E-Book, Deutsch, 152 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm
Hasselhorn / Gutjahr Tatsache!
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-374-05640-8
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Wahrheit über Luthers Thesenanschlag
E-Book, Deutsch, 152 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm
ISBN: 978-3-374-05640-8
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Thesenanschlag fand tatsächlich statt! Beweise dafür haben die Historiker Mirko Gutjahr und Benjamin Hasselhorn zusammengetragen. Herausgekommen ist ein kleines, aber umso bemerkenswerteres Buch, das mit einigen Mythen aufräumt, die im Reformationsjahr 2017 besonders kontrovers diskutiert wurden: Da geisterte Martin Luthers Thesenanschlag als 'Legende', als 'fragwürdige Überlieferung' oder gar als 'Märchen' durch die Öffentlichkeit. Plötzlich stellten selbst Experten Luthers Thesenanschlag vor 500 Jahren wieder infrage, obwohl die Forschung längst weiter ist. 2007 nämlich war eine Notiz von Luthers Privatsekretär Georg Rörer als früheste Quelle über die Geschehnisse des 31. Oktober 1517 wiederentdeckt worden. Damit sollte die Debatte eigentlich beendet sein. Oder doch nicht?
Was genau wissen wir über Luthers Thesenanschlag? Wieso kam es zu der Überzeugung, er habe nicht stattgefunden? Und warum ist die Frage nach dem Thesenanschlag überhaupt wichtig? Schließlich wurde nie bestritten, dass Luther seine Thesen am 31. Oktober 1517 verschickt hat. Diesen Fragen gehen die beiden Autoren nach – und finden überraschende Antworten.
[It is a Fact! The Truth about Luther's Nailing the 95 Theses]
The 95 Theses actually were nailed to the door of the Castle Church. Proofs for this event have been compiled by the historians Mirko Gutjahr and Benjamin Hasselhorn. They result in a small, but remarkable book, that puts an end to several myths controversially discussed during the Reformation Anniversary 2017.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Kirchengeschichte
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Systematische Theologie Geschichte der Theologie, Einzelne Theologen
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte
Weitere Infos & Material
2 Was steht eigentlich in den Thesen? Martin der Befreite
Wie schon erwähnt, war man sich bereits im 16. Jahrhundert lagerübergreifend einig, dass die Reformation im Jahr 1517 begann. Luther selbst war sich sehr früh der hohen Bedeutung des 31. Oktober 1517 bewusst: Nur zehn Jahre nach dem Ereignis beging er zu dessen Gedächtnis eine kleine private Feier.42 Vielleicht kommt man zeitlich sogar noch näher an Luthers mit den Ablassthesen verknüpftes Selbstverständnis heran, und zwar bis an den 31. Oktober 1517 selbst. Eine Sache geschah an diesem Tag, die von niemandem, ob nun Gegner oder Befürworter des Thesenanschlags, bezweifelt wird: Am 31. Oktober 1517 schrieb Luther einen Brief43 an den Erzbischof von Mainz und Bischof von Magdeburg, Albrecht von Brandenburg, und legte die 95 Thesen bei. Der Brief ist ein »Dokument des Mutes«44, denn Luther ging seinen kirchlichen Vorgesetzten zwar im Ton höflich, aber in der Sache scharf an: Er kritisierte die Ablasspraxis, die dahin geführt habe, den Leuten den falschen Glauben einzuimpfen, mit dem Erwerb eines Ablassbriefes könne man sich das ewige Heil erwerben. Die eigentliche Aufgabe der Bischöfe sei es doch aber, dafür zu sorgen, »dass das Volk das Evangelium und die Liebe Christi lerne«. Luther kritisierte ausdrücklich die von Albrecht herausgegebene Instruktion für Ablassprediger, die »Instructio summaria«45, weil diese genau solchen Irrglauben fördere, und forderte, das Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Noch bedeutsamer als der Inhalt des Briefes ist aber Luthers Unterschrift: »Euer unwürdiger Sohn Martinus Luther, Augustiner, berufener Doktor der heiligen Theologie«. Das Entscheidende ist hier der Nachname. Denn »Luther« war nicht Luthers ursprünglicher Nachname. Die Familie hieß eigentlich »Luder«, und diese Namensform, manchmal in Varianten wie »Ludher«, benutzte Luther üblicherweise. Bis zum 31. Oktober 1517. An diesem Tag unterzeichnete er erstmals einen Brief mit der Namensform »Luther« und behielt diese Namensform ab sofort bei, ausnahmslos in seinen wissenschaftlichen Werken, fast ausnahmslos in seinen Briefen.46 Wieso änderte Luther seinen Namen? Vermutlich spielte es eine Rolle, dass »Luder« als niederdeutsche Wortform identifiziert wurde, was in Wittenberg negativ besetzt war. »Luther« war dagegen eine hochdeutsche Namensform, die der sächsischen Kanzleisprache entsprach. Hinzu kam, dass Luther mit der Namensänderung das Anrüchige loswurde, das dem Wort »Luder« bereits damals anhaftete.47 Abb. 8: »Martinus Luther«: Unterschrift Luthers auf dem Brief an Albrecht von Brandenburg, 31. Oktober 1517. Riksarkivet Stockholm, Foto: Emre Olgun. Besonders interessant ist, dass Luther fast gleichzeitig mit der Namensänderung von Luder zu Luther in Briefen an humanistisch gebildete Vertraute noch eine weitere Namensform verwendete: »Eleutherius«, die latinisierte Fassung des altgriechischen »Eleutheros«.48 Übersetzt heißt das so viel wie »der Befreite«. Diese Namenswahl kann man nur so deuten, dass Luther sich befreit fühlte: befreit von seiner Angst, vor Gott nicht bestehen zu können, befreit von seinem zwanghaften Wunsch, durch Beichte und Bußübungen Gottes Wohlwollen zu erwirken, befreit durch seine existenzielle Wiederentdeckung der Botschaft des Evangeliums von der Rechtfertigung des Sünders durch Gottes Gnade. Die erste erhaltene »Eleutherius«- Unterschrift stammt vom 11. November 1517, aus einem Brief an Georg Spalatin. Keine zwei Wochen nach dem Thesenanschlag also nannte Luther sich selbst gegenüber seinen Freunden »der Befreite«. Alles spricht dafür, dass es die Veröffentlichung der 95 Thesen war, die Luther als den entscheidenden Befreiungsschlag empfand, jener am 31. Oktober 1517 vollzogene mutige Schritt, seine theologischen Entdeckungen publik zu machen. Wie kommt man dann aber überhaupt auf die Idee, dieser Tag sei in Wirklichkeit gar nicht so entscheidend gewesen? Drei Gründe werden dafür angeführt: Erstens sei der Ablass für Luther eigentlich nur ein Nebenthema gewesen, viel wichtiger sei ihm die grundsätzliche Frage nach Gottes Gnade und der Rechtfertigung des Sünders gewesen. Dies erkenne man nicht zuletzt daran, dass die beiden Disputationen, die infolge der 95 Thesen mit Luthers Beteiligung stattfanden, 1518 in Heidelberg und 1519 in Leipzig, den Ablass schon gar nicht mehr zum Thema hatten. Stattdessen ging es in Heidelberg um Sünde und Gnade, in Leipzig um die Frage nach der verbindlichen Autorität in Glaubensfragen. Zweitens seien die 95 Thesen ihrem Inhalt nach noch gar nicht »reformatorisch«. Luther betone zwar die Notwendigkeit der Gnade Gottes und der Reue des Sünders, ohne die auch kein Ablassbrief wirke. Aber wesentliche Grundauffassungen der Reformation fehlten in den 95 Thesen, vor allem die Alleingeltung der Heiligen Schrift (sola scriptura), die Luther erst ab 1519 vertrete, und die Idee des Priestertums aller Getauften, die erstmals 1520 von ihm geäußert wurde. Der entscheidende »reformatorische Durchbruch«, so die Behauptung, komme bei Luther also offensichtlich erst nach 1517. Drittens präsentiere sich Luther in den 95 Thesen überhaupt nicht als Kirchenstürmer und Reformator, sondern als treuer Sohn seiner Kirche und treuer Diener des Papstes. Sogar den Ablass verteidige Luther in These 71: »Wer gegen die Wahrheit der apostolischen Ablässe redet, der soll gebannt und verflucht sein.«49 Die Reformation könne daher am 31. Oktober 1517 gar nicht begonnen haben, weil Luther weder inhaltlich noch kirchenpolitisch zu diesem Zeitpunkt ein Reformator gewesen sei. Alle diese Argumente sind nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Angriff auf den Ablass
Beginnen wir mit der Behauptung, die Ablassfrage sei ein theologisches Nebenthema, das für die Reformation und auch für Luther selbst gar keine herausgehobene Bedeutung gehabt habe. In systematischer Hinsicht mag das stimmen, in kirchenpolitischer Hinsicht aber nicht und auch nicht im Hinblick auf die gelebte Frömmigkeit des 16. Jahrhunderts. Ganz anders als für das heutige Europa gilt nämlich für das Europa des 15. und 16. Jahrhunderts, dass dies die vermutlich frömmste Epoche aller Zeiten gewesen ist. Allgemein verbreitet war die Sehnsucht nach ewigem Heil und die Furcht vor ewiger Verdammnis, und die Kirche war diejenige Institution, die das Heil verwaltete, indem sie die Gnadenmittel bereitstellte, mit denen man das ewige Heil erlangen konnte. Für die Gläubigen dieser Zeit war damals klar, dass nur ein kleiner Teil der Menschheit am Ende der Welt beim Jüngsten Gericht zu den Gerechten gezählt werden würde und Einlass ins Paradies erhielte. Die Mehrzahl der Menschen, so war man überzeugt, käme für ihre Sünden in die Hölle, es sei denn, die Sünden würden ihnen rechtzeitig vergeben. Sowohl Gott als auch Christus stellten sich die Gläubigen im frühen 16. Jahrhundert als Figuren vor, die einem nicht sonderlich wohlgesonnen waren: Gott-Vater als strenger Gesetzgeber, Gott-Sohn als strenger Richter, der das Fehlverhalten der Menschen unerbittlich bestraft. Gott war jemand, vor dem man sich fürchtete und vor dem man Schutz suchte. Viel bereitwilligere Anbetung erfuhren die Heiligen, also diejenigen Verstorbenen, die ein rundum gottgefälliges Leben geführt hatten. Durch ihre guten Werke, so lehrte die Kirche, hatten sie einen Schatz im Himmel angesammelt, und diesen Schatz konnte die Kirche an die Gläubigen austeilen. Die Heiligen standen auf diese Weise als Vermittler zwischen Gott und dem Menschen: als freundliche Fürsprecher, die bei Gott für die Sünder ein gutes Wort einlegten. Am wirksamsten funktionierte die Verehrung der Heiligen über das Medium der Reliquien, den Überresten der Heiligen, die man für authentisch erklärte und deren Anbetung – normalerweise verbunden mit einer Geldspende – zum Erlass der Sündenstrafe führen konnte. Die Sündenvergebung geschah einerseits noch zu Lebzeiten der Gläubigen, andererseits war dies auch noch nach dem Tod möglich. Dann nämlich, so lehrte die Kirche, kämen diejenigen, deren Sünden noch nicht vollständig hatten vergeben werden können, in das Fegefeuer, eine Art Zwischenzustand zwischen Paradies und Hölle, in der die Seele von der verbliebenen Sündenlast gereinigt werde (daher der ganz konkret gemeinte Name Fegefeuer) und anschließend ins Paradies eintreten könne. Dieser Zustand konnte von Fall zu Fall allerdings sehr lange andauern; umso wichtiger war es für die Gläubigen, dass ihnen ihre Sünden noch zu Lebzeiten vergeben würden. Dazu gab es das Sakrament der Buße: Der Gläubige musste seine Sünden bereuen und sie einem Priester beichten. Dieser erteilte die Absolution und legte dem Gläubigen eine der Sünde angemessene Bußleistung auf. Als Bußleistungen kamen fromme Werke infrage, normalerweise Gebete, Wallfahrten oder Almosen für die Armen. Mit der Zeit wurde es daneben üblich, dass auch die Zahlung einer Geldsumme akzeptiert wurde, für die man einen Ablassbrief erhielt. Mit dem Brief konnte man anschließend zu einem Priester gehen, der daraufhin die Absolution erteilen musste. Führt man sich diesen Zusammenhang vor Augen – und berücksichtigt zudem, dass es 1517 bereits seit langer Zeit Beschwerden über kirchliche Missstände gab –, dann wird klar, dass der Ablass alles andere als ein Nebenkriegsschauplatz für Luther gewesen ist. Ganz im Gegenteil: Kritik am Ablass zielte auf das Zentrum der Kirche, nämlich ihre...