Hellmuth | Austrofaschismus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 218 Seiten

Hellmuth Austrofaschismus

Eine Identitätsgeschichte
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-205-22047-3
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Eine Identitätsgeschichte

E-Book, Deutsch, 218 Seiten

ISBN: 978-3-205-22047-3
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Das Buch betrachtet den Austrofaschismus aus einer identitäts- und kulturgeschichtlichen Perspektive. Dabei beschäftigt es sich mit der dahinterstehenden Ideologie, die zur Konstruktion einer spezifischen österreichischen Identität diente, und analysiert die Versuche, die Ideologie auch in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern. Zugleich thematisiert das Buch aber auch die Widersprüche des politischen Systems und sein partielles Scheitern. Es deckt die Wurzeln des Austrofaschismus in der demokratischen Zwischenkriegszeit auf und fragt schließlich nach seinen Auswirkungen auf die Zweite Republik. Damit wird ein neuer Blick auf einen vieldiskutierten Abschnitt österreichischer Geschichte geworfen.

Thomas Hellmuth ist Universitätsprofessor am Institut für Geschichte der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Kultur- und Identitätsgeschichte Frankreichs und Österreichs seit der Aufklärung, Lokal- und Regionalgeschichte, Erinnerungs- und Geschichtskultur sowie Geschichtsdidaktik und Politische Bildung.

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Die Nebel lichten – eine Einleitung
Wien, 2. September 1960: Der Spielfilm „Schachnovelle“, eine Verfilmung der 1942/43 von Stefan Zweig verfassten Novelle, hat im Forum Kino seine Premiere. Für die Regie zeichnet Gerd Oswald verantwortlich, der 1938 in die Vereinigten Staaten geflüchtet war. In der Rolle des Rechtsanwalts Werner von Basil, der kirchliche Kunstschätze vor den Nationalsozialisten in Sicherheit gebracht hat und deswegen in Isolationshaft gesteckt wird, brilliert Curd Jürgens. Die Rahmenhandlung, ein Schachduell zwischen einem Schachweltmeister und von Basil, der aufgrund seiner Gestapo-Haft mit schweren psychischen Problemen kämpft, wird durch eine Rückblende in die Zeit der „Schachvergiftung“, wie in der literarischen Vorlage der Hauptprotagonist seinen Zustand bezeichnet, ergänzt. In dieser Rückblende entsteht der Eindruck, als ob die bürgerlich-liberale Demokratie in Österreich nicht bereits mit dem austrofaschistischen System, sondern erst mit dem sogenannten Anschluss durch das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 geendet hätte. Tatsächlich finden sich im Film nur zwei Mal indirekt Hinweise darauf, dass in Österreich bereits eine Diktatur geherrscht hat. Einmal betrachtet Werner von Basil, gewarnt vor einem Haftbefehl gegen ihn, nachdenklich ein Bild des austrofaschistischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg, das eingerahmt an einer Wand seiner Wohnung hängt. In einer anderen Filmsequenz, die in der Gestapo-Zentrale im Wiener Hotel Metropol spielt, wird ein Bild von Schuschnigg unter dem empörten Blick des Rechtsanwalts entfernt. Schuschnigg steht gleichsam für Österreich, die Entfernung seines Abbildes symbolisiert das Ende der österreichischen Eigenständigkeit. Damit knüpft der Film nicht nur an die Abgrenzungsversuche des Austrofaschismus vom nationalsozialistischen Deutschland an, sondern verlagert die Diktatur zugleich in die Nebel der Vergangenheit. Die Verfilmung der „Schachnovelle“ entspricht der offiziellen österreichischen Erinnerungskultur nach 1945, die Novelle von Stefan Zweig hat diese bereits vorweggenommen. Die Zweite Republik blendete die Konfliktdemokratie der Zwischenkriegszeit und den Austrofaschismus weitgehend aus. Das sogenannte Dritte Reich überschattete die österreichische Konkurrenzdiktatur. Um die Zweite Republik zu sichern und – infolge der Erfahrung des Bürgerkriegs vom Februar 1934 – einen politischen Konsens zu gewährleisten, stand vor allem die Abgrenzung vom Nationalsozialismus im Zentrum der offiziellen Erinnerungskultur. Dazu wurde die „Opferthese“ zelebriert, die Österreich zum Opfer des Nationalsozialismus stilisierte und jegliche Mitverantwortung ausschloss. Deutlich zeigt sich dies im Schulbuch „Unser Österreich“, das 1955, im Jahr des Staatsvertragsabschlusses, für den Unterricht in der Hauptschule und der gymnasialen Unterstufe zugelassen wurde. Darin wird der Bürgerkrieg nur kurz erwähnt und als ‚Bruderzwist‘ bezeichnet, der allein der sozialen Not in der Ersten Republik entsprungen sei. Die austrofaschistische Diktatur kommt mit keinem Wort zur Sprache, vielmehr wird vom „Geist der Freiheit“, der erst durch den Nationalsozialismus gewaltsam ausgelöscht worden sei, gesprochen: Niemand hätte es für möglich gehalten, daß in unserem Jahrhundert diese Freiheit jemals geraubt werden könnte. Sie galt jedermann als ein unantastbarer Teil der Menschenwürde. Und doch wurden im Jahr 1938 gleichzeitig mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit alle Freiheiten, die in unseren Grundgesetzen verankert waren, mit einem Federstrich aufgehoben. […] Nun, da unser Österreich neu erstanden war, galt auch wieder die Freiheit der Meinung als Recht jedes einzelnen Staatsbürgers.1 Der Austrofaschismus wirkte bzw. wirkt aber in der Zweiten Republik nach: Nicht nur, dass etwa im Parlamentsclub der Österreichischen Volkspartei lange Zeit ein Portrait von Engelbert Dollfuß hing. Der „Demokratie-Killer“, wie Robert Menasse ihn bezeichnet, wurde in einem „patriotischen Ölschinken“ gleichsam gezähmt und sogar zu einem Widerstandskämpfer transformiert.2 Erst 2017, im Zuge des Parlamentsumbaus, übergab die Österreichische Volkspartei dieses Portrait an das Niederösterreichische Landesmuseums als Dauerleihgabe. Überhaupt waren die offiziellen Bemühungen, eine österreichische Identität für die Zweite Republik zu konstruieren, zum Teil vom Austrofaschismus und seiner Ideologie beeinflusst. So wurden manche Identitätsbausteine der Zeit von 1933 bis 1938 einfach in die Zweite Republik transferiert. Der Habsburgermythos, aber auch der Katholizismus und die im Barock symbolisierte Gegenreformation fanden sich etwa nach 1945 im Fundus der ‚Identitätswerkzeugkiste‘. Und auch der Föderalismus, der sich in der „Realverfassung“ der Zweiten Republik spiegelt, wurde zwar im Austrofaschismus nicht in der politischen Realität gelebt, war aber durchaus in seiner Ideologie verwurzelt. Selbst die „Opferthese“, die nach 1945 eine Beteiligung von Österreicher:innen an den nationalsozialistischen Verbrechen verleugnete, fand im Austrofaschismus manche Anknüpfungspunkte. Zwar galten alle diese Identitätsbausteine nicht mehr als Bestandteile der Österreich-Ideologie, die der Austrofaschismus propagierte, sondern dienten nun der bürgerlich-liberalen Demokratie im österreichischen Prozess der Nationsbildung. Es handelte sich aber dennoch um Versatzstücke einer Diktatur, die dem Zweck einer gleichsam demokratischen Indoktrination dienten. Weniger die „Sozialistische [und spätere Sozialdemokratische] Partei Österreichs“ (SPÖ) als vielmehr die Österreichische Volkspartei (ÖVP) scheint hier einen maßgeblichen Anteil an der Konstruktion einer österreichischen Identität nach 1945 gehabt zu haben. Nicht nur der Nationalsozialismus hat somit seine Spuren in der Zweiten Republik hinterlassen, auch jene des Austrofaschismus sind bei genauerem Hinsehen oft deutlich zu erkennen. Die Vergangenheit kann nicht einfach ausgelöscht werden. Vielmehr prägt sie zum Teil noch immer die Politik bzw. Gesellschaft und – wenn zumeist wohl auch unbewusst – die Lebenswelten der Leser:innen. Um diese Spuren sichtbar und bewusst zu machen, bietet sich ein kulturwissenschaftlicher Zugang über die „Neue Kulturgeschichte“ an.3 Zwar wurde der Austrofaschismus bereits aus politikgeschichtlicher Perspektive ausführlich analysiert (wiewohl freilich noch immer zahlreiche Desiderate bestehen), und auch über Kultur im engeren Sinn, etwa über Kunst, Theater, Film und Literatur, liegen bereits zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen vor.4 Eine moderne kulturgeschichtliche Perspektive5 überschreitet aber die Grenzen unterschiedlicher historischer Teildisziplinen, wie sie zum Beispiel die Politikgeschichte, Sozialgeschichte und Alltagsgeschichte sowie die historische Anthropologie darstellen. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Ideologien, erfasst die politischen Entwicklungen und registriert diese in kulturellen Manifestationen wie etwa Literatur, Theater oder Film sowie Festlichkeiten und Kleidungsgewohnheiten. Auf diese Weise kann die Geschichtswissenschaft zum Teil neue Perspektiven auf die Vergangenheit einnehmen und damit auch zu neuen Erkenntnissen gelangen. Allerdings muss Kultur dafür sehr breit definiert werden. Sie umfasst Sprache und andere Kommunikationsformen, die Handlungen von Individuen und sozialen Gruppen sowie kollektive Codes, Normen, Werte und damit verbundene identitätsbildende Merkmale, aber auch Materielles, etwa Gebäude und Gegenstände, insofern sie für die Zeitgenoss:innen sinnstiftend waren bzw. noch immer sind. Im Zentrum eines modernen Kulturbegriffs stehen folglich die handelnden Subjekte in ihrer Beziehung zur Gesellschaft und Fragen der Identitätsbildung. „Identität“ ist in diesem Zusammenhang als dynamisch und somit als eine Art mentaler Konstruktionsprozess zu begreifen, in dem das Individuum versucht, die Umwelt, in die es hineingeworfen ist, mit seinem Inneren in Einklang zu bringen. Seine Erlebnisse und Erfahrungen werden ‚rund‘ und damit erträglich gemacht. Dabei ist das Individuum nicht völlig autonom, sondern in einen sozialen Raum eingebunden. In diesem findet es Denk- und Handlungsmöglichkeiten, die übernommen und in bestimmten Situationen angewandt werden können. Diese Denk- und Handlungsmöglichkeiten lassen sich mit Schubladen vergleichen, in die der Mensch seine Erlebnisse einordnet. Demnach ist Identitätsbildung als individuelles Phänomen zu verstehen, weshalb der Begriff der kollektiven Identität streng genommen eine Konstruktion darstellt. Er meint nichts anderes als eine Ansammlung von Identifikatoren bzw. Identitätsbausteinen.6 Der Austrofaschismus versuchte, die Schubladen, die gleichsam im Kopf der Menschen vorhanden sind und auch ergänzt werden können, mit spezifischen Identifikatoren bzw. Identitätsbausteinen zu füllen. Diese Bausteine fanden sich in der austrofaschistischen Ideologie, die ein spezifisches Österreichbild in Abgrenzung zum nationalsozialistischen Deutschland entwarf....



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