E-Book, Deutsch, 296 Seiten
Holderegger / Delgado / Rotzetter Franziskanische Impulse für die interreligiöse Begegnung
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-17-023479-6
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 296 Seiten
ISBN: 978-3-17-023479-6
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
In der religiösen Mentalitätsgeschichte spielt Franz von Assisi (1182-1226) eine bedeutende Rolle. Mit seinem Sonnengesang stellt er die Gottesbeziehung in einen universalen Horizont. Bei seiner friedlichen Begegnung mit dem Sultan von Ägypten (1219, während des fünften Kreuzzugs) überschreitet er ein begrenztes Gottesverständnis und belebt den Austausch zwischen islamischer und westlicher Welt.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes stellen sich der Frage, welche Bedeutung dieser Impuls für das interreligiöse Gespräch grundsätzlich hat und welche Wirkungen im Lauf der Jahrhunderte davon ausgegangen sind.
Weitere Infos & Material
Der eine Gott und die vielen Religionen
Die universale Vision des Franz von Assisi
von Niklaus Kuster
1. Einleitung
Auf den 27. Oktober 1986 lud Johannes Paul II. zum ersten großen Friedensgebet der Weltreligionen. Deren Delegationen trafen sich weder an den UNO-Sitzen New York oder Genf, noch in Rom, der Stadt des Gastgebers, sondern im mittelitalienischen Städtchen Assisi.1 Im Frühjahr 2002 kam es da nach dem Schock des traumatischen 11. Septembers zu einem weiteren großen Frie-densgebet, an dem 300 Delegierte der Welt- und Naturreligionen teilnahmen. Angesichts des drohenden Afghanistankrieges verwarfen sie in einer Erklärung jede Form von Gewalt im Namen Gottes und wahrer Religiosität. Der Zen-Buddist Shido Munan begründete die Ortswahl mit dem „Geist von Assisi“.2 Der polnische Papst sah diesen Geist explizit in Franziskus wirken: „einem Propheten des Friedens, der nicht nur von Christen geliebt wird, sondern auch von vielen anderen Glaubenden und von Menschen, die sich auch fern der Religion in seinen Idealen der Gerechtigkeit, der Versöhnung und des Friedens wiedererkennen“.3 Im Herbst 2011 lud Benedikt XVI. anlässlich des 25. Jahrestags zu einem dritten großen weltweiten Treffen, an dem neben den Welt- und Naturreligionen auch Nichtgläubige beteiligt waren. Im Geist des Franziskus nannte der Papst sie alle zusammen mit agnostischen Menschen und seine eigene Kirche „Pilgernde zu Wahrheit und Frieden“. Die Delegationen wiesen auf Franziskus als gemeinsamen Propheten, suchten bei der Portiunkula-Kapelle miteinander von der Weisheit in jeder Religion zu lernen, beteten bei San Francesco und dankten zum Schluss am Grab des Bruders.4 Ein erster Schritt dieses Referats zeichnet biografisch nach, wie der Kleinbürger einer Kleinstadt schrittweise zu seiner universalen Offenheit kommt: einer Offenheit, die in der geschaffenen Welt keine Fremde und nichts Fremdes mehr kennt, weil alles geschwisterlich verwandt ist. Ein zweiter Teil folgt Franziskus auf den Weg nach Ägypten und sammelt die Früchte dieser friedlichen Begegnung mit al-Kâmil Muhammad al-Malik. Sie öffnete seine Vision grenzenlos und macht den Mystiker zum Propheten des interreligiösen Dialogs. 2. Werdegang eines Friedensstifters
2.1 Enge Grenzen und weiter Horizont
Franziskus kommt aus der kleinräumigen Welt eines mittelalterlichen Städtchens, das sich um 1200 sozial und politisch klar abgrenzte.5 In den jungen Jahren des Kaufmanns bekämpften sich Adel und Bürger der Stadt. Obdachlos nächtigten Arme und Bettlerinnen in engen Gassen, und vor den Mauern kämpften jene Entwurzelten ums Überleben, die es nicht schafften, in der aufstre-benden Kleinstadt Fuß zu fassen. Die arbeitende Landbevölkerung blieb über den Bürgerkrieg hinaus unterdrückt: Bauernfamilien lebten weiterhin leibeigen unter dem Joch des Adels oder der zwölf benediktinischen Klöster.6 Franziskus war der Spross eines reichen Bürgers.7 Nannte ihn jemand „rusticus“, weil sein Reden oder Tun „bäuerlich“ wirkte, fühlte sich der ehrgeizige Kaufmannssohn beleidigt. Jede Verbindung des urbanen Modeexperten zum Bauernstand vor den Mauern war eine Zumutung. Franziskus bewegte sich jahrelang in der engen Welt seiner privilegierten Familie, der führenden Zunft und einer zerstrittenen Kleinstadt, die sich über ihre Landbevölkerung erhob und gegen ihre bedeutendste Nachbarstadt Krieg führte. Der Juniorchef eines Handelshauses, das Luxusstoffe importierte, entdeckte zugleich beruflich weite Horizonte: Er lernte Latein, die internationale Sprache des Mittelalters, und Provenzalisch für die Handelskontakte mit Frankreich. Seine besondere Liebe zu diesem Land weckten Geschäftsbeziehungen zur Provence, die er als junger Erwachsener mit seinem Vater bereiste. Die Quellen erzählen zudem von einer Wallfahrt nach Rom, in den größten Pilgerort Europas, wo sich Menschen aller Sprachen tummelten. Schließlich lockte den jungen Mann auch das Heilige Land, wohin damals Kreuzritter aus dem ganzen Abendland aufbrachen.8 Eine Kleinstadt mit sozial engen Mauern und ein Italien, das mit seiner langen Mittelmeerküste weite Horizonte eröffnete, prägten den Bürgersohn Francesco – der zunächst nicht von Frieden, sondern von Krieg träumte. 2.2 Befremdendes und Entfremdung
Dass Franziskus kein egozentrischer Kaufmann in einer Kleinstadt wurde,9 sondern ein solidarischer „Bruder aller Geschöpfe“,10 liegt zunächst an einer schmerzlichen Entfremdung. Die geliebte Welt seines Städtchens wurde ihm durch das Scheitern seines Rittertraums fremd. Ein missratener Kriegszug, monatelange Kriegsgefangenschaft im feindlichen Perugia und eine bedrohliche Krankheit führten dazu, dass die bürgerliche Welt von Assisi „ihre Farbe verlor“. Franziskus wurde seiner Zunft, Familie und Stadt fremd. Es dauerte Monate, bis er nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft wieder geheilt war. Dann trieb sich der Kaufmannssohn mit offenen Sinnfragen draußen in den Wäldern und unten in der Ebene herum. Er änderte seine Blickrichtung, schaute von außen auf das Treiben der Stadt und durchschaute die engen Kreise seines Lebens. Einst fremd und abstoßend, zogen ihn nun die Milieus der Arbeiterschaft, der Bettler und schließlich der Verstoßenen an. Sie öffneten ihm nicht nur die Augen für sein eigenes Betteln nach Lebenssinn, sondern weckten eine bisher nicht gekannte Liebe: „In der Begegnung mit Aussätzigen ist mein Herz erwacht“, beschreibt er die Schlüsselerfahrung in dieser Krisenzeit. Sie bereitete auf eine überraschend neue religiöse Erfahrung vor: In San Damiano erkannte er Gottes Sohn selbst als obdachlos, nicht als der gefeierte Weltenherrscher der Romanik, dem Assisi eben einen Prachtdom baut, sondern halb nackt und wehrlos am Kreuz, arm und vergessen in einer Kirchenruine, ein Fremder unter Randständigen vor den Stadtmauern.11 2.3 Grenzüberschreitungen und neue Freiheit
Franziskus wechselte auf die Seite des „armen Christus“: Eben noch Modeverkäufer und Lebemann an vielen Festen, wurde er im Konflikt mit seinem Vater zum Narren erklärt, für verrückt gehalten und nach seiner Enterbung aus der Stadt verstoßen. Eben noch privilegierter Immobilienhändler, klopfte Franziskus mittellos bei Mönchen an. Dabei erlebte er eine kleine Abtei, die ihre Küchenhilfe so übel behandelte, dass der Heimatlose nach Gubbio weiterzog und dort im Aussätzigenhospital diente: Der früher umschwärmte Sohn eines Luxuskaufmanns und Bankers lebte plötzlich in der fremden Stadt namenlos mit den Ungeliebten. Nach Monaten wagte er sich zurück nach Assisi und ließ sich dort beim armen Christus von San Damiano nieder. Verachtete er früher als Städter hoch zu Ross das Ländlich-Bäuerliche, die Welt vor den Stadtmauern, wurde diese nun sein Zuhause: ein Zuhause ohne Mauern und Grenzen. Franziskus erlebte sich fortan als Geschöpf unter Geschöpfen. Das exponierte Leben draußen tauchte ihn ein in eine Schöpfung, deren Schönheit er später im Sonnengesang besingt: In Hitze und Kälte, Dürre und Sturm teilte Franziskus das Schicksal jener, die ungeschützt in der Natur leben: die Ausgeschlossenen, die Tiere auf den Feldern und die Vögel am Himmel. Die zwei Jahre als Einsiedler bei San Damiano hatten wenig Romantisches an sich: Mit Randständigen und dem Priester Pietro baute Franziskus am Landkirchlein, betrachtete den „armen Christus“12 und suchte seinen Auftrag. Dabei kehrte er nach Assisi zurück, wo er Brot und Steine erbat. Nicht nur praktische Not drängte ihn zum Betteln, sondern die Liebe zum armen Christus in San Damiano: Franziskus folgte ihm, „der arm geboren ganz arm in dieser Welt gelebt hat, nackt und arm am Kreuz gestorben und in fremdem Grabe bestattet worden ist“.13 Dieser „Christus auf Augenhöhe“ öffnete dem jungen Eremiten zugleich neue Horizonte. Um den Auferstandenen zeigt das Ikonenkreuz Gefährtinnen und Gefährten in einem Kreis, der sich für die ganze Menschheit öffnet: Ein Jude und ein Römer stehen für Israel und das Weltreich, für das ersterwählte Volk und die vielen Völker, für die Menschheit, die unter der Hand des einen himmlischen Vaters zur Familie wird.14 2.4 Fremde werden einander...