Buch, Deutsch, Band 4, 231 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 213 mm, Gewicht: 300 g
Reihe: Normative Orders
Zur Normativität nichtstaatlicher Rechtsetzung
Buch, Deutsch, Band 4, 231 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 213 mm, Gewicht: 300 g
Reihe: Normative Orders
ISBN: 978-3-593-39527-2
Verlag: Campus
Die Vorstellung, modernes Recht sei eng an die politische Organisationsform des Staates gebunden, verliert in jüngster Zeit immer mehr an Plausibilität: Transnationale Unternehmen schaffen sich in vielen Bereichen ihre eigenen Regeln und tragen Konflikte vor privat vereinbarten Schiedsgerichten aus.
Globale Systeme wie der internationale Finanzmarkt oder das Internet regulieren sich weitgehend
selbst, der Staat bestimmt allenfalls die Randbedingungen. Regierungen treffen Vereinbarungen untereinander – G 8, G 20 –, die keine völkerrechtlichen Verträge im herkömmlichen Sinne sind.
Inwiefern handelt es sich hier noch um Recht und welche Rolle spielt dabei der Staat? Ein Blick in die Rechtsgeschichte zeigt, dass es stets eine Pluralität des Rechts und der rechtsetzenden Autoritäten gab.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
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Inhalt
Vorwort7
Recht ohne Staat?
Stefan Kadelbach und Klaus Günther9
Verfassungen ohne Staat? Zur Konstitutionalisierung transnationaler Regimes
Gunther Teubner49
Unternehmen als Normunternehmer: Global Governance und das Gemeinwohl
Klaus Dieter Wolf101
Modernes Investitionsschutzrecht - Ein Beispiel für entstaatlichte Setzung und Durchsetzung von Recht
Rainer Hofmann119
Katholisches Kirchenrecht und Moraltheologie im 16. Jahrhundert: Eine globale normative Ordnung im Schatten schwacher Staatlichkeit
Thomas Duve147
Recht ohne Staat im Staat: Eine rechtsethnologische Betrachtung
Franz von Benda-Beckmann175
Vom Naturrecht der Urgesellschaft zu den kulturellen Rechten indigener Völker: Rechtsethnologische Konstruktionen und Reflexionen
Susanne Schröter201
Autorinnen und Autoren229
Kann es Recht ohne Staat geben? Diese Frage hat in verschiedenen Zyklen Rechtssoziologen, Rechtsethnologen, Rechtstheoretiker, Rechtshistoriker sowie Wirtschafts- und Privatrechtler beschäftigt. Das anhaltende Interesse an ihr hat verschiedene Ursachen. Zum einen hat sich der Staat nach dem Siegeszug neoliberaler Wirtschaftspolitik seit den achtziger Jahren bewusst von vielen Bereichen, teils auch von regelrechten Kernaufgaben, zurückgezogen. Zum zweiten wird als Kehrseite der zunehmenden globalen Mobilität von Unternehmen und Kapital und den mit ihr einhergehenden Optionen, sich dem Zugriff eines (national-)staatlichen Rechts zu entziehen, ein Schwinden der Staatlichkeit wahrgenommen. Zeitgleich vollzog sich, drittens, eine Entterritorialisierung des Rechts: Ein guter Teil des Handels wird über elektronische Medien von Gesellschaften und Reedereien vereinbart, die sich nicht ohne Weiteres innerhalb eines Staatsgebietes lokalisieren lassen; Recht wandert mit grenzüberschreitend tätigen Akteuren: Seien dies Unternehmen, internationale Zusammenschlüsse von Anwaltskanzleien, Entwicklungshilfeorganisationen oder Armeen, sie alle bringen eigene Standards in ihre Wirkungsgebiete mit. Viertens schließlich macht sich der Einfluss der anglophonen Rechts- und Sozialwissenschaften bemerkbar, für die eine notwendige Verknüpfung von Staat und Recht noch nie als so essenziell galt, wie dies nach der sehr speziellen Geschichte des deutschen Rechtsstaates hierzulande lange der Fall war.
Eine der Folgen dieser Dissoziation von Staat und Recht ist ein Wiedererwachen der Theorie des Rechtspluralismus. Rechtspluralismus herrscht auf einem sozialen Feld, auf dem mehr als eine rechtliche Ordnung gilt. Das staatlich gesetzte Recht wäre dann nicht das einzige Recht in einer Gesellschaft; vielmehr gibt es neben dem Staat auch noch andere gesellschaftliche Formationen mit rechtsetzender Autorität, die kollektiv verbindliche Normen schaffen. Um ein Wiedererwachen handelt es sich, weil der Rechtspluralismus historisch gleichsam der Normalfall ist und ein einheitliches, exklusives, um eine staatliche Autorität zentriertes Recht die Ausnahme. Abgesehen davon, dass sich bezweifeln lässt, ob ein solcher Rechtszentralismus eine triftige Beschreibung moderner Staaten der Gegenwart ist, scheint er den Blick auf die lange rechtspluralistische Vergangenheit eher verstellt zu haben.
Für diejenigen, die ein Absterben des Staates beobachten, ist die rechtspluralistische Perspektive intuitiv plausibel. Der Blick richtet sich auf mögliche Surrogate staatlicher Gesetzgebung, die in privater Selbstregulierung, der Normproduktion supra- und internationaler Organisationen oder in staatlich-privaten Hybridnormierungen erkannt werden. Die Vielzahl von Normproduzenten, die mit der Zeit auf den Plan getreten sind, lässt sich, so scheint es, zwanglos in ein neues Bild einfügen, das nicht mehr von einem einheitlich gedachten staatlichen Willen, sondern von der Fragmentiertheit der Gesellschaft und ihres Rechts ausgeht. Innerstaatliches oder auch exterritorial wirkendes staatliches Recht hätte hier ebenso seinen Platz wie das Völkerrecht, die lex mercatoria des internationalen Handels und die corporate governance-Standards multinationaler Unternehmen, aber auch schwächer normierte Vereinbarungen oder Prozeduren zwischen Regierungen oder Regierungen und privaten Unternehmen, schließlich auch die normsetzenden Aktivitäten vieler Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Die funktionale Differenzierung der Weltgesellschaft kann rechtstheoretisch beschrieben, womöglich sogar erklärt werden.
Allerdings stellen sich neue Fragen. So wird man sich mit dem Einwand beschäftigen müssen, dass nicht alles, was Vertreter des Rechtspluralismus als Recht einordnen, Recht sei. Wenn sich eine Gruppe von Unternehmen freiwillig zur Einhaltung bestimmter Umweltstandards verpflichtet - handelt es sich dann um "Recht"? Der Einwand zielt auf eine zentrale Kontroverse um den Rechtspluralismus. Die