E-Book, Deutsch, 409 Seiten
Reihe: narr STUDIENBÜCHER
Janich Textlinguistik
2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2019
ISBN: 978-3-8233-0106-6
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
15 Einführungen und eine Diskussion
E-Book, Deutsch, 409 Seiten
Reihe: narr STUDIENBÜCHER
ISBN: 978-3-8233-0106-6
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Textlinguistik ist eine zentrale Teildisziplin der Germanistik und anderer Philologien. Da ,Text' als zentraler Gegenstand der Sprach- und Literaturwissenschaft gelten kann, kommt man im Studium an einer Auseinandersetzung mit einem zunehmend weiter gefassten Textbegriff und seinen Implikationen für das Schreiben, das Verstehen, die medienspezifische Gestaltung und die gesellschaftliche Wirksamkeit von Texten nicht vorbei. Aus einer Textlinguistik-Ringvorlesung entstanden, bietet das vorliegende Studienbuch eine Art Anthologie, die zusammenfassende Überblicksbeiträge renommierter Autor:innen mit explizitem Einführungscharakter zusammenstellt. Grafisch gekennzeichnete Textbausteine markieren theoretische und methodische Probleme, Arbeitsanregungen und Forschungsdesiderata sowie ausgewählte und kommentierte Literaturtipps und sorgen insgesamt für schnelle Orientierung. Mit Beiträgen von Kirsten Adamzik, Gerd Antos, Eva Martha Eckkrammer, Ulla Fix, Christina Gansel/Frank Jürgens, Susanne Göpferich, Wolfgang Heinemann, Eva-Maria Jakobs, Nina Janich, Peter Koch/Wulf Oesterreicher, Andreas Lötscher, Peter Sieber, Manfred Stede, Angelika Storrer, Christiane von Stutterheim/Wolfgang Klein, Ingo H. Warnke
Prof. Dr. Nina Janich ist Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft an der TU Darmstadt.
Autoren/Hrsg.
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1.2 Die Kategorie ‚Text‘
Was ist eigentlich ein Text? Kann man sich auf die alltagssprachlichen Vorstellungen verlassen, die man als Antwort bekommt, wenn man nichtlinguistisch gebildete „Durchschnittssprachteilnehmer“ nach ihrer Vorstellung von Text fragt? Wissen wir also alle, was ein Text ist? Daraufhin befragte Sprachteilnehmer bestimmen das Phänomen Text ziemlich übereinstimmend, wenn auch nicht in denselben Formulierungen, als eine über den Satz hinausgehende, abgeschlossene, thematisch gebundene, sinnvolle sprachliche Einheit, wobei zumeist schriftliche Äußerungen im Blick sind. Zum Alltagswissen über Text gehört auch das Wissen über Funktionen und Muster gebräuchlicher Textsorten. Textexemplare häufig gebrauchter Textsorten (z.B. Bewerbungsschreiben, Einladungen, institutionelle Briefe verschiedener Art) können sowohl (mehr oder weniger) angemessen hergestellt als auch als Texte dieser Textsorten erkannt und rezipiert werden. Mit diesem alltagssprachlichen Befund hat man nun zwar das einschlägige Wissen der „Durchschnittssprachteilnehmer“ erkundet und damit den Wissensfundus, der gebraucht wird, um Textverstehen zu sichern, das uns ja in der Mehrzahl der Fälle erstaunlicherweise auch gelingt. Was wir damit aber noch nicht erreicht haben, ist die für die wissenschaftliche Betrachtung, d.h. das tiefere Eindringen in das Problem nötige Systematik, Verallgemeinerbarkeit, Vergleichbarkeit und Widersprüche ausschließende Objektivierung, kurz ein Erkenntnisgewinn durch Theoretisierung. Die Bemühungen in diese Richtung, von denen es im Zusammenhang mit der Textbestimmung und der Textklassifizierung vielfältige gibt, haben unser Wissen über den Text in vieler Hinsicht erweitert, differenziert und vertieft. Einen/den einheitlichen Textbegriff haben diese Arbeiten aber nicht gebracht. Zum Glück, möchte man sagen; denn der eine – notwendigerweise selektive und reduzierende – Textbegriff, auf den man dann festgelegt wäre, würde – ebenfalls wichtige – Aspekte ausschließen und damit mögliche Zugänge zum Phänomen ‚Text‘ verbauen. Die Gefahr einer solchen Festlegung besteht, wie die Erfahrung zeigt, aber deshalb gar nicht, weil die Ausgangsfragen und Erkenntnisinteressen, mit denen man an das Phänomen Text herangeht, zu verschieden sind und in jeweils andere, immer aufschlussreiche Richtungen führen. So wird, vereinfacht gesagt, Text u.a. verstanden als Verkettung von Sätzen, als Zeichenfolge mit einer Funktion, als thematische Einheit, als Mittel sprachlichen Handelns, als auf Wissensvoraussetzungen angewiesenes Konstrukt (ausführlicher dazu Adamzik 2004: 38ff.). Es leuchtet ein, dass von den sehr verschiedenen – morphologisch-syntaktischen, lexikologisch-semantischen, kognitiven, pragmatischen, semiotischen – Gesichtspunkten immer nur bestimmte in spezifischer Kombination eine Rolle spielen, jeweils nur in der für die jeweilige Textauffassung geeigneten Auswahl. Wenn man sich jedoch zunächst eine allgemeine Vorstellung verschaffen will, wie es die LeserInnen eines Einführungsbandes ja sicher anstreben, ist ein spezieller Einstieg noch nicht angeraten, sondern es scheint sinnvoll, zunächst einmal auf diese verschiedenen Aspekte einzugehen, ehe man dann, in einem zweiten Schritt, der z.B. die eigene vertiefte Beschäftigung mit einem der Aspekte in einer wissenschaftlichen Haus- oder Abschlussarbeit sein könnte, sich einem Problemkreis genauer zuwenden kann. Daher soll in diesem Beitrag ein solch offener Ansatz gewählt werden, der verschiedene in der Literatur diskutierte Zugänge zum Text zeigt und der es darüber hinaus auch erlaubt, Ergänzungen vorzunehmen und neue Aspekte einzuführen. Bevor wir uns diesem Ansatz zuwenden, treffe ich noch folgende Festlegungen: Es werden nur schriftliche Texte betrachtet. Die Beschäftigung mit gesprochenen Texten einschließlich der Klärung der Frage, ob Gespräche überhaupt als Texte zu betrachten sind, würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen (siehe hierzu auch die Einleitung). Ich gehe davon aus, dass sich eine „textliche Einheit“, das also, was als ein vollständiger Text zu betrachten ist, zum einen aus unserem Textsortenwissen ergibt. Wir wissen aus Erfahrung, wie Texte bestimmter Textsorten eröffnet und abgeschlossen werden. Wir kennen also Anfangs- und Endsignale. Eine Texteinheit kann außerdem aus ihrem Handlungszusammenhang deutlich werden und auch daran, dass sie eine spezifische Textfunktion verfolgt. Man muss aber auch damit rechnen, dass Textgrenzen nicht immer scharf gezogen sind. Unschärfe ist ein Phänomen, das bei der Betrachtung von Sprache nicht unsicher machen darf. In einem sozial bestimmten und sich natürlich entwickelnden Bereich, wie es der Gebrauch einer Sprache ist, kann man absolute Trennschärfe zwischen den Phänomenen nicht erwarten. Für einen offenen Zugriff auf das Textphänomen bietet es sich an, zunächst einmal auf die fast „klassisch“ gewordenen (wenn auch zugleich in die Kritik geratenen) KRITERIEN DER TEXTUALITÄT zurückzukommen, wie sie Beaugrande/Dressler (1981) in ihrem Buch „Einführung in die Textlinguistik“ vorgestellt und expliziert haben: Es sind die folgenden: KOHÄSION, KOHÄRENZ, INTENTIONALITÄT, AKZEPTABILITÄT, INFORMATIVITÄT, SITUATIONALITÄT, INTERTEXTUALITÄT (genauer unter 1.3). Dass man dabei nicht stehen bleiben darf, ja dass diese Kriterien auch kritisch zu betrachten sind, ist gegenwärtig ebenso Konsens wie die Praxis, dass sich nahezu jede Auseinandersetzung mit dem Textbegriff an der Arbeit der beiden Autoren – zustimmend und/oder kritisch, das Gesagte einfach wiedergebend oder es fortführend – orientiert. Feilke (2000: 76) z.B. spricht von „völlig heterogenen Theorietraditionen“ der Kriterien. Anders dagegen äußern sich Adamzik (2004) und Warnke (2002), die den Kriterien durchaus einen erkenntnisfördernden Wert zusprechen. Es lohnt sich, die Argumentationen der drei Autoren durch die Lektüre der genannten Arbeiten nachzuvollziehen. Warnke meint sogar, dass die Kriterien der Textualität nach Beaugrande/Dressler nicht nur „noch immer einschlägig“ seien, sondern dass sie sogar „gleichsam die Matrixkarte der Textlinguistik“ bildeten (Warnke 2002: 127). In einem zusammen mit Gerhard verfassten Aufsatz wird gezeigt, wie man die Kriterien erfolgreich als eine Richtschnur für Untersuchungen einsetzen kann, und dies sogar auch in der Analyse von über den sprachlichen Text hinausgehenden nicht-sprachlichen zeichenhaften Artefakten (Stadt als Text, Warnke/Gerhard 2006, siehe 1.6). Im vorliegenden Beitrag sollen die TEXTUALITÄTSKRITERIEN gleichsam als ein Rahmen dienen, in dem man sich über Textualitätseigenschaften Gedanken macht. Genauer gesagt: Die von Beaugrande/Dressler so genannten „Kriterien“ werden nicht als ausschließliche Kriterien gebraucht, sondern als „Beschreibungsdimensionen für wesentliche Eigenschaften von (prototypischen) Texten“ (Adamzik 2004: 53), die auch ergänzt werden können. Man kann sie sich – in einem gedanklichen Bild – als um einen Kern herum geordnet vorstellen, vom engeren transphrastischen hin zu weiteren Kriterien. Die Ausführungen von Adamzik (2004) und Sandig (2006: 309ff.) stellen diesen Kriterien jeweils eine Auffassung von Texteigenschaften als Elemente eines prototypischen Textverständnisses gegenüber. Hier steht das Prototypische eines Textes, das, was ihn zu einem guten, d.h. typischen Vertreter seiner Kategorie macht, im Mittelpunkt, weniger entscheidende Merkmale rücken an den Rand (so auch in Kap. 14). Der Hinweis auf das Prototypische ist eine wichtige Bereicherung, die nicht notwendig die Kriterien von Beaugrande/Dressler „aushebeln“ muss, sondern zu einem differenzierteren Gebrauch dieser Beschreibungsdimensionen anregt. Die sieben „Beschreibungsdimensionen“ erlauben es in ihrer Offenheit, das Interesse über die geläufigen Perspektiven hinaus auf andere Gesichtspunkte und neue Fragestellungen zu richten, so dass ein weiterer Blick auf den Gegenstand Text möglich wird und bisher wenig oder gar nicht im Blick befindliche Perspektiven eröffnet werden können. Zu diesen bisher weniger beachteten Blickrichtungen gehört die auf den Stil. Grundsätzlich – daran kommt man nicht mehr vorbei – wird man die Beziehung vonText und Stil, die für Beaugrande/Dressler von geringer Bedeutung waren, berücksichtigen müssen. Das hat in jüngster Zeit Sandig mit ihrer umfangreichen „Textstilistik“ (22006) besonders deutlich gemacht. Zieht...