E-Book, Deutsch, 136 Seiten
Harding / Riesen / Schröder Notaufnahme
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-17-037300-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 136 Seiten
ISBN: 978-3-17-037300-6
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Notaufnahmen befinden sich momentan in einem Wandel, der von allen Beteiligten neue Kompetenzen fordert. Die Spezialisierung Notfallpflege befähigt Pflegende, Patienten aus allen Lebenslagen entsprechend der Dringlichkeit fachlich adäquat zu versorgen.
Dieses Buch gibt einen Überblick zu den aktuellen Entwicklungen im Bereich der Notfallversorgung. Anhand von sechs ausführlichen Praxisfällen werden Inhalte fallorientiert und praxisnah dargestellt. Dabei werden reale Entscheidungs- und Handlungsanforderungen hinsichtlich relevanter Wissensbestände hinterfragt und die Möglichkeit geboten, die gelernten Pflegebasics zu reflektieren.
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2 »Akute Lebensgefahr und keine Beschwerden – geht das?«
Irgendwie fühlt sich das seit einiger Zeit nicht gut an. Diese hartnäckige Erkältung seit Weihnachten bis ihm der Hausarzt ein Antibiotikum verschreibt. Ob das notwendig war? Gebracht hat es jedenfalls nix! Das Sodbrennen wäre noch durch die üppigen Mahlzeiten über die Feiertage zu erklären gewesen. Aber diese Brustschmerzen bei vertiefter Einatmung? Diese Art Beschwerden kannte er von sich nicht. Auch beim Sport, als Flügelstürmer beim Fußball musste er naturgemäß immer weite Wege gehen. War nie ein Problem. Auch mit der Luft nicht. Aber jetzt… 2.1 Fallbeschreibung
Ein komplizierter Fall
Der Rettungsdienst bringt am späten Nachmittag eines Werktages einen 28-jährigen Mann in Notarztbegleitung aus einer kardiologischen Praxis in die Notaufnahme. Herr Schulze1 hatte sich dort mit einem Termin zur fachärztlichen Untersuchung vorgestellt. Es liegt eine Einweisung des Kardiologen mit »Aortenektasie 6 cm Dissektion?« vor. Im Begleitschreiben zur Einweisung wird von einer erstmaligen Vorstellung in der Praxis berichtet. Der Patient habe sich in der Praxis nach Ausschluss eines akuten Koronarsyndroms sowie einer Pneumonie zwei Wochen zuvor zur weiteren Diagnostik vorgestellt. Bei einer bereits erfolgten pneumonologischen Untersuchung zeigte sich im Röntgenbild des Thorax eine Ektasie der Aorta ascendens. In der einweisenden Praxis erfolgte eine transthorakale Echokardiographie, in der sich bei guter Pumpfunktion des Herzens und kompetenter trikuspider Aortenklappe eine trichterförmige Ektasie der Pars ascendens der Aorta thoracica bis zu 60 mm zeigte. Unsicherheit bestand darüber, ob eine Dissektionsmembran erkennbar war. Zur weiteren Diagnostik erfolgt der arztbegleitete Transport in die Notaufnahme. Während des Transportes ist der Patient jederzeit hämodynamisch stabil, es werden vom Notarzt keine weiteren Maßnahmen getroffen. 2.2 Ersteinschätzung
Der Patient wird im Schockraum übernommen. Bei direktem Arztkontakt und Übergabe durch den Notarzt des Rettungsdienstes an das versammelte Behandlungsteam aus Pflege und Arzt ist keine pflegerische Ersteinschätzung erforderlich. Bei Aufnahme ist Herr Schulze wach und beschwerdefrei. Die Vitalparameter sind normwertig, insbesondere im Seitenvergleich zeigt sich keine Abweichung der Blutdruckmessung. Zur kontinuierlichen Überwachung wird der Patient an das Monitoring der Notaufnahme angeschlossen. 2.3 Medizinische Aspekte
Bei auswärtiger Diagnostik und Verdacht auf eine Dissektion der thorakalen Aorta ist eine weitere Diagnostik indiziert. Bei der akuten Aortendissektion handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall. In den meisten Fällen wird sie begleitet von einem plötzlich einsetzenden starken Schmerz im Thorax und/oder Rücken, seltener auch im Abdomen. Da jedoch nicht alle Fälle mit solchen »Vernichtungsschmerzen« einhergehen, ist eine entsprechende Diagnostik geboten, sobald sich der Verdacht auf eine Aortendissektion stellt. Im konkreten Fall wurde ambulant bereits eine Diagnostik durchgeführt, die den Verdacht erhärtet. Somit muss bis zum Beweis des Gegenteils in der Versorgung von Herrn Schulze von einer möglichen Aortendissektion ausgegangen werden. Bei einer Aortendissektion handelt es sich um einen Einriss der Tunica intima, zum Teil auch der Tunica media der Aortenwand, die zu einer Aufspaltung führt. Hierdurch kommt es zu einer Wühlblutung innerhalb der Aortenwand und es bildet sich ein falsches Lumen aus, das durch eine Dissektionsmembran vom wahren Lumen der Aorta getrennt ist. Der Beginn des Einrisses wird klinisch als »Entry« bezeichnet, sollte es einen oder mehrere Wiederanschlüsse an das wahre Lumen geben, werden diese als »Reentry« bezeichnet. Im falschen Lumen innerhalb der Gefäßwand liegt der Druck etwas höher als in der Aorta, wodurch die weitere Ausbreitung begünstigt und die Gefahr der kompletten Ruptur erklärt wird. Die Ausbreitung erfolgt meist anterograd, ist aber auch retrograd möglich. In den meisten Fällen ist die Aorta ascendens betroffen (ca. 65 %), es sind aber auch Dissektionen der Aorta descendens (ca. 25 %) oder des Aortenbogens und der abdominellen Aorta möglich. Der Altersgipfel liegt im 5. und 6. Lebensjahrzehnt, Männer sind 2–5 Mal häufiger als Frauen betroffen. Als akut werden Dissektionen beschrieben, die innerhalb von zwei Wochen nach einem Erstereignis diagnostiziert werden. Zu den möglichen Ursachen gehören degenerative Veränderungen der Aortenwand. Als Risikofaktoren gelten die arterielle Hypertonie, sowie erbliche Bindegewebserkrankungen (Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom) durch die erhöhte Elastizität des Bindegewebes oder auch Vaskulopathien (Möllmann & Brune 2019). Die Einteilung der Aortendissektion erfolgt international nach Stanford oder DeBakey ( Abb. 2.1). In der täglichen Routine wird die Einteilung nach Stanford vorgenommen, der Typ A beschreibt alle Dissektionen, die einen Anteil in der Aorta ascendens haben, Typ B alle Dissektionen, bei denen die Aorta ascendens nicht betroffen ist und die distal des Abganges der linken A. subclavia beginnen. Somit sind bei Typ-B-Dissektionen die hirnversorgenden Gefäße nicht betroffen, wodurch sich eine oftmals andere klinische Präsentation erklärt. Das Marfan-Syndrom »Das Marfan-Syndrom (MFS) ist eine Bindegewebserkrankung, deren Ursache eine genetische Veränderung im Gen für das Eiweiß »Fibrillin« ist. Unerkannt kann das Marfan-Syndrom zum plötzlichen Tod führen, weil die Gefahr besteht, dass die Hauptschlagader einreißt. Eine rechtzeitige Diagnose der Krankheit kann daher lebensrettend sein. Bis heute ist die zwar nicht heilbar, aber sie ist mit Mitteln der modernen Medizin so behandelbar, dass schwerwiegende Komplikationen vermeidbar werden.« (Marfan Hilfe Deutschland e.V. 2018) Abb. 2.1: Klassifikation der Aortendissektion (Köhler 2018, S. 205) Die 30-Tage-Mortalität der Typ-A-Dissektion liegt unbehandelt bei über 50 %, mit Operation versterben ca. 20 % der Patienten. Herr Schulze befindet sich in einem stabilen Zustand und verneint Schmerzen (0 von 10 auf der numerischen Rating-Skala). Die körperliche Untersuchung ergibt einen unauffälligen Befund, neurologisch zeigen sich keine Ausfälle, die Pulse sind seitengleich kräftig tastbar. Vom klinischen Ersteindruck präsentiert sich ein junger Mann ohne augenscheinliche Beeinträchtigungen. Dennoch erfordert der Verdacht auf eine Aortendissektion einen vorsichtigen Umgang. Bei ängstlichem Patienten sollte eine Sedierung erwogen werden, um Blutdruckspitzen zu vermeiden. Allergien sind keine bekannt, als Vormedikation wurde bis zum Vortag Cefuroxim 500 mg zweimal täglich zur Behandlung der ambulant diagnostizierten Pneumonie eingenommen. Die Blutgasanalyse ist unauffällig, in der durchgeführten Labordiagnostik ergeben sich keine Auffälligkeiten. Das EKG zeigt einen normofrequenten Sinusrhythmus, Linkstyp, ohne signifikante Erregungsrückbildungsstörungen und stellt einen Normalbefund dar. Bei aktuell bestehendem Verdacht auf Aortendissektion erfolgt die Bestimmung der Blutgruppe sowie eine Anforderung von vier Erythrozytenkonzentraten. Die frühzeitige Anforderung ist bedeutsam, da die Blutgruppenbestimmung und Bereitstellung von Blutkonserven zeitaufwändig sind. Für das Labor ist eine Zeitangabe wichtig, innerhalb derer die Konserven bereitgestellt werden sollen. Die Kompatibilitätsprüfungen der Blutkonserven können maschinell oder per Hand erfolgen. Eine maschinelle Durchführung ist zeitaufwändiger, die manuelle Prüfung bindet personelle Ressourcen. Im Bereitschaftsdienst kann dies bedeuten, weiteres Personal im Rufdienst zu alarmieren. Daher hilft es gerade bei zeitkritischen Notfällen, frühzeitig Kreuzblut zu gewinnen und die zeitliche Dringlichkeit mit den Kolleginnen zu kommunizieren. Die eindeutige Identitätssicherung des Patienten ist zwingend erforderlich, um Verwechslungen zu vermeiden und liegt in der Verantwortung des behandelnden Arztes. Während die Abnahme des Blutes an die Pflegekraft delegiert werden kann ist die Bescheinigung der Richtigkeit der Angaben auf dem Anforderungsschein sowie...