Kaiser | Von Helden und Opfern | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 56, 462 Seiten

Reihe: Campus Historische Studien

Kaiser Von Helden und Opfern

Eine Geschichte des Volkstrauertags
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-593-41006-7
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Eine Geschichte des Volkstrauertags

E-Book, Deutsch, Band 56, 462 Seiten

Reihe: Campus Historische Studien

ISBN: 978-3-593-41006-7
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Durch die Auslandseinsätze der Bundeswehr ist der Soldatentod wieder in der Diskussion. Erstmals stellt Alexandra Kaiser hier die Geschichte des Volkstrauertages dar, der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 1922 als Gedenktag für die im Ersten Weltkrieg gestorbenen Soldaten eingeführt wurde. Im Nationalsozialismus wurde er zum "Heldengedenktag ", in der Bundesrepublik zum "Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt". Der Volkstrauertag mit seinen sich wandelnden Inszenierungen und Bedeutungen erweist sich als Brennspiegel der deutschen Erinnerungskultur im 20. und 21. Jahrhundert.
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1;Inhalt;6
2;I. Einleitung;10
3;II. Kriegstotengedenken in der Weimarer Republik;25
3.1;1. Gefallenengedenken nach Plänen von Reichskunstwart Edwin Redslob;28
3.2;2. Die Gedenkfeier der Regierung am 3. August 1924;32
4;III. Die Einführung des Volkstrauertags;44
4.1;1. Die Gründung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge;46
4.2;2. Der gescheiterte Reichstrauertag am 6. März 1921;50
4.3;3. Die Aktivitäten der Münchner Ortsgruppe des Volksbundes;53
4.4;4. Grundlinien des zukünftigen Trauertages;55
4.5;5. Die revanchistische Sinngebung des Volkstrauertags;59
4.6;6. Die Symbolik des Termins;64
4.7;7. Heldenehrungen im Reichstag: Die zentralen Feierstunden des Volksbundes;75
4.8;8. Das Lied vom guten Kameraden – Metapher der Volksbundideologie;83
5;IV. Konkurrierende Konzepte des Kriegstotengedenkens;91
5.1;1. Stuttgart;93
5.2;2. München;112
5.3;3. Hannover;137
6;V. Die »Einwurzelung« des Rituals: Der Volkstrauertag ab 1925;147
6.1;1. Gedenkfeiern der VDK-Ortsgruppen;149
6.2;2. Feierstunden und Kranzniederlegungen;153
6.3;3. Exkurs: Der Kranz als Symbol der Totenehrung;155
6.4;4. Die Formung des Volkstrauertagsrituals durch den Volksbund;160
6.5;5. Der Volkstrauertag im Radio;167
6.6;6. Der Gedenktag am Ende der Weimarer Republik;172
7;VI. Der Heldengedenktag in der NS-Zeit;177
7.1;1. Vom Volkstrauertag zum Heldengedenktag;179
7.2;2. Der Staatsakt in Berlin;187
7.3;3. Der Staatsakt als Medienereignis;194
7.4;4. Die »stille Kranzniederlegung« des Führers: Zur Genese einer symbolischen Geste;199
8;VII. Öffentliches Totengedenken in Deutschland nach 1945;211
8.1;1. Der Gedenktag für die Opfer des Faschismus (OdF-Tag);214
8.2;2. Die Nationalen Gedenktage des Deutschen Volkes (1950–1952);220
9;VIII. Die Wiedereinführung des Volkstrauertags;227
9.1;1. »Zurück zum alten Volkstrauertag« – Die Agitation des Volksbundes;229
9.2;2. Die Einigung auf einen bundesweiten Termin;234
10;IX. Versuche zur Neugestaltung der zentralen Feierstunde;247
10.1;1. Die Tagungen in Arnoldshain und Stromberg (1955–1957);248
10.2;2. Die Aufführung »Der Andere« (1959);254
10.3;3. »Fast [ein] Staatsakt« – Versuche der Einflussnahme seitens der Bundesregierung;259
10.4;4. Verhärtungen des Rituals;265
11;X. Vom Heldengedenktag zum »Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt«?;269
11.1;1. Die Einführung der gesprochenen »Totenehrung«;271
11.2;2. Den »Opfern von Krieg und Gewalt(herrschaft)« – Das bundesrepublikanische Modell des Gedenkens;281
11.3;3. Die Sinngebung des Sinnlosen: Gefallenengedenken im Volkstrauertag;292
12;XI. Soldaten und andere Opfer;298
12.1;1. Feierstunde und Kranzniederlegung (nach 1945);299
12.2;2. Die »stille Kranzniederlegung« – Formkonstanz und Bedeutungswandel;311
12.3;3. Der Volkstrauertag im Fernsehen;314
12.4;4. Der Volkstrauertag auf der lokalen Ebene nach 1945;323
13;XII. Der Volkstrauertag nach de rWiedervereinigung;355
13.1;1. Neue Horizonte der Volksbundarbeit;356
13.2;2. Volkstrauertag und Neue Wache;359
13.3;3. Der Volkstrauertag und der »Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus« am 27. Januar;369
13.4;4. Erinnerungsumbrüche im Spiegel einer Geste: Die Kranzniederlegung in der Neuen Wache;376
13.5;5. Exkurs: Rückkehr der »Helden«? – Das Gedenken an die getöteten Bundeswehrsoldaten;387
13.6;6. Die Re-Heroisierung des Volkstrauertags;395
14;XIII. Resümee: Die Macht des Rituals;405
15;Quellen und Literatur;411
16;Personen- und Sachregister;454
17;Dank;463


X. Vom Heldengedenktag zum »Gedenktag für alle Opfer von Krieg und Gewalt«? (S. 268-269)

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte der Volksbund sein ursprüngliches Konzept des Volkstrauertags insofern, als dass er neben den gefallenen Soldaten nun auch die zivilen deutschen Kriegstoten in das Gedenken mit einschloss. Ab den 1960er und vor allem in den 1970er Jahren begann sich die Darstellung des Gedenktags in der Öffentlichkeit dann noch einmal deutlich zu wandeln. Aleida Assmann hat im Blick auf die deutsche Erinnerungskultur nach 1945 die Unterscheidung gemacht zwischen einem »Leidgedächtnis« der Familien und einem normativ konditionierten »Schuldgedächtnis« des Staates1 – im Volkstrauertag mussten beide Ebenen zusammenkommen.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dessen Mitglieder sich zum Großteil aus ehemaligen Soldaten und Hinterbliebenen der deutschen Kriegstoten rekrutierten, agierte im Namen des deutschen »Leidgedächtnisses « – das Gedenken an die Opfer der Volksgemeinschaft standen aus dieser Perspektive eindeutig im Zentrum. Die Regierung als Exponentin des nationalen »Schuldgedächtnisses« hingegen sah es als ihre Aufgabe an, auch der ehemaligen NS-Verfolgten und derjenigen, die man im Dritten Reich als »Gemeinschaftsfremde« (Detlev Peukert) ausgegrenzt hatte, öffentlich zu gedenken.

Um dieser ihrer Aufgabe gegenüber den NS-Verfolgten nachzukommen, wollte die Regierung allerdings keinen besonderen Gedenktag einführen,3 sondern bevorzugte stattdessen, aller gewaltsam Getöteten der Jahre 1933 bis 1945 in einem gemeinsamen Ritual zu gedenken.Ein solcher konzeptioneller Ansatz war 1950 schon im Nationalen Gedenktag versucht worden und sollte nach dem Willen der Regierung auch auf den Volkstrauertag übertragen werden. Die Aufnahme der Toten der NS-Herrschaft in den offiziellen »Opferkanon« im Volkstrauertag geht also ursprünglich nicht auf den Volksbund, sondern auf die Vertreter von Staat und Regierung zurück.

Es war die zentrale Feierstunde des Volksbundes im Bonner Bundeshaus, die schon Anfang der 1950er Jahre in diesem Sinne von den Politikern als »Bühne« genutzt wurde, um einem veränderten Verständnis des Gedenktags Ausdruck zu verleihen; einen ersten Anstoß gaben die Gedenkreden von Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU) und von Bundespräsident Theodor Heuss. Nachdem sich VDK-Ehrenpräsident, Wilhelm Ahlhorn, bei seiner Ansprache im Bundeshaus 1950 noch ganz auf die deutschen Kriegsverluste konzentriert hatte, erinnerte Ehlers im folgenden Jahr auch an diejenigen, die gegen das NS-System »Widerstand leisteten und dafür in Konzentrationslagern und am Galgen endeten«.

Darüber hinaus wies der Bundestagspräsident ausdrücklich darauf hin, »dass es keinen vertretbaren Grund mehr gibt, der uns das Recht geben könnte, nur an die Toten unseres Volkes zu denken«.6 Heuss erwähnte die KZ-Toten 1952 in seiner Ansprache ebenfalls; die Kriegsgräberfürsorge zitierte den Bundespräsidenten folgendermaßen: »Mit Absicht wolle er [Heuss, A. K.] die Gefallenen auf den Schlachtfeldern, die Toten der Bombenangriff, die Opfer in den Konzentrationslagern und die Toten auf den jüdischen Friedhöfen auf eine Stufe stellen. Hier endet jede Heroisierung, und es bleibt nur ein grenzenloses Leid.


Alexandra Kaiser, Dr. rer. soc., ist wissenschaftliche Volontärin im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.



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