E-Book, Deutsch, Band 6, 221 Seiten
Reihe: Sauerlandkrimi und mehr
Heinrichs Totenläuten
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-934327-21-4
Verlag: BLATT-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vincent Jakobs' 6. Fall
E-Book, Deutsch, Band 6, 221 Seiten
Reihe: Sauerlandkrimi und mehr
ISBN: 978-3-934327-21-4
Verlag: BLATT-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mord kommt auch in den besten Kirchenkreisen vor:
Das glaubt Vincent Jakobs spätestens, als ein Mitglied des Kirchenvorstands tot im Glockenturm entdeckt wird.
Und schon bald tun sich unter den Weihrauchschwaden der Pfarrgemeinde weitere Abgründe auf ...
Kathrin Heinrichs erzählt eine Geschichte, die nicht nur Kirchenkenner bewegt.
Autoren/Hrsg.
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7 Zuerst hörte ich das Klimpern. Geldmünzen. Erst später nahm ich die Gestalt vorm Zigarettenautomaten wahr. Es war an der Gaststätte Schulte, nur noch wenige hundert Meter vom Haus meiner Schwiegereltern entfernt. Walter zog an der Leine. Offensichtlich wollte er die Gestalt näher unter die Nase nehmen. „Ach, Sie sind das!“ Jetzt fuhr ich doch zusammen. Die große Gestalt trat einen Schritt vor und war nun im Schein der Straßenlaterne zu erkennen. Stephan Olbrecht, der Pastor. „Auf Hunderunde?“ Er deutete auf Walter, machte aber keine Anstalten, ihn zu streicheln oder ihm sonstwie näher zu kommen. Ein Tierfreund auf Entfernung, nahm ich an. „Ja, um die Zeit muss er noch einmal raus.“ „Wo ich Sie schon treffe, Sie könnten mir nicht zufällig ein wenig Geld wechseln? – Oder leihen?“ fügte er mit einem Hauch von Scham hinzu. „Meine letzte Zigarettenschachtel liegt vier Jahre zurück. Ich hatte keine Ahnung, wie teuer das Zeug inzwischen ist.“ Ich kramte in meinen Hosentaschen, wo sich tatsächlich ein Eurostück fand. „Verstehen Sie es als Dauerleihgabe!“ „Vergelt’s Gott.“ Olbrecht warf das Geld ein und zog die Klappe heraus. Ich versuchte sein Alter zu schätzen, was speziell bei der Dunkelheit nicht ganz einfach war. Ein bisschen älter als ich, vermutete ich, Mitte Vierzig vielleicht. Olbrecht hatte das, was ich unter Alexas Protest immer die klassisch sauerländische Statur nenne: großgewachsen, Stiernacken, breites Kreuz. Auch hatte er ein paar Kilo zu viel, war dabei aber nicht unattraktiv. Kein Typ, bei dem man vermutete, dass er mangels Alternativen Priester geworden war. „Gehen wir das Stück zusammen?“ Der Pfarrer steckte die Zigarettenschachtel vorerst in die Tasche. „Gern“, erwiderte ich und zog Walter mit. „Frau Gierse hatte einen Zusammenbruch, hörte ich.“ „Die Drähte glühen schnell“, bemerkte der Priester. „Aber Sie haben recht. Die Nachricht hat sie umgehauen. Sie genauso wie die Tochter, Ines. Beide sind inzwischen in ärztlicher Behandlung. Im schlimmsten Fall wird der Doktor sie heute Abend sogar noch ins Krankenhaus verfrachten.“ „Ines ist nicht das einzige Kind, hörte ich.“ „Nein, da gibt es noch eine weitere Tochter. Annabell. Wenn mich nicht alles täuscht, studiert sie in Münster. Innenarchitektur oder etwas in der Art.“ „Wie alt war der Gierse eigentlich?“ „Ich hab’s eben nachgeschaut. Genau wusste ich es auch nicht. Vierundfünfzig ist er, vor zwei Wochen geworden.“ Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Plötzlich jedoch bellte der Hund und zog in eine Richtung. Um genau zu sein, war er ganz aus dem Häuschen. Der Pastor sah mich fragend an. Im Gebüsch, das über mehrere Meter die Hauptstraße säumte, knackte ein Ast. Ich blieb angespannt stehen. Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, einen Schatten zu sehen. Dann aber konnte ich nichts mehr erkennen. Ich lauschte eine Weile angestrengt in den kühlen Abend hinein. Nichts war mehr zu hören. „Ein Eichhörnchen vielleicht“, flüsterte der Pfarrer. Dann schien ihm etwas anderes im Kopf herumzugehen. „Vielleicht war es aber auch – “, er brach unvermittelt ab, „ach, vergessen Sie’s!“ Ich stutzte, sagte aber nichts. Schweigend gingen wir weiter, bis wir am Haus meiner Schwiegereltern anlangten. Auch Olbrecht hatte jetzt nur noch wenige Meter zu gehen. „Danke noch mal für den Euro“, sagte er. „Kann ich ihn vielleicht mit einem Glas Rotwein gutmachen?“ Ich zögerte einen Augenblick. Was hielt mich auf? Ommma war sicher im Bett, mit Alexa hatte ich nach dem Abendessen ausführlich telefoniert, und arbeiten würde ich auch nicht mehr. Ein Glas Rotwein war also wirklich nicht schlecht. „In Ordnung“, sagte ich. Länger als eine Sonntagspredigt würde das Ganze sicher nicht dauern. Und vielleicht würde mir der Pastor ja sogar noch stecken, wen er spätabends im Gebüsch vermutet hatte. 8 Pfarrer Olbrecht hatte seinen ganz eigenen Stil. Im Flur ein paar Emaille-Reklameschilder aus den 50er Jahren, die einen gewagten Kontrast bildeten zu einem antiken Kirschbaumschrank. Im Wohnzimmer zog eine Serie abstrakter Aquarelle den Blick auf sich. Vor einem fast wandgroßen Werk in Schwarz mit einem einzelnen orangeroten Streifen am rechten Rand blieb ich rat- und ahnungslos stehen. „Interessant, nicht wahr?“, sagte der Priester, während er eine Flasche Rotwein heranholte. „Interessant, durchaus“, bestätigte ich tonlos. „Das Bild zeigt die Offenbarung“, erklärte Olbrecht, während er den Korkenzieher in die Flasche hineindrehte. „Ich war mir nicht ganz sicher“, erwiderte ich. „Zunächst habe ich gedacht, es könnte auch die Menschwerdung sein.“ Insgeheim fragte ich mich, ob die Werke wertvoll waren. Und wie viel ein Pfarrer im Monat verdiente. Der Geistliche schien übrigens ein wenig das Chaos zu lieben. Hier und da stapelten sich Bücher und Zeitungen – das Ambiente erinnerte mich wohlig an meine Studentenzeit in Köln. „Ich hoffe, er ist jetzt nicht zu kalt“, sagte Olbrecht, während er den Wein in zwei Gläser einfüllte. Ich ließ mich derweil in einem Ledersessel nieder, sorgte dafür, dass sich Walter zu meinen Füßen breitmachte, und nahm mir dann Zeit, Olbrecht noch einmal zu mustern. Er trug Schwarz, ganz klar, aber nicht das klassische Priesteroutfit mit Kalkleiste am Hals, sondern schwarze Jeans und Wollpullover, darunter blitzte ein weißes T-Shirt hervor. „Zum Wohl“, sagte der Pastor jetzt, während er auf dem Sofa Platz nahm. Ich griff nach meinem Glas, trank zwei Schluck und lehnte mich dann in meinem Sessel zurück. Der Wein war genau richtig. Nicht zu warm und nicht zu kalt. „Soll ich Ihnen mal etwas sagen“, meinte der Priester unvermittelt, während er mich mit seinem stechenden Blick aufmerksam ansah. „Berufsbedingt habe ich ja nun wirklich häufig mit Toten zu tun. Aber das, was ich heute gesehen habe, das war etwas anderes.“ „Mir geht es genauso“, stimmte ich zu. „Ehrlich gesagt bin ich schon häufiger auf Mordfälle gestoßen. Und jedes einzelne Bild hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingebrannt. Heute ist ein weiteres hinzugekommen, das von Manfred Gierse.“ Olbrecht sah mich fragend an. „Ich habe mich schon heute Morgen gewundert, dass Sie sich in Sachen Notruf so gut auskennen. Sie haben berufsbedingt damit zu tun, nehme ich an?“ „Nein, überhaupt nicht“, widersprach ich. „Ich bin Lehrer. Es scheint eine besondere Art von Zufall zu sein, dass ich es immer wieder mit Morden zu tun bekomme.“ „Seltsam“, sagte Olbrecht mit gerunzelter Stirn. „Ja, das ist es“, stimmte ich zu. „Andererseits hat man auch Miss Marple nie gefragt, warum sie andauernd über Leichen stolperte.“ „Miss Marple“, Olbrecht lachte laut auf. „Da haben Sie recht. Andererseits sind Sie aus Fleisch und Blut und keine erfundene Romanfigur.“ Ich lächelte. „Nun“, Olbrecht seufzte gehaltvoll. „Noch habe ich ja die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass sich Gierses Tod als tragischer Unfall entpuppt.“ „Auch wenn Sie dann ein Problem wegen der Bauvorschriften bekommen?“ „Lieber ein Problem wegen der Bauvorschriften als einen Mord in der Kirchengemeinde“, Olbrechts Stimme wurde schärfer. „Ist Ihnen eigentlich bewusst, was es bedeutet, wenn Manfred Gierse tatsächlich umgebracht wurde? Ich meine – “ Olbrecht suchte nach Worten, „man kann doch nicht automatisch davon ausgehen, dass es sich bei dem Täter um einen gänzlich Unbekannten handelt. Jemanden, der ihm aufgelauert hat, um sich sein Portemonnaie unter den Nagel zu reißen. Und wissen Sie, was das impliziert?“ Olbrecht blickte mir fest in die Augen. „Es impliziert, dass ich den Täter höchstwahrscheinlich kenne. Dass er womöglich meiner eigenen Pfarrgemeinde entstammt. Dass ich ihm im schlimmsten Fall am vergangenen Sonntag die Kommunion in die Hand gelegt habe.“ „Das könnte sein“, stimmte ich zu. „Die Vorstellung ist grauenerregend“, sagte Olbrecht und sackte tiefer in seine Couch. Wir schwiegen ein Weilchen. „Entscheidend ist, warum Manfred Gierse spätabends noch in der Pfarrkirche war“, ging ich das Thema neu an. „Wohl kaum, um die gute Aussicht zu genießen.“ Olbrecht richtete sich jetzt wieder auf. „Dafür gibt es möglicherweise eine Erklärung. Vielleicht haben Sie gehört, dass Gierse in der Kirche für die anstehenden Bauarbeiten verantwortlich war. Und er war ein Arbeitstier. Vielleicht wollte er etwas nachmessen oder er –“ „Die Variante kenne ich schon“, unterbrach ich. „Nur: Warum hatte er dann keinen Schlüssel dabei?“ „Tja, wenn ich das wüsste“, Olbrecht sank wieder in sich zusammen. „Aber vielleicht war die Kirche offen. Manchmal passiert das. Aus Versehen, meine ich jetzt. Unsere Küsterin ist nicht...