Kaelin | Filtermacht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

Kaelin Filtermacht

Zur digitalen Transformation der politischen Öffentlichkeit
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-593-46087-1
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Zur digitalen Transformation der politischen Öffentlichkeit

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

ISBN: 978-3-593-46087-1
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Philosophische Öffentlichkeitstheorien - von John Dewey über Hannah Arendt bis zu Jürgen Habermas - beschäftigen sich mit der grundlegenden Rolle, die ein öffentlicher Diskurs oder eine öffentliche Sphäre für die Demokratie und unser Verständnis als selbstbestimmte Bürgerinnen und Bürger haben. Diese Öffentlichkeit unterliegt aber durch die Digitalisierung einem rapiden Wandel, wird die Welt doch in dieser medialen Revolution neu erfahrbar. Die Veränderung besteht entscheidend darin, dass die Filterung der Realität in anderer Art und Weise stattfindet: An die Stelle eines redaktionellen Modells der Wirklichkeitsvermittlung tritt das Modell einer Datenbank; mittels algorithmischer Kuratierung wird die soziale Wirklichkeit nach unseren Präferenzen und nach Plattformpräferenzen gefiltert. Lukas Kaelin analysiert diese Veränderung in der Informationsvermittlung nicht nur genau, sondern legt auch die weitreichenden Konsequenzen - wie Enthemmung und Kommodifizierung - für den gesellschaftlichen Diskurs dar.

PD Dr. phil. Lukas Kaelin ist Assistenz-Professor am Institut für Praktische Philosophie/Ethik an der Katholischen Privat-Universität Linz.
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Autoren/Hrsg.


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1.Einleitung


»Twitter has become kind of the de facto town square, so it’s really important that people have … both the reality and the perception that they are able to speak freely within the bounds of the law.«

Elon Musk1

Mit der Metapher des zentralen Platzes einer Stadt beschreibt Elon Musk die Funktion, die Twitter, jetzt X, als eine bedeutende Kommunikationsplattform seiner Meinung nach gesellschaftlich hat. Zugleich beschreibt er die Norm, die auf diesem ›Stadtplatz‹ gelten solle: Jede*r sollte die Möglichkeit haben, sich frei äußern zu können. Seine Twitter-Übernahme stellt Musk rhetorisch in den Kontext, dieser Norm Geltung verschaffen zu wollen. Aus dem ›Stadtplatz‹ wird durch die digitale Transformation der Diskussionsplatz für die Weltgesellschaft: Der ›Stadtplatz‹ ist im sprichwörtlichen globalen Dorf beheimatet und alle dort gemachten Äußerungen sind gleichzeitig zu vernehmen. Ein unglaublicher Lärm. Doch zum Reden gehört ein Hören. Damit die auf dem digitalen ›Stadtplatz‹ gemachten Äußerungen vernommen werden können, müssen sie gefiltert und geordnet werden. Die riesige Datenbank, bestehend aus allen je auf der Plattform gemachten Äußerungen, ordnet Twitter und präsentiert sie entlang der aus Nutzerdaten destillierten Präferenzen. Wenn Twitter die Infrastruktur des ›Stadtplatzes‹ zur Verfügung stellt und die Äußerungen ordnet, so besteht das Geschäftsmodell darin, die Aufmerksamkeit der zu Nutzer*innen mutierten Bürger*innen interessierten Werbekunden zu verkaufen. Das Publikum des ›Stadtplatzes‹ ist ein doppeltes: es besteht aus Nutzer*innen, die auf ihm verkehren, und Werbetreibenden, die ihre Produkte anbieten. Der ›Stadtplatz‹ gehört außerdem nicht den Einwohner*innen der Stadt oder der Stadtverwaltung, sondern einem wirtschaftlichen Unternehmen; der globale digitale ›Stadtplatz‹ ist privatisiert. Im zitierten ›Stadtplatz‹ finden sich zugleich Idee und Ideologie der digitalen Öffentlichkeit.2

Denn mit dem metaphorischen Konzept des ›Stadtplatzes‹ ist der strukturelle Ort benannt, den in der politischen Philosophie die Öffentlichkeit innehat. Was Musk beschreibt, ist Funktion der Öffentlichkeit, nämlich ein freier Ort des Austausches unter Gleichen. Doch beinhaltet ein gehaltvoller Begriff der Öffentlichkeit, wie er für ein politisches Gemeinwesen von fundamentaler Bedeutung ist, ungleich mehr. Öffentlichkeit benennt eine Sphäre des Austausches über Informationen, Ansichten und Überzeugungen hinsichtlich der Art und Weise, wie das gesellschaftliche Leben gestaltet sein sollte. Ausgangspunkt sind Überzeugungen von Bürger*innen über die (Aus-)Gestaltung der Gesellschaft und die Normen gesellschaftlichen Zusammenlebens. Mit zunehmender sozialer Differenzierung steht die Öffentlichkeit in einem Spannungsfeld zu privatwirtschaftlichen und staatlichen Akteuren, die potenziell den Kern des gleichberechtigten Austausches unter Gleichen bedrohen. Der Stadt- oder Dorfplatz bzw. die Bürger*innenversammlung kann dabei Ort dieses Austausches sein. Je größer politische Gemeinschaften jedoch sind, desto mehr wächst die Bedeutung von Vermittlungsmedien, die diesen Austausch ermöglichen. Mit den medialen Veränderungen wandeln sich auch die Strukturen der Öffentlichkeit.

Gegenstand dieser Arbeit ist der Begriff der Öffentlichkeit und sein Wandel durch den medialen Transformationsprozess. In der Öffentlichkeit findet die politische Willensbildung statt. Im Austausch unter Bürger*innen werden gesellschaftliche Probleme identifiziert, in Rede und Gegenrede geschieht eine Verständigung über soziale Herausforderungen und es bildet sich eine (stets auch umstrittene) öffentliche Meinung. Diese fungiert als gesellschaftliche Norm und prägt die demokratische Selbstregierung. Maßgabe der Qualität der öffentlichen Meinung ist ihr Zustandekommen in einem inklusiven und reflexiven Verfahren aller Betroffenen und ihre Wirkmächtigkeit, praktisch in verbindliche Regeln des gesellschaftlichen Lebens übersetzt zu werden. Wie dies geschehen kann, ist abhängig von der Infrastruktur der Öffentlichkeit und damit maßgeblich von den zur Verfügung stehenden Kommunikationsmedien. Ohne die Möglichkeit der Verbreitung der Information durch schriftliche oder elektronische Medien bleibt die Öffentlichkeit an konkrete Orte wie den (nicht-digitalen) Stadtplatz oder andere Versammlungsorte gebunden. Mittels Zeitung und später mit Radio und Fernsehen können Informationen über größere Distanzen verbreitet werden und es bilden sich in ihren unterschiedlichen Funktionen komplexere Strukturen der Öffentlichkeit heraus. Digitalisierung und damit einhergehende digitale Vernetzung produzieren nochmals einen Schub in der kontinuierlichen Transformation der Strukturen der Öffentlichkeit. Die vorliegende Arbeit beschreibt die Öffentlichkeit angesichts dieser digitalen Transformation.

Öffentlichkeit, der Hauptgegenstand dieser Arbeit, soll in einer ersten Annäherung als Sphäre gesellschaftlicher Selbstverständigung und Auseinandersetzung verstanden werden, die sowohl mit der Metapher des ›Raumes‹ als auch jener des ›Netzes‹ beschrieben werden kann. Als ›Raum‹ beschreibt die Öffentlichkeit jene Orte, an denen Bürger*innen sich versammeln und sich über Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens mit dem Ziel austauschen, verbindliche Regeln des Zusammenlebens zu finden. Als ›Netz‹ beschreibt sie jene zwischenmenschlichen Kommunikationsakte, die der Verständigung über und der Lösung von gesellschaftlichen Problemen dienen. Die öffentliche Meinung ist ein Resultat dieser Kommunikationsprozesse. Öffentlichkeit bedarf einer Infrastruktur als Träger dieser Kommunikationsakte – Räume, in denen Bürger*innen zusammentreffen können; Netze bzw. Netzwerkverbindungen, über die sie kommunizieren können. Mit anderen Worten: einer medialen Infrastruktur, die die Ermöglichungsbedingung der Öffentlichkeit darstellt.

Welche Öffentlichkeit sich konstituieren kann, ist nicht zuletzt abhängig von der Architektur dieser Infrastruktur. Der fortlaufende Wandel der Öffentlichkeit besteht insbesondere in den strukturellen Veränderungen der Architektur der medialen Infrastruktur. – Im Folgenden soll zuerst ein Überblick über die Arbeit gegeben werden (1.1), in einem zweiten Schritt wird der Forschungsstand dargestellt (1.2) und in einem dritten Schritt folgt ein Ausblick auf die Ergebnisse (1.3).

1.1Überblick


Die ersten beiden auf die Einleitung folgenden Teile dieser Arbeit haben philosophische Öffentlichkeitstheorien zum Inhalt. Entsprechend der Verbindung zwischen der politischen Öffentlichkeit und der medialen Entwicklung können diese theoretischen Konzeptualisierungen der Öffentlichkeit als Ausdruck des jeweiligen Standes der Entwicklung der Kommunikationsmedien sowie der damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen verstanden werden. Öffentlichkeitstheorien sind damit stets auch als Antworten auf (auch medial induzierte) gesellschaftliche Transformationsprozesse zu deuten.

Der erste Teil dieser Arbeit rekonstruiert Jürgen Habermas Öffentlichkeitsbegriff, der zweite stellt diesem konkurrierende Konzepte gegenüber. Die beiden ersten Teile bilden den Hintergrund für die im dritten Teil vorgenommene Darstellung der digitalen Öffentlichkeit. Die dabei leitende Forschungsfrage ist, wie sich die Strukturen der Öffentlichkeit angesichts des Doppelphänomens Digitalisierung und Vernetzung gewandelt haben und wie dadurch andere Normen in den Vordergrund getreten sind. Nicht mehr distinkte Massenmedien mit ihren jeweiligen Redaktionen und strategisch platzierte Korrespondent*innen, die als Gatekeeper fungieren, bilden die kommunikative Infrastruktur der politisch verfassten Gesellschaft, sondern ein umfassendes Netz von umwandelbaren und neu arrangierbaren allgemein zugänglichen Daten. Entscheidend sind dann die Akteure, die diese Daten ordnen und die relevanten Informationen herausfiltern. ›Filtermacht‹ steht für diesen für die digitale Öffentlichkeit entscheidenden Vorgang der Filterung der Informationen und für die Bedeutung derjenigen Akteure, die diese Filterung vornehmen.

Das zentrale Forschungsfeld dieser Arbeit ist der Begriff der...



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