Hoff | Nebel, am Ende | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 246 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm

Hoff Nebel, am Ende

Kriminalroman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-429-06658-1
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 246 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm

ISBN: 978-3-429-06658-1
Verlag: Echter
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der alte Kommissar Barth kehrt in sein Heimatdorf Dornbusch zurück. Zwei Freunde aus Schultagen nehmen ihn auf: Jacob, ein katholischer Priester im Ruhestand, und Melchior, der vom Rollstuhl aus einen Friedhof im Internet betreibt. Viel Zeit bleibt ihnen nicht: Barth kommt zum Sterben, während Dornbusch dem anrückenden Braunkohletageabbau zum Opfer fällt. Vorher aber ereignen sich mysteriöse Todesfälle. Mord? Selbstmord? Im niederrheinischen Novembernebel muss Barth seinen letzten Fall lösen – und macht mehr als eine überraschende Entdeckung.
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1
Kein hinten, kein vorne. Wo Jacob sein müsste, wischt Nebel ums Eck. Ein zäher Atem, feuchte Stellen wie die, an denen Barth sterben dürfte. Aber dürfen ist kaum der richtige Ausdruck für den alten Kommissar, der vom Pastorat aus wie blind über Land schaut, Richtung Friedhof, wo Jacobs manifester Umriss eben verschwunden ist. Oder irrt er sich? Dichter Dunst schnürt sich um Kirche, Haus, Straße, diese Spielzeugwelt. Es beunruhigt Barth, dass sich sein Freund wie ein zu dicker Tramp unter die dubiosen Schwebeteilchen mischt. Auf diesen Novemberwolken reitet jedenfalls nicht der Messias, den der letzte Priester eines unbekannt verzogenen Gottes erwartet. Der pensionierte Pfarrer von Dornbusch wackelt seit einiger Zeit bedenklich, findet Barth. Passt ins Gelände. Hinter der Bruchkante des nebligen niederrheinischen Horizonts hört nicht nur Gott auf. Umso trauriger, denkt Barth geradeaus und selbst reichlich müde. Für den Kommissar ist Jacob der Vollstrecker seines römischen Kultes. Restseelenverwalter nennt M ihn mit seinen lebenslangen Grundkenntnissen über den bauchfesten Pastor Beerwein. Der biegt um seine eigenen Ecken. Geht in seinem ganz persönlichen Nebel verloren. Wie dieses Nest und die, die noch geblieben sind. Hier geht es nur ums Sterben. Deswegen ist Barth gekommen. Der Kommissar hustet seinen Befund, tröpfchenweise. An der Fensterscheibe perlt ab, woran er denken musste. Auf mattem Glas zeichnen sich die Spuren seines Innenlebens ab, maligne Schemen. Am Eingang zum Friedhof versammeln sich die Aerosole dieses viel zu frühen Morgens. Sechs Uhr ist keine Zeit für Barth. War es nie. Aber der Freund, der ihn aufgenommen hat, verlässt um diese Zeit das Haus. Seit Jacob sich einmal verlaufen hat, mitten im Sommer, bei klarer Sicht, zerrt den lungenschwachen Kommissar etwas aus dem Schlaf, an das er nicht glauben will. Statt Ruhe zu finden, diesen Vorgeschmack auf das, wonach nichts mehr schmeckt, macht Sorge eine Faust in ihm. Sorge um einen Menschen. Das kennt Barth nicht mehr. Hat er sich abgewöhnt. Stattdessen löste er Fälle. Nur den einen nicht. Und den löst niemand. Barth wischt sich durchs Gesicht. Ein Tropfen tanzt eine Nasenlänge herab. Vor ihm nichts als dampfige Kälte, die ihn aus millionenvielen feuchten Augen beobachtet. Lassen sich nach Maßstäben errechnen, deren Einheiten Barth nicht kennt. Physik war nie seine Sache. Sie fördert Zahlen zutage, die an Formeln erinnern, aus denen sich Diagnosen ergeben. Er hustet. Hustet die bissige Farbe, die kein Spektrum verzeichnet. Seine Farbe. Sie schüttelt ihn durch und hinterlässt auf schlichtem Zellstoff, was kein Bild fasst. Er kann sich sehen, besser als in jedem Spiegel. Dahinter liegt die Welt, Jacobs Welt und die seines Gottes, die der Freund jeden Morgen, jeden Abend auf dem Friedhof besucht. Da liegt Raven Richards. Er benötigt keinen Grabstein. Fliegt nicht mehr davon. Kein Traum entkommt unter der soliden Schicht Hass, die ihn hierhingebracht hat. Die, die ihn so lange geschlagen haben, dass sogar der Tod zu spät kam, liegen in Spuckweite. Ausgerechnet hier. Bestattet mit juristischem Aufschub. Man hatte sie obduziert und wochenlang in den kühlen Registern der Gerichtsmedizin aufbewahrt. Den Titel hat sich das Institut verdient, findet Barth. Den lässt er gerne über den Zungenabsatz rollen: Gerichtsmedizin. In dem Wort steckt alles, was es braucht, auch ein Priester. Der aber hatte die beiden Täter auf ihrem letzten Weg begleitet, nachdem sie sich totgefahren hatten oder totgefahren werden mussten. Was bleibt, sind zwei datenlose Namen, auf eine Platte graviert, die nicht schwer genug sein kann, denkt Barth. Wer ans Beten nicht glaubt, braucht Tote nicht zu verfluchen. Nützt nichts. Aber weil er sie zur Hölle wünscht, argwöhnt der Kommissar, dass vielleicht doch etwas anämisch in ihm dahinglaubt … Am Tag der Beisetzung der beiden Totschläger – Beisetzung, noch so ein Ausdruck – lag Barth im Krankenhaus. Anders als er Jacob erzählt hatte, ging es nicht um seine Mandeln. Er tastet, vor dem Fenster aus Nebel, als wolle er sich versichern, noch da zu sein, nach dem Schnitt, der auf der Karte seines aufgeschwemmten Körpers eine Hauptstadt gegründet hat. Ein ausgeleiertes Unterhemd und ein grober Pullover mit Zickzackmuster ziehen ihren textilen Vorhang über die aufgeraute Landschaft. Da ist nichts schön. War es auch nie. Ein entschlossener Thoraxchirurg hatte den Kommissar darauf hingewiesen, eine Entfernung des linken Lungenflügels sei alternativlos. Barth hatte in ein von Tränensäcken umstelltes Augenpaar geblickt und die Alternative gesehen. Also hatte er den abgespannten Mann schneiden lassen. Offene Lobektomie. Alles hing, wenn er richtig verstanden hatte, an der Funktionsfähigkeit von Drainagen, an Entzündungswerten und vorher an der ruhigen Hand eines Menschen, der mehr schlafen müsste und den Barth vielleicht einem Drogentest hätte unterziehen sollen. Augen mit arg erweiterten Pupillen verfolgten ihn in seinen narkotischen Schlaf. Immerhin schafften es bis zu vier Prozent der Patienten nicht. Barth schloss im Wegdämmern keine Wetten mehr ab, weil er nicht wusste worauf … Im Spital zum Heiligen Geist hatte Barth anschließend mindestens einen Morphiumtag verschlafen. Auf Tod und Leben. Irgendwann stand sein Chirurg wieder vor ihm. Der sah nicht aus, als habe er seine Instrumente seit dem rabiaten Eingriff aus der Hand gelegt. Aber das konnte auch an Barth liegen, benommen von feinsinnigen Opiaten. Dostojewski hatte sich mal ohne Betäubung operieren lassen, meinte Barth irgendwo gelesen zu haben. Für ihn reichte das schon. „Na? Wieder wach?“ Barth hatte sich bemüht, auf der nach oben offenen Schmerzskala von Stufe 9 aus zu lächeln. Jeder Atemzug brannte höllisch. „Gut gelaufen, was? Wenn Sie wollen, können Sie sich nachher den Film von unserer kleinen Kampagne reinziehen. Gab ein paar echt aufregende Momente.“ Hinter vorgehaltener Hand: „Ich sag Ihnen was, die OP-Schwester, die zwischendurch rauslief, hat nicht gekotzt, weil sie schwanger ist.“ Barth starrte in die Richtung, aus der dieses Grinsen kam. Er träumte, dass er träumte. Oder schlief. Eine präzise Erinnerung hat er bis heute nicht, nur den sicheren Eindruck, dass er seine Kollegen einmal auf diesen Doktor Sonnenschein ansetzen sollte, um sich dessen Letalitätsrate vorzunehmen … „Bin ganz zufrieden. Hätte schlechter laufen können. Ja, dieser Reißverschluss ist am Anfang was unbequem.“ Der Arzt tippte allen Ernstes auf den relevanten Frontverlauf. „Sie bleiben noch eine Woche oder so. Dann ab durch die Mitte. Gönnen Sie sich was. Sind doch jetzt Rentner, oder? Lassen Sie mich mal sehen. Akte!“ Der Kerl dehnte nicht nur das letzte Wort. Barth überlegte, ob er um Schlaf betteln sollte. „Mal unter uns.“ Schon wieder hinter vorgehaltener Hand. War der Typ echt? Barth würde die Schwestern fragen, später. „Von wegen minimalinvasiv oder so – da hätten wir beide keinen Spaß dran gehabt.“ Doktor Sonnenschein klopfte Barth auf die Schulter, gönnerhaft, vermutlich aber auf Chirurgenspeed. Barth zuckte zusammen. Das half nicht. „Schwester, unser Kommissar macht einen etwas empfindlichen Eindruck, nicht wahr? Haben Sie was Passendes im Sortiment?“ Die beiden Krankenschwestern ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie schienen die Nummer zu kennen. „Fentanyl?“ „Na, nicht so zimperlich. Da können wir doch noch ganz andere Sachen.“ Der Chef spritzte selbst. Später fragte sich Barth, ob er das alles nur halluziniert hatte. Doch seitdem teilt den Kommissar eine aufgeworfene Grenze aus schlecht verheilendem Narbengewebe in zwei Teile. Eine makabre Tätowierung, findet Barth jedes Mal, wenn er sie beschauen muss. Meist verzichtet er darauf. Sie nässt. Barth schüttelt sich, seinen Kopf, den er wie schweres Gerät aus der Klinik mitgebracht hat. Die Wunde hat lange geschmerzt, ein eitriger Grenzstreifen. Das Gehen lernte er schrittweise, nach vorne gebeugt wie mit einem virtuellen Rollator. Seinen ersten Spaziergang schaffte er gerade einmal zum Dornbuscher Friedhof. Nass geschwitzt, musste er noch vor der Kirche auf der Parkbank eine Pause einlegen. Inzwischen dehnt er seine Runden bis an den Rand von Broiers Bruch aus und bis zum Rennekoven, vorbei an der Fabrik des alten Ceysers, die Kindheitserinnerungen weckt. Das Pastorat ist aus denselben Backsteinen gebaut, genauso wie die finstere Justizvollzugsanstalt, keine dreißig Autominuten entfernt. Da sitzt eine Frau, die für Gerechtigkeit Tage auf ein Konto einzahlt, von dem niemand etwas abhebt. Das keine Zinsen bringt. Aber das ist eine andere Geschichte, eine, die für Barth nicht mehr zu dieser Welt gehört. Der Kommissar in Barth muss grinsen, dass ihn ausgerechnet ein Priester auf die Wahrheit brachte, der in diesem...


Gregor Maria Hoff ist Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Pa¨pstlicher Konsultor in der Kommission fu¨r religio¨se Beziehungen zum Judentum, Berater der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz und freier Autor für die Wochenzeitung „DIE ZEIT“.



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