E-Book, Deutsch, 315 Seiten
Hönig Ein Ende der Straflosigkeit?
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86854-989-8
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mobile Gerichte im Osten der Demokratischen Republik Kongo
E-Book, Deutsch, 315 Seiten
ISBN: 978-3-86854-989-8
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Immer wieder gerät der Kongo wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen in die Schlagzeilen, die mal von den Kämpfer*innen bewaffneter Gruppen, mal von Angehörigen der Armee, oft aber auch von Mitgliedern der eigenen Familie begangen werden. Weil die Taten nur selten ein juristisches Nachspiel haben, wurden in den letzten Jahren vermehrt mobile Gerichte eingesetzt, die schwere Verbrechen ahnden sollen, darunter Mord, Totschlag und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Mobile Gerichte führen Strafverfahren nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften durch und zwar dort, wo sich Vertreter*innen des Staates sonst kaum blicken lassen, nämlich in den Dörfern abseits der Verkehrswege und in den Problemvierteln der urbanen Ballungsgebiete. Internationale Finanzgeber unterstützen und finanzieren die kongolesische Justiz, und so ist ein Beziehungsgeflecht entstanden, das sich für staatliche und nichtstaatliche Akteure auszahlt, nicht aber für die, um deren Rechte es gehen soll. Patrick Hönig hat mit kongolesischen Richter*innen, Staatsanwält*innen und Verteidiger*innen gesprochen, mit Mitarbeiter*innen internationaler Organisationen und mit Geschädigten. Ein Ende der Straflosigkeit? rechnet schonungslos ab - mit einer Justiz, die sich an den Rechtsunterworfenen bereichert und rechtsstaatliche Standards mit Füßen tritt, und mit internationalen Akteuren, die es mit der Wahrheit nicht immer so genau nehmen und oft ohne Rücksicht auf Verluste ihre Agenda verfolgen.
Patrick Hönig, Dr. jur., LL.M., hat in Köln, Paris und New York Rechtswissenschaften studiert. Er war für verschiedene internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen tätig, u. a. in Südasien und Subsahara-Afrika. Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit liegt im Bereich der Konfliktforschung und der Menschenrechte.
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Vorwort
Mobile Gerichte vermitteln das Gefühl von Aufbruch, schon allein, weil sie das Zauberwort Mobilität im Namen führen. Wer mobil ist, denkt man, ist frei und ungebunden, hat sich verabschiedet von den Zwängen der Bürokratie und eines Denkens in Grenzen. Aus diesem Grund beschäftigt sich die Mobilitätsforschung mit den Verbindungen zwischen Menschen, Dingen und Orten, schlägt Brücken zwischen den Disziplinen und ordnet das Verhältnis zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.1 Für die Rechtspraxis bedeutet Mobilität, Gesetze mit Leben zu füllen, das heißt, den Rechtsunterworfenen Zugang zu den Gerichten zu verschaffen oder die Richter*innen zu den Menschen zu bringen. Wie der Begriff einer mobilen Gesellschaft ist also auch die Idee der mobilen Gerichte positiv besetzt. Dennoch steckt im Mobilitätsbegriff ein Dilemma. Wer sich viel bewegt, ist nicht immer auch beweglich. Leicht erliegen auch noch so wohlmeinende Menschenrechtsaktivist*innen der Versuchung, Missionare ihrer Überzeugungen zu werden, ohne zu verstehen, was vor Ort geschieht.2 Die Folge ist nicht importierte Weltläufigkeit, sondern exportierte Engherzigkeit. Kampagnen scheitern, weil sie sich weniger an den sozialen Realitäten im Einsatzgebiet orientieren als an den Ideen der Intervenierenden darüber, wie die Welt zu sein hat. Im Zentrum meiner Untersuchung steht die Frage, welchen Beitrag von internationalen Finanzgebern unterstützte mobile Gerichte im Kampf gegen die Straflosigkeit in der Demokratischen Republik Kongo, im Folgenden kurz Kongo, leisten können. Um verständlich zu machen, was mich veranlasst hat, das Problem der Straflosigkeit in den Blick zu nehmen, will ich von einer Mission erzählen, die mich im Juni 2004 nach Bukavu führte, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu. Ich war Teil eines Teams der Vereinten Nationen und fand mich unvermittelt im Herzen einer Rebellion wieder. Hintergrund waren Spannungen innerhalb der Übergangsregierung, die sich im Juli 2003 in Kinshasa konstituiert hatte. Die Kriegsgegner*innen von einst saßen nun zusammen am Kabinettstisch, aber die Formel »eins plus vier« (eine Präsidentin oder ein Präsident, vier Vizepräsident*innen) stand unter keinem guten Stern. Insbesondere die Führungsriege des Rassemblement Congolais pour la Démocratie (Goma) (RCD-G) glaubte nicht daran, Wahlen für sich entscheiden zu können, aus gutem Grund, wie sich bald darauf zeigen sollte.3 Man übte sich also in einer Doppelrolle. Einerseits wollte man die politische Macht für sich nutzen, andererseits nichts tun, um den politischen Prozess zu legitimieren. Im März 2004 wurde General Félix Mbuza Mabe zum Kommandeur der 10. Militärregion der kongolesischen Armee ernannt, den Forces Armées de la République Démocratique du Congo (FARDC). Jules Mutebutsi, stellvertretender Kommandeur und ehemaliger Kämpfer in den Reihen des RCD-G, war damit nicht einverstanden. Statt Mabe, einen Karrieresoldaten aus der Provinz Équateur, hätte er lieber sich selbst an der Spitze der Militärregion gesehen. Ob er für seine Entscheidung, es auf eine Machtprobe mit Kinshasa ankommen zu lassen, Rückendeckung vom RCD-G erhielt, ist nicht erwiesen. Klar ist, dass sich die Führung des RCD-G um eine Entschärfung der Krise nicht ernsthaft bemühte. Im April zettelte Mutebutsi eine Meuterei an. Im Mai standen sich teils schwer bewaffnete Einheiten derselben Armee in den Straßen von Bukavu gegenüber. Im nächsten Eskalationsschritt führte Laurent Nkunda, ein abtrünniger General, seine Truppen aus Goma heran. Die schlecht ausgerüsteten Einheiten der FARDC hatten dem Vormarsch der Rebellen wenig entgegenzusetzen, und bevor man sich versah, stand Nkunda ante portas, am Flughafen in Kavumu, 30 Kilometer nördlich von Bukavu. Die Friedensmission der Vereinten Nationen versuchte, das Schlimmste zu verhindern, und wollte verhandeln. So landeten wir mit dem Hubschrauber auf einem Fußballfeld, das von Blauhelmen mit Gewehr im Anschlag gesichert wurde, und stolperten los. Es waren Tage großer Anspannung, und unser Unternehmen ging gründlich schief. Die Rebellen sahen keinen Anlass zu verhandeln, empfingen uns zum Austausch von Höflichkeiten und marschierten in Bukavu ein. Sie räumten den zentralen Markt in Kadutu leer und zündeten ihn an. Dann gingen sie von Haus zu Haus, rafften zusammen, was nicht niet- und nagelfest war, schlugen die Männer und vergewaltigten die Frauen oder umgekehrt. Wir sahen zu, wie Hunderte auf das umzäunte Gelände der Vereinten Nationen flüchteten, viele von ihnen Soldat*innen der FARDC, die, um eingelassen zu werden, ihre Waffen abgeben mussten. In Erinnerung sind mir die Gewehrstapel am Eingang, die ängstlichen Gesichter der Menschen und die Essensrationen, die wir mit einer Zunderdose erwärmten. Auch die Bilder der jungen Frauen kommen zurück, die auf dem Treppenabsatz zur medizinischen Abteilung saßen und auf Behandlung warteten, den Blick gesenkt. Nach einer Woche hatten die Rebellen mehr erbeutet, als sie tragen konnten, aber die Vorräte gingen zur Neige, und mit dem gestohlenen Geld ließ sich nichts kaufen. Nkunda zog sich mit seinen Leuten nach Masisi zurück, während Mutebutsi in die entgegengesetzte Richtung marschierte, nach Süden. Kampfhubschrauber der Vereinten Nationen setzten den Truppen Mutebutsis nach, beschossen seinen Konvoi in der Nähe von Kamanyola, 50 Kilometer südlich von Bukavu, aber niemand konnte später sagen, wen oder was sie getroffen hatten. Der Bukavu-Feldzug war, wie Vlassenroot und Raeymaekers zutreffend anmerken, der point of no return, der Punkt, von dem es keine Wiederkehr mehr gibt.4 Mutebutsi wurde später in Ruanda unter Hausarrest gestellt, vertrieb sich, wie man hört, die Zeit beim Kartenspiel und verstarb an den Folgen einer Immunschwächekrankheit. Nkunda dagegen stieg zum Warlord auf. Im September 2005 erließ die kongolesische Militärgerichtsbarkeit einen Haftbefehl, der nicht vollstreckt wurde. Die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag, als wüsste sie, es werde zu nichts führen, verzichtete von vorneherein auf die Ausstellung eines Haftbefehls.5 Im Dezember 2006 gründete Nkunda den Congrès National pour la Défense du Peuple (CNDP), ein Militärbündnis, mit dem er den FARDC empfindliche Niederlagen beibrachte. Der militärische Erfolg stieg ihm rasch zu Kopf. Der Kongo-Reisende David Van Reybrouck schildert eine Begegnung, in der Nkunda mit der Aussage verblüfft, er empfinde sich nicht als Besatzer, sondern als Befreier, als »General de Gaulle des Kongo«.6 Als solcher machte er es sich zur Gewohnheit, bei öffentlichen Auftritten einen Stock mitzuführen, dessen Knauf ein Adlerkopf zierte, und zeigte sich mit einem schneeweißen Lamm, das er im Laderaum eines Kleintransporters durch die Berge karren ließ. Im Oktober 2008, im Zenit seiner Macht, rückte Nkunda mit seinen Truppen bis auf zehn Kilometer an Goma heran. Dann wendete sich das Blatt. Die Regierung in Kigali kam wegen ihrer Unterstützung der Rebellen des CNDP unter Druck und ließ Nkunda fallen. Im Januar 2009 wurde er in Ruanda unter Hausarrest gestellt, aber weder ausgeliefert noch wegen der ihm vorgeworfenen Taten angeklagt. Heute lebt er unbehelligt in Gisenyi, einen Steinwurf von der Grenze zum Kongo entfernt. Fast scheint es, als habe man vergessen, welche Verheerungen die Feldzüge unter seinem Kommando angerichtet, welches Leid sie über die Menschen gebracht haben. Viele Kongoles*innen sagten mir, sie könnten nicht verstehen, wie man es habe zulassen können, dass Nkunda und Mutebutsi für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Man hätte sie noch vor Überquerung der Grenze zu Ruanda festnehmen und vor Gericht stellen müssen. Man habe eine Gelegenheit verstreichen lassen, ein Zeichen zu setzen, und dürfe sich nicht wundern, wenn die Rebellen sich durch die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft und der kongolesischen Justiz zu weiteren Missetaten ermutigt fühlten. Die Dringlichkeit, mit der solche Appelle vorgetragen wurden, ließ mich ahnen, dass man sich vor einer Wiederholung des Geschehenen fürchtete. Wie berechtigt diese Sorge war, erkannte ich allerdings erst im Herbst 2012, als das Rebellenbündnis Mouvement du 23 Mars (M23), eine Nachfolgeorganisation des CNDP, in Goma einmarschierte. Die Einnahme Gomas erfolgte nach bewährtem Muster. Wie beim Überfall auf Bukavu acht Jahre zuvor zeigten sich die Rebellen für Gespräche offen, legten sich den Gegner zurecht und schlugen zu. Einmal in der Stadt, taten sie, was ihnen in den Sinn kam, plünderten Häuser und Geschäfte, folterten und vergewaltigten Menschen.7 Als der M23 Goma räumte, blieben Angst, Argwohn und Misstrauen zurück. Bis heute wirkt das Gefühl, den Rebellen ausgeliefert zu sein, bei den Menschen in Bukavu und Goma fort. Rückblickend frage ich mich, ob es nicht naiv war zu denken, man könne mit Leuten wie Nkunda und...