E-Book, Deutsch, 342 Seiten
Höpflinger / Jeffers / Pezzoli-Olgiati Handbuch Gender und Religion
2. überarbeitete und erweiterte Aufl 2021
ISBN: 978-3-8463-5714-9
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 342 Seiten
ISBN: 978-3-8463-5714-9
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort 9
Daria Pezzoli-Olgiati
Einführung 11
Teil I
Religionswissenschaft als Vermittlung von Weltbildern
Pierre Bühler
Einleitung 23
Ursula King
Gender-kritische (Ver-)Wandlungen in der Religionswissenschaft
Ein radikaler Paradigmenwechsel 29
Daria Pezzoli-Olgiati
»Spieglein, Spieglein an der Wand«
Rekonstruktionen und Projektionen von Menschen- und Weltbildern in der Religionswissenschaft 41
Teil II
Forschungsgeschichte als Vermittlung von klassischen Positionen
Theresia Heimerl
Einleitung 55
Ann Jeffers
»Sapere aude«: Elizabeth Cady Stanton (1815–1902) und The Woman’s Bible 61
Ulrike Brunotte
Jane Ellen Harrison (1850–1928)
Gewendeter Kolonialdiskurs, Ritualtheorie, Suffrage 69
Caroline Widmer
Alexandra David-Neel (1868–1969)
Eine Frau, die Grenzen überschreitet 79
Ansgar Jödicke
Mary Douglas (1921–2007)
Symbolsystem und Sozialstruktur 88
Stefanie Knauß
Heide Göttner-Abendroth (geb. 1941)
Eine kritische Vorstellung der Klassikerin der Matriarchatsforschung 95
Teil III
Tradierung von Gender-Konstruktionen in religiösen Symbolsystemen
Carmen Moser Nespeca
Einleitung 107
Birgit Heller
Wissen, Weisheit und Geschlecht
Ambivalente Geschlechtskonstruktionen in Hindu-Traditionen 111
Martin Lehnert
Jenseits der Geschlechterpolarität?
Zu buddhistischen Kategorien der sexuellen Differenz 125
Bärbel Beinhauer-Köhler
Genderizing Fatima?
Die Prophetentochter als Rollenmodell 144
Kocku von Stuckrad
Die Schekhina vom Sohar bis zu Madonna, oder:
Die Weiblichkeit Gottes als Ergebnis gesellschaftlicher Organisation 157
Theresia Heimerl
Dämoninnen und Vampirinnen
Religionsgeschichte und moderne Transformationen 167
Bridget Gilfillan Upton
Maria Magdalena im Film und in den Evangelien
Analyse einer Figur 182
Teil IV
Gender und Medien der religiösen Kommunikation
Ann Jeffers
Einleitung 201
Susanne Lanwerd
Religion, Repräsentation und Geschlecht
Religionswissenschaftliche Bemerkungen zur Funktion weiblicher Körperbilder 209
Anne Bielman Sánchez
Den Priester benennen, die Priesterin zeigen:
Geschlecht und religiöse Rollen anhand griechischer Grabstelen aus der hellenistischen Epoche und der Kaiserzeit 225
Anna-Katharina Höpflinger
»Mehr verschandelt als verwandelt«
Kleidung als Medium der Geschlechterkonstruktion in religiösen Symbolsystemen 243
Ann Jeffers
Kosmologie und geschlechterspezifische Weltbilder
Beispiele aus der jüdischen Antike 256
Valeria Ferrari Schiefer
Repräsentation des Weiblichen
Theologische Literatur von Frauen im italienischen Cinquecento und Seicento am Beispiel von Domenica da Paradiso und Lucrezia Marinella 274
Katia Légeret
Der Körper und seine Sprache
Tanz und Theater in Indien 287
Séverine Desponds
Eugenik und die Konstruktion der weiblichen Übernatur
Eine Fallstudie über die Mazdaznan-Bewegung in den Vierzigerjahren 297
Marie-Thérèse Mäder
Jüdin sucht Jude
Differenz und Geschlechterfrage im Dokumentarfilm MATCHMAKER (CH 2005)
von Gabrielle Antosiewicz 308
Rafael Walthert
Religion, Geschlecht und Religionsunterricht
Eine quantitativ-empirische Untersuchung des Verhältnisses von Geschlechter- rollen und Religion 325
Autorinnen und Autoren 339
Pierre Bühler Einleitung
Sobald von Vermittlung die Rede ist, muss berücksichtigt werden, dass eine solche Vermittlung immer nur in einem ganz bestimmten Kontext Sinn macht. Auf diese Kontextbedingtheit hat ganz besonders und mit Nachdruck die Hermeneutik als Theorie der Auslegung und des Verstehens aufmerksam gemacht. In diesem Sinne könnte man sagen, dass die Definition der Religionswissenschaft als »Vermittlung von Weltbildern« in ihr das hermeneutische Moment hervorhebt, und um diesen hermeneutischen Aspekt soll es hier gehen. Alle vier Aufsätze, die diesen ersten Teil des Handbuchs ausmachen, enthalten denn auch, wie mir scheint, klare Ansätze zu einer hermeneutischen Reflexion der Religionswissenschaft. Sowohl die philosophische als auch die theologische Hermeneutik haben sich intensiv mit dem Thema der Weltbilder, oder vielleicht üblicher in der Terminologie der hermeneutischen Tradition: mit dem Thema der Weltanschauungen, auseinandergesetzt. Dies kann ganz einfach bei Rudolf Bultmann belegt werden: Für seine Hermeneutik spielt das Thema der Weltanschauung eine entscheidende Rolle, auch in seinem Versuch, das Urchristentum religionsgeschichtlich in die antike Welt einzuordnen (eine neuere Beschäftigung dazu findet sich in Christian Berners Buch Qu’est-ce qu’une conception du monde?). Dabei setzt sich die Hermeneutik kritisch mit der Geschichtsvergessenheit der traditionellen Metaphysik auseinander, die ihre Weltanschauung als geschichtslose, objektive Wahrheit vertrat, ohne zu berücksichtigen, dass diese immer schon historisch und gesellschaftlich vermittelt ist. Die Hermeneutik hingegen betont die Geschichtlichkeit der Weltbilder oder Weltanschauungen und deshalb auch ihre Relativität, ihre Veränderlichkeit und dadurch ihre Interpretierbarkeit. Bultmanns heftig diskutiertes Programm der Entmythologisierung versucht über die Geschichtlichkeit der Weltbilder in Hinsicht auf unseren Umgang mit den biblischen Texten Rechenschaft abzulegen. Wie steht es nun aber in Hinsicht auf »die Religionswissenschaft als Vermittlung von Weltbildern«? Könnte es sein, dass auch hier manchmal die Vermittlung als »blinder Fleck« behandelt wird, Weltbilder also auch objektiviert, als unmittelbare Wahrheit betrachtet werden? Zunächst muss hier zwischen der Religion selbst und der Religionswissenschaft unterschieden werden. Es ist klar, dass Religionen auf vielfältige Weise Weltbilder entwickeln und deren Vermittlung auch sehr unterschiedlich auffassen. Aufgabe der Religionswissenschaft wäre es dann, auf solche »Weltbilder der Religionen«, wie es beispielsweise der Religionswissenschaftler Fritz Stolz in seinem gleichnamigen Buch von 2001 formuliert, aufmerksam zu machen und sie also in diesem Sinne zu vermitteln. »Vermittlung« könnte hier also im Sinne von »Bekanntmachen, Auslegen« verstanden werden. Auf einer Metaebene gibt es aber noch ein anderes Vermitteln von Weltbildern in der Religionswissenschaft, das dieses Handbuch kritisch reflektieren will: das Vermitteln von Weltbildern, die sich mit den methodischen Voraussetzungen der Disziplin verbinden. Diese methodischen, epistemologischen Weltbilder können sich dann auch auf die Wahrnehmung der religiösen Weltbilder auswirken. Kritische Stimmen sagen sogar: Je weniger bewusst sie reflektiert werden, je stärker können sie sich auswirken! Achtet man auf die Vermittlung dieser Weltbilder oder -anschauungen, wie es die Hermeneutik wünscht, stellt sich unmittelbar das Gefühl einer starken Ambivalenz ein. Weltbilder können sehr unterschiedlich wirken, erklärend oder verdunkelnd, befreiend oder erdrückend, öffnend oder verschließend. Paul Ricœur hat in seinem Werk L’idéologie et l’utopie von 1997 versucht, diese Ambivalenz mit dem Gegensatz von Ideologie und Utopie zu reflektieren: Ideologisch – hier im positiven Sinne zu verstehen – ist ein Weltbild, wenn es den gegebenen Zustand bestätigend aufnimmt und rechtfertigt, warum er so sein soll, wie er ist; utopisch hingegen ist ein Weltbild, das den gegebenen Zustand hinterfragt und subversiv eine Gegenwelt entwickelt. Diese Polarität von bestätigenden und brechenden Weltbildern ließe sich leicht im Bereich der Religionen beobachten. Im vorliegenden Band wird diese Ambivalenz in den religionswissenschaftlich vermittelten Weltbildern zu thematisieren sein, und zwar indem die Gender-Perspektive als kritischer Maßstab angelegt wird. Es gehört zur Kontextbedingtheit der Hermeneutik, dass sie die Gender-Thematik noch relativ wenig aufgenommen hat. Eine bedeutende Ausnahme bildet die Hermeneutik, wie sie in den feministischen Theologien entwickelt wurde. Ein Beispiel hierfür wären ein Aufsatz mit dem Titel Die Bibel verstehen, den ich zusammen mit Elisabeth Schüssler Fiorenza veröffentlich habe, oder im religionswissenschaftlichen Kontext der Beitrag von Erin White von 1995 mit dem Titel Religion and the Hermeneutics of Gender. In diesem Handbuch wird sie bewusst thematisiert, und zwar in diesem ersten Teil als hermeneutische Frage: Welches Licht wird auf die Weltbilder der Religionswissenschaft und deren Vermittlung geworfen, wenn man stärker, bewusster auf die Geschlechterdifferenz achtet? Welche dieser Weltbilder wirken ideologisch und welche utopisch? Wie löst man sich von erstarrten, einengenden Gender-Auffassungen? Wie entwirft man in Hinsicht auf religionswissenschaftliche Wahrnehmung der Gender-Thematik inspirierende Gegenwelten? An solchen Fragen arbeiten unsere vier Texte. Ursula King steigt bei der Beobachtung ein, dass die Entdeckung der Gender-Perspektive einen radikalen Paradigmenwechsel in den Geistes- und Sozialwissenschaften ausgelöst hat, der sich nun, wenn auch verspätet, ebenfalls in der Religionswissenschaft breit auswirkt. Wie sich das auswirkt, wird unter drei Gesichtspunkten erörtert: die Frage nach den geschlechtsspezifischen Rollen, welche die Religionen in ihrer institutionellen Ausgestaltung Frauen und Männern zuweisen; die Frage danach, wie sich die Geschlechterdifferenz in der Symbolik und Metaphorik des religiösen Denkens und der religiösen Sprache niederschlägt; und schließlich die Frage, ob und wie in der religiösen Erfahrung geschlechtliche Spezifizierungen wahrnehmbar werden. Daran anschließend macht U. King auf ein neues, heute stark bearbeitetes Gebiet aufmerksam, das der Spiritualität. Auf das prägnante Gendering the Spirit, das Durre S. Ahmed als Titel für ihr Buch von 2002 gewählt hat, anspielend, betont sie, dass die noch zu wenig beachtete Gender-Dimension zu einer neuen Bestimmung des Umgangs mit Geist und Transzendenz führt. So ist etwa zu beobachten, dass der Zugang zur Lese- und Schreibfähigkeit, zur »Literalität« (literacy), der den Frauen jahrhundertelang vorenthalten wurde, die Spiritualität stark verändert. Die Spannung zwischen Literalität und Oralität hat genderspezifische Aspekte, und der Durchbruch zu einem unabhängigen Lesen und Interpretieren der kanonischen Texte und zur Aneignung von Wissen über Religion ist für die Frauen als soziale Gruppe eine späte, auch jetzt noch nicht weltweit erreichte Errungenschaft (was Frau King mit verschiedenen Beispielen aus unterschiedlichen Erdteilen illustriert). Abschließend schlägt Ursula King vor, in diesem Sinne von einer »spirituellen Literalität« (spiritual literacy) zu sprechen, als Bezeichnung für einen neu zu entdeckenden Forschungszweig. Einen anderen Weg geht Daria Pezzoli-Olgiati in ihrem Aufsatz: Einsteigend bei der berühmten Frage von Schneewittchens Stiefmutter: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«, thematisiert sie die Optik der Religionswissenschaft, das heißt die optischen Hilfsmittel, die sie zum Betrachten ihres Gegenstandes braucht: »Brillen, Spiegel und Spiegelungen«. Im Unterschied zur Märchengestalt verfügt die Religionswissenschaft über keinen Spiegel, der einfach die Wahrheit sagt, obschon das vielleicht lange das Ideal der Disziplin war, das Ideal einer möglichst präzisen und objektiven Beschreibung bestimmter religiöser Sachverhalte. Doch die Autorin geht gerade davon aus, dass dieses Ideal in einer radikalen Krise steckt: Die hermeneutische und postmoderne Reflexion hinterfragt die Idee einer unbeteiligten, unparteiischen Distanz; zugleich setzen die gesellschaftlich-politischen Erwartungen die Religionswissenschaft unter Druck, sodass sie sich nicht mehr in einem Elfenbeinturm verschanzen kann. Auch die Entdeckung der Gender-Thematik hat dazu beigetragen, dass man vermehrt darauf achtete, wie stark die Religionswissenschaft mit optischen Hilfsmitteln arbeitet. Das klassische Ideal einer objektiven Sicht wurde denn auch in diesem Kontext »als typisch androzentrisch entlarvt«, in Hinsicht sowohl auf die Ausblendung der Frauen in der Geschichte der Disziplin als auch auf eine gewisse Geschlechterblindheit in der empirischen Erforschung von religiösen Gemeinschaften. In ihrem letzten Abschnitt schlägt die Autorin vor, das Dilemma aus einer wissenschaftsethischen und hermeneutischen Perspektive anzugehen, indem der Standpunkt, die Vorverständnisse, die Werte und Normen, welche die wissenschaftliche Einstellung regeln, kritisch reflektiert werden. Solche Regulierungen müssten, so die Autorin, in einer academic...