E-Book, Deutsch, Band 1, 352 Seiten
Reihe: Ein Steiger-Krimi
Horst Splitter im Auge
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-06088-6
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 352 Seiten
Reihe: Ein Steiger-Krimi
ISBN: 978-3-641-06088-6
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thomas Adam, 50, genannt Steiger, ist Mitglied des Einsatztrupps der Dortmunder Polizei. Vor kurzem untersuchte er den Sexualmord an einem jungen Mädchen. Der Täter war schnell gefasst und durch eindeutige Spuren überführt. Trotzdem hat Steiger Zweifel. Zum Ärger seiner Dienststelle ermittelt er weiter und stößt auf zwei ähnliche Fälle. Handelt es sich um einen Serienmörder? Und wie kommen die Spuren an die Tatorte, die auf andere Täter hinweisen? Die Wahrheit ist so ungeheuerlich, dass der Fall selbst dem abgebrühten Steiger an die Nieren geht.
Norbert Horst war Kriminalhauptkommissar und hat in zahlreichen Mordkommissionen ermittelt, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Der Autor ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Kriminalromane wurden mit dem Friedrich-Glauser-Preis und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet und standen monatelang auf der Krimibestenliste.
Autoren/Hrsg.
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"24 (S. 113-114)
1982
Es war ein Sommer so warm wie seit Jahren nicht mehr. So warm, dass selbst Georg, der Fahrer, oft seine Jacke auszog, die dunkle Krawatte lockerte und nur mit Weste und Hemd bekleidet seiner Arbeit nachging. Ständig sagte er, es sei der wärmste Sommer seines Lebens, dabei wischte er sich meist mit einem Stofftaschentuch die Stirn ab, was bei einem so hageren Menschen unpassend aussah. Nur wenn er Albert Trampe fuhr, war er wieder korrekt gekleidet. In diesem Sommer wechselte Robert Trampe von der Grundschule zum Gymnasium.
Für die Brüder war das die Chance, sich von nun an auch wieder am Morgen sehen zu können. Am ersten Tag hatte Robert mit neuem Schulranzen neben seiner Mutter in der Aula der Schule gesessen und war von der Direktorin und anderen Lehrern begrüßt worden, die so viel lachten und von Freude sprachen wie sonst im ganzen Jahr nicht. Sein Vater war nicht dabei, aber das war so normal wie bei den meisten seiner Mitschüler, nur hatte es bei ihm einen anderen Grund. Robert war an dem Morgen nicht aufgeregt gewesen und schon gar nicht ängstlich. Er vermutete, dass die Dinge, die dort auf ihn zukamen, kein Problem darstellten, wenn es mit dem vergleichbar war, was er in den letzten vier Jahren erlebt hatte, ebenso wenig wie die vielen neuen Mitschüler.
Es würde eine Zeit brauchen, bis sie begriffen, dass er nicht mit ihnen rumtobte, keine Bilder von Fußballern oder Autos tauschte und auch zu keinem ihrer Kindergeburtstage kommen würde, aber irgendwann kapierten sie es. Auch die Sache mit den Kopfreisen, so nannte er es selbst, machte ihm keine Sorgen und würde sich genauso einspielen wie in der Grundschule. Denn wenn es ihm zu langweilig wurde oder eine Sache ihn nicht interessierte, verließ er den Raum. Nicht, dass er aufstand und tatsächlich ging, so etwas tat er nie. Seiner Mutter wurde bei jedem Elternsprechtag gesagt, dass er ein ruhiges Kind sei, vielleicht ein wenig zu ruhig in manchen Situationen, aber er störe wirklich nie. Und wenn er manchmal abwesend scheine, sei das bei den Leistungen wohl kein Problem für ihn.
Nein, Robert reiste innerlich. Er verließ den Raum und war in diesem Augenblick woanders. Robert hatte sich daran gewöhnt, dass in seinem Kopf manchmal eigenartige Dinge vor sich gingen, seit die Sache mit seinem Bruder zum ersten Mal passiert war. Er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen, aber etwas sagte ihm, dass es nicht in Ordnung war, dass es anders war als bei anderen. Die Stimme kam jetzt öfter und auch in Momenten und Situationen, in denen er sie früher nicht gehört hatte und an denen er selbst gar nicht beteiligt war. Nicht lange nach dem Schulwechsel stand er in einer großen Pause oben auf dem langen Flur der Schule und sah durch das Fenster den anderen auf dem Schulhof zu. Das Gewimmel und Gerenne dort unten hasste er, und manchmal gelang es ihm, sich auf der Toilette zu verstecken, bis alle Lehrer und Schüler verschwunden waren, dann kam er wieder heraus.
Schon gleich am Anfang hatte er den Platz am Fenster hinter einer Säule entdeckt, die ihn auch vor Blicken schützte, wenn noch Nachzügler ins Lehrerzimmer gingen, die ihn sonst nach draußen geschickt hätten. An diesem Morgen stand er wieder hinter der Säule und fand Maximilian in dem Gewusel, der mit anderen irgendetwas spielte und durch die Menge rannte. Dabei stieß Max einen größeren Jungen so heftig an, dass beide umfielen. Der größere stand auf und war sauer, das konnte Robert auch auf die Entfernung sehen. Max redete mit dem großen Jungen, es sah sogar so aus, als ob er sich entschuldigte. Aber der Große schien immer ärgerlicher zu werden, und irgendwann lagen beide auf dem Boden. Max versuchte, sich aus dem Griff des Jungen zu befreien, aber kam nicht los. Robert blieb wie angewurzelt stehen. Nie hätte sein Bruder einen Streit begonnen, das wusste Robert, und eigentlich fing auch nie jemand einen Streit mit ihm an. Dieses Mal war etwas schiefgelaufen, dachte er, dieses Mal hatte ihn sein Lachen nicht geschützt."