Hofbauer | Europa | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Hofbauer Europa

Ein Nachruf
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-85371-883-4
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Nachruf

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-85371-883-4
Verlag: Promedia
Format: EPUB
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Der herrschende Diskurs erlaubt kein negatives Eigenschaftswort zum Begriff "Europa". Allenthalben wird über mehr Transparenz, bessere Kommunikation und effektivere Verwaltung debattiert. Das Konstrukt der Europäischen Union wird als alternativlos dargestellt; alternativlos als Großraum im weltweiten wirtschaftlichen Konkurrenzkampf ebenso wie als Garant für eine – angeblich – demokratische Wertegemeinschaft.

Hannes Hofbauer entlarvt das in Brüssel, Berlin und anderswo gemalte Selbstbild als ideologische Begleiterscheinung ökonomischer Protagonisten, die für ihre Geschäfte einen supranationalen Raum und einen entsprechenden militärischen Flankenschutz brauchen. Und er weist den hegemonial-liberalen Ansatz, wonach eine Infragestellung des "europäischen" Selbstverständnisses quasi automatisch rechts wäre, entschieden zurück.

Der Autor verfolgt die Europa-Idee bis ins Hochmittelalter zurück und zeigt, wie die Verschmelzung von Antike und Christentum schon vor 800 Jahren zu einem Drang nach Osten geführt hat. Das Selbstverständnis der Kreuzzüge war weströmisch-europäisch. Auch der Kampf von Herrscherhäusern um Vorherrschaft spielte sich auf dem europäischen Tableau ab. Und die zwei bislang verheerendsten Feldzüge in Richtung Osten, jener Napoleons und jener der Wehrmacht, folgten sehr unterschiedlichen, heute verquer wirkenden Europabildern. Nur wenige Europa-Visionen waren von sozialen Utopie- und Friedensvorstellungen geprägt.

Der Großteil des Buches beschäftigt sich mit der Geschichte der EU-europäischen Einigung, die vom Kohle-Stahl-Pakt über die Einheitliche Europäische Akte, Maastricht und den Vertrag von Lissabon bis zu den Zerfallsprozessen unserer Tage reicht. Die vielfachen Warnungen an die Brüsseler Ratsherren, ablehnende Referenden in Frankreich, den Niederlanden, Irland und EU-feindliche Stimmungen in vielen Mitgliedsländern, wurden in den Wind geschlagen. Auch das britische Brexit-Votum im Jahr 2016 stellte keinen Weckruf für die Apologeten der Supranationalität dar. Wie stark die nationalen Fliehkräfte entwickelt sind, zeigt der Umgang mit der Bekämpfung eines Virus, dem sich das abschließende Kapitel widmet.

Es ist Zeit, sich Gedanken über eine Welt nach dem Scheitern der Brüsseler Union zu machen.

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3. Nach 1945: Westeuropa wird amerikanisch
Bruch oder Kontinuität? Die gängige zeithistorische Forschung weicht der Frage aus, wenn es darum geht, den Übergang von der Großraumpolitik der NS-Zeit zu europäischen Einigungsbestrebungen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu betrachten. Oder sie macht es sich noch einfacher und definiert »Europa« als ein Konstrukt des Neubeginns, ja als Antithese zu den Nationalsozialisten. Bereits am Ende des vorigen Kapitels haben wir gesehen, dass man es sich so leicht nicht machen kann. Da wäre einmal die Europaidee aus NS-Wirtschaftskreisen rund um Figuren wie Werner Daitz, Großindustrieller und hochrangiger NSDAP-Funktionär, die für ein wirtschaftlich geeintes Europa eintraten, dessen deutsche Führung sie als selbstverständlich erachteten, was jedoch mit Fortdauer des Krieges immer föderalistischer gedacht wurde. Auch die meisten der deutschen »Europäer« der Nachkriegszeit hatten ihr ökonomisches Handwerk unter der NS-Diktatur gelernt, personell gab es in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands diesbezüglich keine Brüche, keine politischen Säuberungen. Banker wie das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank Hermann Josef Abs oder der spätere Bundesbankpräsident Karl Blessing führten das deutsche Projekt der frühen 1940er-Jahre nahtlos in das europäische Projekt nach dem Kriegsende über. Auch Führungskräfte in Politik und Diplomatie wie der Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard oder einer der »Väter des europäischen Gedankens«, Walter Hallstein, konnten ihre Nazi-Karrieren beim Aufbau Europas – sprich: Westeuropas – nutzbringend verwenden. Mit den Siegern einte sie das Kriegsziel der Großraumwirtschaft, die nun nach dem Ende der NS-Schreckensherrschaft allerdings so nicht mehr genannt wurde. Gänzlich anders geartet war freilich die Art und Weise, wie ein solches Europa zustanden kommen sollte. Die brachiale Eroberungspolitik der Wehrmacht, in deren Schatten Menschen nach Rassen eingeteilt und je nach Zuordnung gebraucht, verbraucht oder vernichtet wurden, fand mit der bedingungslosen Kapitulation ihr Ende. Das neue Europa fußte auf Frieden und Verständigung, zur Wiederbewaffnung Deutschland sollte es noch Jahre dauern und an eine Militarisierung des westeuropäischen Einigungsprojektes war anfangs nicht gedacht. Eine Konstante überlebte jedoch den Bruch vom Kriegsgang der Nazis zwecks Herstellung eines europäischen Großraums zur vorerst wirtschaftlichen, später politischen und schließlich militärischen Einigung des westlichen Halbkontinents unter blauer Fahne mit goldenen Sternen: das war die Feindschaft zur Sowjetunion bzw. zu Russland. Sie war Hitlers Antrieb, seine Armeen zu einer imaginierten »zivilisatorischen Mission« in den Osten zu schicken. Dieselbe Feindschaft bildete auch die Grundlage einer permanent antikommunistischen Stoßrichtung westeuropäischer Einigungsschritte, wie wir in der Folge sehen werden. Und noch eine wesentliche geopolitische Änderung fand auf dem europäischen Parkett statt. Die deutsche Führung war perdu, an ihre Stelle trat die US-amerikanische. Auf militärischer Ebene funktionierte der Übergang geradezu bruchlos, im Baltikum und in der Ukraine übernahmen US-Geheimdienst und US-Außenministerium die lokalen Verbündeten Berlins. Und wirtschaftlich zog Washington schon während des Krieges die Fäden, die Westeuropa zusammenhalten sollten. Es war also beides. Kontinuität und Bruch fanden parallel zueinander statt. Von den War-and-Peace-Studies zu Bretton Woods
Als die USA am 8. Dezember 1941 als Antwort auf den japanischen Angriff auf Pearl Harbour ihren Eintritt in den Zweiten Weltkrieg erklärten, folgten sie einem Plan, der bereits zuvor in einer Arbeitsgruppe des »Council on Foreign Relations« (CFR) ausgearbeitet worden war. Der CFR bestand seit 1921 als Think-Tank der mächtigsten US-Konzerne. John P. Morgan, Paul M. Warburg und John D. Rockefeller gehörten von Anfang an zu den wichtigsten Finanziers dieses »außenpolitischen Establishments der USA«,107 wie die Zeitschrift Newsweek den Council später einmal definieren sollte. Tatsächlich bildeten Vertreter von Unternehmen der Rockefeller-Gruppe (Chase Manhattan Bank, Bank of New York, Metropolitan Life, Mobil Oil, Standard Oil etc.) und der Morgan-Gruppe (Morgan Stanley, US Steel, General Electric, IBM etc.) den Kern dieses Braintrusts. Seine Vorstandsmitglieder sollten nach dem Zweiten Weltkrieg steile Karrieren machen. So wurde der Industrielle William A. Harriman Botschafter in London, der US-Handelsminister und Sonderbeauftragte für den Marshall-Plan John F. Dulles bekam den Posten des US-Außenministers, sein Bruder Allan W. Dulles leitete während des Krieges den US-Geheimdienst OSS und baute danach die CIA auf, und der ranghohe Außenamtsmitarbeiter George F. Kennan gab in der hauseigenen Postille Foreign Affairs bereits unmittelbar nach Kriegsende die Losung aus, die Sowjetunion sei in die Knie zu zwingen. »Die USA haben es in ihrer Hand, die Belastungen, unter denen die sowjetische Politik operiert, enorm zu verschärfen und auf diese Art und Weise Entwicklungen zu fördern, die mit der Zeit entweder zum Zusammenbruch oder zur Aufweichung der sowjetischen Macht führen müssen«108, schrieb er im Jahr 1947 unter dem Pseudonym »Mr. X«, weil er zu dieser Zeit nach seiner Arbeit als US-Diplomat in Moskau einen führenden Posten an der neu gegründeten Nationalen Kriegsakademie bekleidete und diese Funktion es ihm nicht erlaubte, unter Klarnamen zu publizieren. Aus diesem unternehmerischen und personellen Umfeld heraus formierte sich im Laufe des Jahres 1939 die CFR-Arbeitsgruppe »War-and-Peace-Studies«. Schnell ging sie daran, die deutsche Großraumidee transatlantisch umzuinterpretieren. Im Bewusstsein, den bevorstehenden Waffengang für sich zu entscheiden, formulierten die Transatlantiker noch vor dem Kriegseintritt der USA ihre Nachkriegsvision. »Während einer Übergangsperiode der Anpassung und des Wiederaufbaus könnte der Großraum ein wichtiger Stabilisator der Weltwirtschaft sein«, heißt es in einem Memorandum; und weiter: »Vielleicht wäre es sogar möglich, die europäische Ökonomie in die des Großraums einzuflechten.«109 Die Geschichte hat gezeigt, dass das Vorhaben gelungen ist. Noch war es freilich nicht so weit. Die US-amerikanische Öffentlichkeit musste noch vom Kriegsgang in Europa überzeugt werden. Sie war mehrheitlich dagegen, »isolationistisch eingestellt«, wie es jene nannten, die bereits imperialistische Nachkriegspläne schmiedeten. Es war der militärisch-industrielle Komplex, der entsprechenden Druck machte, auch auf Präsident Franklin D. Roosevelt. Dieser hatte sich mehrmals auf die sogenannten »Neutrality Acts« berufen, die den USA Waffenhandel an kriegsführende Staaten verboten und generell einem Kriegseintritt im Wege standen. Anfang 1939 wurden dann die ersten Lieferverträge für den Verkauf von US-Militärflugzeugen an Frankreich und Großbritannien geschlossen. Einer der größten Waffenhändler, Jean Monnet, der in die Geschichtsschreibung als »Vater Europas« einging, berichtet darüber in seinen Memoiren. Im Auftrag des französischen Ministerpräsidenten Édouard Daladier wurde Monnet am 19. Oktober 1938 bei Roosevelt vorstellig, um abzuklären, welche Kapazitäten die US-Rüstungsindustrie hatte, um Frankreich mit Kampfbombern zu versorgen und was man politisch tun müsse, um die amerikanischen »Isolationisten« auszutricksen. Ein halbes Jahr später konnte Monnet Erfolg melden: »Die Aufträge, die ich schließlich unter Dach und Fach bringen konnte, beliefen sich auf sechshundert moderne Maschinen mit einer festen Option aus fünfzehnhundert weitere für Anfang 1940. Die amerikanische Flugzeugindustrie, die dadurch in Gang gesetzt wurde, lautlos und ohne vorzeitige Debatte im Kongreß, würde nicht mehr aufhören, sich weiterzuentwickeln, und sie würde eines Tages das gewaltige Arsenal der Alliierten bilden. Doch dies konnte Roosevelt noch nicht öffentlich sagen.«110 Geheimdiplomatie rund um gigantische Waffengeschäfte war es also, die der USA den Kriegsgang schmackhaft machten und die Basis für die Amerikanisierung Westeuropas legten. Die US-Kriegsmaschine war angeworfen. Nun galt es, für die Finanzierung der Lieferungen zu sorgen. Frankreich und – später – England benötigten gegen die deutschen Eroberungszüge nicht bloß waffentechnische Hilfe, sie wussten auch nicht, wie sie die dafür nötigen Summen aufbringen sollten. Während der Pariser Emissär Monnet von Anfang an darauf setzte, seine französisch-amerikanischen Geschäfte zur Grundlage einer geopolitischen transatlantischen Verbindung zu machen, wollte man in London auf die eigene Stärke setzen. So antwortete der britische Premierminister Neville Chamberlain auf ein Schreiben seines französischen Amtskollegen Daladier, dass er sehr wohl von der Notwendigkeit der Lufthoheit überzeugt sei, jedoch glaube, dass »diese auch dank der Fabrikationsmöglichkeiten in England und in den Dominions zu erreichen ist«,111 zudem hätte Großbritannien nicht die notwendigen Devisen, um massenweise Bomber und...


Hannes Hofbauer, geboren 1955 in Wien, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag ist von ihm u.a. erschienen: "EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Treibkräfte – soziale Folgen" (2. Auflage 2007) und "Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung" (2016).



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