Hocke / Kühne / Labussek | 18/4/4 | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 1, 206 Seiten

Reihe: Edition Wortwechsel 15

Hocke / Kühne / Labussek 18/4/4

18 Geschichten - 4 ErzählerInnen - 4 Jahreszeiten
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7427-6120-0
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

18 Geschichten - 4 ErzählerInnen - 4 Jahreszeiten

E-Book, Deutsch, Band 1, 206 Seiten

Reihe: Edition Wortwechsel 15

ISBN: 978-3-7427-6120-0
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Achtzehn Texte, vier Jahreszeiten, drei Autorinnen und ein Autor: Diese Geschichtensammlung ist ein abwechslungsreicher Reisebegleiter durch das Jahr. Ob fliegende Weihnachtsmänner in Berlin, Abschied und Neubeginn auf einem Reiterhof im Frühling, ein Sommernachtsmord in Finnland oder eine Menschenjagd durch die Herbstwälder in den USA: Die Geschichten spielen in aller Welt und jede davon hat ihr eigenes jahreszeitliches Flair - mal humorvoll, mal besinnlich, mal spannend serviert. Kurz: Das Jahr hat viele Facetten und die Mitglieder der Autorengruppe 'Wortwechsel 15' haben sie alle eingefangen, für ein unterhaltsames Lesevergnügen von Weihnachten bis Weihnachten.

Alle Autoren-Lebensläufe finden Sie am Ende des Buches in einem eigenen Kapitel.

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Weihnachtsmänner wie wir
Thomas Hocke
1
»Dass wir uns hier treffen! Ist ja wie Weihnachten und Ostern zusammen!« »Und das kurz vor Weihnachten!«
Mein Blick ruht beinahe zärtlich auf Hans, dem alten Tunichtgut, wandert durch die Scheibe des Cafés nach draußen, wo es dicke, schwere Flocken schneit und die Leute durch tiefen Matsch stiefeln.
Damals war Sommer, ich weiß es noch gut. Sieben Jahre? Acht? Ein Drama war’s für Hans, als er aus dieser hippen Firma für intelligentes Neuleben flog. Wunderbare Objekte hatte er mir zum Testen anvertraut. Die immerblühenden Üppigblumen, die irgendwann doch verblühten. Oder diesen Phager, der aussah wie ein verdammt schöner Schmetterling. Er sollte Insekten aller Art vernichten, spezialisierte sich jedoch in nicht vorgesehener Weise auf den Werkstoff Gummi.
»Drei Sommer und drei Winter lang waren sie der bunte Mittelpunkt meiner Wohnung, die Blumen von dir«, sage ich, um einen netten Gesprächseinstieg bemüht. Seine traurigen Augen werden noch trauriger. »So kurz nur? Und dann die Sache mit …« »Geschenkt. Er ist weg, der Phager.«
Meine damalige Freundin ebenfalls. Ich denke an Katja mit den Sommersprossen und an den Eklat anlässlich ihrer ungewollten Schwangerschaft. Ich hatte mindestens eines der kleinen Löcher nicht bemerkt, die der Phager in meine Kondome zu fressen beliebte. Katja beendete die Schwangerschaft und ich die Beziehung mit ihr.
In der Scheibe des Cafés spiegeln sich unsere Gesichter, die mir nun sehr abgekämpft erscheinen. Meine Augen richten sich in die Ferne. Die Scheibengesichter verschwimmen und ich beobachte das aufdringliche Kudamm-Gewusel.
»Tut mir so leid, das mit Katja.« »Hans, wir machen uns gegenseitig ein Weihnachtsgeschenk und erneuern unsere Freundschaft, hm?« »Oh ja, bitte. Dann hab ich sogar schon eines für dich, das heißt, wenn du es überhaupt annimmst.«
Freundschaft, Hans, ist das Geschenk der Geschenke. Doch du, mein Lieber, du bist Wissenschaftler, ihr seid anders als alle anderen, so unterschiedlich die anderen untereinander auch sein mögen.
»Magst du … Weihnachtsmänner?«, bringt Hans etwas mühsam heraus. »Seit ich nicht mehr an den Weihnachtsmann glaube, bin ich diesbezüglich neutral.« »Weißt du, ich hab mich selbstständig gemacht … und mich … ähm … auf neuartige Weihnachtsartikel spezialisiert.« So schauen die Gründer von heute aus. Yuppie war Hans nicht einmal, als er jung war. »Ich hab da etwas entwickelt, weißt du … Ganz ungefährlich.« »Wenn du’s sagst. Und ich darf es wieder testen?« »Ich möchte dich sehr darum bitten. Es wird dir viel Spaß machen.« Der beschwörende Ton rührt und warnt mich gleichermaßen. Ich sehe vor mir einen daumengroßen Weihnachtsmann, der Gedichte aufsagen und auf Christbäume klettern kann. »Na, herzlichen Glückwunsch«, sage ich und lausche dem Grundrauschen der Zivilisation in diesem gut besuchten Café, das wichtige Gespräche wie unseres unterlegt wie den Dialog in einem Film mit nichtssagender Begleitmusik. »Hast du jetzt mich oder dich gemeint?«, fragt Hans vorsichtig nach. »Uns beide. Du machst endlich dein eigenes Ding. Ich werde Weihnachtsmannbesitzer.« »Ja, ich arbeite an robotronischen Haushaltserleichterungen.« »Saugroboter, die aussehen wie Frisbee-Scheiben, die zu viel Fastfood gemampft haben, gibt’s im Media Markt ab 299,99. Saugen aber nur maximal 30 Prozent Dreck auf. Lenk deine Energie nicht auf Sachen, die gestern die Gegenwart von heute waren!«, ende ich mit ein wenig Pathos in der Stimme. »Äh … ich hab einen voll funktionsfähigen Weihnachtsmann-Roboter entwickelt.« »Das ist eine andere Größenordnung. Ist er auch richtig groß?« »So groß wie du etwa.« »Ein Gigant!«
Hans schaut mit gefurchter Stirn durchs Fenster. Ein Mensch in Moll als Entrepreneur. Die Leute im Weihnachtslichterglanz stapfen durch dicke, nasse Flocken, die sich auf dem Matsch niedergelassen haben. Am linken Rand des Fensterausschnitts kann ich den größten Weihnachtsbaum der Stadt sehen, wie er das Baugerüst vor der Gedächtniskirche vorfestlich anstrahlt. Ein Baum wie ein Baum, kann man ohne Übertreibung feststellen.
»Santatronics GmbH i. G. – in Gründung –, so heißt meine Firma. Hörst du mir zu, Tom?« »Ich weiß, was i. G. heißt. Und ich hab lange niemandem mehr so aufmerksam gelauscht, der nicht aus dem Fernseher zu mir gesprochen hat, wie jetzt dir. Wer haftet eigentlich, wenn deinem Weihnachtsmann die Sicherungen durchbrennen?«
Draußen stolpert ein Dreijähriger durch die dünne Flockendecke und landet im Matsch. Seine Mutter setzt sich solidarisch neben ihn und fordert den Vater auf, das Gleiche zu tun. Der steckt die behandschuhten Hände in die Manteltasche und schaut in die Luft, als habe er nichts mitbekommen. Ich seufze und Hans antwortet nicht.
»Ich versuch gerade wieder, eine Beziehung aufzubauen, Hans. Falls es klappt, gibt’s Kids obenauf«, versuche ich ein anderes Thema. Nina kann mit ihren großen braunen Augen beinahe so ernst und forschend gucken wie Hans. Noch hat sie nicht ausgeforscht, ob ich es wert bin, ihre beiden Racker kennenzulernen. »Normalerweise werden die Weihnachtsmänner von den Vätern gespielt«, doziere ich. »Und die beiden haben je einen Vater.« »Vielleicht sind die unabkömmlich oder nicht erwünscht. Dann könntest du meinen Weihnachtsmann einsetzen.« »Im Ernstfall wollte ich den Typ geben. Ich hab mir das berühmte Ratgeberbuch 1000 beste Weihnachtsmann-Ideen gekauft.« »Stell dir die Überraschung vor, wenn du rausgehst, um dein Kostüm anzuziehen, eine Zeit später kommt ein Weihnachtsmann ins Wohnzimmer und fängt an, Geschenke zu verteilen und »ho ho ho!« zu rufen und dann du hinterher, als ob’s die normalste Sache der Welt sei.«
Hans versteht es nach wie vor, Erfindungen zu Erinnerungen und damit zu Gefühlen werden zu lassen. Zum Beispiel solche an meine Kindheit, als mein Vater den Weihnachtsmann machte, drohend die Reisig-Rute schwang und eine Liste mit all meinen Sünden vorlas, welche er unter Zuarbeit meiner Mutter und meiner Großeltern während eines langen Jahres aufgeschrieben hatte. Irgendwann spätabends gab es jedoch die unverdienten Gaben.
Ob man Hansens Weihnachtsmann auch so programmieren könnte? Durch den Türspalt zuzugucken, wie die Gesichter von Ninas kleinen Biestern länger und grauer werden, dann reinzukommen, als sei nichts gewesen, und alle fallen in Ohnmacht, das könnte aus Weihnachten eine recht zünftige Angelegenheit werden lassen. Der Preis wäre vermutlich die erneute Partnersuche. Ich berichte Hans meine Idee. Seine Augen werden groß. Jetzt fall du mir nicht in Ohnmacht, mein durch vierzig Jahre Sozialpädagogik weichgeklopfter Freund. Gott sei Dank kratzt er sich nur heftig am Kopf und nickt ergeben.
»Meine Vorschläge machen dein Produkt eindeutig besser«, muntere ich ihn auf und Weihnachtsmänner konstruieren ist halt nicht wie Ponys aufziehen, was sie bei hinreichend Weidegras selbst erledigen.
»Apropos Weidegras – ich hoffe, der Weihnachtsmann hat einen guten Akku. Nicht, dass der mitten im Vortrag kindlicher Verfehlungen den Geist aufgibt. Ich mache mich mit deinen Produkten nicht gerne lächerlich … Also nicht direkt am Anfang.« »Der Akku von meinem W-2015-FLW hält länger als der von einem iPhone. Und das Sündenregister von zwei kleinen Kindern kann doch nicht einen ganzen Tag dauern!« Hans, weißt du noch, wie es war, als das Kind Kind war?
»Nun aber zu etwas Wichtigem.« »Oh!«, ruft Hans. »Du sprichst von Vergütung! Dankeschön!« »Äh … Vergütung für mich, Hans. Risikoprämie. Oder sagen wir: Kaution. Du kriegst sie zurück, wenn es keine Toten einerseits und keine ungewollten Kinder andererseits aufgrund des Einsatzes deines Weihnachtsmannes gegeben hat.« »Oh je.«
2
In der Nacht, die meinem Treffen mit Hans folgte, hatte der Schnee sich gegenüber dem Matsch durchgesetzt und heute Morgen, vier Tage vor Weihnachten, begann das Tauwetter.
Alle stapfen wieder durch den Matsch oder knirschen über Granulat. Vor meiner Tür eine Überraschung in Form einer Box, die gar nicht durch die Tür passt. Meine Nachbarin von gegenüber hat sie offensichtlich empfangsquittiert und auf meine »Welcome, wenn’s kein Gerichtsvollzieher ist«-Fußmatte geschoben. Mit dem Riesending komme ich nicht in die Wohnung. Ich muss das Paket tatsächlich an seinem Standort öffnen und die Teile des Weihnachtsmann-Bausatzes Stück für Stück ins Wohnzimmer tragen.
Ich breite meine türkisgrüne Gymnastikmatte aus, damit der Boden nicht durch Mechanik-Teile verschrammt wird. Die Zeit beim Reintragen vertreibe ich mir, indem ich Teile zähle. Bei etwa 2001 komme ich durcheinander. Der Tag vergeht.
Welch eine Vorweihnachtszeit. Bei allem, was doof ist: Lieber als hier sitzen und ohne vernünftige Bauanleitung nen Weihnachtsmann bauen würd ich doch Plätzchen backen und nen Punsch brauen.
Ein weiterer Tag vergeht ereignislos. Am dritten Tag jedoch sehe...



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