E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Hennig Emma verduftet
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0267-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0267-6
Verlag: Ullstein HC
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Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Kapitel 1 Emma fragte sich, ob die letzte Plastiktüte mit Lillys Tennissachen noch in den Kofferraum passen würde, der bereits jetzt bis zum Anschlag vollgestopft war. So etwas nannte man wohl »Umzug auf Raten«. »Wieso hat sie ihren ganzen Krempel nicht gleich auf einmal mitgenommen?«, beschwerte sich Georg, während er versuchte, den Tennisschläger noch irgendwie zwischen ihre zwei Koffer und die Tüten mit Lillys Klamotten zu pressen. »Diese ganzen Tüten, so was von asozial«, grantelte Georg weiter und warf Emma dabei einen vorwurfsvollen Blick zu. Wenn dieses rastlose Energiebündel, das sie vor fünfundzwanzig Jahren geheiratet hatte, einmal in Fahrt war, hielt man sich besser mit einer passenden Replik zurück. Eine Tüte konnte gar nicht asozial sein, sondern nur praktisch. Wenn allerdings Georg das Wort »asozial« in den Mund nahm, musste es für alles Mögliche herhalten. In diesem Fall eine unschuldige Plastiktüte, mit der man sich in seinen Augen höchstens im Discounter blicken lassen konnte. »Wofür haben wir eigentlich die teuren Ledertaschen im Keller?«, blaffte Georg weiter. Zumindest was ihren Taschenbestand betraf, hatte er ja recht, aber wenn Emma ihm jetzt den Vorteil von kleineren Packstücken erklären wollte, die man flexibler im Kofferraum verstauen konnte, hätte ihn das nur noch mehr in Rage gebracht. Dass es im Kofferraum nach Öl und Metall stank und man diesen dumpfen Mief mit Hilfe der Plastiktüten besser von Lillys Kleidung fernhalten konnte, würde er sowieso nicht gelten lassen. Vermutlich nahm er den Eigengeruch des Kofferraums nicht einmal wahr. Um des lieben Friedens willen erklärte sie die Plastiktütendebatte mit einem devoten Schulterzucken für beendet. Es war sowieso schon ein Wunder, dass er diesmal mitfuhr. Die letzten Besuche bei ihrer Tochter in Nizza hatte sie allein absolvieren dürfen. Nur zweimal war er bisher mitgekommen, was man ihm aber nicht zum Vorwurf machen konnte. Die Arbeit ging nun mal vor. Georg lief Tag und Nacht irgendwelchen Financiers und Neureichen hinterher, die sich ein maßgeschneidertes Haus und somit ihn, einen Architekten, leisten konnten. Kein Wunder, dass gelegentlich die Pferde mit ihm durchgingen. Sein Schatzi, wie er sie gelegentlich nannte, hatte sich um die Buchhaltung und die geschäftliche Abwicklung zu kümmern, zwar auch ein Fulltime-Job, aber sicherlich weniger stressig als Georgs unermüdliche Akquise. Ihn so zornig mit den Päckchen und Tüten kämpfen zu sehen hatte auch etwas unfreiwillig Komisches. Georg erinnerte sie nicht zum ersten Mal an das HB-Männchen aus der Werbung, mit der ein Tabakkonzern bis weit in die siebziger Jahre hinein versucht hatte, seine Zigaretten als »Beruhigungsmittel« an den Mann zu bringen. Genau so kam er ihr jetzt vor, wie jenes Trickfilmmännchen, das kurz vor dem Herzinfarkt stand und jeden Moment mit Raketenantrieb gen Himmel abzuheben drohte. »Wer wird denn gleich in die Luft gehen?«, hieß es damals. Auch optisch hatte er, abgesehen von seinen blonden Haaren, etwas von der bekannten Zeichentrickfigur: klein, gedrungen, große Nase und Häschenblick, in den sie sich vor Jahren verliebt hatte, nur dass aus dem Häschen mittlerweile ein schlachtreifer Hase geworden war – Tribut an ungesunde Ernährungsgewohnheiten und das berühmt-berüchtigte Gläschen Wein zu viel. Gut, dass nun alles verstaut war. Ob der Kofferraumdeckel zugehen würde, war allerdings fraglich. Georg kämpfte tapfer, drückte immer wieder rhythmisch auf das Blech, bis der ganze Wagen anfing zu wippen. So musste sich ein Fahrzeug bei einem Erdbeben bewegen. Vergebens! Georgs Zorn wuchs im Sekundentakt und entlud sich schließlich in brachialer Gewalt. Wie ein aus dem Meer emporsteigender Pottwal schmiss er sich mit der Wucht seiner Pfunde auf die Abdeckhaube. Zu dumm, dass er sich dabei den Zeigefinger zwischen der Abdeckhaube und der Halterung des hinteren Scheibenwischers einklemmte. »So ein Scheißdreck!«, fluchte er. Dann überzog jedoch ein selbstironisches Lächeln seine Miene. Wer wirklich daran schuld war, stand sowieso schon fest. Wenn Emma nicht dabeigestanden hätte, hätte er sich natürlich besser konzentrieren können, und das kleine Malheur wäre gar nicht erst passiert. Überraschenderweise blieb dieser Vorwurf jetzt jedoch aus. Ansonsten liebte er es aber, sie aufzuziehen und ihr die Schuld an einfach allem zu geben, selbst an einem Börsencrash in China oder einem neuartigen Computervirus, der das Pentagon lahmgelegt hatte. »Können wir jetzt?«, hakte er ungeduldig nach. »Du willst fahren, mit dem Finger?«, wunderte sie sich. Das musste beim Lenken doch ordentlich weh tun. Georg nickte nur gleichgültig und stieg wortlos in den Wagen. Schmollend, versteht sich. Emma warf noch einen letzten Blick zurück zu ihrem Haus. Alle Türen waren verschlossen, doch wer immer auch in ihren Palast aus Glas einbrechen wollte, hätte sowieso leichtes Spiel. Das teure Interieur, ihr Schmuck, der heimkinogroße Plasmafernseher – alles war letztlich nur einen »Steinwurf« weit entfernt. »Hier bricht schon niemand ein«, sagte Georg genervt. Er konnte es nicht ausstehen, wenn sie sich mehrfach versicherte, ob die Tür auch wirklich verschlossen war. Also einsteigen! Zehn Stunden Fahrt lagen vor ihnen und mindestens ein Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, sofern es ihr nicht gelingen würde, ihn auf der Fahrt für längere Zeit abzulösen. Im Auto war aber erst einmal eine Runde Schweigen angesagt. Schweigen bis Trento – »Strafe« für seinen eingeklemmten Finger, der mittlerweile eine ungesunde Rötung und Schwellung aufwies. Immerhin hatte Emma auf der Höhe von Innsbruck in sachter Anspielung auf einen gemeinsamen Skiurlaub in Österreich vage versucht, so etwas wie eine Konversation auf Sparflamme in Gang zu bringen. »War doch schön. Wir sollten mal wieder fahren.« Mehr als einen fragenden Blick ernten zu wollen hätte wohl die Götter herausgefordert, sprich ihn: den »Göttergatten«. Manchmal war er nur noch mit Humor zu ertragen. Sich Georg als kleinen Zeus vorzustellen, der erst zornig seine Blitze verschleuderte und dann schmollend auf einer Schäfchenwolke saß, machte sein Schweigen erträglicher. Ein Gespräch war angesichts des Affenzahns, mit dem er auf der Überholspur allen Geschwindigkeitsbegrenzungen zum Trotz »grenzdebilen Sonntagsfahrern« zeigte, wo »es langging«, sowieso unmöglich, ohne sich dabei zwangsläufig anzubrüllen, zumal ihr in die Jahre gekommener BMW-Motor ab Tempo hundertsechzig unerträglich laut wurde. Merkwürdig, am Vortag war Georg doch noch so gut drauf gewesen, um nicht zu sagen: so richtig in Fahrt. Sie hatten Freunde eingeladen, und das gemeinsame Essen am offenen Kamin in ihrem Garten war gut angekommen. Georg wusste, wie man Gäste unterhielt, und seine jüngste Reise nach St. Petersburg war genug gewesen, um die Freunde einen Abend lang bei Laune zu halten. Die Strapazen der Reise etwas herunterspielen, den Begriff »Russische Mafia« ein paarmal beiläufig erwähnen sowie einen geklauten Notebook-Akku – und schon stand man als Held da. Zugegebenermaßen hatte er einen sagenhaften Businessdeal an Land gezogen. Rettung war in Sicht für ihre inzwischen fast leergeräumten Geschäfts- und Privatkonten. Russische Geschäftsleute hatten ihn engagiert, damit er ihnen eine Traumvilla in Südfrankreich entwarf. Um passende Locations in Bestlage sollte er sich kümmern. Eine Runde Applaus. Erfolg macht ja angeblich sexy, zumindest hatte sie am Vorabend überraschenderweise einen Hauch von Lust auf Georg verspürt. Warum eigentlich? Emma musterte ihn nun ausgiebig, aber nicht allzu auffällig von der Seite. So verhärmt und verbissen, wie er jetzt am Steuer saß, erschien der Gedanke an diese »Lust« wie ein Alptraum. Hatte sie etwa selbst zu viel getrunken? Hatten die Komplimente seiner neureichen Fangemeinde sie etwa geblendet? Fakt war, dass nach dem Essen wieder einmal nichts gelaufen war – trotz ihrer eindeutigen Annäherungsversuche. Abgefüllt und wie ein Sack Kartoffeln hatte er neben ihr gelegen. Allerdings ein erfolgreicher schlapper Sack. Emma konnte gar nicht anders, als sich darüber zu amüsieren und leise vor sich hin zu feixen. »Was ist?« Georg erwachte aus seiner Starre. »Nichts!« Emma konnte ihm ja schlecht die Wahrheit sagen. Es hätte ihn nur verletzt. Eigentlich war es nicht richtig, sich über den Mann, den man liebte, lustig zu machen, vor allem nicht darüber, dass er schon seit Jahren nur noch selten im Bett in Fahrt kam – Folge des Dauerstresses, dem er ausgesetzt war. Gut, Alkohol und viel zu viele Zigaretten kamen noch erschwerend hinzu. Wenn man dann selbst noch der Typ war, der verführt werden wollte und nur auf einen Kuss, der aber nicht mehr kam, wartete, schlief das Liebesleben zwangsläufig ein. Vielleicht sind Frauen ab einem gewissen Alter nicht mehr attraktiv genug?, fragte sie sich. Konnte das sein? Sicher, nicht alles an ihr war noch straff genug, um es mit einer Zwanzigjährigen aufnehmen zu können, aber selbst ihre Falten im Gesicht hatten sich bisher auch ohne Botox in Grenzen gehalten. Was soll’s. Es gab schließlich Schlimmeres im Leben als eingeschlafene Leidenschaft! Georg war fürsorglich und hilfsbereit – ein klares Plus. Vieles passte, und sei es nur sein schräger Humor oder wie er sich über alles Mögliche maßlos und übertrieben aufregen konnte....