Heinrichs | Tot überm Zaun | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 185 Seiten

Heinrichs Tot überm Zaun

Das Sauerland & andere Regionen in 12 Kurzkrimis
2. Auflage 2015
ISBN: 978-3-934327-26-9
Verlag: BLATT-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Das Sauerland & andere Regionen in 12 Kurzkrimis

E-Book, Deutsch, 185 Seiten

ISBN: 978-3-934327-26-9
Verlag: BLATT-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zaunphantasien mit tödlichem Ausgang - ein Sauerländer Seniorentrio, das den ultimativen Banküberfall plant - die Suche nach einer Vermissten auf dem Rothaarsteig: Kathrin Heinrichs' Kurzkrimis sind mal humorvoll und leicht, mal düster und spannend geschrieben.

Es gibt Menschen, die möchte man von der ersten Begegnung an umbringen. Susanne Schürmann zum Beispiel. Susanne Schürmann hat, als wir uns das erste Mal trafen, den Satz gesagt: "Hier im Sauerland möchte ich ja nicht tot überm Zaun hängen!"

Das hätte sie nicht tun sollen. Seitdem habe ich mir das immer wieder vorgestellt: Susanne Schürmann - tot überm Zaun.

Heinrichs Tot überm Zaun jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Tot überm Zaun
Es gibt Menschen, die möchte man von der ersten Begegnung an umbringen. Susanne Schürmann zum Beispiel. Susanne Schürmann hat, als wir uns das erste Mal trafen, den Satz gesagt: „Hier im Sauerland möchte ich ja nicht tot überm Zaun hängen!“ Das hätte sie nicht tun sollen. Seitdem habe ich mir das immer wieder vorgestellt: Susanne Schürmann – tot überm Zaun. Später einmal hat Susanne Schürmann gemeint, das Sauerland insgesamt sei ja ganz nett, aber sehr provinziell. Hemer allerdings – Hemer habe so gar nichts. Keine Landschaft, keine Innenstadt, nichts. Nicht mal einen Golfplatz gäbe es hier. Noch später hat sie ganz anders geredet, aber dazu komme ich noch. Besser, ich erzähle erst einmal, wie alles anfing. Das Erste, was ich von Susanne Schürmann sah, war ihr Landrover, der mit seinen gefühlten achtzehn Metern auf dem Schulparkplatz vier Stellplätze blockierte. Was ich als Nächstes sah, war eine rosagekleidete Ganzkörpertussi mit Püppchengesicht und blondem Langhaar. Letzteres pflegte sie mit so viel Foffo durch die Gegend zu schmeißen, dass man die Dame bei richtiger Positionierung zum Abstauben hätte einsetzen können. „Das muss die Mutter von Laura-Sophie sein“, wisperte meine Freundin Birgit, mit der ich zusammen den Elternabend besuchte. Sofort war ich im Bilde. Schließlich hatte meine Tochter schon ausgiebig von der neuen Schülerin erzählt. Auch Laura-Sophie kam meistens in Rosa zur Schule. Laura-Sophie hatte Haare wie ein Engel, aber wenn sie ihren Willen nicht kriegte, kreischte sie schlimmer als eine Feuersirene. „Trotzdem wollen alle neben Laura-Sophie sitzen“, hatte meine Tochter Lotta an Laura-Sophies drittem Tag unter Tränen erzählt. „Dabei ist die einfach nur doof.“ „Das gibt sich“, hatte ich Lotta erklärt und insgeheim befunden, dass es meinem Wildfang ganz guttat, mal für eine Weile nicht die erste Geige zu spielen. „Warte ab, bis die anderen Kinder merken, was für eine Schreckschraube sie ist.“ Die Schürmanns waren nach Hemer gezogen, weil Papa Schürmann die Landesgartenschau managen sollte. Zur Landesgartenschau möchte ich nichts Negatives sagen. Ich find’s super, dass das alte Kasernengelände aufgewertet wird. Ich find’s überhaupt super, dass zu uns die Landesgartenschau kommt. Gut, die verwendeten Werbeslogans sind etwas affig. „Zauber der Verwandlung“ oder „Dreiklang von Körper, Geist und Seele“. Andererseits müssen die Vermarktungsfuzzis ja auch für etwas gut sein. Ich selbst bin nun mal eher ein handfester Typ. Eine Gärtnerin eben. Und genau deshalb kann ich mich natürlich für die LAGA begeistern. Der andere Grund ist, dass mein Mann einen Gartenbaubetrieb hat. Wir können die LAGA-Aufträge sehr gut gebrauchen. Ich bin im Bilde, schließlich arbeite ich mit in der Firma – mal im Büro, mal in der Erde, was mir eigentlich das Liebste ist. Trotzdem fand ich es zum Weglaufen, als Susanne Schürmann mir zu verstehen gab, sie könne bei der Auftragsvergabe „bestimmt etwas tun“. Ihr Mann Robbi sei schließlich federführend in der LAGA-GmbH tätig und habe entscheidenden Einfluss. Es ist schön, lukrative Aufträge zu haben, aber es ist nicht schön, diese dem Mann von Susanne Schürmann zu verdanken. Dabei kann man gegen den gar nichts sagen. Er ist in Ordnung. Robert Schürmann ist sogar mehr als in Ordnung. Er hat im Leben nur einen Fehler begangen – und der ist seine Frau. „Dass es mich nach Hemer verschlagen hat!“, sagte sie, als sie im Frühjahr zum ersten Mal spontan auf einen Kaffee vorbeikam. Ich hatte gerade in unserem Garten gewuselt, sah also aus wie ein Maulwurf und fand es daher umso prickelnder, eine perfekt gestylte Schönheitskönigin bewirten zu dürfen. Ihre Tochter hatte Susanne Schürmann natürlich auch mitgebracht. Sie und Lotta hatten sich zum Spielen ins Kinderzimmer getrollt – ich hoffte inständig, dass meine Kleine ihren Gast nicht schon jetzt mit dem rosa Haarband an den Bettpfosten geknebelt hatte. „Hemer und ich, das passt einfach nicht!“ Susanne Schürmann runzelte zu dieser Bemerkung pseudoverzweifelt die Stirn und schob dann den verhängnisvollen Satz hinterher: „Eigentlich möchte ich hier nicht tot überm Zaun hängen!“ Mir blieb die Spucke weg, was nicht schlimm war, denn eine Reaktion wurde von mir gar nicht erwartet. „Aber eine echt süße Werbung gibt‘s hier! Die mit den 38.125 tollen Typen, meine ich jetzt“, Susanne Schürmann lachte gekünstelt und schmiss ihre Haare. Natürlich wusste ich genau, was sie meinte. Die riesigen Plakatwände, die das Stadtmarketing aufgestellt hatte: Abgebildet eine Gruppe von Menschen. Darunter der Satz: „38.125 tolle Typen. Alle in Hemer.“ „Als ich die zum ersten Mal gesehen habe“, quakte die Schürmann und straffte dabei ihr rosa Hilfiger-Shirt, das sie wie die Großausgabe ihrer Tochter aussehen ließ, „da hab ich gedacht: 38.125 tolle Typen in Hemer. Hat Hemer zum Weltjugendtag tatsächlich so viele Gäste gehabt?“ Mein Kaffeebesuch wieherte. Ich muss gestehen, es dauerte einen Moment, bis ich die Pointe begriff. Als das der Fall war, fand ich sie noch immer nicht witzig. Um genau zu sein, kotzt es mich an, wenn Leute wie Susanne Schürmann sich über Hemer lustig machen, denn meistens kennen sie sich überhaupt nicht gut aus. Mit Sicherheit war Susanne Schürmann noch nie durchs Stephanopler Tal gewandert und hatte sich von der phantastischen Landschaft einfangen lassen. Sie hatte nie mit Leuten wie Manfred Gruschka aus Sundwig gesprochen, der für sein Dorf seine komplette Freizeit hergab. Sie hatte nie in Gittas Kaffeestübchen selbstgebackenen Kuchen gegessen, hatte keine 10er-Abschlussparty am Duloh gefeiert oder ihre erste große Liebe am Springbrunnen im Stadtpark geküsst. Meine erste große Liebe war übrigens Carsten gewesen, mein Mann, und der erste Kuss war am Abend der Hemeraner Herbsttage passiert. Aber das spielt ja jetzt keine Rolle. Eine Rolle spielt, dass Leute wie Susanne Schürmann gar keine Ahnung haben, wenn sie sich über Hemer hermachen. Ich persönlich würde Hemer niemals verlassen. Das ist meine Heimat. „Hemer ist gar nicht so verkehrt“, sagte ich daher trotzig und nahm zur Kenntnis, wie Susanne Schürmann mich ansah. Ein Blitzen in den Augen, ein verschmitzter Zug um den Mund. Ich wusste, was sie dachte. Sie dachte: „Die merkt es nicht mal. Die wohnt in der Bronx und merkt es nicht mal.“ Von diesem Moment an kam das Bild immer wieder in mir hoch – Susanne Schürmann tot überm Zaun. Das nächste Mal schon bei den Bundesjugendspielen unserer Kinder. Dazu werden immer Mütter gesucht, die mithelfen können. Zeit stoppen, den Ballwurf messen, so was. Es sind immer dieselben, die helfen, umso erstaunter war ich, als ich Susanne Schürmanns reisebusgroßen Off-Roader an der Teichstraße sah. Sie hatte ihren Wagen so geschickt zwischen zwei Kastanien gestellt, dass man sich auf dem Bürgersteig als Fußgänger vorbeiquetschen musste. „Bestimmt bringt sie nur ihrer Tochter das Butterbrot nach“, schnodderte meine Freundin Birgit, die einen Trainingsanzug trug, der in den 70ern echt trendy gewesen sein musste. Es war schlimmer. Susanne Schürmann war gekommen, um zu filmen. Sie trug eine edel-rote Samtsporthose, die ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachte, hielt eine 2000 Euro teure Digital-Kamera vor ihre Nase gepresst und verfolgte ihr rosafarbenes Kind von Station zu Station. Ich war fassungslos. Dass Susanne Schürmann nicht mithalf, war eine Sache. Dass es ihr aber nicht im mindesten peinlich war, mit der Kamera an uns Helferinnen vorbeizuhecheln, eine andere. Die Sache spitzte sich zu, als Laura-Sophie zum Weitsprung anrückte. „Dass Sie aber ordentlich messen!“, quakte Frau Schürmann und knipste mir neckisch ein Auge, wohl um zu signalisieren, dass ich einen halben Meter aufschlagen sollte. Ich wäre der Frau am liebsten an die Gurgel gesprungen! „Ich harke nur!“, presste ich stattdessen hervor und wuselte weiter in der Grube herum, wo man mich vermutlich eingeteilt hatte, weil ich auf Gartenarbeit spezialisiert bin. Als ich nach der Harkerei wutentbrannt hochschaute, fiel mein Blick auf die Absperrung, die, mit ein bisschen Bandenwerbung verschönert, den Sportplatz von den spärlichen Zuschauerrängen trennte. In diesem Augenblick dachte ich zum zweiten Mal an Susanne Schürmann – tot überm Zaun. Eine besonders ausgeprägte Vorstellung ergab sich, als Carsten und ich einige Wochen später bei den Schürmanns zum Essen eingeladen waren. Susanne, die ich mittlerweile duzte, hatte das Essen bei einem Partyservice bestellt. Allein das war schon peinlich. Für vier Personen kochen, hätte wahrscheinlich schon unsere Tochter...


Kathrin Heinrichs wurde 1970 in einem sauerländischen Dörfchen geboren und studierte in Köln Germanistik und Anglistik. Die Autorin und Kabarettistin lebt heute mit ihrer Familie in Menden.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.