Kastenholz / Klewer / Krenn | Gothic Steam - Eine Dreadpunk-Anthologie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 302 Seiten

Kastenholz / Klewer / Krenn Gothic Steam - Eine Dreadpunk-Anthologie


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7554-1561-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 302 Seiten

ISBN: 978-3-7554-1561-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



GOTHICSTEAM Eine Dreadpunk-Anthologie   Besorgt blickte Grace in die wolkenverhangene Düsternis der Nacht. In der Ferne tasteten Scheinwerfer eines Luftschiffs über die in Dunkelheit gebetteten Dächer Bloomsburys. Blechernes Klappern kündigte bereits aus der Ferne eine Kutsche an, noch ehe das Fahrzeug in die New Oxford Street bog. Das Quietschen der Achse untermalte das Zischen und Schnaufen des Dampfrosses, während das Gefährt zwei Stockwerke tiefer durch zarte Nebelschwaden über das Kopfsteinpflaster ruckelte und im Schein der Laternen zuckende Schatten an die gegenüberliegenden Hauswände warf. Nimm dich in Acht, hallte ein Reim in ihrer Erinnerung wider, den Grace längst verdrängt zu haben wähnte, denn in dieser Nacht ist in Londons Gassen ein Monstrum erwacht ...   Diese und andere gruselige Geschichten - wie die seltsamen Abenteuer der Gouvernante Jane Eyre, die Geheimnisse des Conte Udolpho Mannara oder das Bildnis der Gann Li-Pen - erwarten den Leser in dieser dampfgetriebenen Horror-Anthologie.   »Dreadpunk« ist ein noch ein sehr junges, neues Subgenre des Steampunk. Der Begriff stellt eine Kombination der Worte »Dreadful« (engl. für: erschreckend, bedrohlich - Als Penny Dreadfuls wurden die viktorianischen Vorläufer der Groschenromane bezeichnet) und »Steampunk« dar und verbindet dessen Elemente und Ambiente mit klassischen Horrormotiven.   Geistergeschichte und Schauermär treffen auf Gaslicht- und Zahnradromantik.   Schauriges Vergnügen!     INHALT   Holger Göttmann Die Gouvernante   Anna Eichenbach In nebligen Gassen erwacht   Florian Krenn Jane Kyle und der Ripper   Cendriya S. Kesseldreck   M.W. Ludwig Das Bildnis der Gann Li-Pen   Isabell Hemmrich Das Geheimnis des Conte   A.L. Norgard Vom Stein der Unsterblichkeit   Ute Zembsch Pathologische Hingabe   Julian Gräml Erdwärts   Stephanie Richter Dort, wo es dunkel ist   Markus Cremer Archibald Leach und der Schrecken der See   Nele Sickel Sturm über Goslar   Detlef Klewer Tirn Aill   Illustrationen von Detlef Klewer
Kastenholz / Klewer / Krenn Gothic Steam - Eine Dreadpunk-Anthologie jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


IN NEBLIGEN GASSEN ERWACHT - Anna Eichenbach
      Besorgt blickte Grace in die wolkenverhangene Düsternis der Nacht. In der Ferne tasteten die Scheinwerfer eines Luftschiffs über die in Dunkelheit gebetteten Dächer Bloomsburys. Blechernes Klappern kündigte bereits aus der Ferne eine Kutsche an, noch ehe das Fahrzeug in die New Oxford Street bog. Das Quietschen der Achse untermalte das Zischen und Schnaufen des Dampfrosses, während das Gefährt zwei Stockwerke tiefer durch zarte Nebelschwaden über das Kopfsteinpflaster ruckelte und im Schein der Laternen zuckende Schatten an die gegenüberliegenden Hauswände warf. Nimm dich in Acht, hallte ein Reim in ihrer Erinnerung wider, den Grace längst verdrängt zu haben wähnte, denn in dieser Nacht ist in Londons Gassen ein Monstrum erwacht ... Unwillkürlich erschauderte sie, schloss rasch Läden und Fenster, um die Geräusche und klamme Kälte dieser trüben Oktobernacht auszusperren. Mit energischem Ruck zog sie schließlich die schweren Vorhänge zu. »Hast du die Läden auch ganz fest verschlossen?«, erklang es gedämpft. Mehr als einen zerzausten blonden Haarschopf und beunruhigt geweitete Augen, die unter der Bettdecke hervorlugend ihre Handgriffe beobachteten, vermochte Grace nicht auszumachen. »So, wie an jedem Abend, Rob«, entgegnete sie mild lächelnd. Die Decke senkte sich daraufhin ein wenig und offenbarte die geröteten Wangen eines Jungen. »Heute müssen sie besonders fest verschlossen sein«, mahnte er mit ernster Besorgnis, den Blick auf die Vorhänge gerichtet, als könne er hinter ihnen den Fenstergriff sehen. »Fenster und Läden«, versicherte das Hausmädchen und setzte sich auf die Bettkante, »sind so fest zu, wie es nur eben geht.« Liebevoll strich sie über seinen Kopf. Ein erleichterter Seufzer entrang sich der kleinen Brust. »Dann ist es ja gut.« Kurz huschte sein Blick erneut zu den Gardinen. »Du brauchst nichts zu fürchten«, versicherte sie ihm. »Fürchten?« Rob rutschte höher, straffte die schmalen Schultern und bemühte sich um eine tapfere Miene. Der Anblick hatte etwas Rührendes. »Ich fürchte mich nicht.« Verlegenheit stahl sich auf seine Züge. »Es ist nur ...« Sanft legte Grace eine Hand auf die Decke, unmittelbar über seinem Herzen. Eine stumme Ermunterung, weiterzusprechen. »Ich weiß, dass ihr ein Geheimnis habt, ihr Erwachsenen.« Er fixierte sie mit einem Ernst, der nicht so recht zu einem Kind seines Alters passen wollte. »Mum schaut mich immer so besorgt an. Und manchmal, wenn ich ins Zimmer komme, hört sie plötzlich auf, mit Dad zu reden, als wollten die beiden etwas vor mir verheimlichen.« »Rob, ich glaube nicht ...« Der Junge schüttelte entschieden den Kopf. »Ich weiß, dass es so ist.« Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Bei meinem Freund Arthur verhält es sich genau so«, setzte er nach. »Heimlich hat er darum seine Eltern belauscht und mir erzählt, dass ...« Fest presste Rob die Lippen zusammen, als habe er bereits zu viel verraten. »Was hat er dir erzählt?« »Von ... von ihm.« Einem Schatten gleich huschte Furcht über sein Gesicht. »Von den Kindern, die … verschwinden.« Grace setzte zu einer Erwiderung an. Wollte ihn beschwichtigen, ihm sagen, dass Arthur etwas falsch verstanden haben müsse. Wollte abstreiten, dass in den vergangenen Wochen bereits drei Kinder aus ihren Betten gestohlen worden waren, ohne dass die Ermittler auch nur einen einzigen Anhaltspunkt fanden, wo man mit der Suche beginnen sollte. Doch das Vertrauen, das Grace im Blick des Jungen erkannte, erlaubte nicht, dass etwas davon über ihre Lippen kam. Stattdessen nickte sie zögernd. »Es stimmt, Robert. Arthur hat dir die Wahrheit gesagt, was das Verschwinden der Kinder angeht. Aber deine Eltern ...« Sie suchte nach den passenden Worten. »Sie ... wollen dich nicht beunruhigen.« Zärtlich strich sie ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. Grace ergriff seine Hand, drückte sie mit einer Zuversicht, die sie ob der Ungeheuerlichkeit der Ereignisse, die ganz London den Schlaf raubten, selbst nicht empfände. »Hier bist du in Sicherheit. Dir wird nichts geschehen.« Das verspreche ich dir, tanzte auf ihrer Zungenspitze, doch wie sollte sie ihm versprechen, was nicht in ihrer Macht lag? Damals nicht. Erst recht nicht heute. »Mein Zimmer liegt neben deinem.« Sacht stupste sie ihm auf die Nase, entlockte ihm ein leichtes Lächeln. »Ich werde also gut auf dich achtgeben und ...« Einer plötzlichen Eingebung nachgebend schnippte sie mit den Fingern. »Warte, ich bin gleich zurück.« Sie eilte über den Flur in ihr Zimmer, kniete sich mit flatterndem Herzschlag vor das Bett und zog eine schwere Truhe hervor. Der Geruch von Staub und sorgsam verwahrten Erinnerungen stieg ihr in die Nase. Vergraben unter Kleidungsstücken ertastete ihre Hand etwas Weiches. Behutsam barg sie einen Teddy aus den Stoffbergen. Das braune Fell war an manchen Stellen fleckig, an anderen von Liebesbekundungen zerschlissen. Noch immer sprach sein aufgesticktes Lächeln von stummer Zuversicht, auch wenn er das andere des im Lampenschein warm glänzenden Auges eingebüßt hatte. Genau so sah er schon aus, als er vor langer Zeit in Graces Leben trat – in den Armen eines Jungen, dessen größter Schatz er darstellte. Nur dass er damals noch fröhlich tanzte, wenn man den Schlüssel in seinem Rücken drehte. Seit jener Nacht tat er es nie wieder. Sogar die alte Fran mit ihren geschickten Fingern hatte ihn in ihrer Werkstatt, in der nichts unmöglich zu sein schien, nicht wieder zum Tanzen bringen können. Es lag nicht an der Mechanik in seinem Innern, wie Grace wusste. Es ist sein Herz. Kummer raubte ihm die Freude an Musik und Tanz. Wenn Fran dem Bären auch kein neues Leben zu schenken vermochte, so doch wenigstens der kleinen Grace. Niemals fühlte sich das Mädchen glücklicher als zwischen den von Fran gefertigten uhrwerkangetriebenen Spielzeugen, bei deren Herstellung sie der alten Frau zur Hand hatte gehen dürfen. »Was ist damals nur geschehen?«, fragte sie den Bären, doch der alte Spielgefährte blieb ihr eine Antwort schuldig. Fest schlossen sich ihre Finger um das Zahnrad, welches das Stofftier gleich einem Talisman an einem dünnen Lederband um den Hals trug. Ob es ihm Glück brachte? Beklemmung strich eisig über ihr Rückgrat, ließ Grace erschaudern. Nun hat es von Neuem begonnen. Als habe sie sich an den erwachenden Erinnerungen verbrannt, riss sie dem Bären die Kette ab und warf sie zurück in die Truhe. Der Deckel entglitt ihren bebenden Händen. Mit einem Knall laut wie Donner schlug er zu. Grace erstarrte. Wagte nicht, zu atmen. Lauschte auf ein Knarzen der Dielen. Auf erzürnte Schritte eines erzürnten Mr. Heathens. Kaum etwas hasste er so sehr, als abendlichen Lärm, der ihn aus der Konzentration riss. Das Haus blieb stumm. Ein erleichtertes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und rasch eilte sie zu Rob zurück. »Hier«, sie platzierte den einäugigen Bären am Fußende des Bettes, sodass er den Jungen direkt anschaute. »Er wird heute Nacht über dich wachen.« Für ein paar Wimpernschläge überlagerte das Gesicht eines anderen Jungen das des ihr anvertrauten Knaben: Dunkler das Haar, schmaler die Wangen – doch strahlten nicht weniger Zuneigung und Vertrauen in seinen Augen. »Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten, Robert.« Grace drückte ihrem Schützling einen Kuss auf die Stirn, löschte das Licht, trat auf den Flur und schloss hinter sich leise die Zimmertür. »Keinen Grund, sich zu fürchten«, wiederholte sie flüsternd, als wolle sie sich dessen selbst versichern. Kurz zögerte sie, überprüfte dann aber doch, ob auch ihr Fenster fest verschlossen war. Eilig kleidete sie sich aus, schlüpfte in ihr Nachtgewand und unter die Decke. Ihre Finger krallten sich in den Stoff. Furcht nagte nun beständig an ihrem Herzen – und diese Erinnerungen, an die sie besser nicht gerührt hätte. Neun Jahre sind seitdem vergangen. Grace wünschte sich, jetzt selbst den Teddy im Arm zu halten, den sie Rob geborgt hatte. Was gäbe sie darum, diesen kleinen Gefährten neben sich zu wissen. Sich durch seine Gegenwart wieder in die Werkstatt der alten Fran versetzen zu lassen. Zurück in glücklichere Tage. Die einzige nicht von Furcht geprägte Zeit ihres Lebens. Ich sollte dankbar sein. Für das Leben, das sie mir ermöglichte. Für die Anstellung bei Mrs. und Mr. Heathen, die sie mir vermittelte, um mich versorgt zu wissen, ehe sie starb. Die alte Lady fehlte ihr. So sehr ... Entschieden schüttelte Grace den Kopf. Löschte das Licht und zog die Decke bis an das Kinn. Verbot sich, an all diese Dinge zu denken, die ihr den Atem zu rauben drohten und sank schließlich in unruhigen Schlaf.   ***   Tapp. Tapp. Tapp. Als tausendfaches Echo...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.