Jarausch / Grüttner / Middell | Gebrochene Wissenschaftskulturen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Jarausch / Grüttner / Middell Gebrochene Wissenschaftskulturen

Universität und Politik im 20. Jahrhundert. EBook
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-647-35899-4
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection

Universität und Politik im 20. Jahrhundert. EBook

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-647-35899-4
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection



Dieser Band regt eine kritische Universitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts an, indem er die Wechselbeziehung von politischen Systembrüchen und Wissenschaftsentwicklungen untersucht, deutsche Tendenzen mit internationalen Trends vergleicht und die gegenwärtige Reformdebatte in eine Langzeitperspektive einbettet. Er geht vom vermeintlichen Verlust der Weltgeltung deutscher Wissenschaft in der Weimarer Republik aus, analysiert die Selbstmobilisierung der Forschung im Dritten Reich und kontrastiert abschließend die Modernisierungsprobleme der DDR und der Bundesrepublik.
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Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Title Page
;4
3;Copyright
;5
4;Table of Contents
;6
5;Body
;10
6;Vorwort;10
7;Michael Grüttner / Rüdiger Hachtmann / Konrad H. Jarausch / Jürgen John / Matthias Middell Wissenschaftskulturen zwischen Diktatur und Demokratie Vorüberlegungen zu einer kritischen Universitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts;12
8;I. Von der Weltgeltung zur Not deutscher Wissenschaft?;24
9;Jürgen John Universitäten und Wissenschaftskulturen von der Jahrhundertwende 1900 bis zum Ende der Weimarer Republik 1930/33;24
10;Sylvia Paletschek Was heißt „Weltgeltung deutscher Wissenschaft?“ Modernisierungsleistungen und -defizite der Universitäten im Kaiserreich;30
11;Gabriele Metzler Deutschland in den internationalen Wissenschaftsbeziehungen, 1900 – 1930;56
12;Sören Flachowsky Krisenmanagement durch institutionalisierte Gemeinschaftsarbeit Zur Kooperation von Wissenschaft, Industrie und Militär zwischen 1914 und 1933;84
13; Jürgen John „Not deutscher Wissenschaft“? Hochschulwandel, Universitätsidee und akademischer Krisendiskurs in der Weimarer Republik ;108
14;II. Zwischen Autonomieverlust und Selbstmobilisierung (1930 – 1945);144
15;Michael Grüttner / Rüdiger Hachtmann Wissenschaften und Wissenschaftler unter dem Nationalsozialismus Selbstbilder, Praxis und Ressourcenmobilisierung;144
16;Michael Grüttner Nationalsozialistische Wissenschaftler : ein Kollektivporträt;150
17;Carola Sachse / Mark Walker Naturwissenschaften, Krieg und Systemverbrechen Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im internationalen Vergleich 1933 – 1945;168
18;Patrick Wagner Forschungsförderung auf der Basis eines nationalistischen Konsenses Die Deutsche Forschungsgemeinschaft am Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus;184
19;Rüdiger Hachtmann Die Wissenschaftslandschaft zwischen 1930 und;2
20;Profilbildung und Ressourcenverschiebung;194
21;III. Tradition und Modernisierungsversuche im deutsch-deutschen Vergleich (1945– 1990);210
22;Matthias Middell Ähnlichkeiten und Unterschiede im Vergleich der deutschen Wissenschaftssysteme nach 1945;210
23;Mitchell G. Ash Konstruierte Kontinuitäten und divergierende Neuanfänge nach 1945 .;216
24;Tobias Kaiser Planungseuphorie und Hochschulreform in der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz;248
25; Ralph Jessen Massenausbildung, Unterfinanzierung und Stagnation Ost- und Westdeutsche Universitäten in den siebziger und achtziger Jahren ;262
26;Matthias Middell Auszug der Forschung aus der Universität?;280
27;IV. Die deutschen Hochschulen seit 1990: Provinzialität oder Rückkehr zur Exzellenz?;304
28;Konrad H. Jarausch Doppelter Umbruch Die Transformation ostdeutscher Hochschulen und die gesamtdeutsche Hochschulreform;304
29;Peer Pasternack Erneuerung durch Anschluss? Der ostdeutsche Fall ab 1990;310
30;Konrad H. Jarausch Säuberung oder Erneuerung? Zur Transformation der Humboldt-Universität 1985–2000;328
31;Detlef Müller-Böling Entfesselung von Wettbewerb Von der Universität zum differenzierten Hochschulsystem;354
32;Peter Strohschneider Zu einigen aktuellen Entwicklungslinien des deutschen Wissenschaftssystems;368
33;Autorinnen und Autoren ;380


Doppelter Umbruch (S. 303-304)

Konrad H. Jarausch

Die Transformation ostdeutscher Hochschulen und die gesamtdeutsche Hochschulreform

Über den jüngsten Abschnitt der Universitäts- und Wissenschaftsentwicklung, der bis an die Gegenwart heranreicht, gehen öffentliche Kommentarewie wissenschaftliche Bewertungen weit auseinander, weil das endgültige Resultat vieler Veränderungen noch nicht abzusehen ist. Auch spielen internationale Einflüsse, teils als äußere Vorbilder, teils als EU-Interventionen, eine immer größere Rolle, deren Stoßrichtung wie Folgen jedoch umstritten bleiben. Im Mittelpunkt der letzten Entwicklungen steht ein doppelter Umbruch – die Umgestaltung des ostdeutschen Hochschulsystems im Zuge der Vereinigung und die vom Bologna-Prozess ausgelösten Reformversuche in Gesamtdeutschland.

Die Beurteilung dieser Entwicklungen wird durch einen zwiefachen Opferdiskurs kompliziert, der einerseits die Verdrängung der ostdeutschen Sozial- und Geisteswissenschaftler beklagt, andererseits eine besondere Bedrohung dieser Bereiche im vereinigten Deutschland durch Verschulung, Ökonomisierung und Evaluierung konstatiert. Gerade wegen ihrer Emotionalität und Popularität sollten solche Klagen durch eine distanziertere historische Verlaufsanalyse überprüft werden.

1. Obwohl die Umwandlung der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft im Zuge der Vereinigung inzwischen abgeschlossen ist, steht die empirische Erforschung der Entscheidungen erst in den Anfängen. Der Versuch der Selbstreform durch eine systemkritische Minderheit von innen wurde im Herbst 1990 durch den Beitritt der neuen Bundesländer überholt, so dass aufgrund der politischen Rahmenbedingungen nur noch eine strukturelle Einpassung der DDR-Forschung in das westdeutsche Wissenschaftssystem möglich blieb.

Dabei fanden widersprüchliche Entwicklungen statt: Zwar wurden im Sinne sozialer Befriedung ostdeutsche Bildungsabschlüsse generell anerkannt, aber die Akademie derWissenschaften mit 59 Instituten und etwa 22.000 Wissenschaftlern wurde abgewickelt und einzelne Bestandteile in die dezentrale außeruniversitäre Forschungsstruktur der Bundesrepublik überführt. Obwohl fast alle Hochschulen weiterexistierten und sogar einige Neugründungen wie in Frankfurt/Oder und Erfurt stattfanden, wurden Formen und Inhalte der Universitäten in Ostdeutschland an das traditionelle westdeutsche Muster von Staatsaufsicht und Autonomie angeglichen.

Kein Wunder, dass eine so massive Umstrukturierung je nach persönlichen Erfahrungen entweder als überfällige Befreiung oder als Überwältigung von außen empfunden wurde, da die drastischen Veränderungen Chancen wie Bedrohungen mit sich brachten. Auch führte die Wiederherstellung des Kulturföderalismus zu unterschiedlichen Entscheidungen in den neuen Bundesländern. Obwohl die meisten naturwissenschaftlich-technischen Akademieinstitute mit reduziertem Personal in neuer Trägerschaft überlebten (MPG, Fraunhofer, Helmholtz, WGL), wurden sechs sozial- und geisteswissenschaftliche Institute wegen ihrer Inkompatibilität mit westlichen Strukturen aufgelöst und ihre Mitarbeiter entlassen. Auch scheiterte die Eingliederung von positiv evaluierten Wissenschaftlern in die Universitäten an fehlenden Mitteln.

In den Hochschulen wurde das Personal auf Stasimitarbeit, wissenschaftliche Qualität und Passfähigkeit für neue Curricula überprüft, wodurch weitere Forscher aussortiert wurden. Jedoch wurde die Ausstattung mit Geräten und Büchern erheblich verbessert und Anschluss an den internationalen Forschungsstand gewonnen. Die Umstellung wurde dadurch erschwert, dass sie im laufenden Betrieb stattfand, da die Studenten ein Recht auf kontinuierliche Lehre hatten.


Middell, Matthias
Prof. Dr. Matthias Middell lehrt Kulturgeschichte und ist Direktor des Global and European Studies Institute, des Graduiertenzentrums Geistes- und Sozialwissenschaften der Research Academy und des Centre for Area Studies der Universität Leipzig.

Hachtmann, Rüdiger
Dr. Rüdiger Hachtmann ist apl. Professor an der Technischen Universität Berlin und Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

Grüttner, Michael
Dr. Michael Grüttner ist apl. Professor für Neuere Geschichte an der Technischen Universität Berlin.

Kaiser, Tobias
Dr. Tobias Kaiser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Berlin.

Middell, Matthias
Prof. Dr. Matthias Middell lehrt Kulturgeschichte und ist Direktor des Global and European Studies Institute, des Graduiertenzentrums Geistes- und Sozialwissenschaften der Research Academy und des Centre for Area Studies der Universität Leipzig.

Ash, Mitchell G.
Dr. Mitchell G. Ash ist ordentlicher Universitätsprofessor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien. Er leitet dort die Arbeitsgruppe Wissenschaftsgeschichte und ist Sprecher des multidisziplinären Doktoratskollegs 'Naturwissenschaften im historischen, philosophischen und kulturellen Kontext'.

Metzler, Gabriele
Dr. Gabriele Metzler ist Professorin für die Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Jarausch, Konrad H.
Dr. Konrad H. Jarausch ist Senior Fellow des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Lurcy Professor of European Civilization an der University of North Carolina.

John, Jürgen
Dr. Jürgen John ist em. Professor für Geschichte an der Universität Jena.

Grüttner, Michael
Dr. Michael Grüttner ist apl. Professor für Neuere Geschichte an der Technischen Universität Berlin.

Hachtmann, Rüdiger
Dr. Rüdiger Hachtmann ist apl. Professor an der Technischen Universität Berlin und Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

John, Jürgen
Dr. Jürgen John ist em. Professor für Geschichte an der Universität Jena.

Jarausch, Konrad H.
Dr. Konrad H. Jarausch ist Senior Fellow des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Lurcy Professor of European Civilization an der University of North Carolina.



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