E-Book, Deutsch, Band 11, 234 Seiten
Reihe: Viktimologie und Opferrechte (VOR). Schriftenreihe der Weisser Ring Forschungsgesellschaft
Jesionek / Sautner Hilfe und Unterstützung für Terroropfer
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7065-6365-9
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 11, 234 Seiten
Reihe: Viktimologie und Opferrechte (VOR). Schriftenreihe der Weisser Ring Forschungsgesellschaft
ISBN: 978-3-7065-6365-9
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Lyane Sautner Der Status von Terroropfern im österreichischen Strafprozess
1. Einleitung
Der Terroranschlag in Wien im November 2020 hat tiefe Spuren und viele Opfer hinterlassen. Er regt zu der Frage an, welchen Status Terroropfer im österreichischen Strafprozess haben und über welche prozessualen Rechte sie verfügen. Dazu bedarf es zunächst einer Klärung, was Terrorismus ist und wer seine Opfer sind.1 Schon der Versuch, sich diesen Vorfragen anzunähern, stellt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Denn Terrorismus ist ein vielgestaltiges Phänomen, das sich einer einfachen Definition entzieht.2 Die definitorischen Schwierigkeiten haben ihre Wurzeln in der wechselvollen Begriffsgeschichte des Terrorismus ausgehend vom Verständnis des Terrors3 als staatliche Schreckensherrschaft zur Zeit der französischen Revolution4 bis hin zur Etikettierung eines jeden Gewaltaktes, der sich gegen die Gesellschaft richtet, als terroristisch.5 Der Zuschreibung, ein Regime, eine Organisation oder ein Verhalten sei terroristisch, liegt ein starkes moralisches Werturteil zu Grunde,6 das die politische Instrumentalisierung des Begriffs „Terrorismus“ fördert und die Begriffsbestimmung folglich weiter erschwert.7 So wird darauf verwiesen, das Definitionsproblem des Terrorismus sei kein „akademische[r] Streit um Worte“, sondern ein „politischer Streit um Überzeugungen“8. ZT wird in der wissenschaftlichen Debatte der Begriff „Terrorismus“ deshalb rundweg abgelehnt.9 Eine weitere Hürde der Begriffsbestimmung ist in der Abgrenzung des Terrorismus von legitimem Widerstand gegen Fremdherrschaft und Besatzung zu sehen, der besonders für Staaten, die ihre Unabhängigkeit im Widerstand gegen die Kolonialherrschaft erlangten, von zentraler Bedeutung ist.10 Den VN ist es vor diesem Hintergrund bislang nicht gelungen, eine gemeinsame Definition von Terrorismus zu verabschieden, wiewohl zahlreiche Dokumente der VN und ihrer Sonderorganisationen existieren, die spezifische Aspekte terroristischer Gewalt ächten.11 Demgegenüber legte der Rat der EU mit dem RB (JI) 2002/475 vom 13. 6. 2002 zur Terrorismusbekämpfung12 eine Definition des Terrorismus vor, die im Jahr 2017 von der Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie13 übernommen wurde. Diese Definition, auf die im folgenden Abschnitt (2.1.1) näher eingegangen wird, nimmt insofern Anleihe an gängigen sozialwissenschaftlichen Begriffsbestimmungen des Terrorismus, als sie das Phänomen des Terrorismus anhand mehrerer Merkmale charakterisiert.14 Das führt zwar zu einem hohen Differenzierungsgrad, trägt aber der Vielgestaltigkeit des Terrorismus in der Realität Rechnung. Eine große Zahl an Terrorismus-Definitionen erschwert selbst den Versuch, daraus ein Begriffsdestillat zu gewinnen, das als kleinster gemeinsamer Nenner gelten darf. So erbrachte eine sozialwissenschaftliche Untersuchung von Alex P. Schmid bereits zu Beginn der 1980er Jahre über hundert Begriffsbestimmungen von Terrorismus, die zwischen 1936 und 1981 entwickelt worden waren.15 Kein einziges der vom Studienautor daraus gewonnen 22 charakteristischen Merkmale von Terrorismus16 war all diesen Definitionen gemeinsam.17 Diese Begriffsvielfalt spiegelt sich auf der Opferseite des Terrorismus wider: Es liegt auf der Hand, dass Terroropfer nur sein kann, wer von einem Akt des Terrorismus – direkt oder indirekt – betroffen ist. Wie weit man die Grenze des Terrorismus zieht, bestimmt somit auch, wer dessen Opfer sind. Eine Eigenheit des Terrorismus besteht darin, dass die ausgewählten Opfer zumeist nicht die eigentlichen Ziele eines Terrorakts sind. Vielmehr haben sie instrumentelle Bedeutung, wenn es um die Erschütterung der Gesellschaft durch Terrorismus geht.18 Anonyme und vordergründig austauschbare Opfer mögen auf Grund der damit assoziierten Willkür der Opferauswahl die von einem Terrorakt in der Bevölkerung ausgelöste Betroffenheit sogar noch verstärken.19 Dennoch führten Terroropfer in der öffentlichen Wahrnehmung und historischen Forschung lange ein Schattendasein als Aspekt eines Terrorismus, der als „Zweikampf zwischen dem Staat und seinen Gegnern“20 verstanden wurde. Der in jüngerer Zeit zunehmenden und disziplinenübergreifenden Hinwendung zu Terroropfern wurde allgemein durch die „Wiederentdeckung des Verbrechensopfers“21 der Boden bereitet. Die verstärkte Aufmerksamkeit, die Terroropfer erfahren, lässt sich jedoch auch dahingehend deuten, dass dem Leid des Einzelnen insbes dann eine wesentliche Bedeutung beigemessen wird, wenn es in ein Schadensereignis großer Dimension eingebettet ist. Während aus der Perspektive der Terrorist*innen Opfer schlicht Mittel zum Zweck sind, führt die Frage nach der Stellung von Terroropfern im Strafprozess auf die Ebene des Individuums zurück. Im österreichischen Strafprozess haben Opfer den Status eines Prozesssubjekts, das – in gewissen Grenzen – zur Mitwirkung am Strafprozess berechtigt ist.22 Wenn der vorliegende Beitrag den Status und die Rechte von Terroropfern im österreichischen Strafprozess beleuchtet, so tut er dies unter Bezugnahme auf die einschlägigen europäischen Rechtsquellen, um eine Grundlage für die Beantwortung der Frage zu schaffen, ob die österreichische Rechtslage den daraus erwachsenden Vorgaben gerecht wird. 2. Terrorismus und seine Opfer
2.1 Terrorismus als Kategorie des Rechts
2.1.1 Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung Am 17. 3. 2017 wurde die Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie und zur Ersetzung des RB (JI) 2002/475 des Rates und zur Änderung des B (JI) 2005/671 des Rates23 erlassen. Die Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie ist seither die zentrale Rechtsgrundlage in der EU, um der zunehmenden Bedrohung durch Terrorismus entgegenzutreten. Wie auch der ihr vorangehende RB zur Terrorismusbekämpfung24 aus dem Jahr 2002 entstand sie im Eindruck von Terrorakten: Waren es zu Anfang des Jahrtausends die Anschläge der al-Quaida vom 11. 9. 2001 in den USA, bei denen knapp 3.000 Menschen den Tod fanden und über 6.000 Menschen verletzt wurden,25 so waren es am 13. 11. 2015 die ebenfalls islamistisch motivierten Anschläge in Paris, die 130 Menschenleben forderten und mehr als 350 Menschen verletzten.26 Die auf Art 83 Abs 1 AEUV gründende Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie dient der Umsetzung einer von drei Prioritäten der Europäischen Sicherheitsagenda aus dem Jahr 2015, zu der neben der Bekämpfung von Terrorismus und „Foreign Terrorist Fighters“ die Bekämpfung von grenzüberschreitender organisierter Kriminalität sowie von Cybercrime zählt.27 In ihren Erwägungen betont die Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie die Dimension terroristischer Akte: „Terroristische Handlungen zählen zu den schwersten Verstößen gegen die universellen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität sowie der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, auf die sich die Union gründet. Sie stellen zudem einen der schwersten Angriffe auf die Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit dar, die allen Mitgliedstaaten gemein sind und die der Union zugrunde liegen.“28 Um derartigen Angriffen auf die Grundfesten eines friedlichen menschlichen Zusammenlebens angemessen begegnen zu können, ist es – auch unter Berücksichtigung der Entwicklung der terroristischen Bedrohung für die EU und ihre Mitgliedstaaten – Ziel der Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie, die Definition terroristischer Straftatbestände, von Straftatbeständen iZm einer terroristischen Vereinigung sowie iZm terroristischen Aktivitäten in allen Mitgliedstaaten weiter anzugleichen.29 Die Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie setzt damit den mit dem RB zur Terrorismusbekämpfung eingeschlagenen Weg fort. Sie übernimmt von diesem in der Fassung aus dem Jahr 200830 mit lediglich geringfügigen Änderungen die Definition terroristischer Straftaten (Art 3) bzw der Straftaten iZm einer terroristischen Vereinigung (Art 4) sowie die Tatbestände der öffentlichen Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat (Art 5), der Anwerbung (Art 6) und Durchführung einer Ausbildung (Art 7) für terroristische Zwecke. Dem Deliktskatalog neu hinzugefügt werden das Absolvieren einer Ausbildung (Art 8) und Reisen (Art 9) für terroristische Zwecke sowie die Terrorismusfinanzierung (Art 11), was eine Kriminalisierung von Vorfeldhandlungen bedeutet.31 Was das Niveau der Strafdrohungen betrifft, so begnügt sich die Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie nicht mit der Forderung nach wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen, die zur Übergabe oder Auslieferung führen können (Art 15 Abs 1), sondern verlangt, dass terroristische Straften und die Beteilung daran mit höheren Strafen bedroht sind, als es nach dem nationalen Recht für entsprechende strafbare Handlungen ohne den spezifischen terroristischen Vorsatz vorgesehen ist (Art 15 Abs 2). Neben der Rechtsangleichung im materiellen Strafrecht erfordert die Terrorismusbekämpfungs-Richtlinie die Bereitstellung wirksamer Ermittlungsinstrumente (Art 20) und Maßnahmen gegen Online-Inhalte, die...