E-Book, Deutsch, 147 Seiten
Reihe: Standards der Psychotherapie
Hoyer / Krämer Verhaltensaufbau und -aktivierung
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8444-2984-8
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 147 Seiten
Reihe: Standards der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-2984-8
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Verhaltensaufbau und Verhaltensaktivierung sind klassische verhaltenstherapeutische Methoden, die darauf abzielen, das Auftreten von Verhaltensweisen, die verstärkend wirken, im Alltag zu erhöhen. Sie stellen häufig die Ausgangsbasis für die weiteren Schritte in der Therapie und für eine erfolgreiche Behandlung dar. Ziel ist es, Patienten in die Lage zu versetzen, sich unabhängig von aktuellen Stimmungen für alltägliche Handlungen zu motivieren und damit eine Form der Emotionsregulation zu erlernen.
Im Bereich der Depressionsbehandlung zählt Verhaltensaktivierung zu den Standards der Psychotherapie. Mit der stimmungsaufhellenden und stabilisierenden Wirkung von verstärkenden Aktivitäten kann typischen depressiven Symptomen, wie z.B. Rückzug, Passivität und Antriebsminderung, entgegengetreten werden. Zahlreiche neuere Studien zeigen zudem, dass sich ihr Wirkspektrum auch für andere Störungen und Anwendungsbereiche erfolgreich nutzen lässt. Der Band beschreibt die Methode der Verhaltensaktivierung, informiert über deren Wirkungsweise und erläutert ihre konkrete Umsetzung in der klinischen Praxis.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Fachärzte_innen für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzte_innen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog_innen, Ausbildungskandidat_innen (Psychologen, Ärzte) in Psychotherapie mit dem Ziel Approbation bzw. Facharzt (Psychiatrie, Psychosomatik) oder Zusatztitel Psychotherapie, Dozenten der Ausbildungsgänge und -institute für Psychotherapie.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Psychopathologie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Verhaltenstherapie
Weitere Infos & Material
|3|1 Einführung in die Interventionsmethode
Der Aufbau verstärkungswirksamen Verhaltens bzw. die Verhaltensaktivierung ist eine klassische verhaltenstherapeutische Methode, die auf Theorien operanten Lernens beruht. Sie zielt auf die Erhöhung der Rate verstärkungswirksamer Verhaltensweisen im Alltag ab und wirkt damit typischen depressiven Symptomen wie Rückzug, Passivität, Antriebsminderung und Anhedonie auf komplementäre Weise entgegen. Sie ist im Bereich der Depressionsbehandlung zu den Standards der Psychotherapie zu zählen. Zahlreiche neuere Studien zeigen zudem, dass sich ihr Wirkspektrum auch für andere Störungen und Anwendungsbereiche erfolgreich nutzen lässt (vgl. z.?B. Acierno et al., 2016). Hierzu zählen z.?B. so verschiedene Störungsbilder und Indikationsbereiche wie Posttraumatische Belastungsstörungen, Generalisierte Angststörungen, chronische Erschöpfung, demenzielle Entwicklungen, Raucherentwöhnung oder Adipositas. Zudem ist bei Störungen wie chronischen Schmerzsyndromen, Erschöpfungssyndromen oder somatischen Belastungsstörungen Verhaltensaktivierung ein häufiges Therapieziel. Im Vergleich mit den kognitiven Methoden (Hautzinger & Pössel, 2017) wird die Verhaltensaktivierung – bei in etwa gleicher Wirksamkeit (vgl. Kapitel 6.1) – von vielen internationalen Autoren als einfacher lern- und lehrbar angesehen. Ihre Eignung auch für die Behandlung schwer depressiver Patientinnen und Patienten, auch in stationärer Psychotherapie, ist empirisch gut belegt. Gleichzeitig ist die stimmungsaufhellende und stabilisierende Wirkung von verstärkenden Aktivitäten durch psychologische Grundlagenforschung untermauert (vgl. z.?B. Oertel & Matura, 2017). In der Lage zu sein, sich unabhängig von aktuellen Stimmungen für alltägliche Handlungen zu motivieren, kann als basale Kompetenz der Emotionsregulation angesehen werden (Magidson, Roberts, Collado-Rodriguez & Lejuez, 2014). In Deutschland kann die Verhaltensaktivierung dennoch als unterrepräsentiert gelten. Ihr Wert für die Depressionsbehandlung und für die Psychotherapieausbildung wurde lange unterschätzt, das Stichwort „Verhaltensaktivierung“ fehlt in Fachwörterbüchern, und in den wichtigsten Lehrbüchern für Klinische Psychologie und Psychotherapie suchte man ein Kapitel zur Verhaltensaktivierung vergebens. Dies ändert sich in den letzten Jahren (Hoyer & Teismann, in Druck; Hoyer & Vogel, 2018) insbesondere wegen der überzeu|4|genden Erneuerung der Methode durch jüngere amerikanische Autoren (Kanter, Busch & Rusch, 2009; Lejuez, Hopko, Acierno, Daughters & Pagoto, 2011; Martell, Addis & Jacobson, 2001; Martell, Dimidjian & Hermann-Dunn, 2010). In der internationalen Depressionsforschung wird die Verhaltensaktivierung (engl. Behavioral Activation) von vielen Autoren als eigenständige Therapieform (neben der kognitiven Verhaltenstherapie) betrachtet. Die Karte in Abbildung 1 zeigt, dass vor allem in anglo-amerikanischen Ländern zur Verhaltensaktivierung geforscht wird, aber auch, dass der Ansatz in Deutschland unterproportional aufgegriffen wird. Die relativ große Bedeutung in Japan sehen wir in Zusammenhang mit der japanischen Lebensphilosophie, die wir in Kapitel 2.5 vertiefen. Wir freuen uns, wenn das vorliegende Buch einen Beitrag dazu liefern kann, die Interventionsmethode „Verhaltensaktivierung“ in der Praxis und Ausbildung der Psychotherapie noch bekannter und ihren großen Nutzen auch im deutschsprachigen Raum noch besser zugänglich zu machen. 1.1 Beschreibung der Methode
Verhaltensaktivierung ist neben kognitiver Umstrukturierung die klassische Methode zur Behandlung depressiver Erkrankungen. Sie setzt unmittelbar an |5|den Symptomen der Depression an, die von den Betroffenen als besonders beeinträchtigend empfunden werden: sozialer Rückzug, Interessenverlust, Inaktivität und Anhedonie. Die Verhaltensaktivierung berücksichtigt damit die Stimmungslage von depressiven Patienten in besonderem Maße. Denn was brauchen depressive Patienten in der Therapie am meisten? Es sind – vor allem in der schweren Depression und am Anfang der Therapie – nicht die komplexen, kognitiv anspruchsvollen Methoden oder stark auf Reflexion und Einsicht basierende Interventionen, sondern einfache, klar nachvollziehbare Behandlungsschritte. In schweren depressiven Episoden können kognitive Methoden den anhedonischen, konzentrationsgeschwächten Patienten schnell überfordern, wohingegen einfache, verhaltensorientierte Vorgehensweisen noch umgesetzt werden können. Nicht umsonst ist Aktivierung auf vielen psychiatrischen Depressionsstationen die Maßnahme der ersten Wahl. Hinzu kommt, dass eine initiale Reduktion der oben genannten Symptome eine wichtige Voraussetzung für die Bearbeitung dysfunktionaler Kognitionen und Schemata im Rahmen der weiteren psychotherapeutischen Behandlung darstellt. Für viele Depressionsexperten ist deshalb die Verhaltensaktvierung der erste und wichtigste Schritt in der Depressionsbehandlung. Auch im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapie spielt die Verhaltensaktivierung eine wichtige Rolle: Wie ausgeprägt diese ist, hängt aber stark von der Prioritätensetzung einzelner Autoren ab. In der ursprünglichen Konzeption der kognitiven Therapie der Depression nach Beck (A.?T. Beck, Rush, Shaw & Emery, 1979) wird betont, wie wichtig „mastery and pleasure“, also das Bewältigen und die Befriedigung dadurch, sind. In anderen grundlegenden Werken wird Verhaltensaktivierung jedoch nicht (mehr) erwähnt (J.?S. Beck, 1999; A.?T. Beck & Bredemeier, 2016). Verhaltensaktivierung bedeutet, wie der Name schon sagt, die Aktivitätsrate von Patienten zu erhöhen und gegen Symptome des Rückzugs und der Antriebslosigkeit anzugehen. Der Vollzug alltäglicher, gut zu bewältigender Verhaltensweisen und die damit einhergehenden Verstärkungswirkungen motivieren den Patienten und unterstützen beim Wiederaufbau eines gesunden Aktivitätsniveaus. Verhaltensweisen, die aufgebaut werden, können ganz unterschiedlicher Art sein. Angefangen beim Spaziergang um das Klinikgelände über ein Kaffeetrinken mit alten Bekannten bis hin zur Wiederbelebung früher ausgeübter Hobbys sind alle Aktivitäten, die den Patienten aus seinem aktuellen Rückzugs- und Vermeidungsverhalten befreien, als positiv zu bewerten. Sportliche und bewegungsbezogene Aktivitäten sind oft ein wesentlicher Baustein, sie sind aber mit der Verhaltensaktivierung keineswegs gleichzusetzen, und die Orientierung an der intrinsischen Motivation und seinen persönlichen Werten hat sich als wesentlich herausgestellt (vgl. Kapitel 4.3.4). |6|Die Grundannahme der Verhaltensaktivierung besagt, dass die Aufnahme von verstärkenden Aktivitäten den Patienten wieder in Kontakt mit positiven, internen und externen Verstärkern bringt. Er erhält Bestätigung aus seinem Umfeld, ihm gelingen Aufgaben und seine Stimmung verbessert sich in der Folge der positiven Erfahrungen, während zuvor Vermeidung und Rückzug – als Ausdruck der psychopathologischen Belastung – im Vordergrund standen. Neuere Konzeptionen der Verhaltensaktivierung (Lejuez, Hopko & Hopko, 2001; Martell, Dimidjian & Herman-Dunn, 2010) betonen dabei auch die Ziel- und Werteorientierung der Verhaltensaktivierung. Durch die Umsetzung von als wichtig erachteten Aktivitäten erleben die Patienten eine Verbindung zu ihren Werten und erleben ihr Handeln als sinnvoll. Durch die Betonung von Werten, ein Konstrukt, das zuvor in der Verhaltenstherapie nur bedingt gewürdigt worden war, erhielt die Methode in den letzten zwei Jahrzehnten vermehrt Aufmerksamkeit bei praktizierenden Therapeuten. Die moderne „werteorientierte Verhaltensaktivierung“ wird auch als Verfahren der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie diskutiert. Das Verfahren ist ursprünglich zur Behandlung der Depression entwickelt worden. Rückzug, Resignation und Vermeidungsverhalten ist aber nicht nur bei Depressionen typisch, sondern auch Ausdruck zahlreicher anderer Störungsbilder. Die Ausrichtung auf Aktivierung und positive Verstärkung bewährt sich auch bei diesen, worauf wir weiter unten vertiefend eingehen. 1.2 Allgemeine Interventionsprinzipien
Die allgemeinen Interventionsprinzipien der Verhaltensaktivierung sind für Therapeuten einfach und schnell zu erlernen. Dies gilt für...