E-Book, Deutsch, Band 2, 320 Seiten
Reihe: Das Tagebuch der Marie Sharp
Ironside Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-09278-8
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das neue Tagebuch der Marie Sharp
E-Book, Deutsch, Band 2, 320 Seiten
Reihe: Das Tagebuch der Marie Sharp
ISBN: 978-3-641-09278-8
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seniorenteller leer? Hier kommt der Nachschlag!
Das Zipperlein zwickt? Die Lesebrille gehört zum festen Inventar? Kein Grund, das Leben nicht mehr mit froher Entschlossenheit anzupacken!
Marie Sharp ist zurück! Sie ist mittlerweile fast 67, und sie hat eine Liste mit guten Vorsätzen: Nie wieder Alkohol trinken, schon gar nicht Sekt, Rotwein und Rumpunsch durcheinander, ein Facelifting machen lassen, Akupunktur ausprobieren gegen die zunehmende Steifheit in den Gliedern und natürlich: Tagebuch schreiben, denn Maries Leben ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Ihre Jugendliebe Archie ist an Alzheimer erkrankt und glaubt an Elefanten im Schrank, und dann beschließt auch noch ihr Sohn Jack, mit seiner Familie in die Staaten zu ziehen. Marie lässt sich sogar Skype installieren - doch auch das hilft nicht gegen ihre Sehnsucht, und so macht sich Marie schließlich auf die Reise ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten...
Virginia Ironside begann ihre berufliche Laufbahn als Journalistin und veröffentlichte im Alter von zwanzig Jahren ihr erstes Buch. Ihre Romane um Marie Sharp sind Bestsellererfolge. Die Autorin lebt und arbeitet in London.
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Januar 1. Januar Herr im Himmel. Aufgewacht mit grässlichem Kater, Herzrasen, Schweißausbruch, nach Wasser lechzend … passiert mir sonst nie. So etwas hatte ich nicht mehr seit den Sechzigern. (Da fällt mir ein, dass es mir nach meiner Abschiedsparty an der Schule auch nicht so prima ging, was aber daran lag, dass der Biolehrer das Bier selbst gebraut hatte.) Hab es geschafft, mich aufzurappeln, eine Tasse Kaffee zu trinken und einen Toast zu essen. Hatte große Lust auf fünf Spiegeleier und habe zwei verputzt, aber irgendwie ist ohnehin alles einerlei. Heute ist Neujahr, und es ist so sonderbar still in London, dass ich mir wie in einem grottenschlechten Film vorkomme, in dem ich einzige Überlebende in einer Welt bin, die von einer verheerenden Schlafkrankheit heimgesucht wurde. Habe keinen einzigen Menschen gesehen, als ich aus dem Fenster schaute. Und nur wenige Autos. Wahrscheinlich sind alle verreist. Beim Blick aus dem Schlafzimmerfenster – ebenfalls keine Menschenseele. Na schön, da ist auch sonst keiner, und es würde mich doch sehr wundern, wenn am Neujahrstag jemand auf meinem Rasen herumlungern würde, aber man hört gar nichts, nicht mal das entfernte Heulen einer Kettensäge oder ein weinendes Baby oder das Wummern von Bässen aus einem Radio. Der Garten macht einen ziemlich verwahrlosten Eindruck, muss ich gestehen. Der Winterschneeball wird wohl bald blühen, aber bislang noch keine Spur davon. Mein Garten ist ein langer schmaler Schlauch mit einem Rasenstreifen in der Mitte und Büschen und Bäumen am Rand. Im letzten Sommer war er so üppig wie ein Dschungel, aber an Neujahr wirkt alles öde. Eine Schlammwüste, und in der Mitte hockt eine fette Taube und überlegt, ob sie sich in die Lüfte schwingen soll, um den Krallen und Zähnen meines Katers Pouncer zu entkommen, während Pouncer ebenso träge herumsitzt und darüber nachsinnt, ob er sich aufraffen und auf die Taube hechten möchte. Ich sollte wieder ins Bett gehen. Mit etwas Glück bin ich später putzmunter und quietschvergnügt. Mit noch mehr Glück schlafe ich bis nächste Woche, wenn das Leben wieder normaler wird. 3. Januar Allmählich erwacht die Welt wieder und ich mit ihr. Und ich habe beschlossen, etwas zu machen, was ich seit meinem zehnten Lebensjahr nicht mehr getan habe: eine Liste mit guten Vorsätzen fürs neue Jahr zu verfassen. Also los geht’s. Nie wieder Alkohol trinken, und schon gar nicht Sekt, Rotwein und Rumpunsch durcheinander. (Hab mich immer noch nicht richtig erholt. Die alten Hirnzellen kommen erst langsam wieder in Fahrt.) Ein Facelifting machen lassen. Gegen die zunehmende Steifheit in den Gliedern Akupunktur ausprobieren. Ich stakse durch die Gegend wie diese Holzgliederpuppen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Das Haus aufräumen, jedes Zimmer einzeln entrümpeln. Ich besitze viel zu viel Zeug. Tagebuch schreiben. (Damit habe ich schon angefangen.) Wieder mit Malen beginnen. Penny, meine liebe Freundin, die gleich um die Ecke wohnt, hat vorgeschlagen, dass ich »häufiger verreisen« in die Liste aufnehmen sollte, aber ich bin alt genug, um zu wissen, dass man mit Reisen nirgendwohin kommt – auch wenn das albern klingen mag. Ich habe schon oft gedacht, dass eine Reise mir guttun würde, und wenn ich dann beispielsweise in Timbuktu ankam und meinen Koffer öffnete, fand ich dasselbe alte Selbst darin vor, dem ich hatte entkommen wollen. Deshalb bleibe ich jetzt lieber zuhause. Ist vielleicht sonderbar, das Facelifting so weit oben auf die Liste zu setzen, aber bei der Silvesterparty sprach mich ein grusliger alter Mann an (ich schreibe »alt«, obwohl der vermutlich in meinem Alter war) und sagte in einem Tonfall, den er wohl für charmant und verführerisch hielt: »Sie erinnern mich an eine burmesische Prinzessin.« Mir war sofort klar, dass er mich nicht erotisch und exotisch und wunderschön fand. Sondern dass der verführerische Schlitzaugen-Eindruck darauf zurückzuführen war, dass meine Lider so tief herunterhängen. Und wieso schreibe ich wieder Tagebuch? Das habe ich mit sechzig gemacht, aber nach einem Jahr wieder aufgehört, weil ich lächerlich glücklich war. Und weshalb soll man Tagebuch schreiben, wenn es einem blendend geht? Das ist doch furchtbar langweilig. Montag: Superschöner Tag. Dienstag: Sonne scheint, fühle mich prima. Mittwoch: Mit Penny getroffen, sie war süß. Donnerstag: Große Summe für wohltätige Zwecke gespendet und höchst zufrieden gewesen. Freitag: Was hab ich doch für ein Glück, am Leben zu sein! Äh, ja und? Außerdem hat man keine Zeit zum Tagebuchschreiben, wenn man glücklich ist, weil man nur schöne Sachen macht, wie Freunde zum Abendessen einladen, für Weihnachten Blumenzwiebeln in Töpfe pflanzen und sie unter die Treppe stellen, alte Folgen von Dick und Doof auf YouTube gucken und sich kringelig lachen, das Gästezimmer frisch streichen, überlegen, ob man Fotos sortieren und in Alben kleben soll (bitte beachten: Ich habe »überlegen« geschrieben) oder einfach mit einem lieben Menschen zusammensitzen und … na ja, eher wenig machen. Wenn man mit jemandem zusammen ist, möchte man eigentlich keine schönen Sachen unternehmen. Sondern eher nichts tun. Als ich im grandiosen Alter von sechzig Jahren Archie, die große Liebe meines Lebens, wiederentdeckte, haben wir sehr häufig einfach nichts gemacht. Nach Archie war ich schon seit meiner Jugend verrückt, aber wir hatten jeweils andere Partner geheiratet und uns dann aus den Augen verloren. Nach meiner Scheidung von David und dem Tod von Archies Frau wurden wir ein Paar. Unsere Kuschelnächte waren fantastisch, aber wir verbrachten auch viel Zeit einfach nur mit Herumgammeln. Wenn wir bei seinem großen viktorianischen Landhaus in einer entlegenen Ecke von Devon durch den Park und über die Felder zu den Farmhäusern spazierten, sprachen wir häufig kein Wort. Dabei war unser Schweigen nicht von der scheußlichen vorwurfsvollen Sorte, bei der einer irgendwann nervös fragt: »Was ist los?« und der andere laut und pampig mit »Nichts!« antwortet. Diese Zeiten liegen zum Glück hinter mir! Nein, wir konnten auf freundlich entspannte Weise gemeinsam schweigen. Manchmal plauderten wir ein bisschen und machten Pläne für die Zukunft oder beschäftigten uns mit Erinnerungen – ich erzählte ihm von meiner stressigen Zeit mit David (der heute einer meiner besten Freunde ist) und Davids stressiger Zeit mit mir, und Archie erzählte mir mit so viel Schmerz und Liebe vom Leben mit seiner verstorbenen Frau Philippa, dass ich unmöglich eifersüchtig sein konnte (wie auch, wenn sie ihn so glücklich gemacht hatte!). Ab und an redeten wir über meinen Sohn Jack, seine Frau Chrissie und meinen hinreißenden und heiß geliebten Enkel Gene – und freuten uns gemeinsam über die Ehe seiner Tochter Sylvie mit ihrer Kinderliebe Harry. Archie und ich hatten gleich zu Anfang beschlossen, dass wir nicht zusammenleben wollten – wir waren beide klug genug, nicht auf diese unsinnige Idee zu kommen, vor allem, da ich mich seit meiner Scheidung allein sehr wohlfühle. (Das kann man sich seltsamerweise schwer wieder abtrainieren. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, alleinige Herrscherin über die Fernbedienung zu sein, selbst am Steuer des Autos zu sitzen, das Abendessen nach Lust und Laune auszusuchen, die Spülmaschine nach Gusto einzuräumen und zu bestimmen, wann sie laufen muss, die Karotten nach Belieben zu schnippeln und darüber zu entscheiden, wo der Fisch gekauft und wann abends das Licht ausgemacht wird, dann möchte man diese Selbstständigkeit nicht mehr aufgeben. Manchmal denke ich, dass wir als Single wirklich eine andere Gestalt haben. Wenn wir nach einem Partner suchen, haben wir Ein- und Ausbuchtungen wie Puzzleteile und halten ständig nach dem Gegenstück Ausschau. Als Single hingegen sind wir glatt und rund und selbstgenügsam und können uns nicht mehr nahtlos in andere Persönlichkeiten einfügen. Es sei denn, jemand ist wie ein großes rundes Vakuum, was natürlich charakterlich wenig attraktiv ist.) Aber Archie und ich verbringen oft die Wochenenden zusammen. Entweder er ist bei mir in meinem edwardianischen Haus mit Terrasse im Londoner Stadtteil Shepherd’s Bush, oder ich fahre zu ihm nach Devon – stets gerüstet mit Heizdecke, Daunenweste, Thermo-Unterwäsche, Leggings und Angoraschlüpfer. Archie ist – im Gegensatz zu mir – gut betucht, hasst es jedoch wie viele auf dem Land lebende Aristokraten, Geld für etwas so Dekadentes wie Heizung...