dem Tag am Meer verbindet, stark genug sein, um sie zusammenzuführen? Oder hat das Leben sie bereits zu weit voneinander entfernt?
Emylia Hall, geboren 1978, weiß, wovon sie schreibt: Als Tochter eines englischen Künstlers und einer aus Ungarn stammenden Kostümbildnerin wuchs sie im ländlichen Devon im Südwesten Englands auf, verbrachte aber jeden Sommer in Ungarn. Nach ihrem Studium in York und Lausanne arbeitete Emylia für eine Werbeagentur in London, bevor es sie in die französischen Alpen verschlug. Dort entschloss sie sich, ihren lang gehegten Traum vom eigenen Roman Wirklichkeit werden zu lassen. Ihr Debütroman 'Mein Sommer am See' war auf Anhieb ein großer Erfolg, wurde in zahlreiche Länder verkauft und in Großbritannien als das Sommerbuch 2012 gefeiert. Emylia Hall lebt heute mit ihrem Mann in Bristol.
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eins Sieben Jahre zuvor Der Pfad zur Bucht war holprig und steil; tunnelgleich drängte er zwischen Rhododendren und Efeuschlingen in die Tiefe. Robyn bewegte sich nur vorsichtig voran, die sperrige Last behinderte sie. Beim Surfboard-Verleih hatte das Brett so leicht gewirkt, hatte es so forsch in Blau und Gelb geblitzt. Nun aber, da sie es an der Nase zog und das Brettende hinter ihr her holperte, gab sie sich schon als Neuling zu erkennen, noch ehe sie im Wasser war. Ihr Wetsuit klebte an den falschen Stellen an, hinten saß er eng, vorn beulte er aus, der Reißverschluss stieß ihr an das Kinn. Sie war froh, dass sie allein war, nicht an den Touristenstrand mit seinen Bergen hellen Sands und sanftem Wellengang gefahren war, sondern Rockabilly als den Ort ihres ersten Surfgangs auserkoren hatte. Sie hatte die Bucht drei Wochen zuvor entdeckt, an ihrem zweiten Tag in Cornwall, und sich sofort verliebt. Mit dem Umzug in den äußersten Westen Englands hatten sich ihre Eltern einen Traum erfüllt, nicht sie. Die Swintons waren von Natur aus Vorstädter, ruhige Festlandbewohner, doch auch sie hatten den Ruf der See vernommen. Selbst als sie noch in einer Straße mit ordentlich geteerten Einfahrten und gepflegtem Gartengrün gelebt hatten, hatten im Wohnzimmer Seestücke gehangen, jedoch nicht von der harmlosen Art, wie sie die Wände von Kindergärten zierten. Bei ihnen gab es aufgeregte Ozeane, energische Farben auf Leinwand, die eine junge Robyn ebenso beunruhigt wie begeistert hatten. Im Laufe der Jahre hatten Marilyn und Simon Swinton ihr Leitmotiv in vielen Varianten durchgespielt: Eines Tages kaufen wir ein Haus auf den Klippen, und weit und breit kein Nachbar, wir werden am Morgen wach, und der Geschmack von Meer liegt in der Luft, wir legen uns mit dem Klang der Wellen schlafen. Robyn hatte ihre Nachbarschaft gemocht. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, Meeresdonnern gegen das Radio von nebenan oder karge Klippen gegen die weißen Lattenzäune einzutauschen, die sämtliche Gärten voneinander trennten. Ben, ihr älterer Bruder, war schon längst ausgezogen; er war den Cornwall-Planungen entgangen. Robyn, dreizehn Jahre jünger, war das späte Kind, der Unfall, die Präsenz, auf die man zunächst mit blankem Entsetzen und dann mit schuldbewusstem Lächeln reagiert hatte. Ihr Platz im Haushalt der Swintons war der einer Katze ähnlich: An ihrer Zugehörigkeit bestand kein Zweifel, doch sie gab sich nie der Illusion hin, dass sich das Leben der Familie allein um sie drehte. Robyn war immer schon unabhängig, hatte ihr Vater gern gesagt, als ob es sich dabei um eine Leistung gehandelt hätte und dies nicht schlichter Notwendigkeit entsprungen wäre. Von dem Haus aus, das nun wohl ihr Zuhause war, erwies sich der Pfad als der kürzeste Weg zum Meer. Mit schnellem Schritt benötigte Robyn sieben Minuten, mit einer schweren Last doppelt so lang und länger. Die Bucht trug sicher einen Namen, einen Namen, der auf Karten verzeichnet war, zum Wortschatz der Ortsansässigen gehörte, Robyn aber hatte sie Rockabilly getauft. Das Wasser war halbmondförmig von grob gekerbten Klippen umfangen, davor verlief zu beiden Seiten hin eine gezahnte Felsenreihe. Der linke äußere Felsen ragte in einer erstaunlichen Windung vor, gerade so, als würde er für eine Kamera posieren. An dem Tag, als Robyn Rockabilly entdeckt hatte, war sie bis zu seiner Granitformation hinausgeklettert und hatte sich mit Fingern und Zehen an der rauen Oberfläche festgeklammert. Um sie herum hatte der Wind gepfiffen, zu ihren Füßen die See getobt. Robyn hatte bis zehn gezählt und ausgeharrt, es war ihre eigene kleine Einweihungszeremonie. Als sie im Anschluss auf der Klippe gesessen und verfolgt hatte, wie die Flut zurückwich, hatte die Bucht es ihr gedankt. Zum Vorschein war ein Strand gekommen. Zwar war er voller Tang und Kieselnarben und im Vergleich zu anderen Orten dünn und schmal, doch es hatte etwas Magisches gehabt, dort einen Streifen Strand zu sehen, wo man ihn am wenigsten erwartete. Als die Sonne den dunklen Sand zu Gold gebacken hatte, war Robyn hinuntergeklettert und hatte auf seiner unberührten Fläche ihre Spuren hinterlassen. Die Idee zu surfen war ihr später erst gekommen. Die Swintons waren mitten in der Feriensaison in Cornwall eingetroffen, als auf sämtlichen Wiesen Autos standen und die Strände zu Flickenteppichen aus Handtüchern und gestreiften Windabweisern wurden. Robyns Eltern hatten sich wie Landaristokraten bei einem Gang über ihr Anwesen durch die Touristenmengen bewegt und huldvoll in die Runde gelächelt. Robyn hatte sich ihrer Gesellschaft entzogen und nach Menschen Ausschau gehalten, die den Anschein erweckten, als würden sie in Cornwall leben. In Sennen war sie auf ein Trio aus Surferinnen gestoßen, junge Frauen mit schmaler Taille und muskulösen Armen, sommersprossigem Gesicht und vergnügtem Lachen. Robyn hatte beobachtet, wie sie ins Wasser gelaufen, die Bretter scheinbar schwerelos unter den Arm geklemmt, und in die Brandung gepaddelt waren. Dann war der Moment gekommen, und sie waren aufgestanden, eins, zwei, drei. In rascher Folge hatten sie die Wellen geritten und vor Glück gejauchzt. Hinterher hatte Robyn zugesehen, wie sie sich neben ihrem zerbeulten Auto, in dem Musik gelaufen war, umgezogen hatten, wie sie rasch und unbefangen aus ihren Bikinihöschen hinaus und in Jeans und Pullover geschlüpft waren. Robyn hatte sich ihnen mit geübter Lässigkeit genähert und mit einer Hand an ihrem Haar gespielt. Sie hatte gefragt, ob sie aus der Gegend seien, und sie hatten den Kopf geschüttelt und grinsend Schön wär’s gesagt. Robyn hatte ihrem Auto nachgesehen und sich gefragt, ob sie in Cornwall jemals solche Freunde finden würde und sie auch so etwas lernen könnte. Als die sommerlichen Menschenmassen abreisten, der September noch in warmem Glanz erstrahlte und die Semesterferien noch nicht ganz vorüber waren, hatte Robyn beschlossen, sich in Rockabilly selbst auf dem Surfbrett zu versuchen. So stolperte sie nun aus dem Dickicht des Pfads hervor und mühte sich durch den Sand. Sie ließ ihr Brett fallen, stemmte die Hände in die Hüften und holte tief Luft. Sie stand eine Weile da und sah sich um. Das Wasser war, wo es an den Himmel stieß, tiefblau. Schneeschäumende Brecher krachten und zischten an den Strand, hinter ihnen eine stachelige Muschelspur. In Robyn kribbelte die Vorfreude, eine heiße Unruhe. Sie zerrte am Kragen ihres Wetsuits. Wie gut, dachte sie, dass sie niemand sah. Jago beobachtete, wie sie auf den Sand stolperte. Das Brett hing mit dem Ende noch im dornigen Gestrüpp. Jago hatte gar nicht vorgehabt, ihr zu folgen, doch er führte Scout aus, und dabei hatte er gesehen, wie sie über die Weide gegangen und in dem Dickicht, das zur Bucht führte, verschwunden war. Ihr Gang wirkte entschlossen, obwohl sie mit dem Brett zu kämpfen hatte. Jago machte die lange Runde auf dem Weg zur Bucht. Seiner Bucht. Der Bucht, in die Touristen sich sonst nicht verirrten. Sein Hund folgte ihm auf den Fersen, die Nase in der Luft, als ob er einen Wetterumschwung wittern würde. Vor drei Wochen hatte Jago das Mädchen zum ersten Mal gesehen und sie seither schon einige Male beobachtet. Womöglich teilte sich die Welt so auf, in Menschen, die sahen, und Menschen, die gesehen wurden. Er hatte auch erlebt, wie ihre Familie eingezogen war. Das Mädchen war aus dem Auto gestiegen, hatte die Arme in die Luft gestreckt, gegähnt und sich gedehnt. Dabei war ihr T-Shirt nach oben gewandert, und er hatte kurz die schwanenbleiche Haut gesehen. Das Mädchen war ihren Eltern ins Haus gefolgt. Begeisterter Jubel war erklungen. Jago kannte das Haus: Es hatte Steinböden und ausladende Fenster und einen Kamin so groß wie ein ganzes Zimmer; sie waren zu Recht angetan. Sie hatte den Kopf einziehen müssen, denn die Türen waren niedrig, und sie war groß. Gertenschlank. Wenn der Begriff auf irgendjemand passte, dann auf sie. An ihr war alles lang und zart, und das Haar, das ihr weit über die Schultern reichte, war weißblond. Als später Umzugswagen, Sofas und Hutständer auf der Straße gestanden hatten und eine Kiste nach der anderen ins Haus getragen wurde, hatte er ihr Gesicht an einem der Fenster im oberen Stock gesehen. Sie hatte es weit aufgerissen, die Meeresluft tief eingeatmet und die Aussicht erkundet. Er hatte ihr gewünscht, dass sie den glitschigen Kopf eines spielenden Seehundes erahnen könnte, das blitzende Segel eines großen Bootes, eines der vielen kleinen Wunder dort. Doch offenbar hatte ihr auch so gefallen, was sie sah, denn ihr Mund hatte sich zu einem Lächeln verzogen. Dann war sie wieder im Haus verschwunden; das Fenster blieb offen. Und nun war sie in seiner Bucht. Sie hatte den Wetsuit verkehrt herum angezogen, der Reißverschluss saß vorn, das Neopren beulte sich am Bauch. Jago verkniff sich ein Grinsen. Er verfolgte, wie sie das Brett fallen ließ und aufs Meer schaute, und fragte sich, ob sie überhaupt bis zum Wasser kommen würde. Der waldige Pfad war kein leichter Abstieg, daher hatte die Bucht nur wenige Besucher. Mit einem Surfbrett, vor allem einer riesigen Banane, wie das Mädchen sie herumschleppte, musste es besonders mühsam sein. Jago ging in die Hocke und wartete ab. Das Mädchen packte das Brett und zog es Richtung Wasser, die Fußleine schlängelte sich zwei Meter lang träge hinterher. Dann stürzte sich das Mädchen von einem plötzlichen Entschluss getrieben in die See und landete anmutig, schwerelos auf dem Brett. Die magische Verwandlungskraft des Wassers. Vielleicht war es doch nicht das erste Mal. Vielleicht. Jago legte sich auf den Bauch und beobachtete, wie sie hinauspaddelte. Robyn klatschte der ungestüme Ausläufer einer Welle ins Gesicht. Sie schluckte...