E-Book, Deutsch, Band 42023, 174 Seiten
Hölderlin / Sommermeyer / Syrg Friedrich Hölderlins Prosa
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-6813-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hyperion und Theoretisches
E-Book, Deutsch, Band 42023, 174 Seiten
Reihe: Orlando Syrg Taschenbuch: ORSYTA
ISBN: 978-3-7578-6813-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach Hölderlins Lyrik mit einer Auswahl seiner Gedichte (OrSyTa 32023) bringt dieser Prosa-Band seinen großartigen Roman »Hyperion oder der Eremit in Griechenland«, nebst seinen Vorformen und Ergänzungen »Fragment von Hyperion« und »Hyperions Jugend«, sowie etwas Theoretisches, darunter »Pindar-Fragmente«.
Johann Christian Friedrich Hölderlin wird am 20. März 1770, als Sohn eines Klosterhofmeisters und dessen Ehefrau, einer Pfarrerstochter, in Lauffen am Neckar geboren. Früh verliert er Vater und Stiefvater. Bildung in Latein- und Klosterschulen in Nürtingen, Denkendorf, Maulbronn und dem Tübinger Stift, wo auch Hegel und Schelling unterrichtet werden. 1793 Abschlussexamen. Kurzdauernde Hofmeisterstellen, die ihn nach Jena, Weimar, Nürtingen, Homburg, Frankfurt am Main, in die Schweiz und nach Bordeaux führen. Schwärmerische Liebe zu Susette (»Diotima«; 1769-1802), Gattin des Frankfurter Bankiers Gontard. 1797 erster Band des »Hyperion« bei Cotta in Tübingen und »Der Wanderer« in Schillers Zeitschrift »Die Horen«. 1802-04 innerlich gebrochen und geistesgestört in Nürtingen bei der Mutter, nach vorübergehender Genesung ab 1806 geisteskrank in der Heilanstalt Tübingen, welche ihn 1807 als unheilbar entlässt. Schreinermeister Ernst Zimmer kümmert sich um ihn, nach dessen Tod führt seine Tochter Friedrich Hölderlins Betreuung fort. Er stirbt am 7. Juni 1843 in Tübingen. [Detaillierter Lebenslauf siehe Joerg K. Sommermeyer, Biographischer Abriss Friedrich Hölderlins, unten S. 159 f.]
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Fragment von Hyperion
(Neue Thalia, hrsg. von Friedrich Schiller, Leipzig 1793) Es gibt zwei Ideale unseres Daseins: einen Zustand der höchsten Einfalt, wo unsre Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsern Kräften, und mit allem, womit wir in Verbindung stehen, durch die bloße Organisation der Natur, ohne unser Zutun, gegenseitig zusammenstimmen, und einen Zustand der höchsten Bildung, wo dasselbe stattfinden würde bei unendlich vervielfältigten und verstärkten Bedürfnissen und Kräften, durch die Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind. Die exzentrische Bahn, die der Mensch, im Allgemeinen und Einzelnen, von einem Punkte (der mehr oder weniger reinen Einfalt) zum andern (der mehr oder weniger vollendeten Bildung) durchläuft, scheint sich, nach ihren wesentlichen Richtungen, immer gleich zu sein. Einige von diesen sollten, nebst ihrer Zurechtweisung, in den Briefen, wovon die folgenden ein Bruchstück sind, dargestellt werden. Der Mensch möchte gerne in allem und über allem sein, und die Sentenz in der Grabschrift des Loyola: non coerceri maximo, contineri tamen a minimo kann eben so die alles begehrende, alles unterjochende gefährliche Seite des Menschen, als den höchsten und schönsten ihm erreichbaren Zustand bezeichnen. In welchem Sinne sie für jeden gelten soll, muss sein freier Wille entscheiden. Zante. Ich will nun wieder in mein Ionien zurück: umsonst hab ich mein Vaterland verlassen, und Wahrheit gesucht. Wie konnten auch Worte meiner durstenden Seele genügen? Worte fand ich überall; Wolken, und keine Juno. Ich hasse sie, wie den Tod, alle die armseligen Mitteldinge von Etwas und Nichts. Meine ganze Seele sträubt sich gegen das Wesenlose. Was mir nicht Alles, und ewig Alles ist, ist mir Nichts. Mein Bellarmin! wo finden wir das Eine, das uns Ruhe gibt, Ruhe? Wo tönt sie uns einmal wieder, die Melodie unsers Herzens in den seligen Tagen der Kindheit? Ach! einst sucht ich sie in Verbrüderung mit Menschen. Es war mir, als sollte die Armut unsers Wesens Reichtum werden, wenn nur ein Paar solcher Armen Ein Herz, Ein unzertrennbares Leben würden, als bestände der ganze Schmerz unsers Daseins nur in der Trennung von dem, was zusammengehörte. Mit Freud und Wehmut denk ich daran, wie mein ganzes Wesen dahin trachtete, nur dahin, ein herzlich Lächeln zu erbeuten, wie ich mich hingab für einen Schatten von Liebe, wie ich mich wegwarf. Ach! wie oft glaubt ich das Unnennbare zu finden, das mein, mein werden sollte, dafür, dass ich es wagte, mich selbst an das Geliebte zu verlieren! Wie oft glaubt ich den heiligen Tausch getroffen zu haben, und forderte nun, forderte, und da stand das arme Wesen, verlegen und betroffen, oft auch hämisch – es wollte ja nur Kurzweil, nichts so Ernstes! Ich war ein blinder Knabe, lieber Bellarmin! Perlen wollt ich kaufen von Bettlern, die ärmer waren, als ich, so arm, so begraben in ihr Elend, dass sie nicht wussten, wie arm sie waren, und sich recht wohl gefielen in den Lumpen, womit sie sich behangen hatten. Aber die mannigfaltige Täuschung drückte mich unaussprechlich nieder. Ich glaubte wirklich unterzugehn. Es ist ein Schmerz ohnegleichen, ein fortdauerndes Gefühl der Zernichtung, wenn das Dasein so ganz seine Bedeutung verloren hat. Eine unbegreifliche Mutlosigkeit drückte mich. Ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen. Ich fürchtete das Lachen eines Kindes. Dabei war ich oft sehr still und geduldig; hatte oft auch einen recht wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge. Oft konnte ich ingeheim von einem kleinen erkauften Besitztum, von einer Kahnfahrt, von einem Tale, das mir ein Berg verbarg, erwarten, was ich suchte. Mit dem Mute schwanden auch sichtbar meine Kräfte. Ich hatte Mühe, die Trümmer ehemals gedachter Gedanken zusammenzulesen; der rege Geist war veraltet; ich fühlte, wie sein himmlisch Licht, das mir kaum erst aufgegangen war, sich allmählich verdunkelte. Freilich, wenn es einmal, wie mir deuchte, den letzten Rest meiner verlornen Existenz galt, wenn mein Stolz sich regte, dann war ich lauter Wirksamkeit, und die Allmacht eines Verzweifelten war in mir; oder wenn sie einen Tropfen Freuden eingesogen hatte, die welke dürftige Natur, dann drang ich mit Gewalt unter die Menschen, sprach, wie ein Begeisterter, und fühlte wohl manchmal auch die Träne der Seligen im Auge; oder wenn einmal wieder ein Gedanke, oder das Bild eines Helden in die Nacht meiner Seele strahlte, dann staunt ich, und freute mich, als kehrte ein Gott ein in dem verarmten Gebiete, dann war mir, als sollte sich eine Welt bilden in mir; aber je heftiger sich die schlummernden Kräfte aufgerafft hatten, desto müder sanken sie hin, und die unbefriedigte Natur kehrte zu verdoppeltem Schmerze zurück. Wohl dem, Bellarmin! wohl dem, der sie überstanden hat, diese Feuerprobe des Herzens, der es verstehen gelernt hat, das Seufzen der Kreatur, das Gefühl des verlornen Paradieses. Je höher sich die Natur erhebt über das Tierische, desto größer die Gefahr, zu verschmachten im Lande der Vergänglichkeit! Aber Eines hab ich dir noch mitzuteilen, brüderliches Herz! Ich fürchtete mich noch vor gewissen Erinnerungen, als wir uns fanden über den Trümmern des alten Roms. Unser Geist gleitet so leicht aus seiner Bahn; müssen wir doch oft dem Säuseln eines Blatts entgehen, um ihn nicht zu stören in seinem stillen Geschäfte! Jetzt kann ich wohl manchmal spielen mit den Geistern vergangner Stunden. Mein alter Freund, der Frühling, hatte mich überrascht in meiner Finsternis. Sonst hätt ich ihn noch von ferne gefühlt, wenn die erstarrten Zweige sich regten, und ein lindes Wehen meine Wange berührte. Sonst hätt ich für jedes Weh Linderung von ihm gehofft. Aber das Hoffen und Ahnden war allmählich aus meiner Seele verschwunden. Jetzt war er da, in aller Glorie der Jugend. Mir war, als sollt ich doch auch wieder fröhlich werden. Ich öffnete meine Fenster, und kleidete mich, wie zu einem Feste. Er sollte auch mich besuchen, der himmlische Fremdling. Ich sah, wie alles hinausströmte ins Freie, aufs freundliche Meer von Smyrna, und sein Gestade. Sonderbare Erwartungen regten sich in mir. Ich ging auch hinaus. Da zeigte sich recht die Allmacht der Natur. Fast jedes Gesicht war herzlicher; überall wurde offner gescherzt, und wo man sich sonst recht feierlich begrüßt hatte, bot man sich jetzt die Hände. Alles verjüngte und begeisterte der herrliche süße Frühling. Der Hafen wimmelte von jauchzenden Schiffen, wo Blumenkränze wehten, und Chierwein blinkte, die Myrtenlauben tönten von fröhlichen Melodien, und Tanz und Spiel durchrauschte die Ulmen und Platanen. Ach! ich suchte mehr, als das. Das konnte nicht vom Tode retten. Unwillkürlich, verloren in meinem Gram, kam ich in den Garten des Gorgonda Notara, meines Bekannten. – Ein Rauschen aus einem Seitengange störte mich auf. – Ach! mir – in diesem schmerzlichen Gefühl meiner Einsamkeit, mit diesem freudeleeren blutenden Herzen – erschien mir Sie; hold und heilig, wie eine Priesterin der Liebe stand sie da vor mir; wie aus Licht und Duft gewebt, so geistig und zart; über dem Lächeln voll Ruh und himmlischer Güte thronte mit eines Gottes Majestät ihr großes begeistertes Auge, und, wie Wölkchen ums Morgenlicht, wallten im Frühlingswinde die goldnen Locken um ihre Stirne. Mein Bellarmin! könnt ich dirs mitteilen, ganz und lebendig, das Unaussprechliche, das damals vorging in mir! – Wo waren nun die Leiden meines Lebens, seine Nacht und Armut? die ganze dürftige Sterblichkeit? Gewiss, er ist das höchste und seligste, was die unerschöpfliche Natur in sich fasst, ein solcher Augenblick der Befreiung! Er wiegt Äonen unsers Pflanzenlebens auf! Tot war mein irdisches Leben, die Zeit war nicht mehr, und entfesselt und auferstanden fühlte mein Geist seine Verwandtschaft und seinen Ursprung. Jahre sind vorüber; Frühlinge kamen und gingen; manch herrlich Bild der Natur, manche Reliquie deines Italiens, aus himmlischer Phantasie hervorgegangen, erfreute mein Auge; aber das meiste verwischte die Zeit; nur Ihr Bild ist mir geblieben, mit allem, was mit ihm verwandt ist. Noch steht sie da vor mir, wie in dem heiligen trunknen Momente, da ich sie fand; ich press es an mein glühendes Herz, das süße Phantom; ich höre ihre Stimme, das Lispeln ihrer Harfe; wie ein friedlich Arkadien, wo Blüte und Saat in ewig stiller Luft sich wiegt, wo ohne des Mittags Schwüle die Ernte reift, und die süße Traube gedeiht, wo keine Furcht das sichere Land umzäunt, wo man von nichts weiß, als von dem ewigen Frühling der Erde, und dem wolkenlosen Himmel und seiner Sonne, und seinen freundlichen Gestirnen, so stehet es offen da vor mir, das Heiligtum ihres Herzens und Geistes. Melite! o Melite! himmlisches Wesen! Ich möchte wohl wissen, ob sie meiner noch zuweilen gedächte. Sie bedauert mich vielleicht. Ich werde sie...