Jabotinsky | Richter und Narr | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 370 Seiten

Reihe: Kometen der Anderen Bibliothek

Jabotinsky Richter und Narr

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8477-6001-6
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 2, 370 Seiten

Reihe: Kometen der Anderen Bibliothek

ISBN: 978-3-8477-6001-6
Verlag: AB - Die Andere Bibliothek
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



An den biblischen Samson aus dem „Buch der Richter“ im Alten Testament angelehnt, beginnt Vladimir Jabotinsky Jahre später sein literarisches Porträt 1919 in Palästina und publiziert es erstmalig 1926 in Paris: aus den vier biblischen Kapiteln erwächst ein vierhundertseitiges Werk im Stil der großen Romane des 19. Jahrhunderts.

Im antiken Ambiente, im Spannungsfeld politischer Seilschaften entwickelt sich um Samson – stark, fast unbesiegbar, intelligent – die Auseinandersetzung um die Vorherrschaft im Land zwischen den drei Volksgruppen in Kanaan: Philistern, Israeliten und dem Stamm Dan.

Der Konflikt wird mit ungleichen Waffen geführt, da die gebildeten, den anderen Stämmen überlegenen Philistern zwar weniger Muskelkraft, dafür aber umso mehr geistiges Wissen, kultiviertere Umgangsformen sowie auch Eisen besitzen. Samson, dessen biblische Wundertaten auf ein realistisches Maß gekürzt sind – 'über Simsons Räubereien und Streiche waren viele Legenden im Umlauf. Die Mehrzahl war erfunden' – steht zwischen zwei Volksgruppen: zum einen durch seine Heirat und zum anderen durch seine eigene Herkunft, die fast bis zum Schluss reine Spekulation ist. Diese Problematik wirft die Frage auf, ob Freundschaft auch über Landesgrenzen hinweg bestehen kann… Samson entscheidet sich am Ende eindeutig und gibt seinen Landsleuten den Rat: 'sie sollen Eisen sammeln, sie sollen einen Knig [König] wählen und sie sollen lachen lernen.' Weitere Konflikte liefert die Beziehung des Helden zum weiblichen Geschlecht …

Mit einem literarischen Kunstgriff versteht es Jabotinsky meisterlich, die Kluft zur biblischer Vorlage zu meistern: 'Wahrheit ist nicht das, was in einer von vielen Nächten geschehen ist. Wahrheit ist das, was für immer im Gedächtnis der Menschen bleiben wird.'

Und im Gedächtnis bleiben wird das meisterliche Werk Jabotinskys, das längst zu einem Klassiker der israelischen Literatur geworden ist.

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Erstes Kapitel
Ein Tausendsassa
Den Weg von Süden her kam ein müder Reisender herab; hinter ihm trottete an einem langen ledernen Zügel ein mit zwei Packsäcken beladener Esel. Der Mann mochte an die fünfunddreißig Jahre alt sein, er hatte einen kurzen schwarzen Krausbart und lebhafte, verschmitzte vorquellende Augen. Um den Kopf trug er ein schmutziges weißes Tuch, sein ärmelloses braunes Gewand hatte er bis zu den Knien geschürzt, um leichter vorwärts zu kommen, sodass es vorn über dem Gürtel einen herabhängenden Sack bildete, in dem etwas Schweres hin und her schwang, vermutlich sein Proviant. Die ledernen Riemensandalen hatte er, um sie zu schonen, an seinen Gürtel gebunden und lief barfuß. Ein schwerer Mantel, eine Art Decke, ebenfalls braun, lag ordentlich zusammengelegt zwischen den beiden Säcken auf dem Rücken des Esels. Die Sonne sank bereits, und es war kühl. Die Regenzeit war gerade erst zu Ende gegangen. Das Tal, in das dieser steinige, noch nicht sehr staubige Weg führte, und die Hügel ringsum feierten ihre beste Stunde: Das Grün der Haine und Weinberge war noch nicht grau vom Staub, die Bäche wurden bereits seichter, waren aber noch nicht ausgetrocknet. Die rote Erde war dicht bestellt, im Tal lag eine größere Stadt, und auf dem Weg dorthin standen einzelne, herrschaftlich aussehende Häuser mit Gärten, auch auf den Hügeln waren von weitem die Konturen einiger großer Siedlungen auszumachen. Der Reisende sagte laut vor sich hin: »Gut leben die Leute hier!« In seiner Stimme lag kein Neid, obgleich er aus den kargen südlichen Bergen kam. Es lag eher Befriedigung darin, denn er stammte aus einem landlosen Clan, der kein Haus besaß, nie von einem Haus geträumt hatte und dem darum der Neid, dieses Laster des Landmannes, fremd war. Wenn diese Gegend reich war – umso besser für den Fremden. Bis zum ersten herrschaftlichen Haus waren es noch einige Hundert Schritte, und von dort bis zum Stadttor war es noch dreimal so weit. Das Haus war groß und schön, mit runden Säulen und allerlei Anbauten, dahinter lag eine breite Senke, in der sich nun, nach der Regenzeit, ein kleiner See gebildet hatte. Aus dem Haus traten zwei weibliche Gestalten. Ohne Eile, im Spazierschritt, liefen sie bergauf, dem Reisenden mit dem Esel entgegen. Sie waren ganz in ein Gespräch oder vielleicht einen Streit vertieft, die Kleinere fuchtelte erregt mit den Armen. Nach einer Weile sah der Reisende, dass dies ein schwarzhaariges Mädchen von etwa zwölf Jahren war; die Ältere mit der üppigen roten Mähne mochte drei Jahre älter sein. An den Kleidern, die weit länger waren als die der Frauen seines Stammes oder der kanaanitischen Einheimischen und von anderem Schnitt, erkannte der Reisende, dass die Mädchen aus einer Philisterfamilie stammten. Als sie näher heran waren, kniff er ein Auge zusammen, um die Wolle zu beurteilen, aus der ihre Kleider gemacht waren: Sie war von erster Güte, besonders bei der Älteren. Einige Schritte vor ihnen blieb er stehen und grüßte höflich: »Guten Tag, ihr Mädchen.« »Guten Tag«, antwortete die Rothaarige und lächelte sogleich. Sie war ein sehr hübsches Mädchen mit grünen Augen und fröhlicher und übermütiger Miene; das Lächeln zauberte Grübchen auf ihre Wangen. Sie blieb stehen, die Jüngere ebenfalls, jedoch widerwillig und mit finster abgewandtem Blick. Auch sie hatte grünliche Augen. »Was ist das für eine Stadt dort unten?«, fragte der Mann. »Timna. Bist du ein Händler?« Das Mädchen zeigte auf die Packsäcke. »Ja, das auch. Soll ich dir einen Kamm aus Elfenbein zeigen? Oder Amulette? Bunte Gürtel? Salben?« Er zählte ausführlich seine Waren auf, wobei er jedes Mal sagte, aus welchem Land eine jede stammte; es waren sehr viele Orte, und das jüngere Mädchen knurrte, ohne ihn anzusehen: »Solche Länder gibt es wahrscheinlich gar nicht auf der Welt. Er hat seinen Kram irgendwo am Stadttor gekauft und handelt mit Altwaren, wie all diese Hausierer aus den Bergen. Meine Mutter sagt immer: Ein guter Kaufmann kommt von Ekron her, nicht von Adullam.« Er wollte etwas erwidern, doch da meldete sich die Ältere, wohl um die Grobheit abzumildern. »Wir haben kein Geld, guter Mann, und von den Erwachsenen ist niemand da. Das dort ist unser Haus; wenn du willst, komm morgen früh, du musst ja sowieso in Timna übernachten, es ist bald Abend.« »Danke, du Schöne«, sagte der Händler, »ich werde kommen. Wenn euch etwas gefällt, kauft ihr es, und wenn eure Eltern etwas zu verkaufen haben, kaufe ich es vielleicht. Deine Schwester hat recht: Ich habe allerlei Ware, neue wie alte, sichtbare wie unsichtbare.« Dann zog er am Zügel, um den Esel aus seiner düsteren Nachdenklichkeit aufzuscheuchen, und setzte sachlich hinzu: »Gibt es hier in Timna eine Hure?« Diese Frage stellte er ohne jede Verlegenheit, obgleich er ein Mann von höflichen Manieren und moralischer Lebensart war. Herbergswirtinnen waren zu jener Zeit Frauen des freien Standes, die beiden Begriffe galten als Synonyme. Das rothaarige Mädchen antwortete ebenso sachlich: »Ja, aber dazu musst du die ganze Stadt durchqueren, ihr Haus steht am Nordtor. Jeder wird dir den Weg zeigen.« Die Jüngere murmelte mit verächtlich geschürzten Lippen: »Da braucht er niemanden zu fragen, er wird den Lärm schon auf halbem Weg hören.« Der Reisende verabschiedete sich und warf im Gehen noch einen Blick auf das widerborstige Mädchen. Es gefiel ihm nicht und hatte wenig Ähnlichkeit mit der Älteren. Die beiden konnten kaum Schwestern sein; allerdings lag auch auf den schwarzen Locken der Jüngeren unter den schrägen Sonnenstrahlen ein rötlicher Schimmer. Sie missfiel ihm sehr, und während er weiterlief und den faulen Esel schalt, flüsterte er eine lange, gewundene Beschwörungsformel gegen den bösen Blick. Als er Timna erreichte und die Sandalen anzog, ohne die er es unschicklich gefunden hätte, den Boden einer gesitteten Stadt zu betreten, war die Sonne bereits untergegangen und die Straßen waren leer. Er befand sich offenbar in einem reichen Viertel: Es gab hier viele Steinhäuser, und die Düfte, die mit den Rauchschwaden von den hinter niedrigen Umzäunungen und unter Schutzdächern verborgenen Öfen herüberwehten, verrieten, dass fast überall Ziegenfleisch gebraten wurde. Einige Häuser hatten geschnitzte Türen, da und dort hörte er Gesang und den Klang eines Saiteninstruments. Ein kanaanitischer Sklave, der einen Korb mit getrocknetem Mist zum Heizen auf dem Kopf trug, wies dem Reisenden den Weg zum Haus der Hure. Schon weit vor der Herberge änderte sich das Gesicht der Stadt. Hier lebten die Armen – in Hütten aus in der Sonne gebrannten Lehmziegeln oder in einfachen grauen Lehmkästen; die Bewohner hockten vor den Eingängen und aßen mit den Fingern eine Art Grütze. Es war bereits dunkel geworden, hin und wieder fiel der Schein kümmerlicher Lampen auf grobe und harte Gesichtszüge. Philister waren nicht darunter; die gesamte Stadtarmut – Tagelöhner, Handwerker und Bettler – bestand aus Angehörigen verschiedener einheimischer Stämme. Der Reisende kannte deren Namen, er war oft in den Städten und Dörfern der Jebusiter, Girgasiter und Hiwiter1 unterwegs und konnte sie auf den ersten Blick unterscheiden, und einen Hetiter mit fliehender Stirn oder einen schmallippigen Amoriter erkannte er an der stolzen Haltung schon von weitem. Doch dies hier war bloß ein niederes Gemisch, der kümmerliche Rest von zwanzig Stämmen, bis zur Unkenntlichkeit zerrieben zwischen zwei Mühlsteinen, zwei Eroberervölkern. Die Herberge befand sich direkt am Tor. Tatsächlich hörte man schon von weitem den Lärm übermäßig lauter Stimmen. Am Zaun drängten sich sämtliche streunenden Hunde der Vorstadt, sie schienen alle gleich, keiner Rasse zugehörig, genau wie ihre Nachbarn, die Menschen. Ohne sich gegenseitig wegzustoßen oder anzuknurren, warteten sie auf den Augenblick, da die Magd ihnen Essensreste hinwerfen würde. Hinter dem Zaun lag ein großer Hof, von zwei Pechlampen beleuchtet, auf dem Hof stand ein langer Tisch, der einem erwachsenen Mann bis zum Knie reichte, und daran wurde gezecht: An die zwanzig Männer saßen und lagen darum herum, manche auf geflochtenen Matten, andere auf der nackten Erde. Weiter hinten befand sich ein niedriges, breites Lehmhaus, auf der Schwelle stand die Hausherrin und befehligte mit über den ganzen Hof schallender Stimme ihre Dienerschaft. Die Herberge war offensichtlich gut geführt. Die männlichen Bediensteten, zwei breitschultrige Schwarze, bleckten beim Servieren der Speisen fröhlich die Zähne (die Kanaaniter verstanden sich auch damals nicht darauf, bei Tisch nett und freundlich zu bedienen), und die Mädge – zwei Weiße und eine Mulattin – waren von angenehmer Fülligkeit und leicht bekleidet. Die Küche lag am äußersten Ende des Hofes unter einem Vordach, auf der Windseite durch eine niedrige Abschirmung geschützt. Vier halbrunde, unten offene Lehmöfen schickten den Rauch direkt in den Sternenhimmel, ein großes Stück Fleisch briet auf einem flachen Stein direkt über den Kohlen, und einer der beiden Schwarzen wendete es hin und wieder mit einem Stock. Der Neuankömmling führte seinen Esel vorsichtig von den Zechenden weg und ging zur Wirtin. Wie die beiden Mädchen aus dem Haus vor der Stadt trug auch sie ein langes Kleid mit eng anliegender Taille. Er war zum ersten Mal im Philistäa, doch er wusste, dass man den Frauen des freien Standes hier respektvoll begegnete. »Guten Tag, Herrin«, sagte er. »Kann ich bei dir zu Abend essen, übernachten und...



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