E-Book, Deutsch, 356 Seiten
James DARK ISLAND
überarbeitete Ausgabe
ISBN: 978-3-95835-425-8
Verlag: Luzifer-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 356 Seiten
ISBN: 978-3-95835-425-8
Verlag: Luzifer-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Burke, Virginia, USA Sieben Jahre später, heute Nachdem ihr Chef bei National Geographic sie durch die Mangel gedreht und übel zusammengestaucht hatte, fühlte sich die Journalistin Mackenzie Moore, als wäre sie gegen eine Dampfwalze gelaufen. Mack - sie zog es vor, so genannt zu werden – stand von ihrem Laptop auf und streckte sich. Ungeachtet des Umstands, dass sie die Schelte per Skype verabreicht bekommen hatte, anstatt von Angesicht zu Angesicht, zitterte sie immer noch beim Gedanken daran, wie knapp sie davor gewesen war, ihren Job zu verlieren. Mack liebte ihre Arbeit, doch irgendwie schien in letzter Zeit der Wurm drin zu sein. Die jüngste ihrer Veröffentlichungen war ihrer Ansicht nach ein todsicheres Ding über eine erstaunliche historische Entdeckung gewesen. Vor einem Monat hatte man auf Sardinien menschenfressende Riesen ausgegraben, und sie war die Erste, die von der Story Wind bekommen hatte und darüber berichtete. Ja, sie ging sogar so weit, auf die Mittelmeerinsel zu fliegen und die beteiligten Parteien zu interviewen. Doch sobald sie vor Ort war und durch die Kleinstadt Cabras spazierte, wurde ihr schnell klar, dass sie sich die Reise hätte sparen können. Niemand wollte mit ihr reden. Keine Seele. Die meisten Einheimischen behaupteten, nicht in der Gegend gewesen zu sein, als sich der vermeintliche Vorfall ereignete. Und die anderen Leute in der Stadt sprachen entweder kein Englisch oder schlugen ihr rundheraus die Tür vor der Nase zu. Ein Mann bedrohte sie sogar mit einer Schaufel … Es war, als habe der gesamte Ort beschlossen, das Vorgefallene unter den Teppich zu kehren. Mack spielte ihnen sogar einige YouTube-Videos auf ihrem Handy vor, die allesamt einen großgewachsenen, langhaarigen amerikanischen Ureinwohner zeigten, einen Indianer. In einem dieser Videos machte der Mann in einer örtlichen Kneipe Ärger. Irgendwelche Highschool-Kinder aus der Gegend hatten die Filmchen hochgeladen, zusammen mit einem Titel, der mindestens fünf Ausrufezeichen zu viel aufwies. Das faszinierendste dieser Videos war mit »HEILIGE SCHEISSE!!!!!!« betitelt und verbreitete sich schon unmittelbar nach der Veröffentlichung wie ein Lauffeuer, um innerhalb kürzester Zeit eine beeindruckende halbe Million Online-Klicks zu verbuchen. Als Mack die Eltern des Kindes befragte, besaßen sie die Frechheit, die Sache mit einem Lachen als Schwindel abzutun. Sie hatten den Jungen zwar für sein Tun bestraft, doch seine Mom und sein Dad hatten keine Ahnung, wie sie das Video wieder offline nehmen konnten. Was bedeutete, dass Mack ohne irgendwelche konkreten Hinweise, denen sie nachgehen konnte, auf Sardinien festsaß, Tausende Meilen entfernt von zuhause. Doch was am schlimmsten war: ohne Story. Ihr Trip dorthin hatte eine Menge Geld verbrannt. Vermasselte Aufträge kamen bei ihren Vorgesetzten gar nicht gut an. So kam es, dass sie zum ersten Mal in ihrer Karriere beschloss, sich etwas aus den Fingern zu saugen, zumal sie ehrlichen Herzens glaubte, dass sich in Cabras tatsächlich etwas Außergewöhnliches zugetragen hatte, und sie war bereit, zusammen mit dem Schiff unterzugehen, um zumindest das Wenige zu veröffentlichen, das sie zusammentragen konnte. Die Welt wimmelte nur so vor Fake News, und sie ging nicht davon aus, dass irgendjemandem ein kleiner Scheit Brennholz auf diesem riesigen Feuer mehr auffallen würde. Sie schmückte die Geschichte aus und stopfte bei Bedarf die Löcher in der Story. Mit anderen Worten: Sie log. Praktisch in derselben Minute, in der der Artikel online ging, erhielt der Chefredakteur des renommierten Magazins, für das sie arbeitete, die ersten entsprechenden Mitteilungen. Er hatte keine Ahnung, dass große Teile der Story ihrer Fantasie entsprungen waren. Sobald sich die Geschichte verbreitete, rief der Bürgermeister von Cabras den Hauptsitz von National Geographic in Washington, D. C. an und verlangte, den Geschäftsführer zu sprechen. Unnötig zu sagen, dass ihr Boss, eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, nicht glücklich über das war, was er als »Fälschung und Schwindel« bezeichnete. Noch nie zuvor hatte sich der aktuelle CEO einem Politiker gegenüber rechtfertigen müssen. Bis ihm Mack in die Quere kam. Als sie da an ihrem Computer saß, war sie fest davon überzeugt, erledigt zu sein. Sie wartete darauf, online gefeuert zu werden. Dabei versuchte sie sogar, ihren Bossen quasi als Entschädigung eine andere Story schmackhaft zu machen, und verwendete den Großteil ihres Gesparten darauf, ihren Fehler wieder in Ordnung zu bringen. Auf der Suche nach einem sagenumwobenen Raubtier reiste sie nach Brasilien und tat sich hierfür mit demselben langhaarigen – und dummerweise ziemlich attraktiven - Arschloch zusammen wie in Cabras, mit einem Mann, den sie erst zu bewundern lernte … und dann zu hassen. Zwar fanden sie ihr Monster, doch abgesehen davon erwies sich die Mission zumindest aus ihrer Warte letzten Endes als totaler Reinfall. Als sie ihn das letzte Mal sah, hob er gerade mit einem Helikopter ab, in der Hand ihr kostbares Notizbuch. So ging eine weitere bahnbrechende Story den Bach runter. Zum Glück für Mack hatte jemand von der Regierung ihre Vorgesetzten kontaktiert und angeregt, dass sie so tun sollten, als sei die ganze Sache in Brasilien niemals passiert. Die Tatsache, dass ihre Bosse einwilligten, die Angelegenheit zu vertuschen, war gleichermaßen überraschend wie ermutigend. Man würde Mack dafür keine Vorhaltungen machen. Sie war vor etwaigen potenziellen Repressalien sicher. Jedenfalls fürs Erste. Trotz allem, was sie angerichtet hatte, wurde Mack dennoch nicht fristlos gefeuert. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihre Arbeit mehr als mustergültig gewesen – bis zu der Cabras-Story und dem Vorfall in Brasilien, der offiziell nie stattgefunden hatte. Jeder in der Geschichtsabteilung des Magazins kannte sie als fleißige Mitarbeiterin, als jemanden, zu dem die Neuangestellten aufschauten. Deshalb wurde Mack nicht entlassen, sondern für vier Wochen ohne Bezahlung suspendiert. Außerdem landete der Zwischenfall in ihrer Firmenpersonalakte. Fortan würde sie für alle Zeiten auf dem Schleudersitz sitzen. Noch ein einziger weiterer Patzer und ich bin raus. Vor ihrem geistigen Auge ließ sie einen Teil der Videokonferenz Revue passieren. »Tut mir leid«, sagte Mack. »Ich schätze, ich habe immer noch daran zu knabbern, was passiert ist. Gut möglich, dass ich zu vorschnell war und zu früh zurückgekommen bin. Ich bin einfach in Panik geraten und habe eine Dummheit gemacht.« Die Frau, die auf der anderen Seite des Computermonitors saß, wusste von Macks herzzerreißendem Verlust. Julia Hodges hatte jahrelang mit Mack und auch mit ihrem unlängst verstorbenen Vater zusammengearbeitet, der ebenfalls lange als Autor für NatGeo tätig gewesen war. Peter Moore hatte über dreißig Jahre lang für das Magazin geschrieben und wurde angeheuert, nur wenige Tage, nachdem Julia, die gegenwärtige Chefredakteurin, an Bord gekommen war. Die beiden dienstältesten Mitarbeiter des Unternehmens standen einander sehr nahe und arbeiteten auch einige Zeit draußen an der Front zusammen, bis Julia schließlich in die Redaktion versetzt wurde. Julia war der einzige Grund dafür, warum Mack trotz allem noch immer ihre Stelle hatte. Vor fünf Jahren war bei Macks Vater eine frühe Form der Demenz diagnostiziert worden, und da er das Schlimmste fürchtete, war er unverzüglich mit ihr zusammengezogen. Sechs Monate später reckte das Schlimmste sein hässliches Haupt, als er ihre Adresse vergaß, die Adresse des Hauses, das sich seit Jahrzehnten im Familienbesitz befand. Dann, anderthalb Jahre darauf, konnte er sich schon nicht mehr an den Namen seiner verstorbenen Frau erinnern. Catherine, Macks Mom, war eines Nachts friedlich eingeschlafen, kaum ein Jahr vor der Diagnose ihres Vaters. Ein dritter Ausbruch von Leukämie war einfach zu viel für ihren ohnehin schon geschwächten Körper gewesen. Mack schwor, sich bis zum Tag seines Todes um ihren Vater zu kümmern. Dieser Tag lag mittlerweile etwas über einen Monat zurück. Eines Abends hatte er ziemlich neben sich gestanden und war in den strömenden Regen hinausgelaufen. Es dauerte nicht lange, bis er sich verirrte und stundenlang draußen in der Sintflut blieb. Die ganze Zeit, seit seinem Verschwinden, war Mack auf der Suche nach ihm kreuz und quer durch die Stadt gefahren. Schließlich fand sie ihn, durchweicht bis auf die Knochen, im Rinnstein vor dem Lieblingsrestaurant ihrer Mutter. Die Lungenentzündung, die er sich dabei einfing, machte ihm schwer zu schaffen, und er sollte sich nie wieder davon erholen. »Mack«, sagte Julia, bevor sie den Anruf beendete, »was ich dir jetzt sage, sage ich dir als Freundin. Als dein Boss werde ich dich nicht anlügen, indem ich dir weismache, dass es keinerlei Vorbehalte gebe, dich wieder da raus an die Front zu schicken.« Macks Augen wurden groß. »Doch ich habe das Gefühl, dass ich es Peter und dir schulde, dir einen Blick auf die Sachen zu gewähren, an denen er zuletzt gearbeitet hat. Vielleicht hilft dir das irgendwie, die Sache für dich abzuschließen und mit deinem Leben weiterzumachen.« »Wovon redest du da eigentlich?«, fragte Mack unsicher. Sie wusste nichts von irgendwelchen unvollendeten Artikeln, die ihr Dad bei seinem Tod zurückgelassen hatte. »Dein Vater hat an etwas gearbeitet – an etwas, von dem er sich nicht sicher war, ob ich bereit sein würde, es zu veröffentlichen.« Julias Blick wurde ernst. »Allerdings...